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Re: [ox] Konkurrenz, Vielfalt und Selektion



Hallo Jobst, Benni, und alle anderen!

Benni hat mich um meinen Senf zum seinem 3-Ebenen-Modell (s.u.) gebeten (zu dem er ja auch vielleicht einen Workshop plant). Recht zufrieden bin ich mit dem Geschriebenen jetzt (im Nachhinein) nicht, zu viele Worte, zu wenig gesagt. Ausserdem habe ich mich durch die 'Kritik am Dualismus' vom Materialismus weg hin zu allzu idealistischen Argumentationsmustern draengeln lassen. Ich schicks trotzdem mal los, vielleicht kann ja zumindest Benni was damit anfangen. Uebrigens denke ich auch (wie Benni), dass in diesem Thread was zum Herrschaftsthread stecken wuerde. Hier habe ich das aber nicht verfolgt, ich beziehe mich v.a. auf den Briefwechsel zwischen Jobst und Benni.

Und da hat Benni, wenn ich richtig sehe, eine Frage Jobsts unbeantwortet gelassen:

At 00:31 05.09.02 [PHONE NUMBER REMOVED], jobst wrote:
Benni:
> Mit jeder (dualistischen) Grenze die wir ziehen, ob zwischen privat &
> politisch, Mann & Frau, schwarz & weiss oder Inland & Ausland erzeugen
> wir eine osmotische Membran an der sich Kooperation und Konkurrenz
> scheiden lassen und umgekehrt erzeugt jede solche Scheidung neue
> Grenzen.

Das versteh ich nicht so ganz, kannst du das mal näher erläutern?

Was Benni meint - meiner Meinung nach - ist, dass sich eine ganze Reihe von Dualismen in der Moderne fein saeuberlich und ohne grosse Bedeutungsveraenderungen assoziieren lassen. Der Dualismus Kooperation-Konkurrenz ist Teil davon: Maenner konkurrieren untereinander, Frauen kooperieren, mit Landsleuten kooperieren wir, mit Auslaendern konkurrieren wir, usw.

Jobst weiter:
Zu was für einem Schaden soll das denn führen? Was ist denn die
besondere Beziehung zwischen Konkurrenz und Kooperation, so dass du
es immer wieder als Begriffspaar verwendest? Denn wenn es keine besondere
Beziehung gibt, wäre es genauso schädlich, Konkurrenz isoliert von
zB Kohlrouladen zu betrachten.

Es ist der Schaden, dass ein wichtiger Dualismus verkannt wird, der wiederum andere Dualismen stuetzt und von jenen gestuetzt wird. Dualismen der Art Konkurrenz-Kooperation sind ungemein resistent gegen Kritik, u.a. gerade wegen der untergruendigen gegenseitigen Unterstuetzung der sich assoziativ verstaerkenden Dualismen. Fuer viele Leute 'fuehlen sie sich ganz einfach richtig an'. Grundlegende und nichthintergehbare Menschen- und Gesellschaftsbilder speisen sich aus einem derartigen Gefuehl: _Der_ Mensch ist so und so, _die_ Gesellschaft ist auf dies und jenes gegruendet. Das macht diese Diskussionen immer wieder so muehsam und das macht es auch so schwer, die Beziehung zwischen Kooperation und Konkurrenz (im Folgenden zuweilen Koop-Konk genannt) einfach wegzudefinieren, wie es mir Jobst zu machen scheint.

Wie also mit Dualismen, wie dem der Konkurrenz-Kooperation, an die so viele "glauben" umgehen? Das ist die Frage, die ich im folgenden mir selbst beantworten will. Mir fallen dazu drei Sorten von Kritik ein, Bennis 3-Ebenen-Modell werde ich dann - mit Verlaub - in Kategorie 2 einsortieren.

Aber erstmal nochmal zurueck zum Ausgangspunkt: Was ist eigentlich so fies an Dualismen?

Ok, sie verschleiern Realitaet, indem sie vereinfachen. Das gilt allerdings auch fuer die meisten (ganz und gar undualistischen) Metaphern oder auch fuer multidimensionale Modelle, also im Grunde alle abstrakten Repraesentationen der Welt. Und diese ermoeglichen uns andererseits, Realitaet zu be'greifen'. Realitaet (als paramount reality) wuerde uns unentwegt ueberwaeltigen, wenn wir sie nicht zuweilen (miss)verstehen wuerden als unsere kleine Welt, in der alles griffbereit an seinem Platz liegt. Was man greifen kann, kann man umbauen, bewegen, kann man verwerfen. Damit sind Dualismen immer auch maechtige politische Werkzeuge. Die Geschichte v.a. des 20. Jahrhunderts zeigt das in all seiner Grausligkeit. Da wurden Millionen von Menschen bewegt und verworfen. Die Welt mit dem Dualismus in Einklang zu bringen, da steckt ein Haufen gewalttaetiger Zurichtung.

