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Re: [ox] Re: Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?



Hi Ralf und alle!

12 days ago RalfKrae wrote:
 Entscheidend wäre mir die Unterscheidung - und da kommt die
 Entfremdung dann sehr konkret doch wieder hinein -, daß wir einerseits
 zwischen Arbeit/Tätigkeit unterscheiden, die um ihrer selbst willen
 getan wird - mithin also Selbstentfaltung (hier jetzt incl.
 (individueller?) Notwendigkeit, wie Annette ganz gut ausgeführt hat) -
 und solcher, die aus äußeren Gründen geleistet wird - i.d.R.
 Gelderwerb. Als Definition nehme ich für diese Mail mal konkrete bzw.
 abstrakte Arbeit als Abkürzungen.

Find ich nicht sinnvoll. Warenproduzierende Arbeit hat Doppelcharakter, also
abstrakte ist immer zugleich auch konkrete, Gebrauchswert produzierende,
sonst würde sie auch als abstrakte, Wert schaffende, nicht anerkannt.

Ok. Aber der Entfremdungscharakter - und um den ging es ja - ist bei
der abstrakten Arbeit dadurch gegeben, daß der produzierte
Gebrauchswert der konkreten ProduzentIn bestenfalls vermittelt von
Bedeutung, i.d.R. aber scheißegal ist. Was interessiert es denn den
klassischen Bandarbeiter ob er Schrott abliefert oder nicht - doch nur
vermittelt über die Hierarchie. Und das ist ja gerade eine Folge der
Entfremdung in der Lohnarbeit.

Nochmal differenzierter würde ich also sagen, daß die konkrete Arbeit
solche ist, die in den Augen der Produzierenden sinnvollen
Gebrauchswert schafft. (Daß das in bestimmten Branchen auch im
Kapitalismus erheblich so ist, ist m.E. ein Zeichen für die
stattfindende Entwicklung.)

Andererseits wollte ich ja keineswegs alle Tätigkeit unter Arbeit fassen,
sondern nur solche, bei der die Zweckbestimmtheit, also die Orientierung auf
ein Produkt bzw. Arbeitsresultat, die Tätigkeit wesentlich bestimmt. Viele
Tätigkeiten würde ich nicht unbedingt als Arbeit bezeichnen: Spiel, Hobby,
Konsumieren/Aneignen, Kommunizieren, Muße, Schlafen, Sport, Lernen. Es gibt
dabei Übergänge und muss konkret geguckt werden, was bei der konkreten
Tätigkeit dominiert, also Freie Software produzieren ähnlich wie Hobby
zwischen Arbeit und Spiel, Sport zwischen Spiel und Arbeit am eigenen Körper,
Lernen zwischen eher spielerischer Tk. oder andere Tk. begleitend oder
gezielt als Arbeit an der Entwicklung der eigenen insb. psychischen
Fähigkeiten. Wobei fast jede dieser Tätigkeiten unter bestimmten Umständen
auch zu Erwerbsarbeit gemacht werden kann.

Na ja, irgendwie ist ja fast jede solche Tätigkeit auf ein Resultat in
irgendeiner Form gerichtet. Ich würde z.B. nicht schlafen, wenn ich
danach nicht wieder frischer würde :-) .

Aber das finde ich interessant, daß bei einer solchen
Perspektivenverschiebung jegliche menschliche Tätigkeit in den Blick
gerät ;-) .

 > Und diese gesellschaftliche Organisation über Tausch bzw. Geld zu
vermitteln,

 Zunächst mal leistet eine solche gesellschaftliche Organisation genau
 das, was du willst, eben nur als Seiteneffekt und zumindest in
 Teilbereichen mehr oder weniger zufällig und in vielen Fällen mehr
 schlecht als recht. Ich muß jetzt nicht die vielen Defizite des
 Kapitalismus aufzählen, wo er eben nicht allgemein gesellschaftliche
 Bedürfnisse befriedigt, sondern nur die, die mit einer kaufkräftigen
 Nachfrage ausgestattet sind.

 Stattdessen muß eine solche gesellschaftliche Organisation immer
 wieder in eine Situation führen, die wir heute haben.

