Message 05025 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT05025 Message: 1/9 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] Freie Software im Empire



Freie Software im Empire
========================

Seit einiger Zeit sorgt ein Buch für ziemlich grosses Aufsehen,
nämlich "Empire" von Michael Hardt und Antonio Negri. Spätestens seit
dem die deutsche Übersetzung erschienen ist, gibt es auch hierzulande
einen regelrechten Hype um das Buch und inzwischen kann man auch schon
einen Gegen-Hype feststellen, weil am laufenden Band Verrisse
erscheinen. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen wiedergeben, wer
sich dazu ein Bild machen will, sollte vielleicht einfach mal mit
"Empire", "Negri" und "Hardt" googlen und wird genügend Lesestoff
finden. Alle Seitenangaben im Folgenden beziehen sich auf die deutsche
Ausgabe.

Nachdem ich das Buch tatsächlich gelesen habe (Uff!), möchte ich
einfach mal ein paar Punkte in die Runde werfen, von denen ich denke,
dass sie für unsere Diskussion interessant sein könnten um so eine
hoffentlich rege Diskussion anzustossen, explizit auch mit denen, die
das Buch _nicht_ gelesen haben. Das werden ja die meisten sein,
alleine schon, weil es fette 450 Seiten mitbringt. Deswegen auch
zuerst eine


ultrakurze Zusammenfassung
--------------------------

"Empire" ist die Beschreibung für die Weltordnung in der wir leben.
Die Macht hat kein Zentrum mehr, sie ist vielmehr überall, sie
durchzieht unser Leben als "Biomacht", die Nationalstaaten verlieren
an Bedeutung, Kriege werden zu Polizeiaktionen, es wird immateriell
und vernetzt produziert. Die Institutionen der "Disziplinargesellschaft"
(Schule, Gefängnis, Klink, ...) verlieren ihre Begrenzung und werden
über die ganze Gesellschaft ausgedehnt und daraus bildet sich die
allgegenwärtige "Kontrollgesellschaft". Das Empire kennt kein Aussen
mehr, es umfasst die ganze Welt, das ganze Leben.

Dennoch ist seine Macht nur scheinbar. Das Empire kann immer nur
reagieren auf die Aktionen der "Multitude" (Menge, Vielheit). Sie ist
es, die kreativ und produktiv ist und dadurch das Empire erst
erschafft. Das Empire ist nichts ohne die Multitude.

Da es kein Aussen mehr gibt ist jede Politik, die sich auf einen
Standpunkt ausserhalb des Empire bezieht verfehlt, statt dessen gilt
es die Multitude zu sich selbst kommen zu lassen und so das parasitäre
Empire abzuwerfen und den Kommunismus zu erreichen. Dies geschieht im
Prozess der Durchsetzung dreier Rechte, die da sind: Weltbürgerschaft,
sozialer Lohn und Wiederaneignung.

Soweit meine Extrem-Eindampfung. Im folgenden will ich auf ein paar
Aspekte näher eingehen, die für die Oekonux-Diskussion besonders
interessant sind.


Immaterielle Arbeit
-------------------

In der Postmoderne hat sich die Produktionsweise verändert, sie wird
zunehmend immateriell. Es gibt drei Typen immaterieller Arbeit:

- industrielle Arbeit

In der herkömmlichen industriellen Arbeit werden immer mehr
Tätigkeiten automatisiert, so dass ein Großteil an Tätigkeiten übrig
bleibt, der kommunikativ und abstrakt ist. Fabber bzw. Rapid
Prototyping oder auch Franz global-lokale Eigenarbeit-Netzwerke wären
ein Beispiel dafür.

- abstrakte Arbeit

Noch weiter geht die Immaterialisierung bei der abstrakten Arbeit.
Dieser Arbeitstypus ist aufs engste mit dem Computer verbunden. Arbeit
ist nur noch kommunikativ-vernetzte Symbolverarbeitung. Programmieren
fällt sicher darunter.

- affektive Arbeit

Darunter sind alle Arbeiten zu verstehen, die Gefühle oder Identitäten
produzieren. Darunter fällt Hausarbeit und Krankenpflege genauso wie
Werbung und Showbusiness.

