[ox] Re: [ox] Re: [ox] Re: [ox] Die Finsternis der "Aufklärung"
- From: Benni Baermann <benni obda.de>
- Date: Wed, 6 Mar 2002 00:05:05 +0100
Hallo Petra und Mitleser,
Vorne weg: Ein grosses Danke für diese Mail. Ich glaube ich versteh so
langsam erst worum es Dir, Kurz u.a mit der allgemeinen
Aufklärungsgegnerschaft geht.
On Tue, Mar 05, 2002 at 05:20:50PM -0500, RAUNHAAR aol.com wrote:
<< Dennoch möchte ich doch die Aufklärung nicht gänzlich verdammen. Sie
hat nämlich den Individualisierungsprozess, der mit der Neuzeit begann
vollendet, bis hin zu Menschenrechten, Demokratie et al. Das alles ist
nicht genug und es ist auch zum Teil kontraproduktiv, aber es ist und
bleibt trotz allen Wahnsinns doch die Basis ohne die wir heute sowas
wie "Selbstentfaltung" oder "Emanzipation" nicht mal denken könnten.
Kurz und die Krisis schiessen in diesem Punkt immer deutlich übers
Ziel hinaus IMHO.
>>
Also sprach Adorno! Kann schon sein, daß "Selbstentfaltung" i.S. von der
"einen Essenz", die als strukturierendes Prinzip sich dann wieder nur in
vielerlei "Erscheinungsformen" manifestieren wird ohne diese
universal-abstrakte (vulgo: philosophische) Denke nicht möglich ist. Insofern
soll ja nach Eurem Entwurf nur eine Totalität (durch den Wert strukturiert)
Mich würde es mal interessieren, wen Du genau da mit "Euer" meinst.
durch eine andere (durch "Selbstenfaltung" strukturiert) ersetzt werden.
"Emanzipation" ist aber m.E. nur durch das Überwinden dieser Denk- und
Handlungsform (samt Subjektform), eben einer sie strukturierenden "Essenz"
möglich.
Hm. damit hab ich enorme Probleme. Wer bin ich irgendwem zu sagen, wie
Emanzipation möglich sei und wie nicht? Siehe dazu vielleicht die
"Thesen über Befreiung"
(http://co-forum.de/index.php4?Einige%20Thesen%20%DCber%20Befreiung).
Und: Ist das nicht genau das selbe, was Du "uns" vorwirfst? Nämlich
ein System für alles zu entwerfen? Da ist es dann halt nicht mehr die
"Vermittlungsform" die universalisiert wird, sondern die Überwindung
einer Denk- und Handlungsform, die man erstmal schaffen muss, bevor
man überhaupt mitreden darf.
Daß eine Gesellschaft eine Essenz haben muß/soll versteht sich ja
nicht aus sich selbst. Vorstellbar wäre auch eine Gesellschaft in der es
keinen Unterschied gibt zwischen dem was ist und wie dies in "Erscheinung"
tritt. Dann gäbe es auch keine abstrakte Herrschaft samt entsprechender
Regulationsmechanismen (z.B. sogenannte "Demokratie"). Solange frau/man aber
mit den Denkformen im ewig nämlichen verbleibt und diese dann ausgerechnet
noch als Fortschritt abfeiert, kann es dann leicht passieren, daß man R. Kurz
"nur noch im Rückspiegel zu sehen" vermeint (bezieht sich auf eine Mail von
Stefan Mn. vom gestrigen Tage, der sich ihm ja bereits Meilen voraus wähnt)
Ja, das fand ich auch nicht doll. Aber zum Glück hat er ja uns, sonst
wär er schon völlig abgehoben ;-)
und gar nicht merkt, daß man nur in die verkehrte/entgegengesetzte Richtung
fährt.
Das widerum, seh ich so nicht zwingend.
Um den Einwänden aus dem "Fetish-thread" gleich zuvorzukommen, möchte
ich anmerken, daß dies nicht heißen soll, daß *keine* Vermittlung geben kann
oder darf und ich etwa das unmittelbare Aufgehen des Einzelnen in der
gesellschaftlichen Formation propagiere. Es geht mir um die Aufhebung der
Totalität, was bedeutet, daß es eine Universalität geben kann in welcher
Mensch- und situtationsbezogen qualitativ unterschiedliche Vermittlungsformen
existieren von denen die Gesellschaftsmitglieder (und auch die ohne
entsprechendes anatomisches Merkmal) auch wissen, daß sie menschengemacht
sind.
Ja, genau darum geht es. Dazu müssen sich aber die
"Gesellschaftsmitglieder" doch zu allererst ihrer Individualität
bewusst werden. Ich schreibe bewusst nicht "Subjekt", weil das
vielleicht nochmal was anderes ist. In vormodernen Zeiten war das
schlicht nicht möglich. Die Leute waren mehr oder weniger identisch
mit ihrer sozialen Rolle. Wie kann man situationsbezogen qualitativ
unterschiedliche Vermittlungsformen finden, wenn man sich nur als
Gruppenzugehöriger versteht?
