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[ox] Re: Artikel zur Debatte um Urheberrecht




Guten Tag auch ,

da in letzter Zeit auf der Liste wieder einige Beiträge zum
Urheberrecht waren und wir innerhalb der IG Medien endlich eine neue
Debatte darum haben, möchte ich mich auch wieder mal dazu äußern.
Einmal, weil das "an sich" ein wichtiger Strang ist, auch wenn es um
"freie Dinge" geht, zum anderen, weil ich gerne hätte, wenn die
Diskussion konkreter, im Sinne von mehr auf die realen Verhältnisse
bezogen läuft.

1.Das hatte ich vor langer Zeit schon mal geschrieben: Die VG Wort ist
gerade jene Instanz, die in der BRD "compulsory licenses" erteilt (wie
auch die GEMA, VG Bild). Daß dies eine (wie auch immer
bürokratisierte) öffentliche Einrichtung ist (in der natürlich auch
unsere staatstragenden Gewerkschaften sitzen), hat mit dem
ursprünglich auf einen "schwachen Staat" zielenden Modell für die
bürgerliche Demokratie zu tun, das Deutschland aufgezwungen wurde
(wohlgemerkt: ich halte das keineswegs für negativ, denn das "deutsche
Demokratiemodell" ergab Hindenburg und Hitler, und damit meine ich
nicht die 5%Klausel für Willensmißbildungsorganisationen). So viel wie
möglich sollte "öffentlich-rechtlich" geschehen (auch der Rundfunk) -
im Gegensatz zu staatlich. Ich spreche von den ursprünglichen
Vorstellungen, nicht von dem, was daraus geworden ist.

2.Wer von Vergütungen und damit von Geld redet, sollte als Grundlage
schon vor Augen haben, wie die Verlags-, Publizistik- und
Medienlandschaft in der BRD aussieht. Ziemlich geprägt von Oligopolen,
denke ich. Die Dortmunder Uni beispielsweise produziert
JournalistInnen ohne Ende, von denen - zumindest für längere erste
Zeit - die meisten als "Freie MitarbeiterInnen" beim WAZ Konzern
landen, egal ob bei dessen Zeitungen zwischen Essen und Sofia oder all
diesen privaten Lokalradios in NRW oder, oder... Mein Lieblingsthema
Bertelsmann mit seinen 15% Profit Centern spare ich mir jetzt...
Erstaunlich nur, daß diese Unternehmen unwidersprochen beim ganzen
neuen Hypegeschwätz um "Content" als die Lieferanten der (möglichst
teueren) Ware Inhalt ("pay per Info" heisst das Prinzip)  auftreten
und nicht die Menschen, die ihn liefern...


3.Die BKF (Bundeskomission Freie) der IG Medien hat sich , wie es in
dieser Gewerkschaft Tradition ist, entschieden für die Rechte der
Publizierenden stark gemacht, als sie sich massiv zum neuen bzw zur
Novellierung des Urheberrechts äußerte. Ich denke, das liegt nahe,
wenn es beispielsweise darum geht, daß eben die genannte WAZ einen
Artikel, der für eine ihrer Zeitungen geschrieben wurde, noch für lau
im Netz veröffentlichen will (oder für 2 Pfennig die Zeile
Zweitrecht). Wer die Machtverhältnisse Unternehmen - JournalistInnen
sieht, kann Berechtigung oder Notwendigkeit solcher Forderungen
schlecht verneinen (es sei denn, er oder sie wären VerlegerInnen...).


4.Aber da kommen wir auch bereits zum ersten inhaltlichen "??" - bei
den kleinen Verlagen zum Beispiel. Mit einiger Freude habe ich der
jüngsten Ausgabe des "Zentralorgans Linker RechthaberInnen" (Konkret)
entnommen, daß sich der 75.Todestag von Theodor Lessing nähert - und
vielleicht findet sich ja dann ein Verlag, der dessen Werke
herausgibt. (Großes Themenfeld "Teutsche Leidkultur"). Was Verlage wie
"Roter Stern" etc machen (Hölderlin beispielsweise) geht nur, weil sie
nicht auch noch Rechte bezahlen müssen. (Müssen sie schon, aber
andere).