Die Gemeinsamkeit dieser drei Typen beschreiben Hardt und Negri so:

  "In jedem dieser Typen der immateriellen Arbeit steckt die
  Kooperation bereits vollständig in der Form der Arbeit selbst.
  Immaterielle Arbeit beinhaltet unmittelbar soziale Interaktion und
  Kooperation. Der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit wird
  mit anderen Worten nicht von außen aufgezwungen oder organisiert,
  wie es in früheren Formen von Arbeit der Fall war, sondern die
  Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent. (...)
  Heute haben Produktivität, Reichtum und das Schaffen eines
  gesellschaftlichen Surplus die Form der kooperativen Interaktion
  angenommen, die sich sprachlicher, kommunikativer und affektiver
  Netzwerke bedient. Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien
  ausdrückt, stellt die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art
  des spontanen und elementaren Kommunismus bereit." (S. 305)

Die Kommunikationstechnologien - allen vorran das Internet - führen zu
einer Dezentralisierung dieser informationalisierten Produktion.
Zentralisiert wird hingegen die Kontrolle über die Prozesse in den
neuen "global citys".

  "Das neue an der neuen Informationsinfrastruktur ist die Tatsache,
  dass sie in die neuen Produktionsprozesse eingelassen und ihnen
  vollständig immanent ist. Information und Kommunikation führen die
  heutige Produktion an, und sie sind die eigentlich produzierten
  Waren; das Netzwerk selbst ist Ort der Produktion wie der
  Zirkulation." (S. 310)

Dies alles kummuliert in:

"Die Begründung des Privateigentums, dieses Begriffs der klassischen
Moderne, löst sich so in der postmodernen Produktionsweise in gewisser
Hinsicht auf." (S. 313)

Das alles sind ganz ähnliche Gedanken, wie sie im Oekonux-Projekt
entwickelt wurden. Die Formel "Freie Software = Selbstentfaltung +
Internet" bezeichnet etwas ganz ähnliches. Produktion und Distribution
fallen im Internet zusammen, aus Produzenten und Konsumenten werden
Prosumenten, Selbstentfaltung wird zur Produktivkraft,
Selbstentfaltung und Selbstverwertung stehen im Widerspruch (Vorsicht:
in "Empire" wird "Selbstverwertung" anders verwendet als bei uns, eher
in Richtung "Selbstentfaltung"), Intelectual Property Rights sind
absurde Versuche Verwertung wieder einzuführen und dies alles ist eine
Keimform für eine nicht-wertförmig organisierte Gesellschaft. Zur
netzwerkartigen Produktionsweise Freier Software hab ich ja
andernmails gerade etwas geschrieben.

Was ich aber am Ansatz der "immateriellen Arbeit" bevorzuge ist seine
größere Reichweite. Er bezeichnet eine ganze Pallette von Phänomenen
und Freie Software ist unter dieser Perspektive nur noch ein weit
fortgeschrittenes Beispiel einer umfassenderen Sicht. Besonders
deutlich wird das im Fall der "affektiven" Arbeit. Wärend wir die
beiden anderen Typen immaterieller Arbeit schon ausführlich diskutiert
haben, kam affektive Arbeit bisher bei uns kaum vor. Interessant wären
dabei zwei Fragen, nämlich einmal wo in der Produktion Freier Software
affektive Arbeit auftritt (Tux, M$-Bashing, Hackerkultur, ...) und zum
anderen, wo es im weiten Feld affektiver Arbeit Projekte gibt, die
ähnlich arbeiten wie Freie Software. Auch ein weiterer Grund, sich
Freie Musik (oder Filesharing als Vorform davon) nochmal ganz genau
anzugucken.

Wenn wir also ernsthaft an der Frage arbeiten wollen "ob die
Prinzipien der Entwicklung Freier Software eine neue Ökonomie
begründen können, die als Grundlage für eine neue Gesellschaft dienen"
kann (Siehe www.oekonux.de), ist es meiner Meinung nach angesagt nicht
nur unsere theoretische Sichtweise auf Freie Software zu versuchen zu
verallgemeinern, sondern auch umgekehrt umfassendere Sichtweisen auf
das Beispiel Freie Software zu spezialisieren. Und "Immaterielle
Arbeit" bietet da eine hervorragende theoretische Herangehensweise,
denke ich.


Wertkritik und (Post-)Operaismus
--------------------------------

Wie ich gerade gelernt habe (nicht aus "Empire", sondern von meinem
Freund Bodo) scheint es im neueren Marxismus zwei Traditionen zu
geben, eine wertkritische und eine operaistische. "Empire" ist
sozusagen die aktuellste Version der operaistischen Sicht, diese
Richtung wird meist als Postoperaismus bezeichnet, weil sie zusätzlich
Gedanken von postmodernen Philosophen benutzt. "Krisis" ist ein bei
uns bekannter Vertreter der wertkritischen Sicht. Worin unterscheiden
sich diese beiden "Schulen"?

