Re: Knappheit und Notwendigkeit (war: Re: [ox] Re: Kooperation)
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Sat, 26 May 2001 08:42:06 EDT
Hallo Annete und überhaupt.
"Gesellschaftliche
Arbeitsteilung und Austausch (muss nicht zwingend ökonomischer Tausch sein,
sondern allgemein Geben und Nehmen) von Tätigkeiten und Produkten sind
ständig notwendig und eben nicht jederzeit und von allen frei verhandelbar
und aufkündbar."
Hier verstehe ich das "und eben nicht" nicht. Kein ökonomischer Tausch,
kein
anderer Zwang (mal vorausgesetzt), "sondern allgemein Geben und Nehmen"...
und dieses allgemeine Geben und Nehmen soll "nicht jederzeit und von allen
frei verhandelbar und aufkündbar" sein?
Streich das "eben". Und mit "allgemein Geben und Nehmen" meinte ich "Geben
und Nehmen in egal welcher Form", also auch Rauben, Schenken, Finden etc.
fiele darunter. Es geht mir darum, dass es notwendig ist, dass Menschen die
Produkte anderer konsumieren können und für andere produzieren und das
irgendwie verteilt wird. Und wenn eine Gesellschaft z.B. darauf angewiesen
ist, dass irgendwo eine bestimmte Menge einer bestimmten Chemikalie
produziert wird, die in verschiedenen anderen Produktionsprozessen benötigt
wird, dann kann kann das nicht so laufen, dass die ProduzentInnen aus
irgendwelchen Gründen einfach meinen, sie wollten das jetzt nicht mehr und
lieber was anderes machen, sondern da finde ich sinnvoll und notwendig, dass
es da Verpflichtungen, Verträge z.B. gibt, auf die man sich verlassen kann
und auch Sanktionsmöglichkeiten, um die nötigenfalls durchzusetzen.
Die dahinterliegende Sorge, die materielle Knappheit wäre nicht nur eine
Lüge der VWL, sondern ein ewiger Begleiter menschlicher Zivilisation kann
ich allerdings schon nachvollziehen. (...) Ich hätte auf Anhieb auch
wenig Vertrauen
drauf einfach zu hoffen, daß jeden Morgen genug Milch und Butter im Laden
ist...
Trotzdem ist das für mich kein Killer-Argument, sondern ein Anlaß drüber
nachzudenken, WIE wirs denn dann machen könnten.
Das ist doch genau, was ich tue.
"Mit "knapp" meine ich doch eigentlich nur, dass sie nicht einfach
vorliegen
und nur genommen werden können, sondern immer wieder Arbeit nötig ist, und
zwar nicht nur zur Selbstentfaltung, sondern um bestimmte Produkte
herzustellen, die dann konsumiert und damit vernichtet werden sollen (was
bei
Informationsprodukten eben nicht so ist), auch wenn man das nicht als
Selbstentfaltung empfindet."
Hier wieder: wieso soll es ein Widerspruch sein: "nicht nur zur
Selbstentfaltung, sondern um bestimmte Produkte herzustellen". Hast Du noch
nie eine Tätigkeit erlebt, wo Du Dich selbst entfalten konntest und "quasi
nebenbei" auch sinnvolle Produkte rausgekommen sind? So was gibts!
Sicher gibt es das und kenn ich das. Aber der Punkt ist doch, dass einige
hier anscheinend davon ausgehen, dass es nicht nur einige Tätigkeiten gibt,
wo das so ist, sondern dass das für alle notwendig zu erledigenden
Tätigkeiten so sein wird. Und diese Annahme finde ich abenteuerlich.
Vielleicht kannst Du Dir immer noch nicht vorstellen, daß im Begriff
"Selbstentfaltung" die gesellschaftliche Natur des Menschen schon mit drin
ist. Ich jedenfalls würde es todlangweilig finden, immer nur meinen eigenen
Jux- und Dollereien nachgehen, sondern mich drängts von selber danach, das
(was ich grad mache) ins Leben, in die Gesellschaft hinaus zu geben.
