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Re: Re(2): [ox] Grundsicherung



Warnung für die p.t. LeserInnen: Der FranzJ. N. schreibt sehr länglich. Ich
hab ihn eh weit über meine Kräfte gekürzt, er hat mich aber infiziert :-(

FranzJ. N. (20.1.01)
......und auch das Gefühl, daß der zweite Absatz in dem
Spehr-Zitat, das diese Debatte ausgelöst hat (wer am gesellschaft-
lichen Reichtum ohne die Bedingungen erzwungener Kooperation
partizipieren will, betreibt eine Politik der unabhängigen Grund-
sicherung) eine gewissen Romantizismus enthält. Damit ist zunächst
mal auch gewaltsame Aneignung von Reichtum eingemeindet, und die
Zerfallsformen der Sekundären Barbarei zur "Aufhebungsbewegung"
hochstilisiert.

LoGl
Ob sich's um bloße Zerfallsformen oder eine Aufhebungsbewegung handelt, ist
wohl nicht zuletzt eine Frage des Bewußtseins, der Ziele und des Kontexts,
in dem so ein "Nehmt euch, was ihr braucht" praktiziert wird.
Wenn eine Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung ihre
Entwicklungsmöglichkeiten erschöpft hat, wird das Hirn, auch die Moral der
Menschen wichtiger als zu Zeiten, wo sowieso alles seinen vorgezeichneten
Gang nimmt.
Ob das so romantisch ist, weiß ich nicht, interessant und für Praxis
möglicher Weise sehr relevant ist es auf jeden Fall (auch wenn "interessante
Zeiten" ein chinesischer Fluch sein sollen). Jedenfalls scheint mir diese
Überlegung wesentlich weniger staats- und politikorientiert als die
"monetäre Grundsicherung" - d.h. eben auch, sie ist grundsätzlich von
Bewegungen, von Gruppen gleichgesinnter Menschen praktizierbar und ist nicht
darauf orientiert, über staatlichen Eingriff den Markterfolg des Standorts
anzuzapfen.

FranzJ N. (20.1.01)
Wie aber der Nützlichkeitsfalle entkommen, die Überleben nur unter den
immer prekäreren Funktionalitäten für ein - längst in seiner sozialen
Dynamik zur Reproduktion der (sagen wir ruhig soziologisch mal "einer")
Gesamtgesellschaft unfähig gewordenen - Systems erlaubt ? Wie das
Transferieren von Ressourcen vom Marktsektor in den sozialen Sektor ohne die
Fiktion einer sozialen Bewegung denken, die Rudi Dutschke unfreiwillig
als negative Koalition der Erniedrigten und Beleidigten parodierte?
Kann Open Source der Katalysator einer transformatorischen
Reproduktionsform sein? Bekanntlich sind ja auch die bürgerlichen
Verhältnisse von feudalen Strukturen alimentiert worden und fanden
so zu ihrer Form, Stärke und politischem Willen, dieser sehr wichtige
Gedanke wurde schon oft in der Liste als Analogie herangezogen.

Die für mich einzig schlüssige Antwort ist: Grundsicherung kann es nur
geben, wenn der Zusammenhang von lokaler Reproduktion und dem
gesellschaftlich verfügbaren Reichtum an Modellen, Algorithmen und
geistigen Bausteinen für jede mögliche menschliche Aktivität als positiver
Rückkoppelungskreislauf erkannt ist. In meinem Referat auf der
Ökonux-Konferenz möchte ich die These aufstellen, daß jedes neue "globale
Dorf", in dem praktisch die Verfeinerung der Subsistenz durch
Neukombination und -konstruktion des stofflichen
Produktions-Reproduktions-Kreislaufes zwischen freien und angeeigneten
Naturprozessen erprobt und gelebt wird, eine gesellschaftliche Investition
ganz nach dem Muster der Investition von Kapital darstellt: die Zugewinne
an Wissen, an verfügbarer geistiger Kapizität für die gemeinsamen
geistigen Angelegenheiten, wiegen bei weitem den anfänglichen Transfer an
Wissens- und Produktionsmitteln auf. Das heißt aber auch: Grundsicherung
kann es nur als lokale geben. Es ist ein unerfüllbarer Traum, dem alten
Sozialstaat nachzuweinen, es kann höchstens effiziente Netzwerke und
"Rhizome" der wechselseitigen Anstiftung zum Aufbau neuer "Klöster" geben,
mit denen der gemeinsame ungeheure Wissensproduktionsprozeß auf einer
höheren gesellschaftlichen Stufenleiter fortgeführt werden kann, und in
deren Bereich die Sicherheit nachwächst, die anderswo verloren geht.

