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[ox] Oekonux-Konferenz bei "brand eins"



Liebe Liste,

Karin Hinterleitner hat mich auf eine Erwähnung der Oekonux-Konferenz
in dem Hip-Blatt "brand eins" hingewiesen. Ich habe den Artikel aber
noch nicht gelesen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

------- Forwarded Message

Date:  Sun, 2 Sep 2001 11:56:38 [PHONE NUMBER REMOVED]
From:  "Karin Hinterleitner" <khl onlinehome.de>

Hallo betacitizens,
OpenSource ist bereits einigemale auf der Liste thematisiert worden - nicht
zuletzt von mir selbst im Interview mit Stefan Merten von Oekonux [
http://www.betacity.de/interviews/stefan_merten.htm ]. Nun wird das Thema
auch von der cluetrainbewegten neuen Mitte aufgegriffen - im aktuellen
brandeins. Stefan Meretz und die Oekonux-Konferenz finden darin Erwähnung -
allerdings stark heruntergebrochen und verkürzt.... Lest einfach mal selbt.
Gruss.Karin
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http://www.brandeins.net/magazin/was_wirtschaft_treibt/artikel1.html

Die Diktatur des Volontariats
Open Source - darüber redet jeder. aber was ist es? Nur eine Methode der
Netzwerkökonomie?
Eine Revolution? Langweilig? Alles falsch.


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Text: Wolf Lotter, Zeichnung: Manu Burghart


`Wir wachen gerade auf und verbinden uns miteinander. Wir schauen, aber wir
warten nicht.'
Cluetrain Manifesto, These 95