Das ist mir auch durchaus klar und geht mir auch so, ändert aber an dem
Problem nichts, dass es viele Bedürfnisse gibt, bei denen die dafür
notwendige Produktion von mir nicht als Selbstentfaltung empfunden wird und
von anderen wohl auch nicht. So lange es um mich selbst geht oder in kleinen
Gruppen, kann man sich klar machen, dass es dennoch nötig ist, das zu tun und
sich ins Notwendige fügen. Das ist dann keine entfremdete Tätigkeit, aber
ändert kein bisschen daran, dass ich sie überhaupt nicht als Selbstentfaltung
empfinde und nur (von meinen eigenen Bedürfnissen) "gezwungenermaßen" mache.
Wenn Selbstentfaltung als alleiniges Prinzip schon in diesen Fällen nicht
reicht, erscheint es mir ganz unrealistisch, dass es auf gesellschaftlicher
Ebene reichen sollte.
Und es wird auch nicht so laufen können, dass gesellschaftlicher Austausch
sich nur auf in Selbstentfaltung geleistete Tätigkeiten und Produkte beziehen
kann und die anderen Arbeiten, eben diejenigen, die andere Bedürfnisse haben,
selbst erledigen müssen. 1. sind viele dazu nicht in der Lage, sondern auf
Hilfe, Versorgung, Pflege, Erziehung usw. angewiesen, und 2. haben wir es mit
einem hoch arbeitsteiligen gesellschaftlichen Produktionsprozess zu tun, wo
sehr viele Produkte und Dienste sich wiederum auf andere Stufen und
Abteilungen des Produktionsprozesses beziehen und überhaupt keine direkte
oder irgendwie unmittelbar kommunikativ vermittelbare Beziehung zwischen den
ProduzentInnen und den EndkonsumentInnen der verschiedenen Produkte besteht,
die nach vielen weiteren Stufen daraus entstehen werden. Damit das läuft, ist
notwendig, dass regelmäßig hunderttausende verschiedene Produktionen in
bestimmten Mengen stattfinden und verteilt werden, und ich halte es für
unrealistisch, dass das irgendwie das Ergebnis davon sein wird, dass die
ProduzentInnen ja auch das Bedürfnis haben, ihre Produkte "in die
Gesellschaft hinaus zu geben".
Wieso Du meinst, die Erzeugung der notwendigen Güter werde immer "einen
erheblichen Teil der Lebenszeit in Anspruch nehmen", ist mir wirklich ein
Rätsel... Als Gewerkschafter müßtest Du doch die aktuellen Zahlen des immer
noch rapide absinkenden Bedarfs an lebendiger Arbeit(-zeit) gut kennen.
Auch
wenn wir einen beträchtlichen Anteil ökologisch nicht verträglicher
Technologien ausschalten, bleiben diese Potenzen in großem Maß erhalten und
es wäre wirklich dämlich, selber immer noch weiter an der Schraube der
Notwendigkeiten zu drehen, anstatt auch mal "Stop" zu sagen. Das hat gar
nichts damit zu tun,daß ich anderen Leuten ihre materiellen Bedürfnisse
verbieten würde - aber inzwischen artikulieren sich genügend Leute mit ganz
anderen Bedürfnissen ("Glückliche Arbeitslose", "Recht auf Faulheit" etc.)
Ich sehe keinen rapide sinkenden Arbeitsbedarf. Das Erwerbsarbeitsvolumen
hierzulande stagniert so in etwa, weltweit steigt es erheblich an. Ich sehe
auch, dass erhebliche Teile davon hier und in anderen reichen Ländern nicht
sinnvoll sind und unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen vermieden
werden könnten und dass starke Arbeitszeitverkürzungen nötig und machbar
sind. Aber z.B. 20 Wochenstunden wären immer noch "ein erheblicher Teil der
Lebenszeit".