Für die wertkritische Schule ist die treibende Kraft hinter dem
Kapitalismus das Wertgesetz. Ein abstrakter Mechanismus regiert die
Menschen. Alles ordnet sich dem Gesetz aus Geld mehr Geld zu machen
unter. Stefan Meretz nennt das immer die "kybernetische Maschine".

Ganz anders die Operaisten: Für sie ist die Geschichte immer eine
Geschichte sozialer Kämpfe. Es sind immer "die Leute", "das
Proletariat" oder eben "die Multitude" die agieren und alle
Veränderungen bewirken. Wenn auch - und das ist wichtig - unter nicht
von ihnen gewählten historischen Bedingungen. Das Kapital oder eben
das "Empire" reagieren nur, passen sich an, um ihre Herrschaft
aufrecht erhalten zu können.

Bei Marx finden sich wohl beide Sichtweisen (sagt Bodo, ich selbst hab
fast keinen Marx gelesen) und tatsächlich erscheint es mir ziemlich
offensichtlich das in einem noch näher zu bestimmenden Sinn beide
Sichtweisen "richtig" sind. Darin spiegelt sich wohl letztlich die
Verfassung des Menschen als ein Wesen, dass einerseits die
gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt aber eben auch von ihnen
bestimmt wird.

Etwas näher kommen wir diesen Problemen vielleicht, wenn wir uns
angucken, was die spezifischen Schwächen der beiden Ansätze sind.

Um es platt zu sagen: Wertkritiker neigen dazu, zu schwarz zu sehen.
Das allmächtige Wertgesetz hat uns fest im Griff und ein aussteigen
ist zwar theoretisch möglich aber man wird immer den Eindruck nicht
los, dass es von Aufsatz zu Aufsatz, von Gedanke zu Gedanke
schwieriger wird. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass sie ihre
Analyse von einem "äusseren Standpunkt", der sozusagen ausserhalb des
Wertsystems steht und von dem aus man vermeintlich die Wahrheit
erkennen kann aus starten und dann nach und nach feststellen, das
ihnen dieser äussere Standpunkt immer mehr unter den Füßen wegrinnt.
Bei Krisis kann man das momentan erkennen, wenn sie den Begriff des
Subjektes kritisieren (siehe
http://www.opentheory.org/subjekt3/text.phtml). Am Schluss bleibt nur
noch radikale und fundamentale Kritik als Selbstzweck. Keimformen sind
so nicht denkbar, weil letzten Endes schon der Gedanke daran zwingend
korrumpiert ist.

Um es genauso platt zu sagen: Postoperaisten neigen zur Blauäugigkeit.
Noch der kleinste Seufzer wird in ihren Augen zum Akt des Widerstands
überhöht. 

Auf theoretischer Ebene könnte man sie mögicherweise ganz ähnlich
kritisieren, wie das Stefan in seinem "Dschungel der Kooperation"
(http://www.opentheory.org/dschungel/text.phtml) mit der Freien
Kooperation getan hat. Auch hier gewinnt man manchmal den Eindruck,
dass die gesellschaftliche Ebene die es noch jenseits der
Kooperationen und Institutionen gibt und die sich eben im Kapitalismus
unter anderem im Wertgesetz zeigt, manchmal aus dem Blick gerät. Es
wird nicht sichtbar, welche Aktionen der Multitude dazu geeignet sind,
das Wertgesetz (oder auch das Patriarchat oder jedes andere
fundamentale Herrschaftsverhältnis das nicht erschöpfend durch
Institutionen beschreibbar ist) zu knacken und welche zu seinem Erhalt
beitragen. Beim Lesen von "Empire" hatte ich jedoch das erste Mal das
Gefühl, dass dort tatsächlich an der Lösung dieser Probleme gearbeitet
wird. Allerdings blieb viel von diesen Versuchen für mich noch dunkel.
Es ist viel die Rede vom Begriffspaar Immanenz/Transzendenz. Es wird
betohnt, dass das Empire einerseits aus seiner Eigenlogik heraus zu
immer mehr Immanenz strebt aber andererseits auf Transzendenz zur
Aufrechterhaltung seiner Herrschaft angewiesen ist. Aus diesem
Widerspruch speist sich die Möglichkeit zur Überwindung des Empire. 

Bei Oekonux haben wir traditionell mehr mit dem wertkritischen Ansatz
gearbeitet und ich will deswegen mit diesem Text auch ein bisschen
Werbung für die andere Seite machen.

