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RE: [ox] Re: Postmoderne



Moin Thomas, moin Liste,

On 12-Nov-2002 Thomas Berker wrote:

Ohne dies etwas längere Zitat aus vorangegangenen Mails fand ich nicht
so recht den Anschluss für meine Beiträge, ToPu:
Hi Andreas u.a.,

Friday, November 8, 2002, 7:53:01 PM, you wrote:

[...] Mit ihm können zeitliche Veränderungen in
der
Bedeutung von Begriffen, Ideen u.ä. deutlich gemacht werden. Es ist
m.E.
sehr wichtig sich Gedanken zu machen wie und warum sich "die Dinge"
im Laufe
der Zeit ändern.

Ja, das 'post' aus Postmoderne hat zudem den Vorteil, eine ganz
bestimmte zeitliche Abfolge zu bezeichnen, naemlich das 'nicht mehr
das Alte' und 'noch nicht das Neue'.

b)das, was es sagt auch noch falsch ist: ich glaube nicht, dass wir
irgendwie nach der Moderne sind.

Aber sicher doch. In der Moderne waren Konzepte von Bedeutung,
welche heute
nur noch belächelt werden, Bzw. Konzepte welche heutzutage
"verbrannt" sind.
Die Unterscheidung fällt nur so schwer, weil diese Dinge meist in
der
"Nachmoderne" in veränderter Form noch immer existent sind. Etwas
konkreter:

Konzepte wie "nachholende Entwicklung (Industrialisierung)",
Entwicklungshilfe, Massenparteien, Staatskapitalismus, Liberalismus,
"Bürger
in Uniform", "Blut und Boden (Lebensraumtheorie...)" oder
Vorstellungen von
"Autos mit Kernenergieantrieb" u.v.a.m. haben sich grundlegend
verändet.
Niemand verwendet diese Dinge noch so wie sie früher gemeint waren
(wenn
überhaupt). Wenn sich solche Konzepte aber verändern, weil sich
unsere ganze
Kultur verändert hat, dann kann man nicht behaupten das wir
immernoch in der
selben Zeit leben.

Wenn wir also in einer neuen Zeit leben, dann muß man dem Ganzen
auch einen
Namen geben, eben "Postmoderne".

Du hast m.E. insofern recht als das Problem, das ich mit dem Begriff
Postmoderne habe, schon bei dem Begriff Moderne anfaengt. Die Frage
ist: welchen Zusammenhang gibt es zwischen den Konzepten, die du
genannt hast. Wenn es ihn gibt, dann ist _ein_ Wort dafuer
angemessen.
Und wenn alle diese Konzepte irgendwann zusammen 'verbrannt' sind,

Nur weil zwischen (mehreren) Konzepten ein Zusammenhang besteht, müssen
diese Konzepte nicht zusammen `verbrennen', sie können auch unabhängig
verbrennen, meine ich -- ohne jetzt ein Bsp. geben zu müssen.

dann brauchen wir auch fuer den neuen Zusammenhang einen Namen. 

Ob es nach dem gewesen Zusammenhang (dessen Konzepte `verbrannt' sind)
_den_ neuen Zusammenhang gibt, ist doch in der hier
geschriebenen Überlegung, der neuen Zeit einen Namen zu geben, der nur
`Nach-der-Alten-Zeit' heißt, noch garnicht enthalten -- oder doch?

Wie
ichs verstehe, wenden sich postmoderne Denker wie z.B. Lyotard aber
radikal von den grossen Erzaehlungen ab und verkuenden u.a. das Ende
der modernen Linearitaet. Damit ist dein linearer Begriff von
Geschichte (Moderne - Krise - Postmoderne) ziemlich modern.

Geschichten, die ein einzelner Mensch erlebt hat, sind schon irgendwie
linear; mein Menschenleben ist insofern linear, dass Geburt gewesen
ist und Mein Sterben sein wird ...

Eine
postmoderne 'Erzaehlung' waere eine, in der alles gleichzeitig wird,
intertextuell, in der Form eines Pastiche, ironisch und v.a. mit
einem
Haufen Zitaten wild durcheinandergemixt. Diese Phaenomene existieren
zweifellos, auch Baudrillards Zeichen, die Amok laufen.

Eine `Moderne Erzählung' mag linaer sein, eine `Postmoderne Erzählung'
mag eine sein, in der alles gleichzeitig wird, dennoch entnehme ich aus
deinen Ausführungen, dass vor -- ich sag mal 50 Jahren -- die
`Postmoderne Erzählung', wie du sie skizzierst noch nicht *erfunden*
war. Womit zwischen `Moderne Erzählung' und `Postmoderne Erzählung'
womöglichen eine Linearität gibt? Eine zeitliche Abfolge?! Wie bei
meinem Menschenleben, s.o.

Bleibt die Überlegung ob der Begriff überhaupt passend ist. Epochen
kann man
mit Sicherheit nur im Nachhinein festlegen, wenn sie schon längst
wieder
vorbei sind. Das die Konzepte der Gegenwart, wie etwa "die Idee der
Nachhaltigkeit", "lebenslanges Lernen", "Hilfe zur Selbsthilfe (bei
der
Entwicklungshilfe)" sich mit Typisch "modernen" Konzepten vermischen
zeigt
IMHO an, dass wir uns in einer Phase des Übergangs befinden.
(Deswegen jagt
auch eine Kriese die Nächste. Zeiten des Umbruchs sind immer etwas
rau.)

