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Re: Knappheit und Notwendigkeit (war: Re: [ox] Re: Kooperation)



Hallo Annete und überhaupt.

"Gesellschaftliche
 Arbeitsteilung und Austausch (muss nicht zwingend ökonomischer Tausch sein,
 sondern allgemein Geben und Nehmen) von Tätigkeiten und Produkten sind
 ständig notwendig und eben nicht jederzeit und von allen frei verhandelbar
 und aufkündbar."
 
 Hier verstehe ich das "und eben nicht" nicht. Kein ökonomischer Tausch, 
kein
 anderer Zwang (mal vorausgesetzt), "sondern allgemein Geben und Nehmen"...
 und dieses allgemeine Geben und Nehmen soll "nicht jederzeit und von allen
 frei verhandelbar und aufkündbar" sein?
 
Streich das "eben". Und mit "allgemein Geben und Nehmen" meinte ich "Geben 
und Nehmen in egal welcher Form", also auch Rauben, Schenken, Finden etc. 
fiele darunter. Es geht mir darum, dass es notwendig ist, dass Menschen die 
Produkte anderer konsumieren können und für andere produzieren und das 
irgendwie verteilt wird. Und wenn eine Gesellschaft z.B. darauf angewiesen 
ist, dass irgendwo eine bestimmte Menge einer bestimmten Chemikalie 
produziert wird, die in verschiedenen anderen Produktionsprozessen benötigt 
wird, dann kann kann das nicht so laufen, dass die ProduzentInnen aus 
irgendwelchen Gründen einfach meinen, sie wollten das jetzt nicht mehr und 
lieber was anderes machen, sondern da finde ich sinnvoll und notwendig, dass 
es da Verpflichtungen, Verträge z.B. gibt, auf die man sich verlassen kann 
und auch Sanktionsmöglichkeiten, um die nötigenfalls durchzusetzen.

 Die dahinterliegende Sorge, die materielle Knappheit wäre nicht nur eine
 Lüge der VWL, sondern ein ewiger Begleiter menschlicher Zivilisation kann
 ich allerdings schon nachvollziehen. (...)  Ich hätte auf Anhieb auch 
wenig Vertrauen
 drauf einfach zu hoffen, daß jeden Morgen genug Milch und Butter im Laden
 ist...
 Trotzdem ist das für mich kein Killer-Argument, sondern ein Anlaß drüber
 nachzudenken, WIE wirs denn dann machen könnten.

Das ist doch genau, was ich tue.
 
 "Mit "knapp" meine ich doch eigentlich nur, dass sie nicht einfach 
vorliegen
 und nur genommen werden können, sondern immer wieder Arbeit nötig ist, und
 zwar nicht nur zur Selbstentfaltung, sondern um bestimmte Produkte
 herzustellen, die dann konsumiert und damit vernichtet werden sollen (was
 bei
 Informationsprodukten eben nicht so ist), auch wenn man das nicht als
 Selbstentfaltung empfindet."
 
 Hier wieder: wieso soll es ein Widerspruch sein: "nicht nur zur
 Selbstentfaltung, sondern um bestimmte Produkte herzustellen". Hast Du noch
 nie eine Tätigkeit erlebt, wo Du Dich selbst entfalten konntest und "quasi
 nebenbei" auch sinnvolle Produkte rausgekommen sind? So was gibts! 

Sicher gibt es das und kenn ich das. Aber der Punkt ist doch, dass einige 
hier anscheinend davon ausgehen, dass es nicht nur einige Tätigkeiten gibt, 
wo das so ist, sondern dass das für alle notwendig zu erledigenden 
Tätigkeiten so sein wird. Und diese Annahme finde ich abenteuerlich.

 Vielleicht kannst Du Dir immer noch nicht vorstellen, daß im Begriff
 "Selbstentfaltung" die gesellschaftliche Natur des Menschen schon mit drin
 ist. Ich jedenfalls würde es todlangweilig finden, immer nur meinen eigenen
 Jux- und Dollereien nachgehen, sondern mich drängts von selber danach, das
 (was ich grad mache) ins Leben, in die Gesellschaft hinaus zu geben.

