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Re: [ox] Re: "Arbeit" oder Konsumerismus ?



Hi Liste!

Last week (12 days ago) Jobst Quis wrote:
Christoph R schreibt:
Annerose Muehlmann schrieb am 16. Juni 2001:
...
Es ist die genialste "Entdeckung" der Natur, nach dem Lustprinzip zu
"verfahren".
Jedes Baby wuerde mit der "Arbeit" an der Mutterbrust aufhoeren, wenn diese
nicht an die Lust des Saugens und des Genusses der Nahrungsaufnahme
gekoppelt waere...

Auch das ist eine Form von Konsum -- nicht "Arbeit" --,

Hier müssen wir vielleicht mal klären, was Annerose eigentlich meint:
Anstrengung würde ich sagen. Arbeit hat - so zumindest im Volksmund -
etwas mit Anstrengung zu tun. Wenn diese solche Anstrengung mit
Lustgewinn zu tun hat, dann wird traditionell eher nicht von Arbeit
gesprochen ("Das ist doch keine Arbeit! Das macht mir doch Spaß!").
Erst in moderneren Zeiten der Arbeitsinflation (Trauer"arbeit",
Liebes"arbeit", Beziehungs"arbeit" und ähnlicher Wortmüll - ich
vermute ja, daß das Suffix "-arbeit" dazu dient, die entsprechenden
Tätigkeiten aufzuwerten - schlimm eigentlich, daß das wohl geht :-( )
tritt zunehmend die Anstrengung in den Vordergrund.

Das Konzept Anstrengung ist nun zu Konsum aber orthogonal: Konsum kann
mit Anstrengung verbunden sein, kann aber auch völlig passiv erfolgen.
Sportliche Aktivitäten z.B. sind teilweise mit höchster Anstrengung
verbunden, aber (im Fitness-Center) auch Konsum. Hier ist also schon
mal kein Gegensatz, der da zu konstuieren wäre, sondern ein
zwangloses Nebeneinander.

Womit wir gleich zum nächsten Aspekt kommen: Im Kapitalismus fällt
Konsum und Nicht-Konsum hart auseinander. Konsum ist mit Geld-Ausgeben
verbunden, während Nicht-Konsum zumindest teilweise das Geld-Verdienen
umfaßt. Hier spiegelt sich die verengte Sichtweise auf den Menschen
als Geld-Monade, als entweder ProduzentIn bzw. KonsumentIn, als
entweder KäuferIn oder VerkäuferIn. Zwischentöne sind hier fast nicht
möglich: Eine KäuferIn, die sich an der Produktion beteiligt ist
(noch) eher ein Unding. Allerdings gehen moderne Entwicklungen ja
genau da hin, daß die KäuferIn durch maßgeschneiderte Produkte immer
stärker (indirekt) an Produktionsentscheidungen mitwirkt.

Außerdem tritt im Kapitalismus in der Lohnarbeit ein weiteres Level
von Anstrengung auf, daß durch die Entfremdung entsteht. Tätigkeit,
die ich aus äußeren Zielen (z.B. Gelderwerb) mache, ist immer mit der
zusätzlichen (psychischen) Anstrengung verbunden, daß ich das je
Konkrete machen muß, um ganz andere Ziele damit zu erreichen. Diese
Anstrengung wird (heute) in der kapitalistischen Zurichtung der
Menschen so tief in die zweite Natur abgesenkt, daß es darüber
praktisch wohl kein Bewußtsein mehr gibt.

Mir scheint, wir müssen für unseren Diskurs diese Dinge knacken. Mal
ein paar Versuche.

* Konsum vs. Produktion(?)

  Hier finde ich die harten Grenzen in der Freien Software schon
  deutlich aufgeweicht: JedeR hat grundsätzlich die Möglichkeit sehr
  flexibel zwischen den Rollen Nutzung und Produktion zu wechseln.
  Andererseits wird niemensch in eine Rolle gezwungen.

  Insgesamt frage ich mich, ob dieser Begriffsgegensatz jenseits des
  Kapitalismus überhaupt zu halten ist, oder ob es sich nicht um ein
  ideologisches Konstrukt handelt, daß nur in dieser
  gesellschaftlichen Formation überhaupt Sinn macht. Produktion ist
  immer auch mit Konsumtion verbunden und viele Formen von Konsum
  dienen letztlich auch wieder der Produktion: Wenn ich eine c't oder
  iX lese, dann konsumiere ich die zwar, das dort Gelernte geht aber
  ab und zu sowohl in meinen Job als auch hier ein.

* Anstrengung vs. Faulheit(?)

  Hier müssen wir verdammt aufpassen. Denen, die zu andauernder
  (entfremdeter) Anstrengung gezwungen sind, *muß* Faulheit der
  Weisheit letzter Schluß scheinen. Damit handelt es sich aber
  letztich nur um die Antithese und wenn ich's recht sehe, dann
  besteht ein großer Teil unseres Diskurses ja darin, aus These und
  Antithese die Synthese zu gewinnen, die in einer GPL-Gesellschaft
  dominant ist.

* Konsum vs. Selbstentfaltung

  Mit Selbstentfaltung hat Konsum nur bedingt zu tun. Konsum kann
  Selbstentfaltung sein, ist es nach meinem Dafürhalten aber eher
  nicht. Ist blanker Konsum nicht vielleicht eher ebenfalls eine
  Antithese zur (erzwungenen) Anstrengung?

* Anstrengung vs. Selbstentfaltung

  Selbstentfaltung dürfte dagegen eher oft etwas mit Anstrengung zu
  tun haben - sehe ich jedenfalls immer so. Im Wort "Entfalten" steckt
  ja auch eine deutlich aktive Komponente.

und ausserdem kommt
hier noch das angeborene Verhalten hinzu, das das Baby dazu "zwingt".

Zwingt dich angeborenes	Verhalten zum Essen und Trinken oder auch
zur Sexualitaet?	Mir geht das so, dass ich gelegentlich Lust dazu habe.
Lust ist also nicht was voellig anderes als angeborenes Verhalten, sondern
der Kanal auf dem sich unter anderem auch das Angeborene meldet.

Ja genau.

Vielleicht müssen wir das Lustprinzip noch genauer klären. Schließlich
sind Menschen vor allem kultürliche Wesen und haben die
Möglichkeitsbeziehung zur Welt. Wie kommt hier das Lustprinzip hinein?
Ist das vielleicht ein psychischer Mechanismus, um Notwendigkeiten
nachzugehen, die sonst vielleicht unter den Tisch fallen würden? Oder
ist das zu mechanistisch gedacht?


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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