Message 05655 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT05345 Message: 61/91 L13 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] Re: Fabrik vs FS



Hi Thomas und andere,

On Wednesday 13 November 2002 10:38, Thomas Berker wrote:
Zu StefanSf. schreibst du:
Was du ueber den Maintainer schreibst aehnelt in ein paar Zuegen dem
idealisierten (Selbst-)Bild des patriarchalen Unternehmers um 1900.
Er versteht als seine Aufgaben und Arbeitsbedingungen:

IMHO kannst du das nicht vergleichen. Es ist eine reichlich
oberflächliche Analogie.

Ich habe die Analogie gebraucht um _Unterschiede_ aufzuzeigen. Auf
ihrem Tiefschuerfungsgehalt beharre ich nicht. Anbei aber der Versuch
zu erklaeren, warum ich darauf komme:

Ich kann diese Analogie in der Tat nur ziehen, wenn ich _nicht_ von
einem wesensartigen Unterschied zwischen verschiedenen Formen des
gemeinsamen Arbeitens und seiner Organisation ausgehe. Wenn ich dich
richtig verstehe, dann tust du das z.B. im Fall einer idealtypischen
tayloristisch-fordistisch organisierten Fabrik (in Familienbesitz) und
eines FS-Projekts. Ich bin gerade daran interessiert, was beide
gemeinsam haben (und von da aus natuerlich was sie trennt).

IMHO nahezu nichts. Die einzig Vergleichsmöglichkeit sehe ich auf der 
Ebene des Menschlichen. Wenn ich annehme, dass in deinem kapitalistsichen 
Familienbetrieb die Subsumtion unter das Kapital (ein Marxscher Terminus) 
noch nicht total ausgeprägt ist (nicht völlig "reell", sondern in Teilen 
auch noch bloß "formell"), der Kapitalist nicht also bloß 
Kapitalfunktion, sondern auch noch Mensch ist, dann kann ich natürlich 
gucken, was macht der Mensch da und dort. Aber auch da sehe ich schon aus 
Gründen der völlig unterschiedlichen Epochen keinen wirklichen Sinn. Tut 
man es doch, gerät man in anthrologische Spekulationen.

Warum ausgerechnet die Fabrik und nicht etwa die auf dieser Liste
zuweilen beliebten "Naturvoelker"?

Nicht von mir, das halte ich für noch merkwürdiger (weil komplett 
ahistorisch).

Diese idealtypische Fabrik ist das
Paradigma einer untergehenden Form der Kooperation. Untergegangen ist
sie uebrigens noch lange nicht, das behaupten nur Leute, die den
Sueden (und v.a. den Osten) vergessen. Ihr verdanken wir die
ArbeiterInnenbewegung und die Konzentrationslager (i.e. tayloristisch
organisierter Massenmord), die nur zwei der allueberall anzutreffenden
Kinder der Fabrik sind. Ich bin einfach daran interessiert, welches
Paradigma an seine Stelle rueckt und bin davon ueberzeugt, dass die
Auswirkungen des neuen Paradigmas ebenso profund sein werden wie die
des alten. Und sollte es tatsaechlich kein neues Paradigma mehr geben,
dann hat das mindestens ebenso tiefgreifende Konsequenzen. Daher also
der Vergleich, den ich im Kopf oefter mache und hier zum ersten Mal
auf der Liste veroeffentlicht habe. Ein Testlauf sozusagen: Was hat FS
was die Fabrik nicht hat und umgekehrt. Wie loest FS-produktion
Probleme, die die Fabrik auch hat, welche Probleme sind neu, welche
Probleme sind weg?

Warum nimmst du dann aber die verflossene fordistische-taylorische, noch 
oben drein patriachalische Fabrik? Und nicht IBM im Versuch, die 
Subjektivität des Menschen unter das Kapital zu subsumieren? Da macht 
doch die Frage: "Was hat FS, was IBM nicht hat" erst Sinn, weil es sich 
um genau den Übergang handelt, den wir gerade durchschreiten.

a) Die Sorge um das Weiterbestehen,

Diese Sorge ist unter Marktkonkurrenz-Bedingungen eine komplett
andere, als unter Bedingungen der FS: Einmal ist der Bezug das G',
der Geldfetisch also, ein anderesmal die Leute im Projekt, deren
Bedürfnisse etc., und das nützliche Produkt, das ich entwickeln
möchte.

Eine Aufgabe, die der Maintainerin _und_ dem Kapitalisten gestellt
wird: Kontinuitaet der Produktion jenseits personeller Kontinuitaeten.

Nein: der Maintainer stellt sich Aufgaben (Selbstentfaltung erster 
Person), dem Kapitalisten werden Aufgaben gestellt (Entfremdung dritter 
Person). Das ist der fundamentale Unterschied.

