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Re: [ox] Re: Leitfrage zu Open Music



Hallo Stefan, Thomas und alle,

Leider war ich nicht auf dem besagten Panel, moechte aber trotzdem
meinen Senf loswerden, obwohl wir wohl in den allermeisten Punkten
uebereinstimmen...es ging ja zunaechst um die Leitfrage.

Ok. Fallen da die meisten real-existierenden MusikerInnen drunter?

Klare Antwort: Nein! Auch und gerade unter den gut ausgebildeten,
professionellen MusikerInnen gibt es lediglich zwei Gruppen, die mit
Musik Geld verdienen, und das sind etweder solche:

- die gezwungen sind, Musik zu machen, die eigentlich unter ihren
eigenen qualitativen Anspruechen liegt, weil der "Musikmarkt" (also
Musikproduzenten, die uns vorgeben, was die KonsumentInnen gut finden
sollen) das so fordert.

- die sich von einem oeffentlich gefoerderten Engagement (meist
Zeitvertraege ueber eine Saison) zum naechsten hangeln und sich daneben
mit Unterricht oder einem Nebenjob ueber Wasser halten.

Sicherlich gibt es einige wenige AusnahmekuenstlerInnen, die in der
gluecklichen Lage sind, Musik zu machen, hinter der sie stehen koennen
und die trotzdem gut damit verdienen. Aber auch von diesen wenigen haben
viele das Dilemma der Musikbranche erkannt und unterstuetzen den Open
Music-Gedanken (z.B. David Bowie). 

Prinzipiell ja. Ob es in der Praxis funktioniert?

So wie es jetzt ist, geht es ja gerade nicht! MusikerInnen koennen de
facto nicht von ihrer Musik leben. Die wenigen, die das koennen, sind
entweder gezwungen, mindere Qualitaet zu produzieren, sich anderweitig
zu finanzieren oder sind von oeffentlichen Geldern abhaengig. JEDE
Veraenderung im Sinne der Ideen Stefans kann sich hier nur positiv
auswirken. Am allermeisten gewinnen doch zudem die KonsumentInnen, weil
die Veraenderung sich in einer Qualitaetssteigerung der verfuegbaren
Musik auswirken muss.

Was aber IMHO an der Frage fatal ist, ist, daß sie nicht der
Freiheit des Anwenders Beachtung schenkt, sondern den Vorteilen
des Anbieters. Dies ist scheinbar ein FS/OSS-Problem.

Wichtiger Punkt!

Da ich glaube, dass die Frage gar nicht unbedingt auf die Vorteile der
Anbieter ausgerichtet ist, sehe ich dies nicht als Problem. Aber das ist
vielleicht zu akademisch? Oder habe ich was falsch verstanden?

Was mir aber noch wichtiger scheint, ist, daß hier wieder klar die
AnbieterInnen und die KonsumentInnen getrennt werden. Was bei Freier
Software mit den (relativ) einfachen Beteiligungsmöglichkeiten per
Patch, Kommentar, Wunsch, etc. in das Produkt als Beteiligung
einfließt, wird hier für die Musik schlicht negiert. Und damit auch
gleich die Vorteile der "KonsumentInnen"beteiligung für die
"ProduzentInnen".

Hmmmm, das verstehe ich nicht ganz, glaube ich. 


Da kommen wir auch gleich wieder auf den Werkbegriff, den der eine
Panelist (der Tracker) implizit so vehement verteidigt hat: Das kommt
von meinem Ego und *soll* gar nicht weiter verändert werden.

Eine solche Haltung halte ich fuer vollkommen falsch. Ich behaupte
einfach mal, dass es gar nicht moeglich ist, Musik zu produzieren, ohne
sich bei anderen MusikerInnen Inspiration und Ideen "geklaut" zu haben.
Jede MusikerIn, die auch nur annähernd in der Lage ist zu reflektieren,
wird auch jederzeit zugeben, dass sie hier und dort stilistische
Anleihen gemacht hat. In Punkto "Verfaelschung ureigener Werke" möchte
ich darauf hinweisen, dass das "Urwerk" als solches natuerlich
schutzenswert sein sollte. Als Malerin haette ich es auch nicht gern,
wenn jemand auf meinem eigenen Bild ein neues malt. Aber ich kann doch
nichts dagegen machen, dass jemand mein Werk kopiert und veraendert.
Solange auf die Quelle hingewiesen wird, sehe ich a) das Problem nicht
und b) ist das eine Praxis, der seit Jahrtausenden nachgegangen wird und
die zu einer beachtlichen Entwicklung gefuehrt hat. Es steht jeder
MusikerIn natuerlich frei, sich zur Qualitaet solcher Veraederungen zu
aeussern oder Wuensche hinsichtlich bestimmter Werkinterpretationen und
-modifikationen zu formulieren. Ein solcher Diskurs ist aber wichtig und
gehoert doch in jede funktionierende Kulturlandschaft. Die einzige
Frage, die sich hier stellt ist, in welcher Form eine MusikerIn über den
Ursprung und die am Werk vollzogenen Veraenderungen Buch fuehren kann
und soll. Dies erscheint mir wesentlich schwieriger als in der
Softwareentwicklung, weil ich mir ueber manche meiner Einfluesse
vielleicht gar nicht klar bin.

Insgesamt halte ich Open Music aber gar nicht so verschieden von Open
Software.

Viele Gruesse,

Petra

-- 
"Put "eat chocolate" at the top of your list of things to do today.
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Petra Wagner, IKP Bonn, Poppelsdorfer Allee 47, 53115 Bonn
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