Der Messias oder: Software, so frei wie die Luft zum Atmen

Der Mann ist aus dem Stoff, aus dem Propheten sind: lange Mähne und ein
dichter Bart, eine gewaltige Stimme, verklärt und fest zugleich, mitreißend
und gnadenlos. Richard Stallman, Amerikaner, Software-Ingenieur, Gründer der
Free Software Foundation und Messias der Open-Source-Bewegung.
     Viele Jahre lang musste er sich als kuriose Figur der Informatik
belächeln lassen. Als seine Idee die Etagen der Computerkonzerne endlich
erreicht hatte und verstanden wurde, weil sie profitabel war, erinnerte man
sich Richard Stallmans, wie man sich alter Helden erinnert: ein paar
Interviews, ein paar Reden, ein paar Vorträge.
     Wenn er redet, reißt der missverstandene Prophet seine Jünger mit:
`Software muss so frei sein wie die Luft zum Atmen', sagt er mit fester
Stimme. Wenn Stallman an Universitäten und vor Vorständen von
Computerkonzernen spricht, dann ist er Jesus im Tempel, und die Händler, das
sind die Microsofts und all die anderen, die ihre Software der Gemeinschaft
nur gegen Geld und Lizenzen und mit radikalen Kopierbeschränkungen
überlassen. Proprietäre Software ist das, Software eines Eigentümers. Doch
die Eigentümer, das hat uns Karl Marx gesagt, sind im Grunde Ent-Eigner, die
der Gesellschaft das, was ihr zusteht, knapp und unter Verschluss halten, um
damit Profite zu machen. Das nimmt der Freiheit und der Gemeinschaft die
Luft zum Atmen. Die Enteigner müssen enteignet werden.
     Lang lebe die Expropriation der Expropriateure.
     Und so ist es, sagt Stallman: `Der einzige Weg, eine funktionierende
Gesellschaft zu bilden, ist, proprietäre Software nicht zu verwenden.'
Stallman hat 1984 die Free Software Foundation gegründet und eine geniale
Idee in die Welt gesetzt: die des Copyleft. Das Copyleft baut auf dem
Copyright auf und verkehrt es ins Gegenteil. Während das Copyright geistiges
Eigentum vor dem Zugriff Dritter schützt, ist das Copyleft das Copyright
dafür, dass geistiges Eigentum, von wem auch immer genutzt, verändert und
verbreitet werden darf. Ein Kunstgriff der Sonderklasse: Freie Software, die
der so genannten General Public Licence (GPL) unterliegt, ist durch dieses
Recht freigesetzt, wie etwa Linux.
     Diese Idee besagt, dass Software, die Grundlage für das Schaffen in der
Informationsgesellschaft, allen zur Verfügung stehen muss, immer und
überall. Jeder User soll und kann die Software wie ein Werkzeug an seine
Bedürfnisse anpassen. Dieses Werkzeug soll er dann an andere weitergeben,
verbessert und zum Nutzen aller.
     Freie Software kennt nur ein Verbreitungsrecht: die
Uneingeschränktheit. Jeder mag an dem Wissen verdienen, das er mit dem
Werkzeug Software erarbeiten kann, aber niemand soll das Werkzeug selbst in
Besitz haben. Programmierer schreiben im Web an Software, gemeinschaftlich
und ohne Gewinnabsicht, und schaffen damit, wie bei Linux oder bei Apache,
dem Marktführer bei Webserver-Programmen, starke Software für alle ohne
Eigentumsanspruch. Das muss die Gesellschaft verändern, sagen viele, denn wo
die Produktionsverhältnisse derart auf den Kopf gestellt werden, kann die
Welt nicht so bleiben, wie sie ist. Expropriation mit Methode, wie sie Open
Source vorzeigt, führt schnurstracks in den digitalen Sozialismus.
     Doch halt, kurze Pause, wie kann das gehen?
     Zu Open Source bekennen sich mittlerweile fast alle Industrieführer:
Intel, Compaq, IBM, Siemens, Sun. Selbst Microsoft, der finsterste Stern am
Himmel proprietärer Software, erwägt die Freigabe der Quellcodes einzelner
Programmgruppen, die Grundlage für gemeinschaftliches und legales
Programmieren in der Web-Gruppe. Ausgerechnet IBM hat zur Idee des Open
Source mehr beigetragen als viele der euphorisierten Redenschreiber, die im
neuen Entwicklungsmodell für Software eine politisch-gesellschaftliche
Revolution sehen wollen.
     Als 1981 der IBM-PC auf den Markt kam, verzichtete IBM de facto darauf,
das System als Ganzes zu lizenzieren. Das erst machte den PC-Boom möglich
und schuf einen mächtigen Computermarkt, der letztlich auch die Expansion
der Telekomindustrie ermöglichte. Das Zusammenwachsen der Industrien (IKT
Informations-Kommunikations-Technologie), die eben abgeschlossen wird,
brachte die bedeutendste Vertriebs- und Wissensaustauschplattform der
Menschheitsgeschichte hervor, das Internet.
     Die Open-Source-Initiative, 1998 gegründet, ist vor allem ein
industriell-technisches Konsortium. Revolution mit Hilfe von Reaktionären?
Das ist neu.
     Die Industrie steckt in allem und jedem, was mit Open Source zu tun
hat.
     Das Betriebssystem Linux, 1991 von Linus Thorvalds in die Welt gesetzt
und seitdem von etwa 75000 Programmierern in aller Welt verbessert und
verfeinert, ist das wichtigste Beispiel von Open Source.
     Distributoren wie Suse oder Redhat nehmen, getreu den Regeln des
Richard Stallman, das Betriebssystem auf CD-ROM und packen Programme und
Benutzeroberflächen dazu, die die Arbeit einfacher machen. Geld wird nur für
Handbücher und die Aufarbeitung des Systems verlangt, deshalb ist Linux
natürlich viel günstiger als die durch rigide Lizenzen geregelten Programme
etwa von Microsoft. Verkauft wird eine Idee, nicht eine Ware.
Netzwerkökonomie.
     Für die Industrie ist dies hochprofitabel. Denn sie kann sich darauf
konzentrieren, ihr Wissen in Beratungsleistung umzusetzen. Mit dem Computer-
und Software-Verkauf verdienen die Konzerne ohnedies nur etwa 30 Prozent
ihrer Umsätze: Den Rest verdienen sie mit der schlichten Tatsache, dass
überall dort, wo Computer und Programme installiert werden, zunächst mal
ihre Benutzer gewartet werden müssen. Schulungen, Support, Unterstützung,
Anpassung an individuelle Bedürfnisse, Erweiterung des Anwendungs-Horizonts.
Eine endlose Liste. Wissen hört nie auf. Es ist nebensächlich, ob man nun
den Stein des Anstoßes für diesen Prozess, also die Software, verkauft oder
verschenkt. Wichtig ist, dass die Wertschöpfungskette in Schwung kommt.
     Dazu ist Open Source ideal.

