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Re: [ox] Schenken?



Hi Hans-Gert und Listige,

ist echt ne Spezialdiskussion, aber auf Oekonux hat auch sowas ja seine
Fans;-)

Hans-Gert Graebe wrote:
>>Auch wenn es nerven sollte: Produktionsweise (oder umfassender:
>>Vergesellschaftungsform) ist ein gesellschafts- und kein
>>individualtheoretischer Begriff. Wenn ich den auf das unmittelbare
>>Tun der Leute "runterbreche", dann liege ich von vornherein
>>schief. Dann ist nämlich auch "abstrakt-entfremdet" als
>>Chakteristikum der warenförmigen Produktionsweise nicht mehr
>>begreifbar: schliesslich arbeiten die Leute doch da persönlich und
>>ganz konkret miteinander, oder? - Also, das führt in die Irre.
>>
>>Bei gesellschaftstheoretischen Begriffen guckt man immer nur auf die
>>gesellschaftlichen-durchschnittlichen Resultate, nicht auf den
>>konkreten Einzelnen. Bei individualtheoretischen Begriffen guckt man
>>auf eben diese Einzelne; idealerweise sollten es aber
>>"Vermittlungsbegriffe" sein, das heisst auf den Einzelnen in seinem
>>gesellschaftlichen Vermittlungskontext zu gucken - und nicht auf den
>>Einzelnen als scheinhaft isoliertes Wesen.
>
> In einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft ist eine solch
> vereinfachende Dichotomie mE nicht mehr angemessen, denn zwischen
> Einzelnem und Gesellschaft gibt es eine Vielzahl von Zwischenebenen.

Ich habe oben erkenntnistheoretisch argumentiert, nicht
gegenstandsbezogen. Natürlich ist die Welt bunt und alles wunderbar
vielfältig und differenziert. Die Frage ist aber - egal, ob ich mir die
explizit stelle oder nicht - welchen erkennenden Zugriff ich auf diese
Buntheit nehme. Es gibt nicht gar keinen Zugriff, es gibt nicht gar
keine Reduktion: Erkennen bedeuten immer Wesentliches von Unwesentlichem
zu unterscheiden. Die ganze Totalität kann ich nicht ins Bewusstsein
heben - schon deswegen nicht, weil das ich als Erkennender Teil des zu
Erkennenden bin.

Mein erkenntnistheoretischer Vorschlag ist nun wie oben beschrieben. Das
ist ja gerade eine Möglichkeit, Dichotomien (auf der Seite des zu
erkennenden Gegenstands) zu vermeiden. Und Dichotomien sind sind nur
eine Form der irreführenden Komplexitätsreduktion im Denken, es gibt
massig viele andere Varianten. Dem entkomme ich IMHO nur, wenn meine
Erkenntnismittel, die Begriffe, gegenstandsangemessen sind. Das führt zu
der Forderung, das die Begriffe Teil der Wissenschaft sein müssen. Das
sind sie in der Regel nicht, der ungenügende Ersatz ist die Definition.

> Z.B. die Einbettung einzelner Programmierer in Softwareprojekte, die
> Einbettung von Software-Projekten in die Software-Szene etc.  Jedesmal
> wird in einen solchen übergeordneten Zusammenhang aber nur je ein Teil
> eingebracht, denn Softwareprogrammierer sind ja nebenbei auch
> Menschen, Studenten, Familienväter, Oekonuxies etc. (insbesondere bei
> FS, wo sie ja nur durchschnittlich 10 h pro Woche dran sitzen),
> Software-Projekte sind nicht nur als Teil der Softwareszene
> interessant, sondern vielleicht auch betriebswirtschaftlich (wenn in
> einer Softwarebude erstellt) usw.  Insofern finden
> "Durchschnittsbildungen" in den verschiedensten Richtungen statt, und
> zwar Durchschnitte von Projektionen (!), also nur von den Teilen der
> Prozesse, die nicht ausgeblendet werden.  So viele "unsichtbare Hände"

Diese Durchschnitte spielen sich auf der Ebene der personalen
Kooperationen ab. Davon zu unterscheiden ist aber die
gesamtgesellschaftliche Kooperation - siehe das Dschungelpaper. Das geht
nicht ineinander auf, das eine ist nicht ein Teil des Anderen.

> Gerade um eine solche genauere Sicht auf die Dinge muss es mE auch
> gehen, wenn über Spehrs Freie Kooperationen weiter nachgedacht wird.
> Petra hat es neulich hier noch drastischer formuliert.

Da bin ich nicht sicher, ob du Petra hier als Zeugin anführen kannst.

