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Re: Re(2): [ox] Grundsicherung



Hallo!

Eure Diskussion ist irgendwie sehr vorraussetzungsreich und ich kann
ihr ehrlich gesagt kaum noch folgen. Da ich sie ja immerhin
angezettelt habe, gebe jedoch mein Bestes. Nur vielleicht ist es ja
möglich das ganze etwas formal runterzuschrauben?

Ich werde vielleicht in Zukunft nochmal eine Zusammenfassung der
Diskussion versuchen um das Ganze nach dem üblichen Ausufern wieder
etwas zu strukturieren.

On Sat, Jan 20, 2001 at 02:33:17PM [PHONE NUMBER REMOVED], Franz J. Nahrada wrote:
Darin argumentierte
er in genau der von Lorenz Glatz monierten sozialdemokratischen Manier
nationalen Erfolgs 

Worauf man sich ja vielleicht einigen kann: Auch vom liberalen oder
sozialdemokratischen Gesichtspunkt her kann man für eine
Grundsicherung argumentieren. Worum der Streit sich hier ja wohl
dreht (zumindestens aus meiner Perspektive), ist ob man dies von
einem antikapitalistischen Standpunkt heraus auch kann. Dazu trägt
das Heranziehen von einem X, der zusammen mit Y eine
sozialdemokratische oder was auch immer für eine Perspektive im
Zusammenhang mit einer Grundsicherung vertreten hat in meinen Augen
nicht viel bei.

Der Übergang zum Faschismus als Grundsicherung des 
Staatsbürgerdaseins hingegen erscheint mir dagegen sehr logisch.
Ein Milton Friedmann hat ja durchaus auch seine Affinitäten zu
einem Scheiden der Nation in solche, die dann auch ihren
Dienst erbringen, und andere.

Wir halten also fest: tatsächlich kann man Grundischerung vielleicht
auch als Faschist vertreten oder als Nationalliberaler, alles
möglich. Die Fragen die mich persönlich interessieren sind:

1. Kann man Grundsicherung antikapitalistisch verwenden?

2. Wenn ja, was sind die spezifischen Unterschiede in einer solchen
Argumentation im Vergleich zu anderen Grundsicherungsbefürwortenden
Positionen?

3. Welche der anderen Argumentationen (und der eigenen) führen zu
welchen konkreten Unterschieden in der Ausgestaltung einer
Grundsicherung?

4. Mit welchen der genannten gesellschaftlichen Kräfte kann man
zusammenarbeiten und mit welchen nicht?

Eine allgemeine Diskussion pro oder kontra Grundsicherung wo man
sich jeweils aus dem argumentativen Rahmen bedient, der grade in den
Kram passt empfinde ich als nicht sehr produktiv.

Freistellung und Subvention von Sektoren (auch von Personen)
soll sich für die Ökonomie quasi als Sachzwang darstellen. Das
Desiderat teile ich, und auch das Gefühl, daß der zweite Absatz in dem
Spehr-Zitat, das diese Debatte ausgelöst hat (wer am gesellschaft-
lichen Reichtum ohne die Bedingungen erzwungener Kooperation
partizipieren will, betreibt eine Politik der unabhängigen Grund-
sicherung) eine gewissen Romantizismus enthält. Damit ist zunächst
mal auch gewaltsame Aneignung von Reichtum eingemeindet, und die
Zerfallsformen der Sekundären Barbarei zur "Aufhebungsbewegung"
hochstilisiert.

Wenn ich geahnt hätte, dass sich die Diskussion in diese Richtung
dreht, hätte ich die nächsten Zeilen des Zitates auch noch mit
aufgeführt, die da lauten:

   Auch hier ist das demokratische Pathos, gegen Korruption,
   Patronage und Leistungserschleichung zu kämpfen, politisch meist
   ein rechtes Programm, das sich im Wesentlichen gegen diese
   Massenpolitik der kreativen Grundsicherungs-Vorwegnahme richtet.
   "Es heißt, die Grundlagen des ganzen sozialen Systems zu
   verkennen, wenn es in letzter Zeit üblich geworden ist, die
   Bezieher fal- scher , d.h. erschlichener Pensionen, zu
   denunzieren. Das wirkliche Problem ist, dass jemand, der nichts
   hat, sich als Blinden ausgeben muss, um eine Hilfe zu erlangen
   ... "

Und was die Gewaltfrage angeht ist Spehr tatsächlich der Ansicht,
daß das in extremen Situationen nötig sein kann, so wie ich ihn
verstanden habe.