Ich stimme Jobst gleichwohl zu, dass eine Gegnerschaft zu zentralen Dualismen sich selbst hinterfragen kann: Wird ein Modell zwingend dadurch besser (demokratischer, menschlicher, wahrer), dass es komplexer ist als ein Dualismus? Ja und nein. Im Einklang mit Jobst glaube ich, dass das komplexere Modell tendenziell mehr Einsicht bringt und weniger Handlungsmoeglichkeiten. Insofern waere die Antwort: Ein Modell der Realitaet sollte so komplex wie moeglich sein und so einfach wie noetig. Und manchmal sind vielleicht sogar Dualismen (so dumm-einfach sie immer sind) genau das. Und oft ist gar kein Modell noetig, weil sich das schon irgendwie ordnet.

Modelle sind Werkzeuge und ich wuerde sie immer zunaechst einmal danach bewerten, was man mit ihnen machen kann. Ich probiers mal kurz und verkuerzt fuer Koop-Konk. Vielleicht haben andere bessere Idee, wofuer dieses Modell gut ist?

Indem man Kooperation und Konkurrenz gegenuebersetzt und damit zwei Sorten sozialen Handelns fein saeuberlich trennt, erlangt man die Legitimation, bestimmte Sphaeren (naemlich die der Konkurrenz) als jene zu markieren, die von einer absoluten uebergeordneten Macht (Staat z.B., aber auch Volk oder Gemeinwesen oder Gruppenstandpunkt???) kontrolliert werden muessen. Diese Macht injiziert sozusagen wieder Kooperation in ein Feld (angeblich!) wilder Konkurrenz und bewahrt es vor Anarchie, Chaos, Selbstzerstoerung. (Anmerkung: Im neuesten Herrschaftsthread wird dies vom systematischen Soziologen reproduziert als die Annahme ohne Herrschaft wuerde Gesellschaft in Chaos zerfallen) Andere Sphaeren (der Kooperation) werden hingegen der buergerlichen Familie ueberantwortet und damit der Macht des pater familias. Das betrifft dann den patriachalisch verfassten Betrieb ebenso wie eben 'das Private'.

Damit wird also ein ganz bestimmtes Set an Institutionen und Machtrelationen begruendet und deren Notwendigkeit fuer jedeN, der/die an den Dualismus "glaubt", plausibel gemacht.

Ist man interessiert an Kritik dieser Realitaet und/oder der Machtrelationen und Institutionen, die durch den Dualismus legitimiert werden, dann kann man 1) versuchen nachzuweisen, dass die Welt komplexer ist als das Modell. Das ist bei Dualismen oft recht einfach. Das laeuft in unserem Beispiel darauf hinaus zu zeigen, dass Konkurrenz und Kooperation haeufig gemischt auftauchen, dass also angebliche Sphaeren der Konkurrenz, wie z.B. die sogenannte Oekonomie, voll sind mit Beispielen fuer Kooperation. Jobst hat ja schon auf die grundlegende Kooperation in gesellschaftlicher Arbeitsteilung hingewiesen. Und auch umgekehrt: Ebenso wenig scheint mir z.B. eine Familie tatsaechlich ein Hort der Kooperation. Wenn ich mir meinen kleinen Grossneffen ansehe und wie er auf die Geburt von gleich zwei Geschwistern auf einmal reagiert: Das ist Konkurrenz pur (uebrigens ganz klar durch das Verhalten seiner Eltern unterstuetzt wenn nicht gar erzeugt). Gleichzeitig ist allerdings die Welt immer bereits tatsaechlich real zu einem gewissen Masze in die Kategorien des Dualismus gezwaengt (zugerichtet), sodass eine Kritik des Dualismus in manchen Bereichen nicht damit argumentieren kann, dass das Modell nicht mit der Realitaet uebereinstimmt.