Somit ist unsere Zeit mit "Nachmoderne" gut charakterisiert: Wir
leben nach
der Moderne, die Dinge haben sich verändert. Aber was das Neue
ausmacht ist
noch im dunkeln. Wir sind doch merheitlich auf dieser Liste weil wir
uns
fragen ob die Zukunft vielleicht eine etwas emanzipatorischere Zeit
wird,
wie sie sich mit dem kooperativen Modell der Entwicklung Freier
Software
andeutet. Einem Modell welches überhaupt nicht mit den Konzepten der
Moderne
vereinbar ist.

Mein persoenliches Problem mit dieser Sichtweise ist, dass schon seit
dreissig Jahren damit argumentiert wird, wir seinen irgendwie kurz
vor
_dem_ Neuen. Wir sind immer vor dem Neuen und irgendwie auch nie. Die
Welt veraendert sich ohne Unterlass und (wie du ja auch schreibst)
Epochenbrueche werden erst aus gehoeriger Entfernung sichtbar. Warum
also auf den Epochenbruch jahrzehntelang starren, wenn es doch so
viel
interessanten Wandel zu beschreiben gibt. Das heisst dann freilich
kleinere Broetchen backen.

Ich kann nicht erkennen, wer hier Jahrzehnte lang auf Epochebrüche
starrt. Stattdessen find ich sehr wohl, dass die Ausführungen von
Andreas zum Begriff `Postmoderne' eben den interessnten Wandel --
zumindeste Fragmente davon beschreibt.
 
Wenn der Begriff Postmoderne
irgendeinen Sinn macht, dann m.E. als Bewegung, die nochmal das
versucht, was moderne Bewegungen immer schon versucht haben: zu
ueberbieten, 'modern' zu sein, nicht altmodisch. Insofern: nichts
ist
moderner als die Postmoderne.

Diese Sicht verdreht meiner Meinung nach die Dinge, "modern" hat
nichts mit
der "Moderne" zu tun.
Die "Bewegungen" der Moderne (politisch etwa der Nationalsozialismus
oder
ökonomisch der Fordismus...) waren in ihrer Zeit "modern" (von
aktuell) aber
heute...?

Diese Ansicht von AndreasFH teile ich so.

Es gibt in der Literaturwissenschaft den Begriff der historischen
Avantgardebewegungen (Dada, Futuristen, usw.). Das bezeichnet, dass
das bestimmende Moment der Bewegungen ihr Avantgardegestus _war_.
Leute, die sich offensiv postmodern nennen (das sind glaubich gar
nicht so viele, mir fallen erstmal nur Leslie Fiedler und Lyotard
ein), haben diesen Gestus auch. Das meinte ich mit Ueberbietung als
modernes Phaenomen.
[...]

Das hellt deine frühere Anmerkung auch nicht gerade auf -- macht nicht
deutlicher was du sagen willst. Vielmehr hat für mich die Beschreibung
mit dem Avangardegestus eine andere Aussage als die
`zu-überbieten-`modern'-zu-sein,-nicht-altmodisch-Beschreibung' 
und zwar verstehe ich (zitat)
        "... die nochmal das versucht,
        was moderne Bewegungen immer schon versucht haben: zu
        ueberbieten, 'modern' zu sein, nicht altmodisch ..."
so, dass sie das Bisherige verbessert, aber nicht die bisherigen Regeln
in Frage stellt;
bsp. Fordismus, weil weiter unten als Stichwort gegeben: aus meiner
Sicht (Dipl.-Ing. Technik) etikettieren (einige) Menschen mit dem Wort
Fordismus die veränderte (=verbesserte) Organisation industrieller
Produktion -- bis dahin gültige Regeln industrieller Produktion
werden/wurden übernommen.

Die Avangardegestus-Beschreibung von dir verstehe ich so, dass auch die
bisherigen Regeln für einen bestimmen Lebensbereich in Frage gestellt
werden und auch statt der alten neue Regeln/Vereinbarungen aufgestellt
werden.

[...]
Kurzum: Ich versuche, den Begriff aus den genannten Gruenden nicht zu
benuetzen (gleichwohl benuetze ich gerne den Begriff Moderne, was
nicht konsistent ist, muss ich nochmal drueber nachdenken). Begriffe
mit etwas geringerer Reichweite, wie z.B. Fordismus oder Taylorismus
sind oftmals genauer und gleichzeitig riesig genug um uns nicht
einzuschraenken.

mag sein, dass `Fordismus' oder/und `Taylorismus' ab und an geeigneter
sind...
andererseits hilft dann Fordismus nicht wirklich weiter, weil zwischen
den Erscheinungen, die aus meiner Sicht damit etikettiert werden, und
Erscheinungen von Produktionsorganisation heute (z.B. Freie Software)
so/hinreichend viele verschiedene Organisationsformen liegen, dass sie
genauso Nach-Fordismus-Erscheinungen sind wie z.B. die Produktionsorga-
nisation Freier Sotware. Und nicht für jede dieser Nach-Fordismus-
Erscheinungen gibt es -- glaub ich -- geeignete Begriffe.

An dieser Stelle spricht m. E. schon etwas für einen Postmoderne-
Begriff, wie ihn AndreasFH umrissen hat. Und zwar spricht dafür,
dass er _nicht_ die geringe Reichweite hat -- wie eben Fordismus.
Zudem find ich die Unschärfe, die in dem Begriff liegt zuweilen ganz
nützlich, da bisher keine geeigneteren Kurzbeschreibungen für die
Gegenwärtigen Wechsel/veränderungen im Umlauf sind.

BTW:  Da ich nicht vom Fach bin, in dem die Begriffe Fordismus und
Taylorismus geprägt wurden: Wann sind denn diese Begriffe in
Umlauf gebracht worden, also wieviel Jahre nach dem erstmaligen
Auftreten der damit benannten Erscheinungen und wie lange hat es dann
gebraucht, bis sie *anerkannt* waren?

tschüss
        ToPu

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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