Wie aber der Nützlichkeitsfalle entkommen, die Überleben nur unter den
immer prekäreren Funktionalitäten für ein - längst in seiner sozialen
Dynamik
zur Reproduktion der (sagen wir ruhig soziologisch mal "einer") 
Gesamtgesellschaft unfähig gewordenen - Systems erlaubt ? Wie das
Transferieren
von Ressourcen vom Marktsektor in den sozialen Sektor ohne die
Fiktion einer sozialen Bewegung denken, die Rudi Dutschke unfreiwillig
als negative Koalition der Erniedrigten und Beleidigten parodierte?

Sorry, hier steige ich aus. Weder weiss ich worauf Du mit Deinem
"soziologischen einer" anspielst (Zur Errinnerung: Nicht alle
Mitlesenden sind Soziologen oder mit deren Sprache vertraut) noch
was Dutschke parodierte. 

Kann Open Source der Katalysator einer transformatorischen 
Reproduktionsform sein? Bekanntlich sind ja auch die bürgerlichen
Verhältnisse von feudalen Strukturen alimentiert worden und fanden
so zu ihrer Form, Stärke und politischem Willen, dieser sehr wichtige
Gedanke
wurde schon oft in der Liste als Analogie herangezogen.

Äh ja. Aber wie kommst Du jetzt gerade da drauf? Mir ist der
Zusammenhang wohl in obigem Absatz verlorengegangen.

Die für mich einzig schlüssige Antwort ist: Grundsicherung kann es nur
geben, wenn der Zusammenhang von lokaler Reproduktion und dem
gesellschaftlich verfügbaren Reichtum an Modellen, Algorithmen und
geistigen Bausteinen für jede mögliche menschliche Aktivität als positiver
Rückkoppelungskreislauf erkannt ist. 

Nach fünfmaligem drübernachdenken (wie gesagt, ich geb mir wirklich
Mühe!), bin ich zu folgender Interpretation Deiner Aussagen
gekommen:

   Alles hängt mit allem zusammen. Jede Tätigkeit, sei sie jetzt
   formale Arbeit oder Hausarbeit oder auch nur Ökonuxmails
   schreiben oder träumen ist nicht aus dem gesammten
   gesellschaftlichen ökonomischen Kreislauf herauszutrennen. Und
   das ist für Dich die argumentative Grundlage für eine
   Grundsicherung.

Stimmt das so? Wenn ja: Genau meine Meinung. 

Wenn man über Bündnisfragen nachdenkt, so wie oben in meiner 4.
Frage, ist es vielleicht interessant, dass es liberale Theoretiker
gibt, die ganz in liberaler Tradition argumentieren - also einsame
Insel und so - und die trotzdem eine ganz ähnliche Argumentation
fahren. (zB: "Basic Income and the Common Good", Bill Jordan)

In meinem Referat auf der
Ökonux-Konferenz möchte ich die These aufstellen, daß jedes neue "globale
Dorf", in dem praktisch die Verfeinerung der Subsistenz durch
Neukombination und -konstruktion des stofflichen
Produktions-Reproduktions-Kreislaufes zwischen freien und angeeigneten
Naturprozessen erprobt und gelebt wird, eine gesellschaftliche Investition
ganz nach dem Muster der Investition von Kapital darstellt: die Zugewinne
an Wissen, an verfügbarer geistiger Kapizität für die gemeinsamen
geistigen Angelegenheiten, wiegen bei weitem den anfänglichen Transfer an
Wissens- und Produktionsmitteln auf. 

Na, das werd ich mir dann auf jeden Fall anhören :-)

Das heißt aber auch: Grundsicherung
kann es nur als lokale geben. Es ist ein unerfüllbarer Traum, dem alten
Sozialstaat nachzuweinen, es kann höchstens effiziente Netzwerke und
"Rhizome" der wechselseitigen Anstiftung zum Aufbau neuer "Klöster" geben,
mit denen der gemeinsame ungeheure Wissensproduktionsprozeß auf einer
höheren gesellschaftlichen Stufenleiter fortgeführt werden kann, und in
deren Bereich die Sicherheit nachwächst, die anderswo verloren geht.