Meiner Meinung nach passt der Postoperaismus eigentlich besser zu
Oekonux, weil ja der Selbstentfaltungs-Begriff und seine Herleitung
aus der kritischen Psychologie, genau auf der "spezifischen
Möglichkeitsbeziehung" des Menschen zur Welt aufbauen, also auf den
Aktionsmöglichkeiten des Einzelnen, was doch prima zum Operaismus
passt, wärend die Wertkritik sich da ein bisschen sperrt (insofern ist
die Ablehnung der kritischen Psychologie durch das Krisisumfeld
vielleicht nicht nur persönlichen Vorlieben geschuldet, sondern
folgerichtig).


Die drei Rechte
---------------

Am Schluss des Buches gibt es ein Kapitel, das beschreiben soll, wie
das Empire untergehen wird oder vielmehr bereits schon untergeht. Die
Multitude kommt zu sich selbst, wird sich ihrer bewusst und entledigt
sich der parasitären Herrschaft des Empire. Dies geschieht im Prozess
der Durchsetzung dreier Rechte. Der Begriff des "Rechts" ist dabei mit
vorsicht zu geniessen, da es in diesem Fall nicht wirklich einen
Adressaten gibt, von dem man diese Rechte einfordern könnte. Das
Empire taugt ja mangels Zentrum gerade nicht als Adressat. Es geht
also auch hier wohl eher um einen netzwerkartig verlaufenden Prozess.
Was haben diese drei Rechte mit unserer Debatte zu tun?

"Das Recht auf Wiederaneignung"

Das dürfte für unsere Diskussion das spannendste der drei Rechte sein,
wie vielleicht folgendes Zitat ganz gut illustriert:

  "Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sondern wird
  auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die
  Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge
  integriert sind. In diesem Zusammenhang bedeutet Wiederaneignung,
  freien Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information,
  Kommunikation und Affekte zu haben - denn diese sind einige der
  wichtigsten biopolitischen Produktionsmittel. Doch die Tatsache
  allein, dass diese Produktionsmittel in der Menge selbst zu finden
  sind, bedeutet noch nicht, dass die Menge diese auch kontrolliert.
  Eher lässt das die Entfremdung davon noch niederträchtiger und
  verletzender erscheinen. Das Recht auf Wiederaneignung ist somit in
  Wahrheit das Recht der Menge auf Selbstkontrolle und autonome
  Eigenproduktion." (S. 413)

In dieser Perspektive ist Freie Software geradezu _das_ Paradebeispiel
für Wiederaneignung und die Kämpfe um (Software-)Patente und
Intelectual Property Rights sind die zentralen sozialen Kämpfe um
dieses Recht.

"Das Recht auf einen sozialen Lohn"

Die Existenzgelddebatte hatten wir hier ja auch schon und ich habe
meine Meinungen dazu - und insbesondere warum das für Freie Software
relevant ist - ja auch schon mal zusammengefasst. Siehe:
http://co-forum.de/index.php4?Grundsicherung%20und%20Oekonux.

Das in "Empire" geschilderte Recht auf einen sozialen Lohn erschöpft
sich meiner Auffassung nach aber nicht in einer Existenzgeldforderung
an den Staat sondern geht mehr in Richtung eines allgemeinen Rechts
auf ein gutes Leben unabhängig von konkreten Tätigkeiten wie Arbeit -
was sich in einer konkreten historischen Situation aber durchaus als
Forderung an den Staat artikulieren kann. Allerdings finde ich eine
der Schwächen des Buches, das diese erweiterte Sichtweise der
Existenzgelddebatte nicht sehr explizit geschildert sondern sich eher
aus dem Rest des Buches ergibt und vielleicht ja nur für mich ...

"Das Recht auf Weltbürgerschaft"

Es geht um die Durchsetzung von Bewegungsfreiheit für die Menschen.
Damit ist aber nicht nur gemeint, dass man sich physisch bewegen kann,
sondern noch weitergehender, dass auch kulturell diese Bewegung
wirklich lebbar wird. Wir haben uns bisher mit diesen Fragen noch
nicht sehr viel befasst, dennoch denke ich, dass es auch hier einige
Berührungspunkte gibt. 

Zum einen ist Freie Software vielleicht genau auch eine Möglichkeit,
die diese Bewegungsfreiheit zumindestens im virtuellen ermöglicht.
Projekte für Linux in Entwicklungsländern oder an Schulen sind da
vielleicht eine Richtung die versucht Ausgrenzungsmechanismen, die
anders als die herkömmlichen Grenzen funktionieren zu unterlaufen. 

Der kürzlich gemailte Veranstaltungshinweis auf das Grenzcamp in
Strassburg enthielt auch einige Hinweise darauf, wie diese Fragen für
uns wichtig werden könnten (Siehe: www.dsec.info).


