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Re: Re(2): [ox] Grundsicherung



Hi Liste!

Puh, das dürfte mit der längste Thread in der Listengeschichte sein.
Ich gehen mal auf verschiedene Mails gesammelt ein.

Ich würde gern Lorenz' Bedenken zustimmen, daß sich jedes
systemimmanente Grundsicherungsmodell (ich bleib' mal bei dem Wort)
natürlich auf die Arbeitsgesellschaft, deren Erfolg in der
internationalen Konkurrenz und auf die Existenz von Geld stützen muß.
("Systemimmanent" habe ich bewußt geschrieben, denn wie so etwas in
einer GPL-Gesellschaft verhandelt würde, ist ja nicht mal angerissen
und eigentlich auch ein anderes Thema.) So gesehen ist jede
Grundsicherungsforderung natürlich reformistisch.

Ganz besonders wichtig finde ich auch Lorenz' Bemerkung, nicht die
gewaltförmige Enteignung zur Vorwegnahme der Grundsicherung
hochzustilisieren. Da lugt mir doch die Preakarisierung zu deutlich um
die Ecke und wenn das Ganze nicht von einer sozialen Bewegung getragen
ist - was es gibt, nach meiner Kenntnis z.B. in Brasilien - dann nimmt
das schnell Formen an, die wir aus (Ex-)Jugoslawien kennen. Allerdings
sind manche afrikanischen Staaten (Angola z.B.) schon viel weiter, wo
der Bürgerkrieg der Normalzustand geworden ist und eigentlich kein
Mensch mehr weiß, wie das Land wieder in wenigstens so etwas wie einen
Waffenstillstand gebracht werden könnte.

Allerdings finde ich ähnlich Benni diese Bedenken noch kein
Kill-Kriterium per se.

13 days ago Benni Baermann wrote:
Die Fragen die mich persönlich interessieren sind:

Und mich. Ich finde es hochbedauerlich, daß darauf niemensch hier
eingegangen ist.

1. Kann man Grundsicherung antikapitalistisch verwenden?

Aus obigen Gründen grundsätzlich nicht, da sie immannent bleiben muß.

Davon unabhängig ist aber die Frage, ob sie für antikapitalistische
Ziele zu gebrauchen ist. Das würde ich im Sinne einer
Übergangsforderung durchaus positiver bewerten.

So würde ich das auch für unseren speziellen Fall sehen - mal davon
ausgehend, daß wir den Kapitalismus zumindest langfristig überwinden
wollen. Für uns wäre eine Grundsicherungsforderung ein Mittel für
einen bestimmten Zweck: Menschliche Ressourcen für die Entwicklung
Freier Güter zu bekommen. Quasi eine staatliche Alimentierung des
Übergangs in die GPL-Gesellschaft. Das müßte für uns wohl der
Grundgedanke sein.

BTW: Das wäre übrigens genau so ein Punkt, wo sich die politische
Forderung als Bedürfnis der Bewegung herauskristallisiert und nicht
als bloßes Abstraktum in den Raum gestellt wird. Genau die Form, die
Robert Kurz angedeutet hatte und die ich die richtige Sichtweise fand.

2. Wenn ja, was sind die spezifischen Unterschiede in einer solchen
Argumentation im Vergleich zu anderen Grundsicherungsbefürwortenden
Positionen?

Ich persönlich glaube aus verschiedenen Gründen (momentan) nicht, daß
Grundsicherung in einer wesentlich anderen Form als Sozialhilfe bei
uns oder sonstwo Realität wird.

Als taktische Forderung unterfüttert mit unseren Intentionen im wie
schon erwähnten Sinne ("Wir wollen eine Grundsicherung, damit wir uns
selbstentfalten können und en passant wenn's uns paßt für die
Gesellschaft auch mal was Nützliches tun.") fände ich es aber spannend
und hier lägen dann auch die spezifischen Unterschiede: Daß wir die
Grundsicherung ganz klar als ein Mittel für einen (revolutionären)
Zweck wollen - und nicht nur eine effektivere Verwaltung der Armut.

Und wer weiß? Vielleicht gewinnt eine Freie Bewegung (ist schon toll
dieses Adjektiv "Frei", kann ich überall drankleben ;-) ) ja mal
soviel gesellschaftliche Macht, daß sie so etwas durchsetzen kann.
Vielleicht zuerst für Freie ProgrammiererInnen?

3. Welche der anderen Argumentationen (und der eigenen) führen zu
welchen konkreten Unterschieden in der Ausgestaltung einer
Grundsicherung?

