Message 03673 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT03658 Message: 3/29 L2 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Der wilde Dschungel der Kooperation



Hi Benni, Ralf et al.,

Ralf, wenn ich zu dir nur eine kurze Bemerkung schreibe, dann in der Tat
aus dem Grund, den du schon nennst: Das hatten wir alles schon mal
diskutiert. Die Bemerkung ist: Mir ist schleierhaft wie du wiedermal zu
der Annahme kommst, eine neue Gesellschaft müsse oder solle
widerspruchsfrei sein oder ich würde sowas behaupten (siehe Abs 31). Vielleicht muss ich den Punkt wirklich noch deutlicher ausführen (wie so vieles - seufz).

Benni Bärmann wrote:

> Vorneweg: Sehr schön! Ein Meilenstein :-)

:-):-) das wird sich zeigen, aber ich habe ein gutes Gefühl.

> Dennoch hab ich eine bisschen andere Sichtweise. Die resultiert vielleicht
> daraus, dass ich die Wertvergesellschaftung als lange nicht so total
> begreife, wie Du das tust.

Ich greife mal vor: Wenn ich dich richtig verstehe, ist die
Wert-Vergesellschaftung (WVG kürze ich das mal ab) für dich ein
Aspekt neben anderen. Ich sehe die anderen Aspekte von
Vergesellschaftung und Herrschaft, die du (und auch Ralf - neue
Koalition!) nennst, auch. Es ist also nicht so, dass ich deren Existenz
bestreiten würde. Mein Hauptpunkt ist nur der: Die WVG geht sozusagen
durch alle anderen Aspekte von Vergesellschaftung und Herrschaft
hindurch. Die Logik der WVG dringt überall ein, in diesem Sinne
totalisiert sich die WVG "von selbst". Die *ist* also nicht total, sondern dieses "subjektlose Subjekt" hat einen "totalen Anspruch" - bildlich gesprochen.

Was ich also bestreiten würde, ist der eigenständige Charakter der
anderen Formen (sei es Geschlecht, Alter, Ort, Kultur etc.). Vielleicht
sieht man es auch daran, dass ich diesen "Kern" der Vergesellschaftung,
diese Logik, durch eine andere ersetzt habe will - während die anderen
Aspekte bleiben werden (in diesem Sinne auch gar nicht abschaffbar sind)
und sich dann "nur" in ihrer Durchdringung durch den neuen "Kern" der
Vergesellschaftung ändern werden. - Aeh, kann mir noch jemand folgen?

> Das macht aber nix, weil ich der Meinung bin, das unsere Beiden Sichtweisen > möglicherweise (das wäre noch zu klären) 98% Sourcecode-kompatibel sind um > es mal im FS-Slang auszudrücken. Will sagen: Sie sind nicht identisch, aber > man kann sie durch neucompilieren jederzeit ineinander überführen. Das macht > die Differenz aber nicht uninteressant, da da schon noch der ein oder andere
> wichtige Punkt lauert.

Es macht auch nix, wenn die Kompatibilitätsquote kleiner ist, da in
einer freien Kooperation - als solche sehe ich Oekonux durchaus an -
Widersprüche im Entwicklungsinteresse der gesamten Kooperation liegen
(Ralf: _das_ meine ich).

> Mir geht es allgemein darum, dass ich Deinen "blinden Fleck", den Du in der > Nichtbeachtung der Wertvergesellschaftung siehst als einen Spezialfall eines
> _größeren_ schlecht sehenden (nicht blinden) Fleckes sehen würde, nämlich
> den schon andernmails angesprochenen "existentiellen Bedingungen".
>
> Es ist also nach meiner Sichtweise so, daß die Vergesellschaftung - und
> damit auch die wertförmige - als Ganzes genau so eine "existentielle
> Bedingung" ist, die Christoph zwar behandelt, aber eben nur als "Ausnahme" -
> was angesichts ihrer Beduetung zu wenig ist.
>
> Zusätzlich gibt es aber eben noch andere existentielle Bedingungen, weswegen
> ich diese Sichtweise für weiterführender halte. Einmal gibt es solche
> existentiellen Bedingungen individuell an vielen Stellen, das hat Christoph
> ja auch mit seinem Flüchtlingsbeispiel im Auge gehabt.

Da liegt dann wirklich eine Differenz, da ich die "existenziellen
Bedingungen" als Begriff für viel zu allgemein halte. Damit wird die
zugrunde liegende Dynamik eher verdeckt als sichtbar gemacht. Der
Begriff ist ok für personale Kooperationen, nicht aber für die
gesamtgesellschaftliche.