Was genau stellst Du Dir jetzt da wieder drunter vor? Tauschringe?
Subsistenzwirtschaft? Wer gibt mir meine morgendlichen Cornflakes
für meine Ökonuxmails?

ad 1: Im nationalen Rahmen die Frage zu stellen heißt sie nicht unbedingt
im nationalen Rahmen beantworten.
"Dass grosse Nationen sich auflösen, ist nicht schlecht, auch wenn dies
heute mit viel Blutvergiessen, Bürgerkriegen, Hungersnöten geschieht. Der
Grund für die Gewaltausbrüche liegt eben darin, dass grosse Systeme allzu
lange und mit viel zu viel Gewalt zusammengehalten worden sind. Die Gewalt
liegt in den "friedlichen Zwangsstrukturen" gefangen und tritt zutage,
wenn die Zwangsapparate in Krise geraten. Neben Jugoslawien gibt es auch
das Beispiel der baltischen Staaten oder der Tschecho-Slowakei, die sich
sich mit relativ wenig Blutvergiessen trennen konnten. Aber solange
internationale Organisationen oder Staaten und Ideologen sich darauf
versteifen, die Regionalisierungen aufhalten zu wollen, statt sie als
Heilungsprozess aktiv zu unterstützen, sind neue Katastrophen
programmiert." (PM, das neue Mittelalter, 1994)

Wer oder was ist PM? Die Teenietechiezeitschrift?

Ansonsten ist da eine verdammt große Portion Zynismus drin. Ich weiß
nicht ob ich bereit bin, die zu schlucken.

Ist das jetzt ein Plädoyer für Separatismus? Wie genau stellst Du
Dir das denn im hier-und-heute-Europa vor? Aber das läuft wohl auf
die selben Fragen hinaus, die ich oben schon gestellt hatte.

Und: Was ist mit der Globalisierung? Alles abwickeln? Wo krieg ich
dann meine Bananen her? Oder sind die dann Bäh? Dann will ich das
nicht.

2. Wenn aber die Regionalisierung und die zunehmende Autonomie als
heilsame Tendenz erkannt sind: Vielleicht gibt es noch einen marktförmigen
Bedarf, z.B. an Hardware, Dienstleistungen, Implementationen von
Technologien, die auch und gerade von gewissen Kapitalen als ihr
(möglicherweise letzter) Zukunftsmarkt entdeckt werden?

Meiner Ansicht nach ist diese "zusätzliche Autonomie" wie Du es
nennst nur eine Scheinautonomie. Gerade an Osteuropa sieht man das
doch sehr deutlich. Jedes kleine neue Fürstentum darf ganz autonom
die Vorgaben der EU für den Beitritt erfüllen.

Und die Rhein-Main-Regionalregierung (die hier in Frankfurt abundzu
mal wieder gefordert wird), dürfte auch nur ganz autonom die
Vorgaben des Kapitals erfüllen.

Wir brauchen eine Theorie des letzten Markts, desjenigen, der sozusagen
die Produzenten wieder voll zur Autonomie befähigt. Alvyn Toffler hat in
seiner "Third Wave" die Umrisse einer solchen Theorie geliefert. Er hat
nachgewiesen, daß das Industrieprodukt im Zeitalter der Automation
untergehen wird, daß customisation (die Produktion angepaßt an den Kunden)
und prosumerism (der Kunde bedient sich selbst) langfristig den Keim des
Endes der Märkte in sich tragen. Freilich ist das der esoterische Toffler,
den keiner zur Kenntnis nehmen will.

Ich kenne leider Deinen Toffler nicht, aber bei Spehr (den ich hier
ja inzwischen schon so oft angeführt habe, daß ich mich bald selbst
für einen "Fan" halte), gibt es auch was über Märkte. In "Gleicher
als Andere" S. 52f. Der Kern ist, daß Märkte gut sein können, wenn
sie als freie Kooperation organisiert sind (was unsere heutigen
Märkte nicht sind).

Und was die Industrieproduktion angeht: Ich denke nicht, daß sie
untergehen wird, sie wird sich nur wandeln. Aber das ist vielleicht
wirklich ein anderes Thema (aber auch OnTopic!).

Grüße, Benni
-- 
      Ragnaroek-Play-by-email: http://ragnaroek.home.pages.de/
               Goetter und Erdlinge am Ende der Welt

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Organisation: projekt oekonux.de


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