Open Source ist eine geniale Idee, um Experten dazu zu bringen, gratis
Software zu produzieren.

Doch Open Source bringt noch mehr: Es ist nicht mehr nötig, teure
Marktstudien durchzuführen, aufwändige Tests, denn das erledigen die
Freiwilligen im Internet, die Volunteers der Open-Source-Bewegung. Bei
lizenzierten Programmen ist das nicht möglich, denn nichts hüteten Konzerne
wie Microsoft eifersüchtiger als den Quellcode (The Source), den binären
Bauplan eines Betriebssystems und Programms, den man kennen muss, um das
Programm zu verändern. Der offen gelegte Quellcode (Open Source) ist eine
geniale Idee, um möglichst viele Experten - gratis - dazu zu bringen, eine
Software markttauglich zu machen, vorausgesetzt, die Freiwilligen spuren.
     Das funktioniert nicht immer: Als Netscape versuchte, sein
Mozilla-Projekt im Web als Open-Source-Werkstück von Experten verbessern zu
lassen, regte sich nichts. Immerhin: 1998, als Netscape den Versuch
unternahm, war der Browser-Krieg zwischen dem Lizenzreich Microsoft und dem
offenen Netscape-Imperium im vollen Gang. Zehntausende Ingenieure
verschickten täglich ihre Protest-Mails gegen Microsoft im Netz. Was lernen
wir daraus? Revolutionen sind eine Frage des Aufwandes und des Angebotes.
     So viel Wut, so viel Tränen, und dann war es nichts wert: `Es geht
sicher nicht um die Auseinandersetzung zwischen Linux und Windows oder
Microsoft und Open Source. Das ist ein Mythos', sagt der amerikanische
Verleger und Web-Pionier Tim O?Reilly, `Netscape hat durch das
Mozilla-Projekt herausgefunden, dass es keine wundersame Internet-Gemeinde
gibt, die nur darauf wartet, auf jedes Open-Source-Projekt aufzuspringen.'
Es gibt Interessen. Information wird getauscht, Wissen wird getauscht, und
der Wert, der dabei entsteht, fügt sich hervorragend in die vorhandene Welt
ein. Open Source, das ist O?Reillys Analyse, funktioniert wie das
Beratergeschäft. Ein Consultant verkauft die Erfahrungen, die er mit einem
Kunden in einem Projekt gemacht hat, an den nächsten Kunden weiter. Auf die
Netzökonomie umgelegt, bedeutet das nichts weiter als das Nutzen der enormen
Informations- und Wissensspeicher des World Wide Webs.
     Um diesen Wissensspeicher am Laufen zu halten, müssen die Teilnehmer
immer wieder etwas in den riesigen Think Tank des Webs packen. Freiwillig
und kostenfrei. Denn nur dann können sie erwarten, dass aus diesem Tank
wieder gezapft werden kann. Das ist ein Marktprinzip, kein Altruismus und
für Richard Stallman, den extremen Messias, schon furchtbar genug. In einem
Interview mit der »Taz« antwortete er auf die Frage, wovon denn nun die
Programmierer von freier Software leben sollten: `Warum sollte der Rest der
Menschen sich darum kümmern, ob ein Programmierer sein Auskommen hat oder
nicht? Es gibt viele Dinge, die Menschen tun, ohne davon leben zu können.
Sie machen Musik und können nicht davon leben, sie stehen auf der Straße und
tragen Gedichte vor, ohne davon leben zu können.'
     Die Open Source singt ihr eigenes Lied, einen Song, bei dem die Kassen
klingeln.

Open Source nützt heute vor allem den Computerkonzernen.