> Zusätzlich gibt es aber eben auch noch andere Vergesellschaftungen als
> diejenige des Werts. Historisch ist das natürlich offensichtlich aber auch
> aktuell halte ich z.B. den Faschismus (in der von Christoph im Alienbuch
> verwendeten Bedeutung, die auch Regimes wie die Taliban oder Massaker wie in > Ruanda mit einbezieht) als ein _unabhängig_ vom Wertsystem zu verstehendes
> Problem. Was nicht heißen soll, das die nicht Bezüge zueinander haben und
> das Faschismus oft auch eine Reaktion auf Zumutungen des Wertsystems ist
> oder sich die Wetlogik oft faschistischer Regimes bedient, aber er folgt
> eben einer _eigenen_ Logik, also nicht einer Wertlogik. Gerade auch im Licht
> der aktuellen Ereignisse finde ich diese Differenz sehr wichtig.

Differenzierung ja, aber nicht Trennung. IMHO ist das von mir o.g. Bild
der Durchdringung durch den dominanten Mechanismus der WVG angemessener.
Was dabei rauskommt, wenn man das trennt, sieht man an der
Bahamas-Stellungnahme, auf die R.Kurz IMHO mit passender Polemik reagiert hat.

> So, ein Problem das bleibt, sowohl in Deiner Sichtweise als auch in meiner, > wäre dann noch, wie man denn nun die FK konkret erweitert um diese blinden > Flecken mit reinzuholen. Wenn als Ergebnis unserer Bemühungen dann sowas wie
> "Freie Kooperation - extended version" rauskommen würde, wär das ein
> Riesenerfolg und ich würde einen kleinen Tanz zu unser aller Ehren
> aufführen. Mir schwebt da momentan so etwas wie eine vierte Bedingung für FK
> vor, aber das kann auch eine ganz andere Form annehmen.

Mir schwebt da eher eine Koexistenz verschiedener "Stories" vor, die
aber potenziell übersetzbar sind. Also eher wie bei deinem
Compiler-Bild. Es bringt wohl nix, eine "Story" als die Richtige
durchsetzen zu sollen. Für mich ist eh klar: Meine Story ist die jetzt
richtige für mich;-) Und morgen bin ich wieder schlauer;-)

> Alles was ich hier schreibe ist "work in progress" und deswegen kann es
> durchaus sein, dass sich Sachen vom Anfang dieser Mail mit Sachen vom Ende
> widersprechen, ich hoffe mal, es bringt vielleicht trotzdem was. Ich bin
> halt nicht so gut im ausformulieren strukturierter Texte wie Stefan.

Work in progress gilt auch für mich - trotz (scheinbar) glatter
Formulierungen (alles Übung....).

>>Lasst euch nicht allzusehr durch die Seitenreferenzen auf Christophs
>>Text verwirren - meine Papierversion ist offensichtlich etwas anders
>>nummeriert als die PDF-Version der RLS.
>
> Ich hab glaub ich die selbe Version. Ist das die, die Christoph schon im
> Vorfeld verkauft hat, bevor es den Text online gab?

Ich habe eine Kopie einer Version im Plastik-Ringeinband...

>>(3) Kooperation darf nicht normativ verstanden werden. Kooperation ist
>>weder gut noch schlecht, Kooperation ist Kooperation. Was ist aber
>>Kooperation? Kooperation ist eine bestimmte Form interpersonaler
>>Aktivität. Nicht jede interpersonale Aktivität ist Kooperation
>>(Beispiel: Sexualität).
>
> Nur mal so als Zwischenfrage? Warum genau ist das jetzt keine Kooperation? > Normalerweise tut man das dann doch schon _zusammen_ (außer beim onanieren, > aber ich denke mal das hast Du nicht gemeint) und nicht nur _interpersonal_,
> oder? Also mich hat das Beispiel eher verwirrt. Ansich ist mir das schon
> klar, aber jetzt wüsste ich dann soch schon ganz gerne mal genauer, welche > Eigenschaften interpersonale Aktivitäten IYHO haben, die Kooperationen nicht
> haben. Aber das ist nur ein Nebenschauplatz.