Ich wollte keineswegs Kapitalismuskritik suspendieren, die liegt mir sehr am
Herzen. Aber Warenproduktion und -tausch ist nicht nur als Nebeneffekt,
sondern notwendig und wesentlich (profitgesteuerte, aber dennoch)
Organisation des gesellschaftichen Produktionsprozesses.

"Wesentlich" weiß ich nicht. Auf "nicht unwesentlich" könnte ich mich
einigen :-) .

 > finde ich in vielen Bereich weniger problematisch als viele andere
Formen,

 Ich denke, daß wir da noch viele Formen kennenlernen werden. Wie
 würdest du z.B. die gesellschaftliche Organisation Freier Software
 dagegen einschätzen? Funktioniert jedenfalls besser als die
 kapitalgetriebene á la M$. In diese Richtung würde ich gerne
 weiterdenken.

Funktioniert bisher nur in - relativ zur gesellschaftlich notwendigen
Gesamtarbeit - ziemlich kleinem Randbereich.

Ok, warten wir's ab. Auf der Konferenz werden wir ja einige Leute
haben, die zur Übertragung was sagen können und werden.

 > und monetäre Anreize weniger
 > Zwangscharakter haben als vieles andere.

 Und nochmal Widerspruch. Das wirkt für dich so, weil du die monetären
 Anreize mit der Muttermilch aufgesogen hast. Die Feudalherrn haben das
 z.B. ganz anders gesehen.

 Und ganz ehrlich: Ich strenge mich tausendmal lieber an, wenn ich
 (möglichst konkret) weiß welchem Nutzen meine Anstrengung dient, als
 wenn ich es wegen des Geldes tue, das ich dafür bekomme. Umgedreht:
 Für mich einsehbare Notwendigkeiten haben für mich viel höhere
 Dringlichkeit (Zwangscharakter?) als monetäre Anreize.

Konkret tust du das v.a. in einem Bereich, der dir zugleich Spaß macht,
nämlich Programmieren usw. Wenn dir aber als notwendig vermittelt würde,
größe Teile deiner Lebenszeit mit Tätigkeiten zu verbringen, die dir keinen
spaß machen?

Nun, vielleicht verbringe ich in meiner durch meinen berufliche
Position gewiß privilegierten Position recht viel Zeit damit, Dinge zu
tun, die mir auch des öfteren Spaß machen. Aber ich muß auch meine
Wohnung putzen und mich um den Einkauf kümmern usw. usf. Und das
schätze ich durchaus nicht, ist aber stofflich erfahrbar (leerer
Kühlschrank) eine Notwendigkeit.

Was tue ich? Zunächst meine Drecktoleranz hoch halten ;-) . Dann
überlege ich mir, wie ich diese unangenehmen Sachen angenehmer machen
kann. Das fängt mit der konkreten Organisation der Tätigkeit an - z.B.
Musik laufen lassen beim Schrubben - bis hin zu dem Wunsch einen
Haushaltsroboter zu haben, der mir das ganz abnimmt.

Was ich damit sagen will: In meinem persönlichen Bereich stoße ich
zumindest mal auf harte *Not*wendigkeiten, die mich nur Tätigkeit
*nöt*igen. Aber ich kann mich immerhin auch entscheiden, wie ich
diesen Notwendigkeiten begegne. Das unterscheidet sich schonmal von
Lohnarbeit.

Wenn du Notwendigkeiten nicht einsehen willst, die aber die
anderen sehr wohl so sehen?

Dann wäre meine erste Antwort, daß die das dann machen sollen, die es
einsehen.

Sollte das aus irgendeinem Grund nicht genügen, dann würde ich mit
diesen Personen, die mich da zu etwas nötigen wollen, in einen Diskurs
treten und mit ihnen zusammen klären, was warum zu tun ist und wie
genau. Da ich mich für einen verantwortungsvollen und argumentativ
zugänglichen Menschen halte, sollte das auch grundsätzlich klappen.
Sind die Widersprüche groß, ist es auch schon eine politische Frage,
die ohnehin anders verhandelt werden müßte. Auch das unterscheidet
sich erheblich von staatlichen und kapitalistischen Verhältnissen.