1998, im aufkeimenden Linux-Boom, begann IBM, den Open- Source-Webserver
Apache auf ihre Maschinen zu packen und erklärte Linux gleichzeitig zur
`strategischen Plattform'. Das kostet natürlich gar nichts, abgesehen von
ein bisschen Geld fürs Marketing, um das auch entsprechend bekannt zu
machen, und hat auch weiter keine Verpflichtungen zur Folge. Wer sich bei
IBM & Co über die Qualität von Open-Source-Produkten beschweren will und
kostenfreie Hilfe anfordert, wird ebenso freundlich wie zu Recht auf die
Web-Gemeinschaft verwiesen.
     Das klingt nur dann schlimm, wenn der Kopf des Kunden sich noch nicht
an die neuen Zeiten gewöhnt hat. Fakt ist, dass heute bereits der wichtigste
Teil an Beratungsleistungen - gleich welcher Art - aus dem Web kompiliert
werden kann. Kunden scannen das Web nach Informationen, bevor sie kaufen,
Tests und Fach-Communities bieten eine Informationsdichte, die es nie zuvor
gegeben hat. Das schafft eigene Anwendungen, einen Markt, der niemals
schläft, ebenso wenig wie seine Produzenten.
     Doch ist Open Source deshalb schon die Lösung für alle ökonomischen
Probleme?
     Ist hier wieder Überschätzung, gnadenlose Überinterpretation zugange,
die schon dem Internet so viel Schaden zufügte? Weshalb meinen so viele,
dass Open Source mehr sei als eine vernünftige Produktions- und
Vertriebsform?
     Dazu ist es nötig, sich die Szenerie vorzustellen, aus der Linux, Open
Source und noch früher Richard Stallman kommen. Programmierer und Entwickler
scherten sich nie viel um die Frage, was ihre Leistung auf dem Markt kosten
würde. Entwickler sehen sich als Bohemiens des Informationszeitalters. Das
können sie sich leisten, weil das Schreiben von Programmen seit fünf
Jahrzehnten eine sehr gut bezahlte Tätigkeit ist und überdies enorm hohe
öffentliche Mittel an Universitäten und Institute wie das MIT, an dem
Richard Stallman arbeitete, fließen. Stallmans Spezialität in den siebziger
Jahren war das Umschreiben und Verbreiten des in den Bell Laboratorien der
AT&T zum Ende der sechziger Jahre entwickelten Netzwerkbetriebssystems Unix.
Programmierer erhielten das Betriebssystem bis 1984 praktisch zum
Selbstkostenpreis, dem Jahr, in dem AT&T in einem Aufsehen erregenden
Anti-Trust-Verfahren zerschlagen wurde. Es war billig, und es war gut, und
jeder Ingenieur konnte ein wenig dazu beitragen, dass es besser wurde.
     Doch mit der Zerschlagung des AT&T-Monopols konnte das Unternehmen für
das bereits ziemlich gut laufende Betriebssystem plötzlich einen richtigen
Marktpreis verlangen, etwas, was die Anti-Trust-Behörden bis dahin untersagt
hatten. Unix kostete nicht nur ein Zigfaches des alten Preises, es wurden
auch Lizenzen ausgeben: Bezahlt wurde nach Arbeitsplatz. Und: Der Quellcode
durfte nicht verändert werden. Wer das tat, machte sich strafbar.
     Das lieferte Stallman das Motiv, 1984 die Free Software Foundation ins
Leben zu rufen und das GNU-Projekt zu starten. GNU steht für GNU is not
Unix - nicht mehr und nicht weniger, obwohl das ganz gewiss nicht stimmt.
Stallmans Ehrgeiz war es, ein Unix-Derivat zu schreiben, gegen das AT&T
einerseits nicht klagen konnte, das aber andererseits die Marktmacht des
Original-Unix dadurch brechen sollte, dass es an alle weitergegeben werden
konnte.
     Gut, Stallmans grandiose Idee der General Public Licence (GPL) mit dem
schlauen Copyleft juckte die Industrie zunächst überhaupt nicht. In den
ersten zwei Jahrzehnten der PC-Alphabetisierung der Welt ging es um die
Grundstoffversorgung mit Hard- und Software. Wie in Zeiten des Goldrausches
konnte man mit allem viel Geld verdienen, was nützlich war, um nach Gold zu
graben.
     Wer einen Computer kauft, will eigentlich eine Lösung haben, die durch
die Software - die vom Betriebssystem gesteuert wird - geliefert wird. Das
Gleiche gilt für Internet-User. Die Information, das Wissen im Netz ist das
Ziel, nicht das Modem und der Provider-Vertrag. Doch damit ist natürlich der
IT-Grundstoffindustrie nicht wirklich gedient. Um in kürzerem Abstand mehr
Hardware und umfangreichere IT-Dienstleistungen zu verkaufen, muss es einen
triftigen Grund für den Kunden geben, seinen Computer alle paar Jahre zu
wechseln. Im Lizenzsystem, das heute herrscht, kann man mit einem fünf Jahre
alten Personal Computer und der dazugehörigen Software ganz gut auskommen.
     Unter einer Bedingung, die ganz entscheidend ist: Man muss auf die
Teilnahme an öffentlichen Netzwerken verzichten. Reines Personal Computing,
Daten auf den persönlichen Rechner schreiben, speichern und ausdrucken, das
klappt. Wer mit seinem alten PC ins Netz geht, hat keine Überlebenschance.
Hochgedrehte Web-Seiten und enorme Systemanforderungen verhindern
erfolgreich, dass brauchbare Hardware so lange genutzt wird, wie es möglich
wäre. Klar, wem das nützt. Das bedeutet aber auch, dass immer mehr und immer
aufwändigere Software auf den Markt kommen muss, in immer knapperen Zyklen.