Ist wirklich Off-FK, soviel: sexuelle Aktivitäten erfordern
grundsätzlich keine gesellschaftlich produzierten Mittel. Dennoch wirkt
die Gesellschaft vielfältig da rein, was "gesellschaftlich überformt"
genannt wird. Das ist bei Kooperationen anders, was dann gleich im
nächsten Absatz steht:

>>Kooperation nutzt und bezieht sich auf
>>gesellschaftlich geschaffene Mittel und Strukturen (Beispiele: zusammen
>>Abwaschen, zur Schule gehen, lohnarbeiten gehen, alle uns knechtenden
>>Verhältnisse umstürzen). Die Reichweite solcher Kooperationen ist
>>unterschiedlich. Wo in der Freien Kooperation Aufzählungen stehen - von
>>der Beziehung zwischen Zweien bis zur gesamten Gesellschaft -, dort
>>bringe ich eine qualitative Differenzierung an. Nicht alle Kooperationen
>>sind selbstähnlich. Ich will deutlich machen, dass ich im Nichterkennen
>>der qualitativen Unterschiede von <i>personalen</i> Kooperationen und
>>der <i>gesamtgesellschaftlichen</i> Kooperation in der Theorie der
>>Freien Kooperation den wesentlichen blinden Fleck erblicke.
>
> "Selbstähnlich" enthält ja auch gerade qualitative unterschiede, sonst wären
> sie ja schlicht gleich. Das halte ich erstmal noch für kein Problem.

Doch. "Selbstähnlich" meint - mindestens in der Chaostheorie, aber ich
glaube, auch Christoph meint es so - "strukturell gleich, aber
inhaltlich und quantitativ unterschiedlich". Also was eine Kooperation
"macht" und wie groß sie ist, ist egal, sie weisen grundsätzlich die
gleiche Struktur auf, weshalb ja auch die FK als Theorie funktionieren
kann. Anders formuliert: "Selbstähnlichkeit" ist ein Apriori von FK.

Und genau das gilt für die gesamtgesellschaftliche Kooperation (GK)
nicht, weil die GK sich qualitativ von PK (personalen Kooperationen)
unterscheidet. Das ist auch der mir wichtigste Punkt, weil hier wirklich
der Knackpunkt liegt. Deswegen bin ich sehr dankbar, wenn du da
widersprichst und wir das hin und her wenden.

> Aber Du hast wohl schon Recht, dass man in bestimmten Fällen etwas genauer
> hingucken muß. In Deiner Sichtweise wäre das der Unterschied zwischen
> personaler und gesamtgesellschaftlicher Kooperation, in meiner Sichtweise
> ist das aber eher der Unterschied zwischen nicht existentieller und
> existentieller Kooperation. Dabei kann es sehr wohl Fälle existentieller
> personaler als auch Fälle nicht-existentieller gesamtgesellschaftlicher
> Kooperation geben. Als Beispiel für ersteres könnte man z.B. einen
> Ertrinkenden nehmen, dem ich zu helfen habe unabhängig von Aushandlungen.
> Beispiele für nicht-existentielle gesamtgesellschaftliche Kooperation sind
> schon schwieriger, mir fallen jetzt grad nur abgedrehte
> Science-Fiction-Szenarien ein, aber vielleicht kann man das auch in der
> Geschichte finden. Hier und heute wird es damit vielleicht wirklich etwas
> dünn. Trotzdem denke ich, man sollte das im Auge behalten.

Nee, wirst du nicht finden. Apodiktisch habe ich das in (9) so
formuliert: "Das Ende gesamtgesellschaftlicher Kooperation ist identisch
mit dem Ende der Menschheit." Der "Nicht-/Existenz-Begriff" macht nur
auf der personalen Ebene Sinn.

> Hm, ich sehe gerade, das meine Unterscheidung vielleicht doch nicht so
> kompatibel zu Deiner ist, wie ich das gerne hätte... mal gucken.

Tja...

>>(5) Menschen reproduzieren sich, in dem sie Stoffwechsel mit der
>>(äußeren) Natur betreiben. Das tun Tiere auch. Doch im Unterschied zu
>>Tieren geschieht der Stoffwechsel nicht unmittelbar, sondern vermittelt.
>>Unmittelbar meint hier die Abwesenheit einer überdauernden, außerhalb
>>der jeweiligen Individuen bestehenden Instanz, die für den Stoffwechsel
>>genutzt wird. Vermittelt meint demgegenüber die Anwesenheit einer
>>solchen Instanz. Das ist die Gesellschaft. Zwischen den individuellen
>>Menschen und der Welt schiebt sich die Gesellschaft als Ebene, die
>>allgegenwärtig ist. Sie ist zwar konkret präsent - etwa als
>>gesellschaftliches Produkt »Buch« - und doch abstrakt: Niemand kann sie
>>anfassen. Deswegen entgleitet sie dem Denken leicht. Sie muss aktiv in
>>der Erkenntnis reproduziert, <i>erkannt</i> werden.
>
> Diese Sichtweise von Gesellschaft ist mir zu einseitig materialistisch.
> Gesellschaft ist nicht nur was zwischen den Menschen und der Welt, sondern > auch zwischen den Menschen und sogar in den Menschen selbst. Aber das siehst > Du ja wahrscheinlich ganz genauso, nur, wieso kommt das dann hier nicht vor?

