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[ox] Re: Knappheit von Zeit




Hi Stefan,

was die flames gegen Benni sollten, habe ich nicht verstanden. Aber
zum Thema 
Ich verstehe Robert so, dass auch beim
Software-*entwickeln* eine Ressource knapp ist: Zeit.
...
Ich versuch's mal: Zeit ist begrenzt - ganz ohne Zweifel. Ob sie knapp
ist, ist aber eine andere Frage. Knapp ist sie dann, wenn sie den
Bedürfnissen nicht genügt. Das kann passieren, wenn entweder die Zeit
künstlich verknappt wird, oder wenn die Bedürfnisse zu groß sind.

Letzteres spüre ich z.B. bei mir: Ich würde gerne noch viel mehr Dinge
machen, als ich schon tue - aber für alles habe ich einfach nicht
genug Zeit und die beste Effektivierung stößt an ihre Grenzen. 

Das halte ich für eine Wesensart des Menschen schlechthin.  Es sind
dann Prioritäten zu setzen.

Dies ist aber nichtsdestotrotz etwas, was ich in der Hand habe. Ich
könnte mich auch entscheiden, weniger zu wollen und dann würde mir
die Zeit genügen. Hier sorge ich also selbst für Knappheit von Zeit
- das ist quasi Ausfluß meiner Selbstentfaltung und somit wohl kaum
zu kritisieren.

Dabei sind sich aber hoffentlich dein Ich und ÜberIch ständig in der
Wolle.  Lies mal Freud oder am besten gleich Wilhelm Reich zu dem
Thema.  Selbstentfaltung in diesem Sinne ist immer ein
_gesellschaftliches Verhältnis_ (im Sinne meiner Emanzipationsthese
4), und äußerer und verinnerlichter Druck nur zwei Seiten einer
Medaille.  Übergang zu intrinsischen Motivationsformen, was du hier
gern als "Selbstentfaltung" verkaufst, ist ein sehr wichtiges Moment
der Modernisierung von Gesellschaft, hat aber nur sehr beschränkt
damit zu tun, dass es Mechanismen braucht, die gesamtgesellschaftlich
(!) knappe Zeit auf eine gesamtgesellschaftlich (!) rationale Weise
auszugeben.  Wobei heute das prospektive Element einer solchen
Rationalität deutlich zugenommen hat, denn wenn du erst loslegst, wenn
du merkst, dass etwas schief läuft, dann ist es (meist) schon arg
spät.   Es geht darum, sich auf die Multioptionalität von Zukunft
vorzubereiten, d.h. heute vorrangig die Dinge zu machen, die morgen
wichtig sein könnten.  Und zwar nicht nur auf der individuellen Ebene,
die du ja mit deiner "Selbstentfaltung" vielleicht noch anpeilst.

Das geht übrigens nicht mit Marktwirtschaft (wie wir heute bereits
aller Orten bemerken, wenn es um die Allmende geht). Insofern ist FS
ein wichtiger Ansatz.  Aber für mich liegt der in der speziellen
Kooperationsform, nicht (so sehr) im Selbstentfaltungsansatz.

Die angeführte künstliche - oder besser vielleicht: äußerliche -
Verknappung von Zeit kenne ich natürlich auch. 

Das Wie (der Zeitverknappung) ist schon die nächste Frage, auf die ich
hier nicht eingehe.

So gesehen würde ich die Frage stellen, ob unter
Selbstentfaltungsbedingungen, die wir uns in der Frei-Zeit ansatzweise
schaffen können, es überhaupt noch Sinn macht, von knapper Zeit als
Problem zu sprechen. Immerhin steht es ja allen frei, sich da auch
anders zu verhalten.

Aber das Klo möchte trotzdem geputzt (oder - wie im Utopischen Klo -
der Denkschmalz in andere Lösungen investiert) werden.  Nee, so billig
geht das nicht über den Tisch.

Es geht IMHO nicht um die Regulation eines wie auch immer gearteten
Tausches (auch nicht von Zeit), sondern um "kooperative Zusammenarbeit
kreativer Produzenten", d.h. eine Regulationsform, die in der Lage
ist, Kohärenz zwischen den verschiedenen Zeitregimes (auch) jenseits
der engen Rahmen des Marktes (der eine solche Kohärenz vermittelt!)
herzustellen.  Wobei über die Genese und Dynamik dieser Zeitregimes
noch einmal gesondert nachzudenken wäre.

Je länger ich drüber nachdenke, desto zentraler erscheint mir diese
Zeitproblematik.  Mal sehen, was sie am 20.4. dazu in Dresden sagen.

-- 
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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