Linux-User-Groups - nette Mädels und Jungs von einem anderen Stern

Im Browser-Bereich ist das Realität, und überall, wo Open-Source-Gemeinden
an Programmlösungen basteln, dreht sich der Produktzyklus enger und enger,
schneller und schneller - der Natur der Sache wegen. Veröffentliche oft,
veröffentliche früh, so lautet der wichtigste Lehrsatz des Linus Thorvald an
seine Entwickler-Freunde im Web. Open Source lässt den Produktzyklus, den
Abstand zwischen zwei Veröffentlichungen, Ideen oder Produkten, nicht bloß
kleiner werden, Open Source hebt diesen Abstand fast vollständig auf. Im
Schnitt brauchen die Programmierabteilungen der großen Softwarekonzerne
zwischen sechs und 18 Monaten, um neue Releases, Versionen, auf den Markt zu
bringen. Es ist die Arbeitsweise des digitalen Fließbandes, das durch das
digitale Mechaniker-Team ersetzt wird. So wie beim Boxenstopp in der Formel
1 machen sich an einer zu verbessernden Open-Source-Software im Netz
zugleich zehn oder 30000 Mechaniker zu schaffen. Gedacht, gesagt, getan.
     Im Jahr 1997, als die IT-Schwerindustrie langsam das hohe Drehmoment
von Open Source durchschaute, wurden überall auf der Welt die Helden der
Revolution aufgesucht, nicht nur Richard Stallman, der aus
propagandistischen Gründen aus dem Hinterzimmer der Programmiergeschichte
geholt wurde. Es waren auch die Mitstreiter der frühen Linux-Zeiten, die
sich in den Linux-User-Groups trafen und programmierten, eine Hacker-Elite,
die über Jahre hindurch vom Mainstream der Informatik unberührt an ihrem
Projekt arbeitete. Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Mehrwert waren
Kategorien, die in dieser Welt nicht existierten. Es ist kein Zufall, dass
Eric S. Raymonds: `Die Kathedrale und der Bazar' 1998 erschien, zu einem
Zeitpunkt also, zu dem der so genannte Linux-Boom bereits durch alle Medien
geisterte. Ökonomische Debatten - das war in der Linux-Welt neu. Die
orientierte sich an den Hacker-Eliten der sechziger und siebziger Jahre, an
einer akademischen Szene, die entstand, als Software noch ohne Lizenzen
geliefert wurde.
     In dieser fernen Welt, die, ohne es zu wissen, einen neuen ökonomischen
Code gebar, herrschten Ideale, die von der Wirklichkeit des Kapitalismus
längst über Bord geworfen wurden.
     Die Open-Source-Pioniere hatten zahllose Niederlagen erlebt: zum
Beispiel in den siebziger und achtziger Jahren das Ende der Hacker-Eliten,
deren Protagonisten Konzerne wie Microsoft, Apple und Sun gründeten. Der PC,
der die Menschen von der Kontrolle und der Macht der großen Konzerne
befreien sollte, wurde selbst zum Träger einer mächtigen Industrie, eines
neuen Marktes, der von Ideologie nichts wissen wollte. Das Internet
schließlich, die letzte Domäne der Hacker-Eliten, entzog sich ihrem Zugriff
ebenfalls durch die Popularisierung der Idee. Free Flow of Information - der
Kampfruf der Hacker-Eliten im frühen Internet, wurde von der Industrie
gehört, verstanden, angewandt und damit seiner politischen Kraft beraubt.
Kapitalismus passt sich an. Ideologie kommt zu spät.