Du hast recht. Es klingt zu schematisch. Es ist aber mit drin, weil die
"Welt" von je mir aus gesehen immer die hergestellte und unveränderte
Welt um mich herum meint (samt den Menschen). Vielleicht ist der
"Naturbegriff" hier irreführend, denn auch für die Tiere ist eigentlich
"Umwelt" gemeint (äußere Natur inkl. der "Mit-Tiere"). Muss ich ändern.

>>(6) Folgende Aspekte von Gesellschaft, die <i>gleichzeitig</i> gelten,
>>sind wichtig:

Ich möchte nochmal das "gleichzeitig" unterstreichen.

>>- Gesellschaft wird von Menschen gemacht, ist in ihrer Existenz und
>>Entwicklung aber nicht von konkreten Einzelnen determinierbar: sie
>>entwickelt sich nach eigenen Gesetzen;
>
> Das stimmt zwar taugt aber nicht als Unterscheidungsmerkmal zwischen
> gesellschaftlicher Kooperation und Kooperation allgemein, denn:
>
> Das gilt IMHO für _jede_ Kooperation. Gerade bei Beziehungen passiert es
> doch immer wieder, dass die ihre eigene Dynamik mit eigenen Gesetzen
> entwickeln. "Gruppendynamik" wäre ein weitere Stichwort, was in die Richtung
> deutet.

Eine "Gruppendynamik" würde ich nicht als "Gesetz" bezeichnen. Sie ist
auch verschieden, je nach Gruppe. Dass es eine gibt, ist das
Selbstähnliche. Sie ist deswegen kein Gesetz, weil die Handlungen der
Menschen in der PK direkt mit der Dynamik in der Gruppe "verkoppelt"
sind. Von je mir hängt die "Gruppendynamik" ab - wie stark sie abhängt,
ist nur eine Frage der Größe der Koop und meiner Position darin.

Das ist bei der "Dynamik" der WVG grundsätzlich anders: Meine Handlungen
sind hinsichtlich der Logik gleichsam von der GK "entkoppelt", weil die
GK eine überhistorische Einrichtung ist. Ich kann an ihr teilhaben und
sie reproduzieren, aber ihre "Dynamik", ihre "Funktionslogik" nicht
ändern und zwar unabhängig von der Position: das gilt also auch für die
vorgeblich "Mächtigen".

Mir fällt auf, dass ich den überhistorischen Charakter noch deutlicher
benennen muss: die GK gibt es solange es Menschen gibt. Keine PK ist
überhistorisch. Selbst wenn du jetzt eine findest (suchst du?), dann
kannst du sie auflösen. Das kannst mit der GK nicht machen.

Während der Zusammenhang von je mir und einer PK in gewisserweise immer
unmittelbar ist, ist er von je mir und der GK immer mittelbar. Mit "in
gewisserweise" meine ich, dass ich in der PK grundsätzlich personale
Adressaten für meine mögliche Intervention habe, zu denen ich sozusagen
"hingehen" kann. Das habe ich in der GK nicht (weswegen es ja auch so
witzlos ist, irgendwelche Mächtige umzunieten).

>>- die Gesetze beschreiben die Eigenlogik der gesellschaftlicher
>>Entwicklung, nicht aber ein »Ziel«: die Entwicklungsrichtung ist genuin
>>offen;
>
> Demnach gilt auch das allgemein für Kooperationen.

Nein. Das ist doch auch schon sinnlich ganz anders: Nimm eine beliebige
Gruppe: Wenn die "Eigenlogik" fest und von dir nicht hinterfragbar wäre,
dann würdest du doch da gar nicht reingehen. Dann gäbe es apriori nur
erzwungene Kooperationen. Das ist btw genau das, was den Menschen
eingeredet wird: Die je konkrete PK sei durch die Sachzwänge so fest,
dass es da nix dran zu rühren gäbe. Gut, dass die FK-Theorie genau das
aufbricht.

>>- die Gesellschaft ist das Medium, in dem sich alle Menschen bewegen:
>>die je individuelle Existenz ist gesamtgesellschaftlich vermittelt;
>
> Ja, das ist korrekt, sagt aber auch nicht viel mehr aus, als das
> "Gesellschaft" eben die Kooperation ist, an der alle Menschen beteiligt
> sind.

Ja, zwangsweise.