Bei der Grundsicherung ist natürlich immer die Höhe eine Frage. Die
müßte deutlich hoch liegen - und nicht an die Löhne gekoppelt :-) .

Sonst fällt mir nichts unmittelbar ein.

4. Mit welchen der genannten gesellschaftlichen Kräfte kann man
zusammenarbeiten und mit welchen nicht?

Da würde ich eher schwarz sehen. Wenn wir das wirklich in dem
genannten Sinne wollen, dann werden wir aus den Reihen der
Arbeitsgesellschaftlichen wohl keinen Zuspruch erwarten können - siehe
die "Glücklichen Arbeitslosen".

Und was die Industrieproduktion angeht: Ich denke nicht, daß sie
untergehen wird, sie wird sich nur wandeln. Aber das ist vielleicht
wirklich ein anderes Thema (aber auch OnTopic!).

Die Industrieproduktion ist ja das, worum es mir/uns ganz wesentlich
geht.

Ansonsten habe ich mich ja früher recht erschöpfend zu Franz' Thesen
geäußert. Nun, entweder ich verstehe vieles was er sagt nicht, oder es
befindet sich außerhalb unseres Rahmens und sehr innerhalb des
kapitalistischen oder meinetwegen Öko-Rahmens. Ich mag das aber hier
nicht mehr vertiefen und freue mich auf seinen Beitrag im Rahmen der
Konferenz.

4 days ago Horibbeck wrote:
Ich verstehe immer nicht, was substantiell an der Forderung nach
Grundsicherung überhaupt emanzipatorischer (in dem Sinne der relativen
Befreihung vom Arbeitszwang) sein soll, als es Arbeitslosengeld-(hilfe),
Sozialhilfe und Rente ja schon sind.

Da finde ich was Richtiges dran. Alles sind Einkommensarten, die mehr
oder weniger nicht von direkter und unmittelbarer
Arbeitskraftvernutzung abhängen (oder nur prekär bei der Sozialhilfe).
Renten und ähnliche versicherungsbasierte Systeme fallen aber
eigentlich raus, da sie sich auf frühere Arbeitskraftvernutzung
beziehen.

3 days ago Benni Baermann wrote:
On Mon, Jan 29, 2001 at 10:05:36AM -0500, Horibbeck aol.com wrote:
Das, was mich (und vielleicht auch mal sehr viele) an Freier Software so
begeistert, ist doch das befreiende Moment, das Emanzipatorische an ihr,
nähmlich 1. die GÄNZLICH der Bedingung der Kapital-Verwertung entzogene
Produktion, 2. Die GÄNZLICHE Verhinderung ihres irgendwie gearteten Besitzes
(d.h. ihre tendenziell bedingungslose Verfügbarkeit) und 3. ihre überragende
Qualität und damit ihre Ausstrahlungskraft als realistische, nicht auf
Verzicht basierende Selbstversorgungs-Alternative jenseits von
Kapital-Verwertung !!!!!

zu 1.: Von gänzlich kann nicht die Rede sein. Es werden Leute dafür
bezahlt, dass sie FS programmieren und nicht in allen Fällen dürfen
sie frei entscheiden, was sie programmieren und was nicht.

Das ist in der Tat ein Faktor, den wir im Auge behalten müssen.
Momentan würde ich das noch für ein Randphänomen halten. Oder
vielleicht ein Übergangsphänomen? Ich überlege nämlich selbst gerade,
ob ich nicht stärker an meinen Arbeitgeber herantreten soll, meine
Software als Freie entwickeln zu dürfen.

Nun, wenn dieses Phänomen Raum greift - Freie Software wird in
kapitalistischen Lohnarbeit hergestellt -, dann wäre das spannend zu
beobachten. Eine unserer Thesen lautet ja, daß die Selbstentfaltung
als letzte Produktivkraftreserve einerseits bessere Qualität erzeugt,
andererseits aber unter Lohnbedingungen nicht endgültig zu haben ist.

Je länger ich darüber nachdenke, desto zwiespältiger wird das
Phänomen. Wir müssen es auf jeden Fall im Auge behalten.

zu 2.: Auch da stimmt das "gänzlich" nicht. Es gibt so etwas wie
einen "Besitz durch Ahnung". Wer einmal versucht hat, sich in grosse
fremde Programme einzulesen, weiss was ich meine.

Das würde ich als Kenntnisse und/oder Fähigkeiten bezeichnen. Die als
"Besitz" zu bezeichnen bringt m.E. nichts, da sie nicht wirklich
veräußerlich sind und somit auch nicht Nicht-Besitz sein können.