Und Arbeitslose sind sicher nicht glücklich, wenn nicht insgesamt in der
Gesellschaft genügend Arbeit geleistet wird, um allen und auch ihnen die
Befriedigung auch der Bedürfnisse zu ermöglichen, für die sie Tätigkeiten und
Produkte anderer in Anspruch nehmen müssen, was konkret heutzutage ein
gewisses Einkommen erfordert. "Recht auf Faulheit" fordern zu wollen, macht
doch überhaupt nur Sinn, wenn damit gemeint ist: "Recht auf Faulheit ohne
Armut". Denn in dieser Gesellschaft darf jede/r faul sein, solange er/sie
keine Ansprüche an die Gesellschaft stellt. Mehr noch, wer genug Eigentum
hat, darf auch faul sein und trotzdem reich. Das heißt aber immer: andere für
sich arbeiten lassen. Damit keine Unklarheiten aufkommen: ich bin gegen alle
Bestrebungen, Leistungen für Arbeitslose zu kürzen und den Druck auf sie zu
erhöhen und auch für eine Grundabsicherung aller Menschen, aber die wird sich
in Grenzen halten. Und ich finde die og. Slogans keine sinnvolle politische
Orientierung, sondern die muss m.E. vorrangig darin bestehen, allen
erwerbsfähigen Menschen eine Beteiligung an Erwerbstätigkeit zu möglichst
guten und ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Bedingungen zu
ermöglichen und daraus ein Einkommen, das nicht allzu weit vom
gesellschaftlichen Durchschnitt entfernt ist.
". Aber ich sehe nicht, dass völlige
Beseitigung von Warenproduktion und Tausch dafür eine hilfreiche
Perspektive
wäre "
Die Beibehaltung ist es aber aus der Erfahrung mit zwei
Gesellschaftssystemen heraus gleich gar nicht!
M.E. sind die ökonomischen Probeme der realsozialistischen Länder nicht auf
die Beibehaltung von Warenproduktion, sondern eher auf zu wenig real wirksame
Marktmechanismen zurückzuführen.
Wozu sind den gesellschaftliche Systeme und Menschen da? Sind die Menschen
dazu da, die Systeme aufrecht zu erhalten (alles Notwendige zum richtigen
Zeitpunkt und möglichst effizient zu tun), oder sind die Systeme nur dann
überhaupt sinnvoll, wenn sie den Menschen ihre Freiheit ermöglichen, d.h.
auch die Freiheit, selbst zu entscheiden was notwendig, wann der richtige
Zeitpunkt ist und mit welchem Aufwand sie welchen Nutzen erreichen wollen?
M.E. falscher Widerspruch. Es kommt darauf an, dass das "Notwendige" sich aus
den Bedürfnissen der Menschen ableitet, es dafür notwendig ist (und nicht
etwa, um möglichst hohe Kapitalverwertung zu realisieren). Und um die
Bedürfnisse von Menschen realiseren zu können, um menschlich leben zu können,
sind wiederum gesellschaftliche Systeme notwendig, die wiederum Eigenlogiken
entwickeln, von denen Anforderungen an Menschen ausgehen, die nicht unbedingt
immer unmittelbar ihren Bedürfnissen entsprechen. Aber das ist m.E. in dieser
Allgemeinheit unvermeidlich und eine gesellschaftlich vermittelte Form
dessen, dass nicht jede notwendige Arbeit zugleich Bedürfnis ist. Es sind
Wege zu finden, dass möglichst gut die gesellschaftlichen Menschen kollektiv
"selbst entscheiden, was notwendig, wann der richtige Zeitpunkt ist und mit
welchem Aufwand sie welchen Nutzen erreichen wollen". Aber das wird sich m.E.
nur auf bestimmte strategische Produktionen beziehen können, nicht auf jede
Einzelheit, und es wird auch bedeuten, dass in der Umsetzung das nicht jedeR
für sich allein entscheiden kann.
Herzliche Grüße
Ralf Krämer
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