>>- die Fähigkeit, sich individuell in die Gesellschaft
>>hineinzuentwickeln, sich zu vergesellschaften, ist Teil der menschlichen
>>Natur: nicht der ungesellschaftliche Mensch wird »sozialisiert«, sondern
>>der gesellschaftliche Mensch schafft das Soziale.
>
> Auch das gilt für alle Kooperationen.

Ja, irgendwie so ganz allgemein. Aber das ist mir zu unspezifisch.

> So richtig den Unterschied hast Du also für mich noch nicht rausgefunden.
> Für meine Zwecke reicht es aber auch völlig aus, einfach von Gesellschaft
> als Menschheitskooperation zu sprechen, also einer Kooperation, in der man
> zwangsläufig (und da liegt das Problem!) Mitglied ist.

Ja, da liegt _ein_ Problem. Die ganzen Gründe und Implikationen habe ich
versucht aufzudröseln. Wie ich sehe, war das nicht deutlich genug.

>>(7) Die Gesellschaft ist demnach ein besonderer kooperativer
>>Zusammenhang, der sich von anderen Kooperationen unterscheidet.
>
> Ja, aber nur quantitativ. Einziges aber entscheidendes(!) qualitatives
> Merkmal ist die Zwangsmitgliedschaft.

Schon das ist ein qualitativer Unterschied, also einer, der für die PKs
nicht gilt. Schon damit sind PK und GK nicht mehr selbstähnlich. Die
anderen habe ich oben versucht deutlicher zu benennen.

>>Es ist
>>der abstrakte Zusammenhang, in dem sich die konkreten kooperativen
>>Zusammenschlüsse der Menschen bewegen.
>
> "abstrakt" können auch Kooperationen unterhalb der Gesamtgesellschaft sein.
> Staaten, Konzerne, etc. sind doch die besten Beispiele. Mir fällt eh grad
> auf, dass ich ein bisschen Verständnisprobleme mit diesem "abstrakt" hab,
> das in der Wertkritik immer wieder auftaucht.

Staaten würde ich also Formen gesellschaftlicher Koops sehen, insofern:
ja, abstrakt. Abstrakt heisst hier zunächst nur "nicht sinnlich", ohne
Adressat. Deswegen haben wir ja alle über Seyfrieds Comic geschmunzelt,
wo ein Demonstrant ein Plakat hält, auf dem steht: "Staat - hau ab" (oder "Staat - verschwinde", ich weiss nicht mehr genau). Ein Konzern mag groß und unübersichtlich sein, aber das kannst du ändern, wenn du willst. Du findest auch klare Adressaten, die die Regeln der PK bestimmen.

>>(8) Es ist u.U. verwirrend, dass beides, der personale Zusammenschluss
>>und der übergreifende und überdauernde Zusammenhang, als »Kooperation«
>>bezeichnet werden. Wenn ich den Begriff der <i>gesamtgesellschaftlichen
>>Kooperation</i> verwende, dann meine ich diesen abstrakten und sich
>>eigengesetzlich reproduzierenden Zusammenhang der Gesellschaft.
>>Demgegenüber bezeichne ich die konkreten personalen Zusammenschlüsse als
>><i>personale Kooperationen</i> oder schlicht auch nur als
>><i>Kooperationen</i>. Erkenntnistheoretisch handelt es sich hier mithin
>>um zwei unterschiedliche analytische Bezugsebenen: um die
>><i>gesellschaftstheoretische</i> und die <i>individualtheoretische</i>
>>Ebene.
>
> Sehe ich aus obigen Gründen nicht so. Ohje, mein Optimismus bezüglich
> Kompatibilität sinkt immer weiter :-(

Nichts steht fest, alles ändert sich;-)

>>(9) Die gesamtgesellschaftliche Kooperation ist überindividuell
>>andauernd. Sie ist nicht verhandelbar. Sie kann nicht verlassen werden,
>>die je individuelle Beteiligung unterscheidet sich nur in ihrem
>>Vermittlungsgrad. Der individuelle Ausstieg ist identisch mit dem Ende
>>der eigenen Existenz - ein einseitiger, hoher »Preis«. Dies gilt
>>genauso, wenn ich an die Stelle der Individuen personale Kooperationen
>>setze. Das Ende gesamtgesellschaftlicher Kooperation ist identisch mit
>>dem Ende der Menschheit.
>
> Korrekt! Einzige ein klein wenig makabre Anmerkung: Ein Selbstmordattentäter > vollzieht tatsächlich so etwas wie einen letzten Akt der Verhandlung bevor
> er aussteigt.

Wohl wahr - aber die GK besteht weiter.