Was Benni macht, ist etwas Anderes: Er praesentiert Freie Software Entwicklung als etwas, dessen besondere Qualitaet darin bestehe, dass das dualistische Modell Koop-Konk nicht zutreffe. Zur Erinnerung, ich meine diese Stelle aus einer frueheren Mail:

At 15:32 29.08.02 [PHONE NUMBER REMOVED], benni wrote:
Ebene 1:
Gesamtgesellschaftlich überwiegt Kooperation, da bestimmte
Grundannahmen nicht hinterfragbar sind und einfach gelten (Wert,
Gewaltmonopol und an guten Tagen etwas ähnliches wie Demokratie).
Diese Kooperation ist Bedingung der Konkurenz auf Ebene 2.

Ebene 2:
Hier findet sich die Konkurrenz am Markt, aber auch Hartmuts
Parkbeispiel, oder wildgewordene Autofetischisten (muss mich grad mit
einem rumschlagen). Diese Konkurrenz ist insofern Bedingung der
Kooperation auf Ebene 3, da diese meist wesentlich konstituiert wird
dadurch sich nach aussen, dem wilden Dschungel abzuschotten.

Ebene 3:
Im Kleinen überwiegt ebenso Kooperation. Mit Partnern, in der Familie
im Freundeskreis manchmal auch innerhalb einer Firma. ...

Natürlich ist das Bild wohl etwas komplizierter in Wirklichkeit.
Zwischenstaatliche Konkurrenz kommt darin nicht vor, etc...

In Freier Software nun, so Benni, sei die gegenseitige Bedingung von Kooperation und Konkurrenz auf den verschiedenen Ebenen aufgehoben. Benni muss in wesentlichen Teilen die Rhethorik des Dualismus (private Sphaere = Kooperation; Nation = Kooperation; Markt = Konkurrenz; ...) reproduzieren, um zur besonderen Qualitaet Freier Software zu gelangen. Das ist bei dieser Form der Kritik an Dualismen immer so und definitiv ein Problem. Der Vorteil ist, dass diese Form der Kritik an existierende dualistische Argumentationsmuster anschliessbar ist, dass einem also die Leute, die an den Dualismus "glauben", eher mal zuhoeren.

Schliesslich im Sinne von Aufklaerung bevorzugen wuerde ich jedoch eine dritte Form der Kritik. Sie kann die beiden anderen Methoden aufnehmen, besteht aber im Kern daraus, die anderen Leute davon zu ueberzeugen (zu versuchen), dass sie den Dualismus und seine Folgen (also das, was man mit dem Modell machen kann) gar nicht selbst wollen. Wenn sie ihn wirklich wollen, dann haben wir eben unterschiedliche Interessen. Das laesst sich vielleicht am besten am Beispiel des modernen Dualismus von Geschlecht zeigen. Fuer mich (als weisser, privilegierter Mann) ist immer noch die einzige a-moralische Form der Kritik dieses Dualismus der Appell an meine eigenen Interessen. Ich bin in der Tat daran interessiert, nicht auf eine maennliche Geschlechterrolle festgelegt zu werden, zum einen, weil ich da (in der Konkurrenz mit anderen Maennern) immer schlecht abschneide, zum anderen weil das ein geruettelt Mass meiner Identitaet ausblendet. Und ich kann auch nicht viel mit Frauen anfangen, die auf das weibliche Geschlechterstereotyp festgelegt sind. Analog mit Konk-Koop: Wollen wir vorgeschrieben bekommen, wo und mit wem wir kooperieren, wo und gegen wen wir konkurrieren? Dass der Zwangscharakter von Koop und Konk jeweils das Uebel ist, wurde in diesem Thread ja schon angesprochen. Weiterhin: Wollen wir manchmal vielleicht auch mit KonkurrentInnen kooperieren und umgekehrt? Natuerlich wollen wir das. Schliesslich: Wuerden wir in einer Gesellschaft leben wollen in der sich die droege Wahl zwischen Konkurrenz und Kooperation gar nicht erst stellt? Ich schon.

Dieser letzte Typ von Kritik setzt freilich voraus, dass Leute davon ueberzeugt werden, dass es nichts gibt, 'was der Mensch eigentlich ist' oder 'worauf die Gesellschaft eigentlich gegruendet ist'. Keine vorsozialen Essentials nirgends. "Der Mensch ist dem Menschen ein Gott. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. " So ungefaehr heisst, wenn ich mich richtig erinnere, das ganze Hobbes-Zitat (aus 'De cive'). Zwischen Wolf und Gott ist viel Platz. Dass der Mensch dem Menschen auch ein Hanswurst ist und ein Lover und ein Netzwerkadministrator und Soziologe machts doch erst spannend, oder?

Thomas

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