5.Die "?" häufen sich dann, wenn das ganze Verhältnis unter den
Aspekten "Freiheit der Information" (was immer das auch sein mag),
"Freies Netz", "Politisches Engagement" etc pp diskutiert wird.
Wir haben zur internen Gewerkschaftsdebatte darum (und weil
beispielsweise die IG Medien rund 23.000 freie PublizistInnen vertritt
ist das eine wesentliche Debatte - das sind btw rund 13% ihrer
Mitgliedschaft) uns auf einen Artikel in der IG Medien
Aktivenzeitschrift "forum" bezogen, wo genau diese Doppeldeutigkeit
deutlich wird. (Wer das nachlesen will, kann das auf unserer homepage
www.mek-software.de tun). Eine Sternjournalistin (wahrlich nicht wenig
$) ging auf dem Rechtsweg gegen verschiedene Personen und Gruppen vor,
die einen (Antifa - ! - ? - ) Artikel von ihr im Netz wiedergegeben
hatten. Nun meine ich wohl, daß ein Herr (Bundestagsabgeordneter
Olivgrün) Özdemir, auch nicht einer der ärmsten im Lande, bezahlen
kann. Aber ich finde es schon eine Grundsatzfrage, ob eine
ehrenamtliche Antifa-Ini auch dafür bezahlen soll: Ich meine, nein.
Für mich (und damit für eine kleine, aber stark wachsende Strömung
innerhalb der IG Medien) ist die Trennlinie genau die der
professionellen Nutzung. Und jemand wie Özdemir verdient ja an seinem
- wie auch immer - politischen Engagement. Die Ini nicht.

6.Das heißt, in den ganzen Auseinandersetzungen, die darum gehen, ob
irgendwelche Großunternehmen Verfügungsrechte haben, scheint mir die
Position klar. Es ist ja auch nicht so, daß dies nur das praktische
Problem proprietärer Software wäre - ich habe nicht zuletzt deswegen
das Beispiel Verlage und Autoren oben angeführt, auch da unterbleibt
vieles, was (einem Teil) der Öffentlichkeit von Nutzen wäre.

7.Um damit ganz kurz in die Niederungen der (meist perversen)
Realpolitik zu steigen: es wäre von Nöten, eine Politik zu entwickeln,
die neue Bündnisse ermöglicht, und die die gegenwärtige Konstellation
: Unternehmen und Copyright-Gegner auf einer (ungewollten) Seite,
AutorInnen auf der anderen, zu verändern in der Lage ist. Hinzu käme
noch eine besondere Behandlung der kleinen Verlage.

8.Die ganze Überlegung steht natürlich auf dem Hintergrund eines
erheblichen Zweifels an IPR, und zwar prinzipiell. (Betrifft im
übrigen auch - und geht an manchen Stellen bruchlos über - Patente,
keineswegs nur für Software, wenn auch da vielleicht besonders
deutlich; billige Medikamente für Afrika sind wohl aktuell am meisten
umstritten, aber wenn erst mal das Biotech Geschäft richtig boomt -
"bioeconomy" - wird das noch richtig Formen annehmen). Geistiges
Eigentum ist in Wirklichkeit unglaublich schwer herauszudefinieren:
ein Konstrukt. Wieder einmal will ich in diesem Zusammenhang auf
Autoren von Goethe bis Brecht hinweisen, die sich darum nicht
scherten: zurecht, wie ich meine. Und: Wieviel von der 1.357sten
Dissertation über Goethe wäre ohne die Ergebnisse von vielleicht 500
der 1356 Vorgänger möglich gewesen?

9.Diesseits der Debatte darum, wie neue Technologien gesellschaftliche
Entwicklungen beeinflussen können (und natürlich können sie das, sie
sind schließlich selber welche, die Frage ist wie weit) kann
festgehalten werden, daß das Netz, und erst recht Entwicklungen wie
die, für die das Schlagwort Napster stehen kann (oder auch freenet,
gnutella erst recht), in der Tat die Grundlage bieten, proprietäres
Gehabe zu überwinden. Das wäre - wie immer mensch auch die gesamten
Perspektiven und das generelle Gewicht dieser Frage beurteilen mag -
ein echter Fortschritt, was die Demokratisierung bzw
Vergesellschaftlichung gesellschaftlicher Erzeugnisse betrifft.

10.Damit endlich zum Schluß: a) Ich nehme für mich in Anspruch,
zumindest versuchsweise differenziert zu argumentieren. b) Eine
Trennlinie "kommerzielle Weiternutzung" scheint mir einerseits
politisch gerechtfertigt, andrerseits würde sie "freien Entwicklungen"
die Türen öffnen (und für mich ist nicht "Free Software" sondern "Open
Theory" der umfassende Begriff), schließlich wäre sie - vielleicht,
versuchen - auch "bündnisfähig".

Entschuldigt den langen Sermon
viele Gruesse
Helmut Weiss

















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Organisation: projekt oekonux.de


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