Re: [ox] Historisch-spezifische Bedingungen fuer FS
- From: Thomas Berker <thomas.berker hf.ntnu.no>
- Date: Wed, 05 Dec 2001 13:16:44 +0100
Hallo,
das sind jetzt drei Faesser: Fordismus (und seine Zukunft), Meritokratie
(=Herrschaft in FS-Projekten) und Skandinavien. Ich mach mal alle auf (weil
hier im Projekt gerade ein bisserl Vorweihnachts-Luft ist). Am wichtigsten
waere mir aber, glaube ich, der Meritokratie-Teil. Ich les hier schon recht
lange mit (> 1 Jahr) und da war immer ein Unbehagen. Ein Gefuehl, dass ich
in einer veritablen GPL-Gesellschaft nicht leben moechte, so sehr ich in
Vielem mit Oekonuxschem Gedankengut auch uebereinstimme. Vielleicht gelingt
es mir ja, das im Folgenden ein bisschen konkreter zu machen.
At 15:41 29.11.01 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Mz wrote:
> ("egalitaere Hierarchie"
> ist natuerlich ein Widerspruch in sich, gemaess der
> meritokratischen Idee/Ideologie ist der Ausgangspunkt zur
> Bildung von Hierarchien offen und egalitaer).
Mir ist nicht klar (geworden), was "meritokratische Strukturen" sind -
mehr als "transparente Hierarchien"? Was anderes als "Jeder ist seines
Glückes Schmied"? Erst habe ich "meritokratisch" als eine Art "Haltung"
gelesen, dann sprichst du aber von "Strukturen". Und dann gibt's das auch
als "Ideologie"? Hast du dazu Literaturtipps?
Ich verstehe Meritokratie als Idee davon, wie Macht verteilt werden soll.
In Praxis umgesetzt kann das wie jede Form von Herrschaft in Strukturen
gerinnen. Zur Ideologie wird das Ganze gemaess eines vielleicht
altmodischen Ideologiebegriffs genau dann, wenn das partikulare Interesse
einer Gruppe mittels meritokratischer Rhetorik zum Allgemeininteresse
stilisiert wird.
Spezifisch fuer meritokratische Ideen ist, dass sie jeweilige Leistung als
alleinigen Massstab fuer die Verteilung von Macht anerkennen. Das wird auf
zwei Ebenen sehr schwuppdiwupp ideologisch: Zum einen steckt da die
liberale Ideologie der gleichen Ausgangsbedingungen fuer alle dahinter. Zum
anderen muss definiert werden, was Leistung ist und da stellt sich zum
einen die Frage, wer das definiert, und zum anderen, ob die Massstaebe
nicht selbst wieder ideologische Gehalte tragen.
Dass FS nicht ohne Hierarchien auskommt, ist sowohl im einzelnen Projekt
(Maintainer, Core Team), wie auch in der Bewegung (Gurus, historische
Heroen, mythische Urvaeter, Sprecher) unbezweifelt (s.a. einen kurzen Text
der Gartner Group, die das als ausgesprochen positiven Zug vermerkt:
http://www.gartnerweb.com/public/static/hotc/hc00088469.html ).
Die Maintainer wie auch die Stars und Sprecher der FS qualifizieren sich
durch Leistung, meist dadurch, dass sie an "guten" Projekten massgeblich
mitwirken oder mitgewirkt haben (hinter den Namen stehen immer wieder die
Titel der Software zum Ausweis der Legitimitaet). Transparenz in der
FS-Entwicklung (nicht zuletzt die offenen Quelltexte!) ist die
Voraussetzung dafuer, dass prinzipiell jedeR hochleisten kann, wenn er/sie
will. Gleichzeitig wird so die Guete des Produkts offengelegt.
Theoretisch zumindest.
Der Threat ueber patriarchale Strukturen thematisiert gerade sehr schoen,
wie sich gesellschaftliche Zugangsschranken historisch spezifisch hinter
dem Ruecken in die schoene transparente Hierarchie der FS-Produktion
einschreiben. Und Gender ist da natuerlich nur eine Dimension unter vielen.
Nein, spezifisch zu Meritokratien habe ich leider keine Literaturtips. Mir
scheint aber die Frage "Herrschaft in historisch-spezifischen FS-Projekten"
eine Achilles-Ferse des Oekonux-Projekts zu sein. Vielleicht erweist sich
beim genaueren Hinsehen sehr viel von den faszinierenden Eigenschaften der
FS als historisch-spezifisch allzu gebunden an Clubs von
technikfaszinierten Jungs (und jungebliebenenen) und ihren Alliierten
(ueber die habe ich letztes mal etwas mehr geschrieben). Das waere zu
erforschen und das kann schwerlich in Nabelschau ("Sind wir zu patriarchal?
Hmmmm ...") geschehen. Die erstaunlich klaren demographischen Schieflagen
in der Beteiligung (jung, weiss, maennlich, "reich") sind erstmal Indizien
dafuer. Sollte es so sein, dann ist das Oekonux-Projekt beileibe noch nicht
am Ende. Aber es muss sich damit wohl oder uebel auseinandersetzen um nicht
zur Ideologie zu verkommen, zu einer Gruppe, die vorgibt im Namen der
Allgemeinheit zu sprechen, tatsaechlich aber ein partikulares Interesse
vertritt.