Auf zum letzten Gefecht oder: Die Methode wird zur Ideologie.

Nein, die letzten Reste der Hacker-Eliten waren ganz und gar nicht
begeistert von der Entdeckung von Linux und Open Source. Ganz offensichtlich
wurde der Widerstand gegen die Entdeckung der Möglichkeiten, als es um die
Frage nach benutzerfreundlichen Einstiegshilfen für Linux ging. Die kamen -
notgedrungen - durch die traditionelle Software-Industrie, durch
eingesessene Verlage und Autoren auf den Markt. Die `community' hatte an
einer Verbreitung ihrer zur Ideologie erstarrten Idee kein Interesse.
Stattdessen verkündeten die Linux-Hacker-Eliten, das Betriebssystem wäre für
die breite Anwendung ungeeignet. Erst kommerzielle Distributoren wie Redhat,
Suse und Caldere, gestärkt durch das Kapital der alten IT-Industrie,
bewiesen prompt und zuverlässig das Gegenteil. Zwischen den Beteuerungen der
Hacker-Eliten, Linux passe nicht auf den Desktop, und dem Verkauf von
Linux-Paketen bei Karstadt und Co verging nicht mal ein Jahr. Die
Hacker-Eliten sahen, wie ihre Revolution in passende Häppchen zerlegt
wurde - mehr Effizienz beim Support, preiswerte Marktforschung, enormes
Entwicklungspotenzial, Lösung der Vertriebsprobleme und vieles mehr. Open
Source war fester Bestandteil der New Economy geworden. Darüber müsste man
nicht reden, wenn nicht die Krise der Neuen Märkte gleichsam die Sinnfrage
neu stellen würde. Open Source, heißt es jetzt immer öfter, ist keine
Produktionsmethode, kein Verfahren des freien Marktes. Es ist ein Weltbild.
Eine Ideologie.
     SPD, IG-Metall, Grüne, PDS und DKP entdecken das ideologische Potenzial
freier Software. Verbündet mit den Hacker-Eliten, wollen die Ideologen von
gestern ihre politischen Ansprüche kassieren. Nicht etwa, weil ihnen Open
Source und die Freiheit der Information am Herzen liegen würde. Die Idee der
Diktatur des Volontariats ist es, die sich so ungemein praktisch als
Transporter nutzen lässt. Als im Vorjahr beim Stuttgarter Linux-Tag
Wirtschaftsminister Werner Müller davon sprach, dass Open Source Deutschland
eine Führungsrolle beim eCommerce geben könnte, begannen Diskussionen
darüber, ob sich dabei - sozusagen in einem Aufwaschen - nicht auch gleich
ein paar Unpässlichkeiten des Systems beseitigen ließen. Zum Beispiel: der
Markt.

Teams oder Brigaden: Netzwerkökonomie sorgt für Missverständnisse.