Andersherum begünstigt Freie Software ja aber die breite Aneignung von
Kenntnissen und Fähigkeiten (durch die Verfügbarkeit der Quellen
allgemein aber auch durch den fehlenden Bedarf an Geheimhaltung).

Natürlich kommt es
vor, dass ein Projekt übernommen wird, aber öfter kommt es vor, dass
es einschläft, wenn der ursprüngliche Autor nicht mehr weitermacht.
Das ist natürlich kein Besitz im herkömmlichen Sinn, aber es gibt
auf jeden Fall sowas wie eine Hierarchie der Zugänglichkeit.

Mag sein, aber nur noch auf einer quasi technischen bzw.
Fähigkeitsebene und nicht mehr von oben verfügt. Das scheint mir schon
ein fundamentaler Unterschied.

zu 3.: Auch die überragende Qualität hat so ihre Schattenseiten. FS
ist immer noch zu grossen Teilen eine Software von Entwicklern für
Entwickler. Qualität ist eben keine Einbahnstraße, sondern es ist
immer zu fragen: Qualität für wen und was?

Mein Eindruck ist, daß das wird mit dem für alle.

Wie gesagt: Man kann nicht von FS reden ohne die Bedingungen zur
Sprache zu bringen unter denen sie zu Stande kommt. Faktisch
bedeutet das zur Zeit, dass nur Privilegierte überhaupt in der Lage
sind FS zu schaffen.

Nicht jede Freie Produktion ist nur dann möglich, wenn überhaupt kein
(individueller) Zwang zur Verwertung mehr besteht. Leute heute haben
haufenweisee Hobbies und auch finanzielle Ressourcen, mit denen sie
sehr wohl etwas Nützlicheres anstellen könnten, als ihnen der
permanente Verblödungszusammenhang tagtäglich ins Hirn hämmert.

Ein Beispiel ist mir neulich eingefallen, das auch Franz gefallen
wird: Überschüsse aus dem Garten werden tauschfrei an Nachbarn und
Bekannte abgegeben. Wäre das nicht auch eine Freie Produktion - halt
auf der Handwerks-/Landwirtschaftsebene?

3 days ago Benni Baermann wrote:
On Tue, Jan 30, 2001 at 06:55:55PM [PHONE NUMBER REMOVED], Glatz wrote:
Ohne dieses Ziel im
Hirn zu haben, führt jeder Weg nur wieder in die alte Sch. zurück. Die Freie
Software Bewegung ist in meinen (hoffentlich nicht zu kurzsichtigen) Augen
deshalb so interessant, weil sie Elemente einer solchen Gegengesellschaft
enthält.

Völlig Deiner Meinung. Nur sollten wir doch langsam auch mal die
Frage angehen, was wir denn tun können um den Prozess voranzutreiben
- ausser zu programmieren, aber darum geht es ja hier nicht, sonst
wären wir auf einer Linuxkernelmailingliste und nicht bei Oekonux.

Wichtiger Punkt. Zunächst würde ich sagen, daß dieser Laden hier schon
ein bißchen was bewegt hat und noch mehr bewegen wird. Wenn ich - auch
im Rahmen der Konferenzvorbereitung - sehe, wo wir schon überall
wahrgenommen werden, dann bin ich immer wieder verblüfft. Wir
schneiden einfach wichtige Themen an und geben ganz neue Antworten,
die ganz offensichtlich zumindest nicht einfach so vom Tisch zu
wischen sind. Und deshalb finde ich, daß wir alle schon was ganz
wichtiges tun.

Was darüber hinaus in Bewegung gesetzt werden könnte ist aber nicht so
klar. Vielleicht können wir ja mal Ideen sammeln, wie die Idee der
Freien Software für Nicht-ProgrammierInnen umsetzbar sein könnten.

Aber andererseits denke ich, daß das auch mehr das Thema einer
Bewegung sein müßte - und soweit würde ich hier nun doch noch nicht
gehen ;-) . Aber vielleicht könnte das Projekt Oekonux ein Teil einer
Bewegung werden - das fände ich ein schönes Ziel.

Eine Grundsicherung ermöglicht es, dass auch nicht Priveligierte in
den Genuss dieser neuen Moeglichkeiten kommen. Deswegen bin ich
dafuer.

Wie angedeutet: Andere Eigentumsarten, die dich vom Zwang zum
Geldverdienen entkoppeln leisten ähnliches. In diesem Sinne würde ich
gerne auch noch mal einen Blick auf die (alimentierten) Arbeitslosen
werfen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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