>>(10) Die Unverhandelbarkeit gesamtgesellschaftlicher Kooperation hat für
>>den Einzelnen einen eminenten Vorteil. Da sie überindividuell und
>>überdauernd besteht, wird meine Existenz auch dann miterhalten, wenn ich
>>mich an der gesamtgesellschaftlichen Kooperation nicht beteilige. Diese
>>allgemeine Aussage ist nicht zu verwechseln mit dem konkreten,
>>tausendfach realen Existenzentzug. Dies ist keine Eigenschaft
>>gesamtgesellschaftlicher Kooperation überhaupt, sondern Ausfluss
>>historisch konkreter gesellschaftlicher Kooperations<i>formen</i>. Aus
>>der prinzipiellen Eigenschaft, die je eigene Existenz
>>bedingungsunabhängig erhalten zu können, leitet sich die grundsätzliche
>>Möglichkeit ab, eine gesellschaftliche Form zu finden, in der die
>>grundsätzliche Potenz gesellschaftlicher Kooperation auch konkret und
>>für jeden Einzelnen wirksam entfaltet wird. Die Entfaltung aller
>>Menschen ist also keine bloß utopische Idee, sondern genuine Potenz
>>gesamtgesellschaftlicher Kooperation.
>
> Wenn ich das richtig verstanden habe muß dann wohl der Anfang dieses
> Absatzes eigentlich lauten: "Die Unverhandelbarkeit gesamtgesellschaftlicher
> Kooperation _kann_für_ den Einzelnen einen eminenten Vorteil _haben_."

Nein, hat. Und zwar auch hier und heute. Ich habe hin- und her überlegt,
ob ich die Zeitdimension mit reinbringen soll. Die bedeutet nämlich:
Niemand hat eine unmittelbaren Bezug zur GK. Das würde bedeuten,
jegliche Handlung wäre determiniert. Der Bezug zur GK ist aber
mittelbar, was mir die kognitive Distanz erst möglich macht. Es gibt -
anschaulich gesprochen - bei jedem Menschen in auch noch so elendigen
Lebensverhältnissen immer diese Distanz, also die "Phasen" wo mein
(elendiges) Leben auch miterhalten wird, wenn ich gerade nicht mit
unmittelbarer Lebenserhaltung beschäftigt bin (was immer das sei). Das
siehst auch schon daran, das Menschen immer sowas wie Kultur produzieren
- seit es sie gibt.

Wenn ich da von Existenzentzug schreibe, dann geschieht dieser zu einem
bestimmten Zeitpunkt. Und dann ist u.U. Ende, und das liegt nicht an der
  grundsätzlichen Potenz der GK, sondern an dem stattfindenden Mord oder
was auch immer. Aber vorher besteht der "Vorteil" prinzipiell für alle.

>>(11) Mir ist hier folgendes wichtig: Durch die Entkopplung eigener
>>Existenz von der Beteiligung an gesamtgesellschaftlicher Kooperation
>>verfügt der Mensch über eine unhintergehbare Möglichkeitsbeziehung zur
>>Realität. Sein Handeln ist nicht determiniert, er bewegt sich stets in
>>Möglichkeitsräumen. Der Mensch kann Wollen. Das gilt auch für personale
>>Kooperationen. Der Möglichkeitsraum wird ganz entscheidend durch die
>>jeweilige gesellschaftliche Form bestimmt. Sie bildet das Medium, in dem
>>wir uns bewegen: handelnd, denkend, fühlend. Dieses Medium nicht zu
>>thematisieren in einer Theorie vom Handeln der Menschen, ist in etwa so
>>blindfleckig wie über das Schwimmen zu theoretisieren, ohne über das
>>Wasser zu sprechen. Die gesamtgesellschaftliche Kooperation ist das
>>Wasser, in dem die personalen Kooperationen schwimmen - so sie das
>>Schwimmen gelernt haben. Die Theorie der Freien Kooperation kann eine
>>Theorie vom Schwimmen-lernen werden.
>
> Ja, sehr schönes Bild. Hätte von Christoph sein können ;-)
>
> Das ist glaub ich auch wirklich neben der Existentialität eine zweite
> besondere Eigenschaft _sehr_großer_ Kooperationen. Das muss aber nicht die > Gesamtgesellschaft sein. Schon unterhalb der Menschheitskooperation gibt es > Kooperationen, die diese Entkopplung leisten können (z.B. Staaten oder auch
> nur die Sozialversicherung im Fordismus).

Wie schon geschrieben sehe ich Staaten etc. als Ausprägungsformen von
historisch und örtlich spezifischen Formen der GK. Das ist also keine
Koop-Ebene unterhalb, sondern es ist diese Ebene in einer bestimmten
Ausprägungsform.