Die Loesungen und der Bezugsrahmen sind himmelweit verschieden. Da
wollt ich doch gerade hin.

Von Problem-Lösungen zu sprechen, macht keinen Sinn, weil es zwei völlig 
verschiedene Prozesse sind. Die Frage kommt dir vom Standpunkt dritter 
Person, von aussen, soziologisch.

b) die Abhaengigkeit von guten ArbeiterInnen, die dementsprechend
auch gut behandelt werden muessen,

Das war um 1900 keinesfalls so. Heute vielleicht. Um 1900 ging es
vorrangig um Kontrolle und nach technischer Rationalität organisierte
maximale Outputs. Mittel war der von Ingenieuren durchkonzipierte
"ideale" Prozess, der die ArbeiterInnen zu Anhängseln der Maschine
degradierte.

Ja, aber es gibt auch Parallelen. Henry Ford hat nicht ohne Grund
seinen Arbeitern hoehere Loehne gezahlt und den Anschein der Teilhabe
am Produkt erzeugt (ein Model T fuer jeden Arbeiter). Gerade die
Dehumanisierung der Arbeit wurde durch externe Anreize zumindest
ansatzweise befriedet. Indem _du_ die ArbeiterInnen nochmal zu
Anhaengseln der Maschine degradierst streichst du ihre mannigfaltigen
Kaempfe (von Sabotage im Kleinen bis zum Generalstreik) durch, die
durchaus Teil des Alltags der Produktion um 1900 und danach sind.

Nein, tue ich nicht. Ich habe nicht gesagt, dass das gelungen ist. Gerade 
gestern wies mich ein Kollege darauf hin, dass eine der heftigsten 
hiesigen (BRD) Auseinandersetzungen in jüngerer Geschichte der Kampf um 
die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle war. Warum? Weil der bezahlte 
Absentismus auf Krankheitsticket eine passive Widerstandform darstellt, 
die sich viele nicht nehmen lassen wollten, weil sie sonst völlig von der 
Produktion zerstört werden.

Zweitens gilt das auch in einem kreativen Sinn. Die noch so
entfremdete Fliessbandarbeit beruht auch auf dem impliziten Wissen der
ArbeiterInnen um ihre taegliche Praxis. Dieses Wissen wird, so es zum
Funktionieren der Produktion beiträgt, ignoriert, wenn es das nicht
tut, dann wird es als Zeichen menschlicher Unzuverlässigkeit und als
zu eliminierende Störquelle gesehen. Das reproduzierst du ein Stueck
weit.

Nein, tue ich nicht. Ich beschreibe die Logik einer bestimmten Epoche 
kapitalischer Verwertung. Und ich sehe sehr wohl, dass diese Logik 
objektiv nicht mehr funktioniert (siehe z.B. das Gegenbilderbuch: 
http://www.opentheory.org/gegenbilder). Deswegen finde ich es auch viel 
sinnvoller, sich mit den aktuellen Widersprüchen postmoderner, 
postindustrieller, toyotischer (was immer du an Bezeichnug nehmen willst) 
Produktion auseinanderzusetzen - und nicht mit einer verflossenen Epoche 
über oberflächliche Analogien.

Andersherum wird in einem FS-Projekt nervtoetende Routinearbeit
anfallen, die als entfremdet _erfahren_ wird - auch wenn sie das im
streng theoretischen Sinne nicht ist (was mir dann wurscht ist).

Ich habe den Eindruck, dass du noch nie in einem Freien Projekt gearbeitet 
hast. Da in einem freien Projekt der Zusammenhang zwischen je meiner 
Tätigkeit und dem Produkt nachvollziehbar gegeben ist, spielen auch 
Anstrengung oder repetitive Tätigkeiten eine völlig andere Rolle. Die 
machen zwar unter Umständen nicht unmittelbar Spaß, dennoch erfüllen sie 
je mich mit Befriedigung, weil je ich ganz genau weiss, was sie im 
Projektzusammenhang bedeuten - ein Zusammenhang, den je ich mir ja für 
mich geschaffen oder ausgewählt habe.

Unter entfremdeten Bedingungen ist dieser Zusammenhang zerstört. Der Markt 
diktiert, was du tun oder lassen musst. Hier bleibt einzig eine Art 
intrinsischer Befriedigung auf operativer Ebene: "Programmieren macht 
Spaß" oder so. Dieser "operative" Spaß vergeht dir aber sehr schnell, 
wenn du repetitiven Stuss machen musst, weil eine Dritte Instanz es von 
dir verlangt.

Wohlgemerkt: Das alles bedeutet nicht, dass Fabrik und FS-Projekt das
gleiche sind, sondern, dass sie nicht wesenhaft verschieden sind.

Doch sind sie. Auch schon die fordistische-taylorische Produktionsweise 
ist wesenhaft verschieden von postindustriellen Produktionsweisen.