Das ist mir auch durchaus klar und geht mir auch so, ändert aber an dem 
Problem nichts, dass es viele Bedürfnisse gibt, bei denen die dafür 
notwendige Produktion von mir nicht als Selbstentfaltung empfunden wird und 
von anderen wohl auch nicht. So lange es um mich selbst geht oder in kleinen 
Gruppen, kann man sich klar machen, dass es dennoch nötig ist, das zu tun und 
sich ins Notwendige fügen. Das ist dann keine entfremdete Tätigkeit, aber 
ändert kein bisschen daran, dass ich sie überhaupt nicht als Selbstentfaltung 
empfinde und nur (von meinen eigenen Bedürfnissen) "gezwungenermaßen" mache. 
Wenn Selbstentfaltung als alleiniges Prinzip schon in diesen Fällen nicht 
reicht, erscheint es mir ganz unrealistisch, dass es auf gesellschaftlicher 
Ebene reichen sollte. 

Und es wird auch nicht so laufen können, dass gesellschaftlicher Austausch 
sich nur auf in Selbstentfaltung geleistete Tätigkeiten und Produkte beziehen 
kann und die anderen Arbeiten, eben diejenigen, die andere Bedürfnisse haben, 
selbst erledigen müssen. 1. sind viele dazu nicht in der Lage, sondern auf 
Hilfe, Versorgung, Pflege, Erziehung usw. angewiesen, und 2. haben wir es mit 
einem hoch arbeitsteiligen gesellschaftlichen Produktionsprozess zu tun, wo 
sehr viele Produkte und Dienste sich wiederum auf andere Stufen und 
Abteilungen des Produktionsprozesses beziehen und überhaupt keine direkte 
oder irgendwie unmittelbar kommunikativ vermittelbare Beziehung zwischen den 
ProduzentInnen und den EndkonsumentInnen  der verschiedenen Produkte besteht, 
die nach vielen weiteren Stufen daraus entstehen werden. Damit das läuft, ist 
notwendig, dass regelmäßig hunderttausende verschiedene Produktionen in 
bestimmten Mengen stattfinden und verteilt werden, und ich halte es für 
unrealistisch, dass das irgendwie das Ergebnis davon sein wird, dass die 
ProduzentInnen ja auch das Bedürfnis haben, ihre Produkte "in die 
Gesellschaft hinaus zu geben".
 
 Wieso Du meinst, die Erzeugung der notwendigen Güter werde immer "einen
 erheblichen Teil der Lebenszeit in Anspruch nehmen", ist mir wirklich ein
 Rätsel... Als Gewerkschafter müßtest Du doch die aktuellen Zahlen des immer
 noch rapide absinkenden Bedarfs an lebendiger Arbeit(-zeit) gut kennen. 
Auch
 wenn wir einen beträchtlichen Anteil ökologisch nicht verträglicher
 Technologien ausschalten, bleiben diese Potenzen in großem Maß erhalten und
 es wäre wirklich dämlich, selber immer noch weiter an der Schraube der
 Notwendigkeiten zu drehen, anstatt auch mal "Stop" zu sagen. Das hat gar
 nichts damit zu tun,daß ich anderen Leuten ihre materiellen Bedürfnisse
 verbieten würde - aber inzwischen artikulieren sich genügend Leute mit ganz
 anderen Bedürfnissen ("Glückliche Arbeitslose", "Recht auf Faulheit" etc.)

Ich sehe keinen rapide sinkenden Arbeitsbedarf. Das Erwerbsarbeitsvolumen 
hierzulande stagniert so in etwa, weltweit steigt es erheblich an. Ich sehe 
auch, dass erhebliche Teile davon hier und in anderen reichen Ländern nicht 
sinnvoll sind und unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen vermieden 
werden könnten und dass starke Arbeitszeitverkürzungen nötig und machbar 
sind. Aber z.B. 20 Wochenstunden wären immer noch "ein erheblicher Teil der 
Lebenszeit".

