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[ox] Umsonstladen in FR



Hi!

In der FR von heute gibts einen Artikel über Umsonstläden.
http://www.frankfurter-rundschau.de/fr/120/t120004.htm

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Berlin Feuilleton
Alles umsonst

Aber nicht vergebens: Vom Austausch im Gratis-Laden in Berlin Mitte

Von Jörg Schindler

Manchmal kommt einer und versucht, was zu klauen. Tasche unterm Arm,
ran ans Regal, Blick über die Schulter, rein in die Tasche. Jens und
Heidi gucken sich dann verstohlen an, stocken, kichern. Wieder einer,
der nichts verstanden hat.

Es spielen keine Geigen, es tuten keine Scanner, es klappern keine
Kassen. Kein Kittelträger tackert Preisschilder auf Auslegeware, kein
Abrechner spießt EC-Quittungen auf, kein Einflüsterer säuselt
Sonderangebote. Es fließt kein Geld. Es plätschert nicht mal. Ein
Laden? Sicher. Aber keiner, wo man was kaufen könnte. In der
Brunnenstraße 183, Berlin Mitte, ist alles umsonst. Wenn auch nicht
vergebens.

Im Schaufenster die Erklärung, neben Fred Feuerstein und Schillers
Werken: "Der Umsonstladen gibt vernachlässigten Dingen temporäres Asyl
gegen ihre Verfolgung durch die Müllabfuhr." Plüschigel und
Stoff-Sonnenblumen, Roger Whittacker und Rudolf Schock, Langlaufschuhe
und Sabberlätzchen, Belletristik und Collagen-Kunst, Schreibmaschinen
und Lampenschirme, Vasen, Teller, Gläser. Wer es nicht mehr braucht,
kommt vorbei, gibt es ab. Wer es braucht, kommt vorbei, nimmt es mit.
Zwei bis drei Teile pro Besuch. Aber da ist man nicht dogmatisch. So
einfach ist das.

Natürlich gab es auch Probleme am Anfang. Der Trödler von gegenüber,
"Ratzbatz - An- und Verkauf", war nicht amüsiert, sah seine Felle
davonschwimmen, bis er verstand, dass es denen hier nicht um
Konkurrenz geht, nicht ums Geschäft. Leute schauten vorbei, fragten,
was kostet's, verstanden die Antwort nicht: nichts. Andere kamen
zweimal, dreimal, viermal die Woche, rafften zusammen, was sie kriegen
konnten, bis Jens oder Heidi oder Bernd sagten, nö, jetzt lass mal gut
sein für ein paar Wochen. Ein guter Rat, nicht teuer.

Inzwischen hat es sich eingependelt. Der Kiez kennt seinen
Gratis-Shop. Menschen gehen ein und aus, liefern Staubsauger ab oder
alte Computer; pinnen Zettel an die Wand, "suche tepich egal farbe",
"wer kann uns das Reiten beibringen", "Eierkohle zu verschenken, es
ist nötig, eine Tüte mitzubringen"; surfen oben auf dem Holzpodest im
Internet; fläzen sich auf beigem Breitcord, trinken Kaffee, klönen.
Darum geht's, sagt Jens, runde Brille, schütteres Haar,
Native-People-Shirt - "um Austausch, nicht um Tausch". Also nicht:
bringste was, kriegste was. Sondern: Kommen, reden, nachdenken - über
Konsumzwang, Kauf-Fetisch, Wegwerfrituale.

Ein politisches Projekt, sagt Jens, kein soziales. Der Umsonst-Laden:
"eine Alternative zur kapitalistischen Geldwirtschaft". Mache sich ja
keiner mehr Gedanken drüber, ob das seine Richtigkeit habe mit
stupider Lohnarbeit und pawlowschem Konsumverhalten. Hier schon. Hier
fragen sie die Leute, ob sie wirklich brauchen, was sie wollen und ob
es umgekehrt nicht besser wäre. Hier bewirten sie einsame Nachbarn und
führen Gespräche. Für lau. Weil sie Lust dazu haben. Wer will, kann
was spenden. Wer nicht will, lässt es bleiben. Geld spielt keine
Rolle, nicht hier, am schmuddeligen Rand von Berlins neuer Mitte. Und
die Miete? Ist nicht, sagt Jens, "gibt praktisch so 'ne Duldung vom
Besitzer". Wie lange noch? Wer weiß das schon. "Sicherheit ist ein
Repressionskonzept."

Sicher ist nur: Die Idee breitet sich aus. Umsonstläden gibt es
mittlerweile in Dresden, Hamburg, Hannover und Bremen, demnächst auch
in Potsdam. Am Wochenende haben sich die Macher mit Gleichgesinnten
aus ganz Europa in Leiden getroffen, geguckt, wer sind wir eigentlich
und wie können wir noch mehr werden. Es gibt Videoabende,
Kuchennachmittage, Trommelworkshops. Alles umsonst. Ein Zeichen gegen
Konsum-Idiotie. Macht kaputt, was euch korrupt macht. Der Raffgier
keine Chance.

"Habt ihr Taschenmesser?", unterbricht ein Knirps, neun, vielleicht
auch zehn Jahre alt. Hör mal, sagt Jens, gutmütig, das geht bei uns
nicht so. Wenn ein Taschenmesser da ist, ist es da, wenn nicht, dann
nicht. Gut, sagt der Junge, dann nehm ich den Löwen hier mit.

Es ist noch ein weiter Weg bis zum neuen Menschen.


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