>>Bei "abstrakt-entfremdet" vs. "personal-konkret" geht es um die Frage,
>>wie sich der gesellschaftliche Zusammenhang herstellt: Ist er Resultat
>>eines abstrakten Verwertungsprozesses oder ist er Resultat des
>>konkreten Tuns der Menschen?
>
> Lasse ich hier das (Reiz- und Vernebelungs)-Wort "Verwertung" weg,
> dann kann ich nur feststellen, das *jegliche* menschliche Tätigkeit
> *beide* Komponenten enthält, sowohl die personal-konkrete als auch die
> "abstrakt-entfremdete" - ich sage mal genauer: die kulturell geprägte
> - denn der Mensch ist ein Gesellschaftswesen und erst das macht ihn
> zum Menschen.  Ich halte es deshalb für unproduktiv, dieses
> Begriffspaar als Gegensatz im Sinne einer Alternative zu sehen,
> sondern nur als Gegensatz im Sinne von "zwei Seiten einer Medaille".

Das sehe ich komplett anders. Du machst damit aus Qualitäten Quantitäten
und ausserdem vermischt du IMHO zwei Dinge: Die Tatsache, das der Mensch
unbestritten ein Gesellschaftswesen ist, hat noch nichts damit zu tun,
wie er das ist, also wie er sein Leben produziert. Die
Gesellschaftlichkeit kommt ihm sui generis zu. Nicht erst die Kultur
macht ihn zum Menschen, sondern die Kultur ist Ausdruck seines Menschseins.

In der "Kultur" liegt nun aber nicht das "Abstrakt-entfremdete".
Vielleicht meinst du ja hier die Tatsache, dass sich Gesellschaft stets
eigenlogisch, also von konkreten Einzelnen (hinter unserem Rücken oder
vor unseren Augen) reproduziert. Das ist dann ein Missverständnis. Das
meint nämlich die Tatsache, _dass_ sich der gesellschaftliche
Zusammenhang herstellt. _Wie_ er es aber tut ist historisches
Spezifikum. Die "abstrakt-entfremdete" Form ist eine davon, nämlich die
derzeit vorherrschende.

Was hiesse nun "zwei Seiten einer Medaille"? Die Gesellschaft
reproduziere sich auch "personal-konkret". Da ist irgendwie was dran,
schliesslich sind es konkrete Menschen, die sich das verabreden und
herrschen. Das veranlasste ja die Arbeitsbewegung zu meinen, man müsse
die Macht erringen. Aber sobald sie die hatte (im Realsoz), war sie
genauso gekniffen und müssen erfahren, was Dominanz der Herrschaft eines
abstrakten Prinzips bedeutete. Das Medaillienbild haut also nicht hin,
es ist einfach nicht möglich, durch bloßes Wollen der abstrakten
Herrschaft eine andere Logik zu geben. Das "Personal-konkrete" zählt
nur insofern als es die Logik des Abstrakt-Äußeren exekutiert.

Zugespitzt bedeutet es, dass in der Tat auf dem Wege des "gegen" die
Logik Kämpfens immer nur ein gegen die Auswirkungen der Logik Kämpfen
bleibt. Bleiben muss. IMHO ist das Besondere an der Freien Software,
dass sie sich um die alte Logik nicht schert, sondern eine neue Logik
etabliert. Also nicht auf die "andere Seite" der Medaille setzen,
sondern alle Medaillen links liegen lassen und einem Prinzip zur Geltung
verhelfen, dass keine Medaillen mehr kennt - whow, was für ein Bild;-)

> Wenn die Arbeitsbedingungen in FS-Projekten individuell als deutlich
> besser wahrgenommen werden als in "Software-Buden", wie von Stefan Mn
> geschildert, dann muss das etwas mit stärkerer Köhärenz der beiden
> Medaillenseiten zu tun haben, oder - mit Holzkamp - mit stärkerer
> Kohärenz von Partikular- und Allgemeininteressen. Und zwar
> "Allgemein"interessen vielleicht erst einmal auf der Ebene der
> Softwareszene und nicht gleich mit Blick auf die ganze Gesellschaft,
> denn zwischen beiden gibt es auch eine Menge Reibungspunkte. ZB die
> Frage der Softwarepatente.

Es hat IMHO mit objektiv größeren Handlungsmöglichkeiten zu tun, weil
abstrakte Aussenzwänge aus der Verwertungssphäre einfach weitgehend
draussen bleiben und sich die personalen Eigenlogiken - Selbstentfaltung
- tendenziell durchsetzen können.

Partial- und Allgemeininteressen bekommst du nie in eine Kohärenz:
entweder strukturell auf Kosten Anderer oder Entfaltung aller im
allgemeinen Interesse. Selbstverwertung und Selbstentfaltung sind ein
antagonistischer Widerspruch.

Ciao,
Stefan

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