Den insoweit z.B. Horst aber auch mir gemachten Vorwurf wir verfolgten
eine Art Primitivmaterialismus muß ich insoweit mit dem Vermerk "return to
sender" versehen. Aus meiner Sicht bezieht sich der Marxsche "Materialismus"
nicht auf die schnöde Produktion (also Mensch ringt der Natur sein Leben ab),
sondern, im Rahmen seiner Metakritik am Hegelschen Begriff, auf die
gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander (was dann
selbstverständlich auch für die Art und Sichtweise der Beziehung mit der
"Natur" Folgen zeitigt, und umgekehrt) Der Idealismus ad ultimo (Hegels Geist
), der irgendwie vom Himmel oder sonstwo herkommend die gesellschaftlichen
Beziehungen strukturieren soll und "weiterentwicklickelt" wird dechiffriert
als durch gesellschaftliches Handeln und dadurch bestimmte Denkformen
hergestellte "Realität".
Hm. Den Zusammenhang mit der Materialismusfrage versteh ich grad
überhaupt nicht. Ich hab allerdings auch den Kontext nicht mehr
präsent, wo das euch jemand (ich?) vorgeworfen haben soll. Ich kann
mich nur dran errinnern, das mal den Stefans (oder auch nur einem von
beiden) "vorgeworfen" zu haben ;-)
Emanzipation wäre dann nicht die "Einheit in ihrer
vielfältigen Erscheinung" sondern ein durch Vielfalt entstehendes Universum
(bitte jetzt nicht ausschließlich astro-physikalisch verstehen). Eine solche
Emanzipation ist aber mit bürgerlicher bzw. "aufklärerischer" Subjektivität
samt ihrer sakralen Transfiguration des "Selbst" und des "Individuums" nicht
machbar.
Was genau meinst Du denn mit Transfiguration in diesem Zusammenhang?
Ansonsten bin ich da ganz Deiner Meinung, dass es mit aufklärerischer
Subjektivität nicht geht, aber das Neue, was wir suchen, braucht eben
diese Aufklärerische Subjektivität als Basis. Das ist ja auch gut so,
weil wir eh nicht ohne sie sein können. Das ist doch viel zu tief
drinnen. Verallgemeinert (ich weiss, das ist böse ;-) ist das der
Gedanke, dass man irgend was im Alten braucht, worauf man aufbauen
kann. Keimform eben. Als Nachfrage: Glaubst Du da garnicht dran, dass
es sowas geben kann?
Andererseits ist das auch die logische Konsequenz eines Versuchs die
Frankfurter Schule noch auf die Spitze zu treiben. Dort umweht einen
ja schon überall Aussichtslosigkeit. Wie soll das erst werden, wenn
man an der Aufklärung kein gutes Haar mehr lässt?
<<Zeig mir eine nicht herrschaftskompatible Philosophie aus
Vor-Aufklärungszeiten. Und selbst danach sind die meisten sehr
fragwürdig in diesem Punkt inklusive Marx und Folgende.>>
Wir können nur das finden, wonach wir suchen. Philosphie und ihre Sprache ist
historisch an abstrakt-universelle Denkformen gekoppelt bzw. durch diese
hervorgebracht, wobei letzteres wiederum auf gesellschaftlichem Handeln
basiert. Wie Roswitha Scholz ganz richtig an- und ausführt, gibt es für
hiervon nicht erfaßbare Bereiche (Empathie, Sinnlichkeit, Zärtlichkeit, Wut,
Haß, Sorge, Fürsorge, alltägliche "Konsumption" etc. etc.) keine
"Philosophiesprache", also keine abstrakten Formbestimmungen. Als dies ist ja
gerade formlos, amorph, irgendwie (igitt, igitt) "natürlich" und muß
"gebändigt und geformt werden". Der im "Proporz-Thread" gemachte Hinweis auf
z.B. die Hexenverfolgung in der Neuzeit (in der Schweiz brannte die letzte
Hexe 1838) dürfte z.B. ein Hinweis auf die Umgehensweise mit empanzipativen
Ansätzen sein, was ich jetzt bitte nicht als auf die sogenannte
"Frauenemanzipation" bezogen oder reduziert verstanden wissen möchte.
Das ist glaub ich so ziemlich das, was ich mit meinem zugegeben etwas
provokativen Satz oben aussagen wollte - allerdings ohne es so genau
zu wissen. Danke für die Explizierung :-)
Nur kam das ganze ja zustande, weil der Aufklärung vorgeworfen wurde,
herrschaftskompatibles Denken zu fördern. Meinst Du mit obigem also,
dass jedes abstrakte Denken immer schon herrschaftskompatibel ist?
Dann sollten wir hier vielleicht einpacken und ... ja, was tun?
Irgendwelche Ideen? Uns die Aufklärung aus den Köpfen raushauen?
Vielleicht religiös werden oder meditieren? Das sind jetzt durchaus
ernstgemeinte Fragen, weil ich einfach wissen will, was daraus folgt.
Grüße, Benni
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