Message 05709 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT05345 Message: 80/91 L10 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re[2]: [ox] Re: Postmoderne



Hei ToPu und Liste,

Friday, November 15, 2002, 3:49:50 PM, ToPu wrote:
Eine
postmoderne 'Erzaehlung' waere eine, in der alles gleichzeitig wird,
intertextuell, in der Form eines Pastiche, ironisch und v.a. mit
einem
Haufen Zitaten wild durcheinandergemixt. Diese Phaenomene existieren
zweifellos, auch Baudrillards Zeichen, die Amok laufen.

Eine `Moderne Erzählung' mag linaer sein, eine `Postmoderne Erzählung'
mag eine sein, in der alles gleichzeitig wird, dennoch entnehme ich aus
deinen Ausführungen, dass vor -- ich sag mal 50 Jahren -- die
`Postmoderne Erzählung', wie du sie skizzierst noch nicht *erfunden*
war. Womit zwischen `Moderne Erzählung' und `Postmoderne Erzählung'
womöglichen eine Linearität gibt? Eine zeitliche Abfolge?! Wie bei
meinem Menschenleben, s.o.

Sage ich ja, die Postmodernen (wer das auch immer ist) behaupten,
einen Schritt weiter zu sein als die Modernen und konstruieren damit
einen linearen Fortschritt. Gleichzeitig sagen sie von sich, dass sie
nicht mehr ueberbietbar sind, weil sie alles Gewesene und Kommende in
sich vereinen werden (via Zitat, usw.). Die endgueltige Steigerung.
Ein geschickter Schachzug oder?

[...]
Mein persoenliches Problem mit dieser Sichtweise ist, dass schon seit
dreissig Jahren damit argumentiert wird, wir seinen irgendwie kurz
vor
_dem_ Neuen. Wir sind immer vor dem Neuen und irgendwie auch nie. Die
Welt veraendert sich ohne Unterlass und (wie du ja auch schreibst)
Epochenbrueche werden erst aus gehoeriger Entfernung sichtbar. Warum
also auf den Epochenbruch jahrzehntelang starren, wenn es doch so
viel
interessanten Wandel zu beschreiben gibt. Das heisst dann freilich
kleinere Broetchen backen.

Ich kann nicht erkennen, wer hier Jahrzehnte lang auf Epochebrüche
starrt. Stattdessen find ich sehr wohl, dass die Ausführungen von
Andreas zum Begriff `Postmoderne' eben den interessnten Wandel --
zumindeste Fragmente davon beschreibt.

Ok, damit habe ich erstmal keine Probleme. Ich habe mich auf nicht
anwesende Personen bezogen, die seit den 70ern Zeitenwenden (mal ins
Positive, mal ins Negative) prophezeien. Weder ist seither die Welt in
oekologischen Katastrophen versunken, noch leben wir im neuen
demokratischen Cyberzeitalter (um nur 2 Beispiele zu nennen).
 
[...]
Die Avangardegestus-Beschreibung von dir verstehe ich so, dass auch die
bisherigen Regeln für einen bestimmen Lebensbereich in Frage gestellt
werden und auch statt der alten neue Regeln/Vereinbarungen aufgestellt
werden.

Ja, ich verstehe als einen wichtigen Bestandteil von Modernitaet, dass
kein Stein auf dem anderen bleiben soll, m.a.W.: "Alle festen
eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen
Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten
veralten, ehe sie verknöchern können". Karl Marx

[...]
Kurzum: Ich versuche, den Begriff aus den genannten Gruenden nicht zu
benuetzen (gleichwohl benuetze ich gerne den Begriff Moderne, was
nicht konsistent ist, muss ich nochmal drueber nachdenken). Begriffe
mit etwas geringerer Reichweite, wie z.B. Fordismus oder Taylorismus
sind oftmals genauer und gleichzeitig riesig genug um uns nicht
einzuschraenken.

mag sein, dass `Fordismus' oder/und `Taylorismus' ab und an geeigneter
sind...
andererseits hilft dann Fordismus nicht wirklich weiter, weil zwischen
den Erscheinungen, die aus meiner Sicht damit etikettiert werden, und
Erscheinungen von Produktionsorganisation heute (z.B. Freie Software)
so/hinreichend viele verschiedene Organisationsformen liegen, dass sie
genauso Nach-Fordismus-Erscheinungen sind wie z.B. die Produktionsorga-
nisation Freier Sotware. Und nicht für jede dieser Nach-Fordismus-
Erscheinungen gibt es -- glaub ich -- geeignete Begriffe.

Einig. Allerdings gibt es schon ein paar Begriffe.

An dieser Stelle spricht m. E. schon etwas für einen Postmoderne-
Begriff, wie ihn AndreasFH umrissen hat. Und zwar spricht dafür,
dass er _nicht_ die geringe Reichweite hat -- wie eben Fordismus.
Zudem find ich die Unschärfe, die in dem Begriff liegt zuweilen ganz
nützlich, da bisher keine geeigneteren Kurzbeschreibungen für die
Gegenwärtigen Wechsel/veränderungen im Umlauf sind.

Nochmal: Die Frage in diesem Zusammenhang ist: Gibt es _ein_
uebergreifendes Phaenomen, das _alle_ (oder ausreichend viele)
einzelnen Veraenderungen umfasst und daher _einen_ Namen verdient - so
vage er auch ist?

BTW:  Da ich nicht vom Fach bin, in dem die Begriffe Fordismus und
Taylorismus geprägt wurden: Wann sind denn diese Begriffe in
Umlauf gebracht worden, also wieviel Jahre nach dem erstmaligen
Auftreten der damit benannten Erscheinungen und wie lange hat es dann
gebraucht, bis sie *anerkannt* waren?

Das Schoene in den Sozialwissenschaften ist ja, dass Begriffe nie
*anerkannt* sind. Wieauchimmer: Antonio Gramsci beschreibt um 1930
herum in den Gefaengnisheften Fordismus als "ultra-modern form of
production and of working methods - such as is offered by the most
advanced American variety, the industry of Henry Ford". Wichtig ist
dabei, dass es bei Gramsci erstmals nicht um eine bestimmte soziale
Organisation der Fabrik geht sondern um damit zusammenhaengende
weitreichende Umwaelzungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Henry
Fords Model T wurde ab 1914 produziert. Da sind also 15 Jahre zwischen
Fords Praxis und der Begriffsbildung.

Taylorismus ist von Anfang an auch eine Theorie, naemlich mit Taylors
'Principles of Scientific Management' von 1911.

Alle Angaben wie immer ohne Gewaehr.

thomas (be)

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT05345 Message: 80/91 L10 [In index]
Message 05709 [Homepage] [Navigation]