Aber nicht das wir uns mißverstehen: Ein solches diskursives Modell
würde ich nicht für den Normalfall halten. Der Normalfall ist wie in
unserer heutigen Gesellschaft das, was die Dominanzkultur vorgibt.

Freie Kooperation ist ja schön und gut (auch als
kritische Randbemerkung zu Spehr), wo immer es funktioniert,

Dann laß uns das anstreben - ok?

 > Das wäre unter sozialistischen
 > Bedingungen etwa durchaus mit relativ großzügiger Grundsicherung
 > kombinierbar, so dass Leute wirklich wählen könnten, ob sie das machen
wollen
 > und im Gegenzug immaterielle und materielle Anerkennung dafür bekomen
oder
ob
 > sie darauf verzichten.

 Wie eine großzügige Grundsicherung sich mit monetären Anreizen
 verträgt mußt du mir mal erklären. Egal.

Kein Problem. Großzügig bedeutet, dass auf man auf gesellschaftlichem Niveau
gut davon leben kann, aber der gesellschaftliche Reichtum gibt
selbstverständlich mehr her an zusätzlichen Annehmlichkeiten, die man sich
nur wird leisten können, wenn man nicht von Grundsicherung lebt, sondern als
Gegenleistung für gesellschaftlich anerkannte Beiträge zur
Reichtumsproduktion einen darüber hinaus gehenden höheren Anspruch auf
Aneignung  von Teilen dieses gesellschaftlich produzierten Reichtums erlangt.
Platt und für heutige Verhältnisse monetär ausgedrückt: wenn man nicht nur
2000 DM im Monat, sondern 4000 ausgeben will, muss man dafür arbeiten (und
zwar für die Gesellschaft, also die Bedürfnisse anderer, nicht unbedingt, was
man selber für nötig hält oder einem Spaß macht).

Ah, da liegt der Hase im Pfeffer ;-) . 2000DM sind ja wohl kaum
großzügig heutigentags. Auf 3000DM pro Kopf könnten wir uns aber
vielleicht verständigen.

Und ich möchte mal sehen, wo bei 3000DM garantiertem
erwerbsarbeitsfreiem Einkommen pro Nase noch die Heerscharen sind, die
unbedingt weitermalochen müssen. Ich vermute, daß das sehr
überschaubar wird und monetäre Anreize sind dann faktisch gegessen.

 > Dies könnte durch moralischen oder
 > sonstigen Druck oder durch immaterielle oder materielle Anreize
geschenen,

 > ich präferiere dabei entschieden für die Anreizvariante.

 Da bin ich anderer Ansicht. Sowohl in früheren Gesellschaften als auch
 in unseren heutigen gab und gibt es ideologische Konstrukte, die den
 Menschen das Einfügen in gesellschaftliche Notwendigkeiten
 erleichtern. Ich fasse das dann gewöhnlich als Kultur auf, die es in
 unserem Fall zu entwickeln gilt, und die sich ja sogar schon
 entwickelt.

 Ich fände es jedenfalls gerade aus aufklärerischer Sicht dem Menschen
 gemäßer, wenn du ihm sagen könntest: "Es gibt folgende gute Gründe,
 daß dies und jenes getan werden muß: ..." als "Wenn du das tust, dann
 darfst du auch morgen noch essen." Wie oben ausgeführt, muß die
 Freiheit darunter ja nicht leiden.

Wie gesagt ums Essen etc. geht es nicht.

Ok. Einigen wir uns auf 3000DM pro Nase.

Aber ich sehe bei deiner Vorstellung
große Gefahren, dass solche ideologischen Konstrukte bzw. moralischer Druck
etc. auf wesentlich stärkeren Zwang herauslaufen könnte als der Weg mit
Anreizen, schon weil letzterer nur bedeutet: es gibt diverse Möglichkeiten,
deinen Beitrag zu leisten, für die du diese oder jene unterschiedlich hohe
Gegenleistung bekommst, wogegen ersterer häufig bedeuten wird: du musst jetzt
dies und jenes tun, weil es notwendig ist.

Jetzt sind wir bei der Quantifizierung von Zwang angekommen...

