Message 04239 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT04038 Message: 10/29 L5 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Historisch-spezifische Bedingungen fuer FS



Hi Thomas, Liste!

Wegen des schwierigen Texts und weil es schon etwas weiter
zurückliegt, zitiere ich mal großzügig.

Last week (10 days ago) Thomas Berker wrote:
das sind jetzt drei Faesser: Fordismus (und seine Zukunft), Meritokratie
(=Herrschaft in FS-Projekten) und Skandinavien. Ich mach mal alle auf (weil
hier im Projekt gerade ein bisserl Vorweihnachts-Luft ist). Am wichtigsten
waere mir aber, glaube ich, der Meritokratie-Teil.

Aus dem Faß nehme ich mir mal ein Gläschen :-) .

Ich les hier schon recht
lange mit (> 1 Jahr) und da war immer ein Unbehagen. Ein Gefuehl, dass ich
in einer veritablen GPL-Gesellschaft nicht leben moechte, so sehr ich in
Vielem mit Oekonuxschem Gedankengut auch uebereinstimme. Vielleicht gelingt
es mir ja, das im Folgenden ein bisschen konkreter zu machen.

Wäre ich auf jeden Fall sehr interessiert dran.

At 15:41 29.11.01 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Mz wrote:
("egalitaere Hierarchie"
ist natuerlich ein Widerspruch in sich, gemaess der
meritokratischen Idee/Ideologie ist der Ausgangspunkt zur
Bildung von Hierarchien offen und egalitaer).

Mir ist nicht klar (geworden), was "meritokratische Strukturen" sind -
mehr als "transparente Hierarchien"? Was anderes als "Jeder ist seines
Glückes Schmied"? Erst habe ich "meritokratisch" als eine Art "Haltung"
gelesen, dann sprichst du aber von "Strukturen". Und dann gibt's das auch
als "Ideologie"? Hast du dazu Literaturtipps?

Ich verstehe Meritokratie als Idee davon, wie Macht verteilt werden soll.

Hier würde ich schon mal einhaken. Gibt es Macht in
Freien-Software-Projekten denn überhaupt? Was sind denn die
Sanktionen, mit denen diese Macht im Zweifel durchgesetzt wird?
Niemensch kann zu irgendwas gezwungen werden - d.h. es gibt keine
Möglichkeit irgendetwas wirklich gegen Widerstände durchzusetzen.
Übersehe ich was?

In Praxis umgesetzt kann das wie jede Form von Herrschaft in Strukturen
gerinnen. Zur Ideologie wird das Ganze gemaess eines vielleicht
altmodischen Ideologiebegriffs genau dann, wenn das partikulare Interesse
einer Gruppe mittels meritokratischer Rhetorik zum Allgemeininteresse
stilisiert wird.

Ja, würde es. Aber bei Freier Software steht es jedem prinzipiell
frei, seinen eigenen Laden auf exakt der bisher erreichten Grundlage
aufzumachen. Niemensch könnte real verhindern, daß es z.B. parallele
oder sogar konkurrierende Entwicklungen gibt - siehe KDE / Gnome.

Spezifisch fuer meritokratische Ideen ist, dass sie jeweilige Leistung als
alleinigen Massstab fuer die Verteilung von Macht anerkennen. Das wird auf
zwei Ebenen sehr schwuppdiwupp ideologisch: Zum einen steckt da die
liberale Ideologie der gleichen Ausgangsbedingungen fuer alle dahinter.

Die steckt nur dahinter, wenn du Gleichheit als Ziel hast. Wenn
Gleichheit nicht so entscheidend ist, dann können dir die
Ausgangsbedingungen schnuppe sein.

Zum
anderen muss definiert werden, was Leistung ist und da stellt sich zum
einen die Frage, wer das definiert,

Zunächst mal würde ich meinen, daß *diese* Form der Leistungsbewertung
eine reichlich individuelle ist. Ob Linus Torvalds Mist baut oder
geniales leistet entscheide ich im Zweifelsfall für mich selbst. Kann
es eine emanzipatorischere Art von Leistungsbewertung geben?

und zum anderen, ob die Massstaebe
nicht selbst wieder ideologische Gehalte tragen.

Na, völlig ideologiefrei wirst du das schon deswegen nicht
hinbekommen, weil persönliche Leistung per se schon ein
hochideologischer Begriff ist...

Dass FS nicht ohne Hierarchien auskommt, ist sowohl im einzelnen Projekt
(Maintainer, Core Team), wie auch in der Bewegung (Gurus, historische
Heroen, mythische Urvaeter, Sprecher) unbezweifelt (s.a. einen kurzen Text
der Gartner Group, die das als ausgesprochen positiven Zug vermerkt:
http://www.gartnerweb.com/public/static/hotc/hc00088469.html ).

Nun, der Text hebt vor allem hervor, daß Open Source Software entgegen
aller Mythen erhebliche Vorteile auch und gerade für Firmen hat. Wenn
du Myth 1 gegen Myth 3 aufwiegst, dann sehe ich nicht, wo da der
postitive Bezug zu den Hierarchien sein soll.

Ich denke das Mißverständnis liegt hier in dem Begriff Hier*archien*.
Es ist eben keine Herrschaft, die das ausgeübt wird, weil die
Machtmittel fehlen. Es gibt aber in der Tat Leitungsaufgaben, die auch
von einzelnen wahrgenommen werden.

Für mich wäre viel mehr die Frage, warum die Leute, die
Leitungsaufgaben übernehmen, so in den öffentlichen Fokus rücken.
Warum nicht begnadete CoderInnen? Oder talentierte Web-DesignerInnen?
Schließlich tragen alle ihren Teil bei.

Nehmen wir doch mal wieder Oekonux als wohl-bekanntes Beispiel. Wenn
ich hier den Maintainer gebe und wir auf `projekt oekonux.de'
versuche, dieses Projekt voran zu bringen, was denkst du würde
passieren, wenn ich hier plötzlich auf Control-Nummer machen würde?
Wenn ich mir z.B. anmaßen würde, den gesamten Traffic hier zu
moderieren oder so etwas - wozu ich technisch problemlos in der Lage
wäre. Oder wenn ich anfangen würde, Leute auf der Liste anzupissen
oder einzelne Gedanken verbieten will o.ä. Also ganz ehrlich: Ich kann
nur hoffen, daß dann ein paar Leute hier sagen würden: "Sorry, aber
jetzt ist der StefanMn völlig durchgeknallt - laßt uns was Neues
gründen." Das einzige was ich erreichen würde, wäre, daß ich das
Projekt beschädige - vielleicht nachhaltig. Und ich fühle mich
erwachsen genug, daß ich mir keine Situation vorstellen kann, wo das
auch nur entfernt in meinem Interesse liegen könnte.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT04038 Message: 10/29 L5 [In index]
Message 04239 [Homepage] [Navigation]