Dass der Markt nichts taugt, stellten Hacker-Eliten und die linksliberale
Intellektuellen-Elite auf der im April in Dortmund abgehaltenen `Oekonux
'- -Konferenz fest. Oekonux, das steht für Ökonomie plus Linux, also eine
Wirtschaft, die sich an den temporären Kooperationen orientiert, wie sie im
Internet bei der Werkzeugentwicklung stattfinden. Das sei, so Veranstalter
und Referenten, die Überwindung der profitgierigen New Economy.
     `Die Netzwerkökonomie', schreibt Referent Stefan Meretz etwa, `stellt
die Linienökonomie auf den Kopf', schaffe eine Welt, `in der die
Selbstentfaltung des Einzelnen die Voraussetzung für die Entfaltung aller
wird'.
     Lenin, Marx und Linux, kosmische Weisheiten aller Art - die Abschaffung
des Geldes durch freiwillige Arbeit, das Ende des Kapitalismus durch zügiges
Tauschen von Wissen unter Ausschluss des Profitgedankens - das ist letztlich
die Rache der Enterbten am kommerziellen Erfolg der Open-Source-Idee. Das
macht zwar keinen Sinn, aber etwas her: `Kommunismus = Sowjetmacht +
Internet', dichtet einer der Oekonux-Referenten. Letztlich seien die
virtuellen Teams der Open-Source-Entwickler nichts anderes als Brigadisten.
So rettet jeder, was er kann, vom Gestern ins Heute, auch wenn daraus nichts
wird.

Netzwerke schaffen eine Ökonomie der Möglichkeiten - nicht Dogmatismus.

Nur mal kurz zum Durchatmen: Die Netzwerkökonomie ist tatsächlich anders.
Ihre Waren sind Wissen und Software. Beides kann man weitergeben,
verschenken, aber zugleich auch behalten. Es ist möglich, diese virtuelle
Ware zu verschenken, so wie es möglich ist, sie gemeinsam zu entwickeln. Die
Netzwerkökonomie ist eine Wirtschaft der erweiterten Möglichkeiten. Deshalb
spielen Freiwilligkeit und offene Teamarbeit eine weitaus größere Rolle als
in der alten, linearen Ökonomie.
     Aber Pflicht ist das nicht. Open Source ist eine Methode, um
effizienter Software zu schreiben und Wissen im Web zu erhalten und zu
verteilen. `Keine Sorge', schreiben die Verfasser des Cluetrain-Manifests,
`ihr könnt immer noch Geld verdienen, das heißt, solange dies nicht das
Einzige ist, was ihr im Kopf habt' (These 80). Eine Ideologie ist es nur aus
der Sicht der leidenschaftlichen Ingenieure, die aber doch nur Ingenieure
bleiben, mechanistisch, nach innen gewandt, auf der verzweifelten Suche nach
einer Lösung, nach einer Wahrheit. So werden Helden zu traurigen Figuren.
     Wie Richard Stallman. Er ist seit Anfang des Jahres CEO einer seltsamen
Unternehmung namens FreeDevelopers.net. Die Firma kontrolliert die
Einhaltung der GPL-Lizenzen, ist also sozusagen der TÜV der
Open-Source-Bewegung. FreeDevelopers.net gehört allen Entwicklern auf der
Welt, sagt Stallman, der die amerikanische Verfassung als Grundlage des
Unternehmens eingesetzt hat, genau die Verfassung, in der das Recht auf
Freiheit und Glück verankert ist. Das Ziel von FreeDevelopers.net ist es,
`die vorderste Verteidigungslinie der Welt gegen die unvermeidlichen
tyrannischen Tendenzen proprietärer Software zu bilden'.
     So.
     Das ist Kampf, Krieg, Aggression, Wut, Zorn darüber, dass sich die
eigene Wirklichkeit nicht in die Realität fügen mag. Es ist eine Klage ohne
Hoffnung, so wie die von Volker Wiegand, dem USA-Geschäftsführer der
Nürnberger Suse Linux AG, der das Betriebssystem Linux im April auf der
Website linuxgram.com als `gefallenen Engel' und als `Opfer irrationaler
Erwartungen' beschrieb.
     Da lecken sich die Revolutionäre ihre Wunden, während der Rest der
Truppe beginnt, sich einzugraben.
     Doch das ist nicht die Wirklichkeit. -----|




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