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Re: [ox] Re: Knappheit von Zeit



Hi Benni, Hans-Gert, StefanMz, alle!

Ich sammele mal noch ein paar Schnipsel aus diesem Thread auf.

2 weeks (20 days) ago Hans-Gert Graebe wrote:
On Thu, Mar 14, 2002 at 12:27:33PM [PHONE NUMBER REMOVED], Hans-Gert Graebe wrote:
Letzteres spüre ich z.B. bei mir: Ich würde gerne noch viel mehr Dinge
machen, als ich schon tue - aber für alles habe ich einfach nicht
genug Zeit und die beste Effektivierung stößt an ihre Grenzen.

Das halte ich für eine Wesensart des Menschen schlechthin.  Es sind
dann Prioritäten zu setzen.

Definitiv nein, oder ich bin kein Mensch :-)

Nun, dein Credo "Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich" ist doch nur
eine andere Art zu sagen "aber für alles habe ich einfach nicht genug
Zeit".  Und wenn du mit dem Ergebnis deiner (ich schiebe gleich ein:
ex- und intrinsisch motivierten!) Entscheidungen dabei *immer*
zufrieden bist, dann gehörst du zu den wirklich glücklichen Menschen.
Obwohl das natürlich ein anzustrebender Zustand ist.

Hier möchte ich nochmal drauf hinweisen, daß auch der Begriff der Zeit
alles andere als überhistorisch ist. Im antiken Griechisch gibt es
wohl mehrere Worte für Zeit, die auch sehr Unterschiedliches
bezeichnen. Was wir heute für das (allein) Gültige halten, haben die
antiken Griechen wohl als Chronos bezeichnet - die meßbare Zeit. Klar,
daß die im Kapitalismus die Wichtigste wird.

Daß für Menschen Zeit aber durchaus anders vergeht als für ein
zerfallendes Atomteilchen - Menschen kann die Zeit z.B. lang werden
oder zu schnell vorbei gehen - das hat wohl die feministische
Theoriebildung aufgegriffen. Aber ich weiß da nichts Näheres. Spannend
finde ich es aber allemal. Ich würde auf jeden Fall dafür plädieren,
dies zumindest im Hinterkopf zu halten.

Spannend übrigens auch, wie sowohl Benni als auch Hans-Gert sich auf
das *Tun* während der Zeit beziehen. Eine Sichtweise, die das *Leben*
/ Sein schlechthin, jedenfalls nicht das Tun während Zeit beleuchtet,
ist wohl reichlich verschüttet. Kann es sein, daß das der Inhalt von
Muße ist?

Selbstentfaltung in diesem Sinne ist immer ein _gesellschaftliches
Verhältnis_ (im Sinne meiner Emanzipationsthese 4), und äußerer
und verinnerlichter Druck nur zwei Seiten einer Medaille.
Übergang zu intrinsischen Motivationsformen, was du hier gern als
"Selbstentfaltung" verkaufst, ist ein sehr wichtiges Moment der
Modernisierung von Gesellschaft, hat aber nur sehr beschränkt
damit zu tun, dass es Mechanismen braucht, die
gesamtgesellschaftlich (!) knappe Zeit auf eine
gesamtgesellschaftlich (!) rationale Weise auszugeben.

Also sowas ähnliches hatte ich ja andernmails schon geschrieben. Du
gehst davon aus, dass es "gesamtgesellschaftliche" Bedürfnisse gibt,
die zwar alle haben aber niemand konkret. Was soll das sein?

Mich würde auch mal Stefan Mz. Meinung zu diesem Thema interessieren,
da da ja eine gewisse Parallele vorliegt zu seiner These, dass es eine
Ebene gesellschaftlicher Kooperation gibt, die von personaler
Kooperation nochmal getrennt sei. Das hängt irgendwie zusammen ohne
dass es identisch wäre, aber wie ist mir grad nicht klar.

Das ist so ähnlich wie mit den Elementarteilchen und Molekülen.  Zwar
sind Moleküle (nur) aus Elementarteilchen aufgebaut, aber trotzdem ist
Physik und Chemie was *sehr* unterschiedliches. Genauso bestehen
"gesamtgesellschaftliche" Bedürfnisse (das Wort habe ich übrigens
vermieden, die "gesamtgesellschaftlich rationale Weise" kann man auch
rein operational verstehen) aus individuellen Bedürfnissen, die sich
in gewissen Kohärenzstrukturen zueinander befinden.

Hier verstehe ich einfach nicht, wo für dich da der Bruch ist. Warum
kann ich nicht auch ein individuelles Bedürfnis...