Freie Kooperation und Empire
----------------------------

Wir haben ja über Christoph Spehrs Konzept der "Freien Kooperation" in
der Vergangenheit viel und ausführlich diskutiert. Deswegen will ich
kurz versuchen dieses Konzept mit "Empire" zu vergleichen. Zunächst
einmal stechen die Ähnlichkeiten ins Auge. Beide Konzepte gehen von
einer radikalen Immanenzperspektive aus. Es gibt kein Aussen. Kein
höheres Gesetz das unser Handeln leitet, sondern Geschichte entwickelt
sich in sozialen Kämpfen. Dennoch gibt es natürlich auch wichtige
Unterschiede.

Freie Kooperation geht in einem gewissen Sinne weiter als "Empire",
weil konkrete Bedingungen genannt werden nach denen man entscheiden
kann, ob Kooperationen erzwungen oder Frei sind. Die "drei Rechte"
ergeben sich dann eher follgerichtig aus diesen Überlegungen zusammen
mit noch einigen anderen. Wie immer wenn man konkret wird, bietet man
natürlich auch eine größere Angriffsfläche, so haben sich ja viele der
Kritiken an Freier Kooperation, die wir diskutiert haben vor allem an
diesen konkreten Kriterien orientiert und diese als systemkonform
ausgemacht. Das ist ein prinzipielles Problem mit der
Immanenzperspektive, denke ich und zu "Empire" wird man ähnliches
sagen können (und manche der am wenigsten inspirierenden Verrisse
haben genau das getan). Ich denke jedoch auch, dass es keine
Alternative zu dieser Perspektive gibt, wenn man irgendeine praktische
Bedeutung entfalten will.

"Empire" geht in einem gewissen Sinne aber auch weiter als Freie
Kooperation. In Software-Engeneering-Sprache gesprochen ist Freie
Kooperation der Bottom-Up-Ansatz, wärend Empire nach dem
Top-Down-Prinzip funktioniert. Freie Kooperation hat
gesamtgesellschaftliche Verhältnisse nur als Kooperation von
Kooperationen von Kooperationen im Blick, was deren Analyse manchmal
erschwert. Empire funktioniert umgekehrt. Von den globalen juridischen,
ökonomischen und politischen Verhältnissen wird die Macht der
Multitude abgeleitet. Das gewärleistet einen besseren Blick auf die
globalen Phänomene aber naturgemäß bleibt die Sicht auf die
Alltagsphänomene etwas unscharf und eben "von oben herab".

In Christophs Buch "Die Aliens sind unter uns" findet sich ja neben
dem Konzept der Freien Kooperation, das dort eher am Rande behandelt
wird, auch eine ausführliche Diskussion aktueller
Herrschaftsverhältnisse. Wenn man die dort beschriebenen
"Zivilisationen" (Aliens, Zivilisten, Maquis, Faschisten) mit den in
"Empire" beschriebenen Kategorien in Verbindung bringt, ergibt sich
für mich folgendes Bild: Die Aliens sind eigentlich identisch mit dem
Empire, Maquis und Zivilisten bilden die Multitude und der Faschismus
kommt nicht wirklich in mehr als einer Nebenrolle vor. Darin liegt für
mich auch eine besondere Stärke des Konzeptes der Zivilisationen. Zur
"Multitude" gehört man immer irgendwie dazu und muss sich nicht mal
besonders anstrengen wärend Christoph den Moment der Wahl, zum Maquis
zu gehen oder eben Zivilist zu bleiben, betont. Natürlich ist an
beiden Sichtweisen was dran, nur in "Empire" wird letzteres oft etwas
unterschätzt und vielleicht ergibt sich gerade daraus der Eindruck der
Blauäugigkeit und des übertriebenen Optimismus, den viele beim Lesen
des Buches haben.


Fazit
-----

"Empire" wimmelt von Anknüpfungspunkten an unsere Diskussion und
deswegen kann ich jedem nur empfehlen sich durch das Buch
durchzuwühlen. Aber auch ohne das alle das Buch gelesen haben, könnten
wir ja trotzdem vielleicht manche der Sichtweisen, die dort aufgezeigt
werden verstärkt in unserer Diskussion berücksichtigen. Das würde mich
freuen. Gerade eben hab ich eine Mail gekriegt, dass die WAK-Leute
einen Workshop zu Empire auf dem Kongress planen. Scheinbar haben also
auch schon andere die Relevanz des Buches für unsere Diskussion
entdeckt. Für mich noch ein Grund mehr, mich auf Berlin zu freuen.


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT05025 Message: 1/9 L0 [In index]
Message 05025 [Homepage] [Navigation]