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Re: [ox] Wieder ausgegraben



Hallo Hans-Gert,

Hans-Gert Graebe schrieb:

Ingo Heer (13 Jun 2001) schrieb auf Kurt-Werner Pörtner

   > Aber die Frage, um die es hier geht, ist doch, ob diese Reduktion
   > von Komplexität, wie sie vor allem die Naturwissenschaft
   > betreibt, strukturelle Affinitäten zum Kapital aufweist, die
   > überhaupt erst die Naturwissenschaft zur "ersten Produktivkraft"
   > haben werden lassen.

   Ich bleibe bei der Auffassung von Marx, dass nur Menschen eine
   Produktivkraft besitzen.

Wenn ich Marx recht verstanden habe, dann ist seine Position, dass
Menschen zunehmend die Wissenschaft als Produktivkraft _einsetzen_.
Wenn ich ergänzen darf: als Produktivkraft ihrer Arbeit.

Wobei der Mensch das einzig kreative Element in der Kette Mensch -
Mittel - Natur ist, die allerdings durch den Einsatz von 
Wissenschaft immer "mittel"barer wird. In dem Sinne hat in der Tat > nur der Mensch eine Produktivkraft.
Ok.
Aber die Strukturen dessen, was er dabei
"zwischen sich und die Natur schiebt", bestimmen immer stärker sein
Sein als Gesellschaftswesen.
Wenn Du _bedingen_ sagen würdest, würde ich sofort zustimmen. Die
Mittel, welche der Mensch zwischen sich und die Natur schiebt, sind ja
Maschinen. Und diese bestimmen nicht das Sein der Menschen, sie bilden
nur die Voraussetzungen, unter welchen sich diese Menschen
reproduzieren. Ich will daher mal ein Zitat aus der Deutschen Ideologie
einflechten:
Zitat Anfang:
------------------------------------
Die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte ist natürlich die
Existenz lebendiger menschlicher Individuen (4). Der erste zu
konstatierende Tat- <21> bestand ist also die körperliche Organisation
dieser Individuen und ihr dadurch gegebenes Verhältnis zur übrigen
Natur. Wir können hier natürlich weder auf die physische Beschaffenheit
der Menschen selbst noch auf die von den Menschen vorgefundenen
Naturbedingungen, die geologischen, orohydrographischen, klimatischen
und andern Verhältnisse, eingehen (5). Alle Geschichtschreibung muß von
diesen natürlichen Grundlagen und ihrer Modifikation im Lauf der
Geschichte durch die Aktion der Menschen ausgehen.

Man kann die Menschen durch das Bewußtsein, durch die Religion, durch
was man sonst will, von den Tieren unterscheiden. Sie selbst fangen
an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre
Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche
Organisation bedingt ist. Indem die Menschen ihre Lebensmittel
produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst.

Die Weise, in der die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, hängt
zunächst von der Beschaffenheit der vorgefundenen und zu produzierenden
Lebensmittel selbst ab. Diese Weise der Produktion ist nicht bloß nach
der Seite hin zu betrachten, daß sie die Reproduktion
der physischen Existenz der Individuen ist. Sie ist vielmehr schon eine
bestimmte Art der Tätigkeit dieser Individuen, eine bestimmte Art, ihr
Leben zu äußern, eine bestimmte Lebensweise derselben. Wie die
Individuen ihr Leben äußern, so sind sie. Was sie sind, fällt also
zusammen mit ihrer Produktion, sowohl damit, was sie roduzieren, als
auch damit, wie sie produzieren. Was die Individuen also sind, das hängt
ab von den materiellen Bedingungen ihrer Produktion.
-----------------------------------------
Zitat Ende
Insofern sind wir uns einig, dass der Stand der technologischen
Entwicklung wesentliche Bedingung (nicht Bestimmung) für die
Gesellschaftsstrukturen ist.

Da halte ich die Frage, wie weit 
technologische Entwicklungen auch Einfluss auf 
Gesellschaftsstrukturen
haben, einschließlich struktureller Affinitäten, für mehr als
gerechtfertigt.
Es ist unbestreitbar, dass technologische Entwicklungen Einfluß (im
Sinne von Bedingung) auf Gesellschaftsstrukturen haben, diese aber nicht
bestimmen. Ich vermute einmal, dass Otto Ullrich die Struktur der
Maschinerie funktionalistisch als Bestimmung für die
Gesellschaftsstruktur sieht.

Robert Kurz hat in seinem "Kollaps der
Modernisierung" dazu ja einiges beigetragen.

Das muss ich mir einmal ansehen.

Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe

Mit freundlichen Grüßen,
Ingo Heer.

PS.: Ich habe mal die Marx-Werke, welche ich digital auf Scheibe habe,
mal nach Wissenschaft durchsucht. Ich konnte keine Stelle finden, in
welcher Marx dezidiert von Produktivkraft Wissenschaft schreibt. Das ist
meines Wissens nach eine Erfindung der Apologeten.

________________________________
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Organisation: projekt oekonux.de


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