Wobei Bedürfnisse
(z.B. was gegen das Ozonloch zu tun) auf individueller und
gesellschaftlicher Ebene vollkommen andere Stellenwerte (und
Handlungsoptionen) haben.

... - z.B. auch in zehn Jahren noch ein erträgliches Hautkrebsrisiko
zu haben - gesellschaftlich sehen? Oder eine überindividuelle
Lösungsstrategie anstreben?

Wenn du von "gesamtgesellschaftlich" schreibst, dann habe ich immer
das Gefühl eines äußeren Dritten, der quasi von draußen die
Gesamtgesellschaft betrachtet - und den kann ich mir unter
Emanzipationsbedingungen einfach nicht vorstellen. Vielleicht verstehe
ich das ja auch nur nicht.

Wobei heute das prospektive Element einer solchen
Rationalität deutlich zugenommen hat, denn wenn du erst loslegst, wenn
du merkst, dass etwas schief läuft, dann ist es (meist) schon arg
spät.   Es geht darum, sich auf die Multioptionalität von Zukunft
vorzubereiten, d.h. heute vorrangig die Dinge zu machen, die morgen
wichtig sein könnten.

Das wissen wir ja aber aufgrund von Theorien. Wenn jemand also
aufgrund seines fortgeschrittenen Verständnisses einer Theorie zu dem
Schluss kommt, dass es Handlungsbedarf gibt, den er alleine nicht
bewältigen kann, dann wird er wohl nicht drumrumkommen, die Theorie
anderen zu verklickern, damit sie seine Bedürfnisse nachvollziehen
können. Sollte das misslingen, ist die Chance, das an der Theorie
nicht allzuviel dran ist, auch nicht gerade klein. Trotzdem kann es
natürlich vorkommen, dass Kassandra recht hat und ihr trotzdem niemand
glaubt. Das ist dann tragisch aber vielleicht auch einfach nicht zu
ändern (und genau deswegen tragisch).

Um genau diese Dynamik der Herstellung von Kohärenz geht es mir, wenn
ich von "gesamtgesellschaftlich rationaler Weise" schreibe.

Aber auch hier brauchst du Individuen als TrägerInnen. Warum kann das
nicht über Individuen gehen?

Da sollte
doch heute, angesichts der technischen Möglichkeiten weltweiter
Vernetzung, mehr  drin sein als dass sich so was nur "hinter dem
Rücken" einpegelt.

Das "hinter dem Rücken" hat StefanMz mal sehr gut erklärt. Wenn ich
mich recht erinnere, findet Gesellschaft *immer* hinter dem Rücken
statt - per definitionem. Wie, welche und wieviele Absprachen erfolgen
ist aber eine ganz andere Frage.

3 weeks (21 days) ago Hans-Gert Graebe wrote:
Hi Stefan,
So gesehen würde ich die Frage stellen, ob unter
Selbstentfaltungsbedingungen, die wir uns in der Frei-Zeit ansatzweise
schaffen können, es überhaupt noch Sinn macht, von knapper Zeit als
Problem zu sprechen. Immerhin steht es ja allen frei, sich da auch
anders zu verhalten.

Aber das Klo möchte trotzdem geputzt (oder - wie im Utopischen Klo -
der Denkschmalz in andere Lösungen investiert) werden.

Na, also das Klo hat kein Bedürfnis. Und das Bedürfnis nach einem
sauberen Klo ist individuell ziemlich verschieden - genau wie die
Lösungsmöglichkeiten.

Nee, so billig
geht das nicht über den Tisch.

Nun, ich bin da nicht so sicher. In deiner Sprechweise läge doch hier
eine intrinsische Motivation zum Kloputzen vor. Das die nicht allen
Spaß macht, mag ja sein, aber m.E. gilt:

	Selbstentfaltung != Spaß

Mittlerweile würde ich sogar den Begriff der Entfremdung als
Gegenbegriff zur Selbstentfaltung setzen. Uhh, Entfremdung ist mein
momentanes Steckenpferd ;-) .

Last week (12 days ago) Hans-Gert Graebe wrote:
Für mich ist die
Frage, ob es in Zukunft auch deshalb weniger (im hier thematisierten
Sinne) erzwungene Handlungen gibt, weil es weniger erzwingbare
Handlungen geben wird (Stichwort Kreativität).

Das habe ich nochmal rauszitiert, weil ich das für eine Kernüberlegung
halte. Genau das ist m.E. der Punkt, wo die Produktivkraftentwicklung
über die Produktionsverhältnisse hinauszuwachsen beginnt, und was in
Freier Software (am deutlichsten) sichtbar wird.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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