Und Arbeitslose sind sicher nicht glücklich, wenn nicht insgesamt in der 
Gesellschaft genügend Arbeit geleistet wird, um allen und auch ihnen die 
Befriedigung auch der Bedürfnisse zu ermöglichen, für die sie Tätigkeiten und 
Produkte anderer in Anspruch nehmen müssen, was konkret heutzutage ein 
gewisses Einkommen erfordert. "Recht auf Faulheit" fordern zu wollen, macht 
doch überhaupt nur Sinn, wenn damit gemeint ist: "Recht auf Faulheit ohne 
Armut". Denn in dieser Gesellschaft darf jede/r faul sein, solange er/sie 
keine Ansprüche an die Gesellschaft stellt. Mehr noch, wer genug Eigentum 
hat, darf auch faul sein und trotzdem reich. Das heißt aber immer: andere für 
sich arbeiten lassen. Damit keine Unklarheiten aufkommen: ich bin gegen alle 
Bestrebungen, Leistungen für Arbeitslose zu kürzen und den Druck auf sie zu 
erhöhen und auch für eine Grundabsicherung aller Menschen, aber die wird sich 
in Grenzen halten. Und ich finde die og. Slogans keine sinnvolle politische 
Orientierung, sondern die muss m.E. vorrangig darin bestehen, allen 
erwerbsfähigen Menschen eine Beteiligung an Erwerbstätigkeit zu möglichst 
guten und ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Bedingungen zu 
ermöglichen und daraus ein Einkommen, das nicht allzu weit vom 
gesellschaftlichen Durchschnitt entfernt ist.

 ". Aber ich sehe nicht, dass völlige
 Beseitigung von Warenproduktion und Tausch dafür eine hilfreiche 
Perspektive
 wäre "
 
 Die Beibehaltung ist es aber aus der Erfahrung mit zwei
 Gesellschaftssystemen heraus gleich gar nicht!

M.E. sind die ökonomischen Probeme der realsozialistischen Länder nicht auf 
die Beibehaltung von Warenproduktion, sondern eher auf zu wenig real wirksame 
Marktmechanismen zurückzuführen.

 Wozu sind den gesellschaftliche Systeme und Menschen da? Sind die Menschen
 dazu da, die Systeme aufrecht zu erhalten (alles Notwendige zum richtigen
 Zeitpunkt und möglichst effizient zu tun), oder sind die Systeme nur dann
 überhaupt sinnvoll, wenn sie den Menschen ihre Freiheit ermöglichen, d.h.
 auch die Freiheit, selbst zu entscheiden was notwendig, wann der richtige
 Zeitpunkt ist und mit welchem Aufwand sie welchen Nutzen erreichen wollen?

M.E. falscher Widerspruch. Es kommt darauf an, dass das "Notwendige" sich aus 
den Bedürfnissen der Menschen ableitet, es dafür notwendig ist (und nicht 
etwa, um möglichst hohe Kapitalverwertung zu realisieren). Und um die 
Bedürfnisse von Menschen realiseren zu können, um menschlich leben zu können, 
sind wiederum gesellschaftliche Systeme notwendig, die wiederum Eigenlogiken 
entwickeln, von denen Anforderungen an Menschen ausgehen, die nicht unbedingt 
immer unmittelbar ihren Bedürfnissen entsprechen. Aber das ist m.E. in dieser 
Allgemeinheit unvermeidlich und eine gesellschaftlich vermittelte Form 
dessen, dass nicht jede notwendige Arbeit zugleich Bedürfnis ist. Es sind 
Wege zu finden, dass möglichst gut die gesellschaftlichen Menschen kollektiv 
"selbst entscheiden, was notwendig, wann der richtige Zeitpunkt ist und mit 
welchem Aufwand sie welchen Nutzen erreichen wollen". Aber das wird sich m.E. 
nur auf bestimmte strategische Produktionen beziehen können, nicht auf jede 
Einzelheit, und es wird auch bedeuten, dass in der Umsetzung das nicht jedeR 
für sich allein entscheiden kann.

Herzliche Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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