Neben allen Unterschieden stellen sich aehnliche Probleme der
arbeitsteiligen Kooperation eines Produkts und wir beobachten
aehnliche Phaenomene.

Das sind die oberflächenlichen Analogien, die ich meine, die nicht 
hinhauen und durch ihren Außenblick Zusammenhänge konstruieren.

c) die Organisation der Zusammenarbeit und

Hierzu empfehle ich das "Empire" von Hardt/Negri. Sie bringen ganz
gut auf den Punkt, dass "früher" (also in der Zeit, die du anführst),
die Kooperation der Arbeitstätigkeit äußerlich war, als erst extra
hergestellt werden musste, während sie "heute" der (immateriellen)
Arbeitstätigkeit immanent ist.

Wieder bitte ich die Selbstorganisation der ArbeiterInnen im Dienste
der Produktion in einer Fabrik nicht zu unterschaetzen. Eine Fabrik
ist ein komplexes soziotechnisches Gebilde und himmelweit von den
Ideen der Ingenieure an ihrem gruenen Tisch entfernt. Andersherum ist
FS-Produktion nicht rein mit intrinsisch motivierter Kooperation zu
machen.

Warum nicht?

In dem Herrschaftsthread geht es fuer mich genau um diese
Frage: Wieviel externe Koordination braucht es und was sind
Bedingungen, um sie zu minimieren oder von mir aus auch: zu
rationalisieren.

Was ist "externe Koordination"?

Sei mir nicht böse, aber das ist "typisch soziologisch": Ich fliege
da analogisierend über die Prozesse und systematisiere reichlich
oberflächlich rum. Bitte dann erstmal lieber Begriffanstrengung...

Ab hier fuehle ich mich in eine Fehde reingezogen, mit der ich bis
jetzt zumindest reichlich wenig zu tun habe, beim 'systematischen
Soziologen' von neulich waren wir uns zumindest noch halbwegs einig.
Nun bin ich ja Soziologe und muss da vielleicht durch? Wie auch immer:
wie wir alle werde ich mich in Zukunft noch mehr begriffsanstrengen
und streben nach tiefgreifender Systematisierung, das gelobe ich.

Schön, dass mir die bitteren Wort nicht krumm nimmst:-)

Hast es nicht leicht als Soziologe, jedenfalls nicht bei mir. Ich gebe zu: 
Mir ist nicht wirklich der Sinn von Soziologie klar. Das Problem der 
Soziologie ist ihr Standpunkt und ihre Blickrichtung: Sie steht außerhalb 
und guckt von außen auf die Prozesse. Transzendenz-Wissenschaft. 
Spannende Frage: Gibt es eine Soziologie vom Standpunkt erster Person, 
eine Art Immanenz-Soziologie?

So kann ich nur den Kopf schütteln, über das Zeug, was in CSCW
verbrochen wird - IMHO kapieren die nichts bis gar nichts (aber
wahrscheinlich sind die immer noch auf dem Formalisierungs- und
Simulationstrip - ich habe schon länger nicht mehr reingeguckt).

Nein, die Leute, die ich meine, sind nicht auf diesen Trips. Wie immer
gibts halt Dumme und weniger Dumme. Guck besser mal wieder rein, bevor
du wieder einen derart dicken Hammer schwingst.

Ok, wenn du mir ein paar gucke Tipps gibt's, mache ich das. Solange packe 
ich den Hammer ein;-)

Meinen letzten Ärger über "linke"
Interpretationsversuche habe ich hier aufgeschrieben:
http://www.opentheory.org/havarien_der_theorie/text.phtml

Der Zusammenhang dieses Textes und auch der Notizen des
Unternehmensberaters Wohland, die du dort kritisierst (und die ich in
ihrer Krudheit uebrigens ueberhaupt nicht verstehe, zumal nicht was
daran links sein soll), zu dieser meiner Mail oder dem Thread ist mir
entgangen.

Wohland kommt als linker Tradition und hat in sehr guten Aufsätzen das 
Scheitern der (fordistischen Alt-) Informatik in der Praxis illustriert 
(er prägte das Wort von den "CIM-Ruinen", wenn es schon mal gelesen 
hast). Er vertritt sozusagen den wertförmigen Standpunkt im toyotischen 
Umbruch mit dem sich den CSCW-Ansätze beschäftigen. Du hast Recht: ist 
kein direkter Zusammenhang.

Mit soziologischen Gruessen

Mit immanenten Grüßen;-)
StefanMz

--
    Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
    Internetredaktion
    Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin
-- 
    stefan.meretz verdi.de
    maintaining: http://www.verdi.de
    private stuff: http://www.meretz.de
-- 



________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT05345 Message: 61/91 L13 [In index]
Message 05655 [Homepage] [Navigation]