LoGl
Vielleicht verstehe ich das nicht so recht. Eine soziale Bewegung scheint
für dich nur als Fiktion auf. Von wo nach wo die Gesellschaft transformiert
werden soll, wird nicht so recht deutlich. Jedenfalls scheint es nicht der
Zwang zu sein, aus Geld mehr Geld zu machen, den du als Grundlage zu sehen
scheinst. Was meinst du mit "Ressourcen aus dem Marktsektor in den sozialen
Sektor transferieren"? Ist dieser jenem entgegengesetzt, ihm nachgeordnet,
von ihm unabhängig? Was meinst du mit Open Source als "Katalysator einer
transformatorischen Reproduktionsform"? Wissenschaft war und ist als Open
Source traditionell ein Selbstbedienungsladen für das Kapital, nur mit der
Gewalt von Patenten, Copyright und Betriebsgeheimnis zum Teil zu einer Ware
gemacht. Wenn alle "Software" im weitesten Sinn Open Source würde, so wäre
das für den Gesamtprozess der Verwertung m.E. eine Katastrophe, für die
davon profitierenden Betriebe (Wegfall der Lizenzen etc.) aber der
ultimative Hit. Open Source ist m.E. ein Begleiter der Freien
Software-Bewegung, nicht ihr Sinn und Zweck. Open Source widerspricht nicht
der Verwertung, die FSB kann sich ihr entziehen.
Deine Überlegungen zur Mobilisierung der lokalen Ressourcen (oder besser:
der Ressource "Lokalität"?) klingen für mich attraktiv und interessant,
allerdings kommt es mir so vor, als ob du meinst, dass sich der
Verwertungszwang im Zuge dessen irgendwie von allein zu homöopathischen
Dosen verdünnt und schließlich ganz auflöst. Das aber kann ich nicht
nachvollziehen. (Anm. für Ortskundige: Ich hätt' ja nichts dagegen, wenn das
Wunder in unserem Transdanubien passieren tät, wo ich täglich "ins Bergwerk
einfahr"; doch - die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Oder versteh ich die Botschaft nicht?)
Ich belass es einmal hierbei, sonst hört noch der/die Letzte zu lesen auf.

FranzJ. N. (20.1.01)
[Pardon, ich kürz dich hier ganz grauslich]
......
Wenn aber die Regionalisierung und die zunehmende Autonomie als
heilsame Tendenz erkannt sind: Vielleicht gibt es noch einen marktförmigen
Bedarf, z.B. an Hardware, Dienstleistungen, Implementationen von
Technologien, die auch und gerade von gewissen Kapitalen als ihr
(möglicherweise letzter) Zukunftsmarkt entdeckt werden?
Wir brauchen eine Theorie des letzten Markts, desjenigen, der sozusagen
die Produzenten wieder voll zur Autonomie befähigt. Alvyn Toffler hat in
seiner "Third Wave" die Umrisse einer solchen Theorie geliefert. Er hat
nachgewiesen, daß das Industrieprodukt im Zeitalter der Automation
untergehen wird, daß customisation (die Produktion angepaßt an den Kunden)
und prosumerism (der Kunde bedient sich selbst) langfristig den Keim des
Endes der Märkte in sich tragen. Freilich ist das der esoterische Toffler,
den keiner zur Kenntnis nehmen will.

LoGl
Ich kann mir eigentlich nicht denken, dass das so friedlich abläuft mit
"heilsamer Tendenz erkannt" und einem "letzten Markt, der sozusagen die
Produzenten wieder voll zur Autonomie befähigt". Eine solche Entwicklung ist
doch verbunden mit einem massiven Einbruch der Verwertung, der Wertmasse,
die noch zu erzielen ist. Das aber bedeutet rigoroseste Konkurrenz, Kampf
gegen alles, was die Verwertung bedroht (Konkurrenten, Copyright-Verletzer,
die "Mönche" und "Nonnen" deiner "Klöster"), das bedeutet massive bis
gewaltsame Verblödung der maximalen Zahl der Bevölkerung durch den
Marketingapparat, Verarmung aller, die auf den (Arbeits)Märkten
"überbleiben", Entzivilisierung, Mafiotisierung usw., kurz: die brutale
Variante des Untergang des Kapitalismus. Wie das anders als durch eine
soziale Bewegung, die sich eben nicht auf Staat, Nation, Markt etc. bezieht,
verhindert werden soll, kann ich mir nicht vorstellen.

Ciao, Lorenz G.




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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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