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RE: [ox] Re: OS vs FS



Moin Liste,

On 11-Nov-2002 Stefan Meretz wrote:
Hi Thomas,

[...]

Zu StefanSf. schreibst du:
Was du ueber den Maintainer schreibst aehnelt in ein paar Zuegen dem
idealisierten (Selbst-)Bild des patriarchalen Unternehmers um 1900.
Er
versteht als seine Aufgaben und Arbeitsbedingungen:

IMHO kannst du das nicht vergleichen. Es ist eine reichlich
oberflächliche 
Analogie.

Ich find die garnicht so oberflächlich, lässt sich an so einem Vergleich
die Motivation und die Strategien diskutieren, ein Projekt zu
`maintainen' und eine *geeignete* Lizenz finden zur Verteilung des im
Projekt entstehenden *nützlichen* Produkts (FS--OS--propietär,
GPL--??--Patent).

a) Die Sorge um das Weiterbestehen,

Diese Sorge ist unter Marktkonkurrenz-Bedingungen eine komplett
andere, 
als unter Bedingungen der FS: Einmal ist der Bezug das G', der 
Geldfetisch also, ein anderesmal die Leute im Projekt, deren
Bedürfnisse 
etc., und das nützliche Produkt, das ich entwickeln möchte.

So komplett anders sehe ich die Sorge um das Weiterbestehen nicht. Auch
unter Marktkonkurenz-Bedingungen geht/ging es dem/der IntiatorIn um das
Fortbestehen des *nützlichen* Produkts. Die Sorge um das Produkt
bildete sich zu einem Teil in der Verantwortung für den Gesamtproduk-
tionsprozess ab -- und nicht nur die produktbezogene Kontrolle, wie es
heute üblich geworden ist -- und zu einem anderen ist die Sorge um
das *nützliche* Produkt und das Fortbestehen des *Projekts* auch ein 
Teil der Motivation für Patente (als Bsp. nenn ich mal die Carl Zeiss
T* Tessar Objektiv-Konstruktion (um 1920er) und die Mehrschicht-
vergütung (Reflexionsminderung) für Linsen (den Namen hab ich nicht
parat) um 1930), oder Teil der Motivation für GPL.

Von deinem Einwand übernehme ich die Einschätzung, dass die zu
maximierende Größe einmal Geld ist und andermal ??? (Reputation?,
Selbslentfaltung?, ...)

b) die Abhaengigkeit von guten ArbeiterInnen, die dementsprechend
auch
gut behandelt werden muessen,

Das war um 1900 keinesfalls so. Heute vielleicht. Um 1900 ging es 
vorrangig um Kontrolle und nach technischer Rationalität organisierte
maximale Outputs. Mittel war der von Ingenieuren durchkonzipierte 
"ideale" Prozess, der die ArbeiterInnen zu Anhängseln der Maschine 
degradierte.

Hier muss ich dem Gewerkschafter ganz klar widersprechen: Im
idealisierten (Selbst-)Bild des patriarchalen Unternehmers um 1900
war _sehr__wohl_ die Abhängigkeit von guten ArbeiterInnen im
Bewusstsein und in der Strategie der Mitarbeiterführung und es kam den
Herren Krupp oder -- da weiß ich mehr -- Gerhard Lukas Meyer (Gründer
der Ilseder Hütte AG, 1858) sehr wohl darauf an, die ArbeiterInnen
dementsprechend *gut* zu behandeln und deren Bedürfnisse zu befriedigen!
-- Z. B. mit massiver Unterstüzung der Wohnraumversorgung und
Lebensmittelversorgung oder Bereitsstellen von Erholungsheimen -- ja
etwas gab es allerdings nicht mit 6 Wochen Jahresurlaub und festem
Anspruch, eswar schon kontingentiert. (Zur Erinnerung wie sprechen hier
vom Typ des patriarchalen Unternehmers! Nicht allgemein von Industrie-
Unternehmungen!)

c) die Organisation der Zusammenarbeit und

Hierzu empfehle ich das "Empire" von Hardt/Negri. Sie bringen ganz
gut auf 
den Punkt, dass "früher" (also in der Zeit, die du anführst), die 
Kooperation der Arbeitstätigkeit äußerlich war, als erst extra 
hergestellt werden musste, während sie "heute" der (immateriellen) 
Arbeitstätigkeit immanent ist.

Wie dem auch sei: Zusammenarbeit muss ich in konkreten Situationen
trotzdem organisieren -- das liefert mir zumindest meine Lebenspraxis.

d) die Verantwortung fuer den Gesamtproduktionsprozess und das
Produkt.

S.o. Verantwortung für die adäquate Erfüllung der Verwertungslogik
vs. 
Verantwortung für mich und das Projekt.

Ich meine die Verantwortung für die adäquate Erfüllung der
Verwertungslogik  und die Verantwortung für mich und das Projekt
stehen sich deshalb nicht so diametral gegenüber wie Stefen das
hier skizziert, weil beide Male die oben und angeführte Motivation und
eine gute Portion Eigennutz im Spiel sind.
 
[...]
Das leuchtet ein, noch so offene Quellen helfen nichts, wenn ich a)
ewig brauche um sie zu verstehen und v.a. wenn b) ein Haufen
impliziter "Geschichte" dahinter verborgen ist. Gleichzeitig lauert
aber dahinter ein Machtfaktor, den du auch schon andeutest: Formale
Regeln sind nicht machtneutral. Zum einen gibt es denjenigen, der
sie
durchsetzt und interpretiert, zum anderen sind auch in noch so
abstrakten Regeln, Techniken und Technologien Machtverhaeltnisse
eingeschrieben.

Ja, genau das.

Trotzdem wuerde ich sagen, dass dies eine auch politisch fuer mich
vertretbare Version von Machtausuebung in FS-Projekten und darueber
hinaus darstellt: Der/ie MaintainerIn wird auf formelle Klarheit und
Konsistenz verpflichtet und hat die Verantwortung dafuer, dass diese
gewahrt wird. Informelle Mittel der Machtausuebung, wie z.B.
Kungeln,
so effektiv das sein mag, um die oben angefuehrten Ziele a-d zu
erreichen, waeren damit verboten.

IMHO ist nichts zu "verbieten". Wozu auch?

Ein starkes plädieren für Geflogenheiten -- z.B. auf dieser Liste --
und deren sozialer Kontrolle -- wie neulich hier geschehen, was zum
entstehen der Oekonux-chat-Liste führte -- ächtet m.E. die
Nichteinhaltung der Gepflogenheiten, womit so etwas ähnliches wie ein
Verbot entsteht. Allerdings das Verhältnis zu alten und neuen
Gepflogenheiten wird stetig neu verhandelt (Machtausübung?!).
Also doch nichts verboten?!

tschüss
        ToPu
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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