Um's nochmal klar(er) zu sagen: Ich stelle mir vor, daß in einer
GPL-Gesellschaft es "ganz normal" im Sinne einer Dominanzkultur sein
wird, daß Leute die Früchte ihrer Tätigkeit der Allgemeinheit zur
Verfügung stellen (Tausch wäre auch ohnehin aussichtslos). Daß es
"ganz normal" sein wird, daß Menschen sich mit ihren Möglichkeiten
selbstverantwortlich und kreativ in einen kooperativen
gesellschaftlichen Prozeß einbringen werden. Und ich denke, daß das in
der Freien-Software-Bewegung schon ansatzweise zu erkennen ist.

Genau so "ganz normal" wie die Menschen heute mit der Muttermilch
aufsaugen, daß sie für jedes Bedürfnis Geld bereit halten müssen, daß
sie irgendwann lohnarbeiten müssen etc. pp. Diese kapitalistische
Dominanzkultur ist reichlich gewaltförmig in die Köpfe gehämmert
worden - ich täte hoffen, daß das bei unserer nicht notwendig ist.

Klar, im Einzelfall würde auch eine GPL-Ideologie zu normativem Zwang
führen - wahrscheinlich kommt keine Gesellschaft ohne so etwas aus.
Meine Hoffnung wäre halt, daß eine solche Ideologie "menschlicher"
ist, als das was wir heute haben, wo es nur um die Bedienung einer
fetischistischen Zwangsmaschine geht - was die Menschen eben nicht
befriedigt und keinen Sinn macht.

 > Und auch der gesellschaftliche Kommunkations- und Planungsprozess ist
nicht
 > so einfach, wie es sich anhören könnte, auch nicht mit Internet und
anderen
 > modernen I+K-Techniken.

 Na, die großen Konzerne machen uns jedenfalls schon ganz gut vor, wie
 das auf einem globalen Level geht. Den gesellschaftlich notwendigen
 Teil - also ohne Konkurrenz, Marketing, Wertbeziehungen; mithin den
 stofflichen Teil der Arbeit der Konzerne - können wir ja (zunächst
 mal) ähnlich machen - oder?

Unternehmen sind hierarchisch strukturierte Herrschaftszusammenhänge,
vermittelt über Anordungen oder über intern konstruierte
Wettbewerbsmechanismen im Sinne monetärer Zielvorgaben. Die als Vorbild für
eine freie Gesellschat anzuführen, finde ich doch gelinde gesagt erstaunlich.

Oben erwähnst du selbst noch, daß jede abstrakte Arbeit auch einen
Gebrauchswertanteil haben muß. Genauso haben auch die abstrakten
ökonomischen Formen, die kapitalistische Konzerne heute entwickeln,
einen Gebrauchswertanteil. Wir müßten quasi die Finanzmodule
deaktivieren, andere Zwangsapparate durch Freie Vereinbarung ersetzen
und uns Gedanken um die Ziele machen, die wir gesellschaftlich
erreichen wollen und wie das mit den Mitteln und dem KnowHow geht, daß
uns die KapitalistInnen hinterlassen haben. KapitalistInnen in ihrer
Rolle wohlgemerkt. Vielleicht machen konkrete Ex-KapitalistInnen ja
sogar selbst mit wenn sie denn eine reale Funktion hatten?

 > Auch zur Umsetzung der Planung
 > dürften monetäre Mechanismen zentral und wesentlich effizienter als nur
 > stoffliche Vorgaben sein.

 Warum? Weil du dann das strukturelle Zwangsmittel gleich zur Hand
 hast? Eine großzügige Grundsicherung macht das m.E. alles obsolet...

Keineswegs, s.o. Stoffliche Vorgaben als zentraler Mechanismus haben sich im
Realsozialismus als wenig effizient erwiesen, produzieren Umgehungsversuche,
Verantwortungslosigkeiten im ökonomischen Handeln etc.

Ja, weil die stofflichen Vorgaben eben nicht ausgehandelt worden sind,
sondern in einem völlig intransparenten Prozeß als Planzahlen
dahergekommen sind. Kein Wunder, aber nicht vergleichbar mit dem, was
hier diskutiert wird.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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