[ox] Re: Entfremdung und Fetisch
- From: Benni Baermann <benni obda.de>
- Date: Thu, 16 May 2002 13:11:11 +0200
Hallo Stefans u.a. Entfremdete,
On Thu, May 16, 2002 at 11:16:20AM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
Warum läßt sich z.B. das Handeln aufgrund eines religiösen Fetischs
nicht als Entfremdung fassen? Ich meine, da geht es doch auch um eine
Zielsetzung, die genauso außerhalb des Individuums liegt wie die
Verwertungslogik - oder?
IMHO ist der Unterschied, dass die "externe Zielsetzung" - die Erlösung im
Jenseits oder sonstwas - selbst gewählt wurde. Es gab immer auch etliche,
die sie nicht gewählt hatten, oder andere Teleologien verfolgen. Diese
Wahl mit der Option des Entzugs hat niemand in der Verwertungslogik, dem
Wertfetisch kann sich keiner entziehen - selbst, wenn ich mir noch einen
anderen zulege (Blutsbande oder sonst was).
[ Nach meinem Eindruck ahnst du den Unterschied auch selbst, als du in
http://www.oekonux.de/liste/archive/msg04865.html zum Subject
"Bedingungen für Selbstentfaltung?" schreibst: "Hier helfen uns
vielleicht sogar Referenzen auf vormoderne Lebensweisen, da in diesen die
Entfremdung mir weniger drin gewesen zusein scheint - na ja, sag' ich mal
so ;-) ." ]
Zugespitzt: Während die Menschen in der Vormoderne ihre (durchaus
unterschiedlichen) Teleologien verfolgten, verfolgt die universale,
gleichmachende Teleologie des Werts den Menschen in der Moderne.
Einspruch. Als religiöse Vorstellungen noch hegemonial waren, konnte
sich schlicht niemand leisten andere Vorstellungen zu haben. Da war es
genauso nur theoretisch möglich daraus auszusteigen, wie es heute nur
theoretisch möglich ist als Einsiedler ohne Verwertung zu leben.
Weitergedacht heisst das nämlich, das bei - angenommen - abgeschaftem
Wertfetisch, es völlig egal ist, ob sich Menschen quasi ihren
individuellen "Hobbyfetisch" zulegen. Der kann "Teil ihrer besonderen Art
der Selbstentfaltung" sein. Mein Ding wäre das nicht - aber warum nicht
von wem anderes? Egal ist das deswegen, weil die Vergesellschaftung nicht
über einen Fetisch "gesteuert" wird, sondern durch die Menschen.
Völlig richtig, nur sind eben durchaus auch andere Fetische denkbar,
die gesellschaftlich hegemonial werden. Die Vorstellung von
"Hobbyfetischen", die sich jeder so mal eben noch dazu wählt, ist
übrigens ausgesprochen postmodern und ganz sicherlich nicht
überhistorisch gültig.
Dann kann ich dir jetzt noch sagen, dass meine Frage "Wieso 'weitergehen'
- gibt es Entfremdung jenseits der Verwertung(slogik)?" eigentlich anders
gemeint war;-)))
Nämlich formelhaft: Keine Verwertungslogik - keine Entfremdung mehr. Wieso
geht dann eine Forderung nach Abschaffung der Entfremdung "weiter"?
Entfremdung ist IMHO die Erscheinung, das Resultat, der Verwertungslogik
als gesellschaftlichem Prinzip. Dagegen ist schlecht angehen, wenn du
nicht an die "Ursache" gehst. IMHO ist deswegen "Abschaffung der
Verwertungslogik" weitergehender als die Forderung nach Überwindung der
Entfremdung.
Als Beleg dafür kann ich die Alternativbewegung anführen, die quasi
"unmittelbar" die Entfremdung überwinden wollte, aber nicht erkannte,
dass Entfremdung ein Ergebnis ein Vermittlungsprozesses - den über das
realabstrakte Dritte des Werts - ist. Und Resultate von
Vermittlungsprozessen sind nun mal nicht unmittelbar aufhebbar.
Damit hast Du sicherlich recht. Nur ist eben auch durch Abschaffung
der Verwertungslogik noch lange nicht gewärleistet, dass dann alle
Entfremdung abgeschafft wäre.
Zur besseren Durchsicht durch dieses Dickicht empfehle ich
http://www.opentheory.org/herrschaft/text.phtml
Entfremdung ist dabei die "Vogelperspektive" und Verwertungslogik der
"Röntgenblick". Wichtig ist jetzt, dass es immer "Massnahmen" gibt,
die gegen das eine wirken aber das andere ignorieren oder gar fördern.
"Abschaffung der Verwertungslogik" wäre für mich so etwas.
Wünschenswert ist es natürlich trotzdem, nur eben nicht allein
seligmachend. ...irgendwie lugt da auch schon wieder die alte
Diskussion um die "Nebenwidersprüche" hinterm Stein vor.
Grüße, Benni
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