> Vielleicht können wir uns auf folgendes Erweiterungsprogramm für FK einigen: > Wir gucken uns die Kooperationen von den ganz kleinen bis zu den ganz großen
> an und schauen nach Umschlägen von Quantität in Qualität. Bisher sehe ich
> zwei. Einmal die Entkopplung eigener Existenz von der Beteiligung an der
> Kooperation und dann schließlich Existentialität durch
> nicht-mehr-aussteigen-können. Ich würde das getrennt behandeln wollen. Ich > hab auch den Eindruck, dass Du hier in Deinem Gesellschaftsbegriff unscharf
> bist, mal scheinen es eher Staaten zu sein, innerhalb deren sich
> Gesellschaft konstituiert, dann wieder die ganze Menschheit.

Ich kann deinen zwei Punkten zustimmen und würde die o.g., an denen ich
festhalten möchte, ergänzen:
- Gesetzescharakter bei GK-Entwicklung, bei PK nicht
- überhistorische Existenz der GK, bei PK nicht
- mittelbarer Bezug zur GK, bei PK unmittelbar (möglich)
   (entspricht: kein personaler Adressat, bei PK schon)

BTW: Dass wir daran so rummachen, liegt nicht an meiner Unschärfe und
deiner Schärfe (oder umgekehrt), sondern an der Schwierigkeit mit dem
Gegenstand. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: So wie wir hier
diskutieren, so findet das nur super selten statt. In der Regel
operieren die verschiedenen Wissenschaften mit völlig platten
Gesellschaftsbegriffen (so sie überhaupt einen haben). Besonders krass
ist das wie kaum anders zu erwarten in der Informatik.

>>(15) Es ist der klassische Fall einer erzwungenen personalen
>>Kooperation: »Herrschaft ist erzwungene soziale Kooperation. Die
>>Kooperation ist erzwungen, weil die eine Seite sich nicht aus ihr lösen
>>kann, weil sie nicht darüber bestimmen kann, was sie einbringt und unter
>>welchen Bedingungen, weil sie keinen oder nur geringen Einfluss auf die
>>Regeln der Kooperation hat.« (S. 16) Nur leider kann ich der
>>gesamtgesellschaftlichen Zwangskooperation nicht entkommen. Es fehlt
>>gewissermaßen der Adressat meines Widerstands: Der Ober-Erzwinger, der
>>Meta-Herrscher, ist keine Person, sondern eine sich selbst
>>reproduzierende und totalisierende »kybernetische Maschine« - und mit
>>»Maschinen« ist schlecht zu verhandeln.
>
> Der Verhandlungspartner eines Individuums in FK ist doch aber sowieso immer
> eine Kooperation. Verhandlungen finden immer zwischen Individuen und
> Kooperationen statt oder zwischen Kooperationen. Nicht zwischen Individuen
> (ausser im kleinsten Fall einer 2-Personen-Kooperation).

Wieso das? Verhandlungen finden immer zwischen Personen statt. Das ist
auch in der FK so. Das Konkrete muss auch konkret mit konkreten Menschen
geregelt werden. Das gilt auch, wenn Kooperationen miteinander
verhandeln: Es sind immer Menschen, die da sprechen: seien es gewählte,
delegierte, selbsternannte, repräsentierende oder auch alle. Das sagst
du ja auch, wobei ich das "aber" nicht so sehe:

> Die konkreten Verhandlungen werden natürlich immer zwischen Repräsentanten
> geführt, aber was ich damit sagen will, an sich spricht nichts gegen eine
> kybernetische Maschine als Verhandlungspartner. Die Geschichte der
> Arbeiterbewegung z.B. kann man genauso verstehen, dass sie der
> kybernetischen Maschine Zugeständnisse abgetrotzt haben, die deren Charakter
> verändert haben (ohne sie deswegen jetzt abschaffen zu können).

Die Arbeiterbewegung hat am Charakter der kybernetischen Maschine nichts
geändert. Was Marx im Kapital beschrieb, läuft grundsätzlich immer noch
so. Sie hat im Gegenteil der Logik zu ihrer vollen Entfaltung verholfen,
sie war Modernisierungsbewegung. Die abgetrotzten Zugeständnisse gab es
natürlich trotzdem - aber nicht gegen, sondern mit der Funktionslogik.
Ich arbeite für so einen Verein, der so funktioniert. Nur heute ist
ziemlich Essig mit "Abtrotzen", weil das Modernisierungspotenzial
aufgebraucht ist. Nein: die kybernetische Maschine mit ihrer Logik ist
unverhandelbar.