Und nun zum Fordismus:
> Die These waere, dass FS-Projekte aus ihrer historischen Genese
> heraus mit zwei Straengen der anti-fordistischen Opposition in
> gegenwaertiger Gesellschaften auf Gedeih und Verderb verbunden
> sind.
Der Oppositions-Begriff unterstellt Bewegung und Akteure des
Anti-Fordismus. Welche meinst du? Doch nicht etwa die Gewerkschaften?
Die Standardantwort waere dass die Revolte von 68ff. nichts anderes war als
eine Anti-Fordistische Rebellion. Der Gewerkschaftsapparat, der als solcher
natuerlich ein klassisch fordistischer Akteur ist, beherbergte seit den
70ern wichtige Anti-Fordistische Stroemungen. Das gilt v.a. fuer die linke
Gewerkschaftsopposition, die auch heute noch in Nischen arbeitet (und das
gilt fuer Verdis Onlineredaktion?). Spezifischer wird der Zusammenhang
zwischen Anti-Taylorismus und fruehem Hackertum von (dem Norweger) Gisle
Hannemyr sehr schoen herausgearbeitet (
http://fringe.davesource.com/Fringe/Hacking/Philosophy/Hacking_Is_Constructive.html
).
Allgemeiner: Mir hat immer ein Fordismusbegriff a la Lipietz eingeleuchtet,
der Fordismus und Post-Fordismus nicht als zwei saeuberlich getrennte
Phasen versteht, sondern gerade analysiert, wie fordistische Normen,
Strukturen und Akteure den Fordismus ueber sich hinaustreiben. Das enthaelt
zudem den Abschied von Oekonomismen, die die Krise des Fordismus (nur) als
oekonomische (Akkumulations-) Krise versteht, sondern als Krise einer
"Regulationsweise", die zumindest den Staat und saemtliche Ideologischen
Staatsapparate miteinbezieht.
> Ein paar Varianten suchen Reserven in
> der Entfaltung von Produktivitaetsressourcen bei den Arbeitenden
> selbst, wenn es sein muss ueber das Versprechen der
> Selbstentfaltung (gerne hier auf der Liste diskutiert). FS
> Entwicklung als Produktions-Konsumptions-Modell verspricht
> beides und ist insofern anschlussfaehig.
Und deswegen in der Tat für das Kapital interessant. Aber du nennst es ja
selbst vorsichtig "Versprechen". Derzeit scheint es eher einen Rollback zu
geben. Von der Re-Taylorisierung ist die Rede. Die Gruppen der
Gruppenarbeit werden aufgelöst oder umgewandelt (z.B. statt Wahl durch die
Gruppe, Einsetzen von Gruppenleitern von oben - so bei Opel).
Rein logisch gibts zwei Wege aus dem Fordismus. Entweder ein neues im Grad
der Reichweite vergleichbares Regime tritt nach einem Interim des
Rumprobierens an seine Stelle, wird also hegemonial. Oder es ist gerade das
Kuddelmuddel der Interimsloesungen, das bestimmend wird. Das waere dann die
Gleichzeitigkeit von Taylorismus und seinen vermeintlichen Nachfolgern und
werweisswasnochalles. Ich schaetze eher Flexibilitaet und
Ausdifferenzierung sind das Gebot der Stunde.
Wie sieht das in Skandinavien aus, bekommst du da was mit?
Norwegen hat kaum klassische Industrie, die Unternehmen mit ueber hundert
ArbeiterInnen lassen sich an zwei Haenden aufzaehlen. In die habe ich aber
auch leider keinen so rechten Einblick.
> Das Buendnis mit beiden Fraktionen macht einen Teil des
> relativen Erfolgs der FS Bewegung und der einzelnen Projekte
> aus. In Laendern, in denen beide anti-fordistischen
> Oppositions-Fraktionen relativ stark sind, wuerde ich demnach
> groessere politisch-oekonomische Ressourcen fuer FS vermuten,
> mithin eine hohe Beteiligung an der Bewegung. Soweit ich das
> sehe, trifft das fuer die USA, Deutschland und Skandinavien in
> hohem Mass zu.
Warum aber nicht für Italien, Frankreich und Spanien? Sie diese Länder
soviel "fordistischer" strukturiert?
Die Frage ist m.E. nicht ob sie (noch immer) fordistischer strukturiert
sind, sondern vielmehr ob die beiden anti-fordistischen Fraktionen, die
ich als anschlussfaehig zu FS beschrieben habe, dort ebenso stark sind wie
in den anderen Laendern. Weiters muesste viel genauer beschrieben werden,
wie denn nun diese Fraktionen konkret mit FS zusammenhaengen.
Dafuer braeuchte es eine richtig schoene vergleichende Studie - ab 1.1.2003
bin ich dabei.
Med vennligst hilsen
Thomas
--
Thomas Berker, EMTEL II Postdoc research scholar
Dep. of interdisciplinary studies of culture
Centre for technology and society
Norwegian University of Science and Technology
7491 Trondheim, Norway
EMTEL II: http://www.emtel2.org/
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