>>(16) Im kybernetischen Dschungel der Warenproduktion ist der wilde
>>Dschungel der Freien Kooperation am Ende angelangt, weil es um die Wurst
>>geht. Wie in keiner anderen historischen gesellschaftlichen
>>Kooperationsform, ist hier die je individuelle Reproduktion mit der
>>Reproduktion der totalitären Warenproduktion verkoppelt. Wenn ich »drin«
>>bin, muss ich die Logik denkend und handelnd reproduzieren - oder ich
>>bleibe nicht länger »drin«. Die Logik rückt mir auf den Pelz, ich muss
>>sie alltäglich nachvollziehen, mitdenken, erfühlen, ausführen. Sich nur
>>denkend dort herauszubegeben, ist ein heroischer Widerstandsakt. Viele
>>verzweifeln vorher oder werden zynisch.
>
> Auch hier sehe ich wieder nichts, was nicht auch bei anderen Kooperationen
> vorkommt. Viele langjährige Ehen funktionieren nach diesem Muster.

Das ist aber nicht zwangsläufig so, sondern jeweils eine Entscheidung.
Es gibt ja auch viele Ehen, aus denen die Leute rausgehen, sich also
anders entscheiden. Das "Vorkommen" allein sagt noch nichts.

> Das perfide ist vielleicht das solche "Nähe" - und darum handelt es sich ja > hier - verknüpft wird mit existentieller Notwendigkeit und schierer Größe. > Wie gesagt ich denke man braucht da ein ausdifferenzierteres Modell, nicht > nur hier die personalen Kooperationen und da die gesellschaftliche sondern
> viele Zwischenstufen auf denen unterschiedlichste Qualitäten, die
> Kooperationen haben können auftreten oder auch nicht auftreten. Und ich
> denke auch nicht, dass in der "obersten" also der Menschheitskooperation
> sich alle Eigenschaften bündeln, oder das irgendein extrem darstellt. Auch
> diese Kooperation ist nur eine unter vielen, aber mit ganz spezifischen
> Eigenschaften.

Du nimmst dir Erkenntnismöglichkeiten, wenn du auf der Basis von
ziemlich oberflächlichen "sieht doch irgendwie alles genauso aus" alles
in einen Topf haust.

>>(22) Gute Kooperationen machen automatisch das, was Freie Kooperation
>>als Theorie formuliert. Sie ist gleichsam ihr Extrakt. Doch Theorie geht
>>darin nicht auf, sie wäre nur affirmativ. Theorie muss provozieren, muss
>>das best-practice Gerede der new-economy Propagandisten überschreiten.
>>Der gesunde Menschenverstand ist oftmals gar nicht gesund und verständig
>>schon gar nicht. Die entscheidende Grenze - praktisch und in der Theorie
>>- ist die gesamtgesellschaftliche Kooperation in warenproduzierender
>>Form, die <i>als solche nicht</i> in eine gesamtgesellschaftliche
>><i>freie</i> Kooperation überführbar ist. Sie ist nur als Ganzes
>>aufhebbar, denn ihre Regeln sind nicht Ergebnis einer Verhandlung,
>>sondern setzen sich gleichsam als zweite Natur hinter dem Rücken der
>>Beteiligten durch. Die Tatsache des »hinter-dem-Rücken-Durchsetzens«
>>muss als Ganzes zur Disposition gestellt werden. Eine
>>gesamtgesellschaftliche freie Kooperation, eine freie Gesellschaft,
>>wirft noch ganz andere Fragen auf, als dies Kooperationen unterhalb der
>>gesamtgesellschaftlichen Ebene tun.
>
> Auch diesen Effekt gibt es auf jeder Ebene der Kooperation. Es gibt immer
> Kooperationen, die nicht mehr reformierbar sind, sondern nur als ganzes
> abgeschafft gehören. Das kann sich aber nur durch den Austritt ihrer
> Mitglieder vollziehen. Das genau geht nun aber bei der
> gesamtgesellschaftlichen Kooperation nicht, das ist das Problem. Es handelt > sich also wieder um das Problem der existentiellen Verstrickung (das mal in > der FK als kleine, am Rande erwähnte "Ausnahme" angefangen hat, so langsam > dämmert mir, dass diese Ausnahme vielleicht noch "Kariere" machen könnte ;-).

Ja...!

> Ich hoffe ihr könnt mit diesen ungeordneten Gedanken etwas anfangen.

Ich schon - Danke!

Ciao,
Stefan

--
     Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
     Internetredaktion
     Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin
--
     stefan.meretz verdi.de
     maintaining: http://www.verdi.de
     private stuff: http://www.meretz.de
--




________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT03658 Message: 3/29 L2 [In index]
Message 03673 [Homepage] [Navigation]