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Re(2): [ox] Re: Niedergang des Kapitalismus?



smerten schreibt:
Die spannende Frage wäre aber, ob der Kapitalismus eine solche
steigende Machtkonzentration überhaupt endlos verträgt (d.h. ohne zu
etwas anderem zu werden). Ich habe da so meine Zweifel. Das
Konkurrenzprinzip z.B. ist auf eine Verteilung von Macht angewiesen.
Wenn die Macht zu sehr konzentriert ist, dann funktioniert die
Konkurrenz nicht mehr - Stichwort Monopol. Auch die Demokratie ist
m.E. nicht zufällig für den Kapitalismus (wieder?)entdeckt worden und
widerspricht strukturell einer Monopolisierung von Macht. Das Ganze
wird natürlich durch eine Medien- und Ideologiemaschinerie gebrochen.
Schwierig.

Ja, sehr....


Das hat manche Leute zu ganz interessanten Schlußfolgerungen gebracht
und ich finde sie nicht ganz abwegig.

Ich zitiere eine längere Passage aus Christian Eigners "Wenn die
Wirtschaft auf den 
Raum vergißt", in der er die Theorien von Wallerstein und Braudel
referiert: 
Das macht die Komplexität der Thematik wirklich schön klar.....


".......Genau das macht einen Weltkonzern aus: Er besiegt seine
Konkurrenten nicht nur auf den internationalen Märkten, sondern auch in
deren Heimatstaaten, sozusagen am eigenen wirtschaftlichen Parkett. Was er
aber nur deshalb kann, weil er quasi ein Monopolist ist, dem es seine
Wirtschaftskraft erlaubt, einen aufkommenden Konkurrenten mit
Dumpingpreisen und exzessiven Werbemaßnahmen förmlich zu erdrücken. 

Freilich: Offiziell gibt es in unserem Wirtschaftssystem keine
Monopolisten. Schließlich leben wir in Marktwirtschaften, in denen Angebot
und Nachfrage einander das Gleichgewicht halten. Auf Grund ihrer
verzerrenden Wirkung, die Monopole auf dieses Gleichgewicht haben, stellen
sie bestenfalls so etwas wie illegitime Entartungen dar, die deshalb von
staatlich organisierten Kartellwächtern umgehend zerschlagen werden, falls
sie entstanden sein sollten. 

Doch das ist nur die Theorie. In der Realität wimmelt es nur so von
(Quasi-) Monopolen, und nur allzu oft war es der Staat, der dabei
behilflich war, sie zu schaffen. ?Microsoft? beispielsweise hätte seinen
weltweiten Siegeszug wohl kaum antreten können, wenn nicht
us-amerikanische Außenpolitiker und Handelskammer-Vertreter fleißig die
Werbetrommel gerührt und so manchen Mega-Deal für den nunmehrigen
Software-Riesen eingefädelt hätten. Die bekanntesten Beispiele dafür sind
die vielen Parlaments- und Schul-Ausstattungen mit ?Microsoft?-Paketen,
die von den Medien zwar gerne gemeldet, aber selten in ihrer Relevanz
begriffen und adäquat dargestellt werden: Es sind das durchwegs
Groß-Aufträge, die nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, aus der
erfolgreichen US-Firma den ?GlobalPlayer? zu machen; Groß-Aufträge, die
ohne politisches Engagement wohl nie zu Stande gekommen wären. 

Zu erinnern ist an dieser Stelle auch noch daran, dass in den USA in den
vergangenen 120 Jahren gerade einmal zwei große Trusts politisch
zerschlagen wurden, nämlich das Rockefeller Öl-Imperium und AT&T ? was
nicht gerade von einer besonderen Abneigung gegen markbeherrschende
Stellungen und mangelnden Wettbewerb zeugt. Denn an Gelegenheiten dazu
hätte es wohl nicht gefehlt; man denke nur an die dominante Stellung, die
IBM in seiner Branche in den Siebzigern und frühen Achtzigern inne hatte.

Dass die Politik eher ein Förderer von Monopolen und monopolähnlichen
Strukturen als deren ?natürlicher Feind? ist, liegt an der prinzipiellen
Verfasstheit des Kapitalismus. 

Denn Kapitalismus ist, wie Immanuel Wallerstein in seiner
?Welt-System-Analyse? auf eindrucksvolle Weise gezeigt hat, nicht einfach
nur gut funktionierende Marktwirtschaft oder florierender Freihandel; das
wäre zu naiv und harmlos gedacht, vermittelt das Bild der Marktwirtschaft
doch indirekt immer auch, dass man es mit einem Werkzeug oder Instrument
zu tun hat: So, wie man sich entscheidet, in Städten Märkte abzuhalten,
entscheidet man sich auch zur marktwirtschaftlichen Organisation einer
Region oder eines ganzen Kontinents. Es ist lediglich eine Frage der
Ideologie, ob man das tut, wobei ? so wird gerne argumentiert ? die
Entscheidung für die Marktwirtschaft die klügere ist, weil sie sich in der
Realität als ein hocheffizientes Werkzeug zur Optimierung von
Volkswirtschaften herausgestellt hat. 

Tatsächlich aber, so Wallerstein, greift das zu kurz. Historisch
betrachtet ist nämlich im Europa des 15. Jahrhunderts ein so genanntes
?Welt-System? entstanden, das auch heute noch den verbindlichen und
unhintergehbaren Rahmen für unser gesamtes wirtschaftliches Handeln
bildet, aber mittlerweile weit über Europa hinaus reicht. Dieses
Welt-System ist eben der Kapitalismus, der im Verhältnis zu anderen
Welt-Systemen eine ganze Reihe von Besonderheiten aufweist:

Nach Wallerstein sind Welt-Systeme prinzipiell nichts Neues. Schon längst
haben sie die ?Mini-Systeme? abgelöst, also jene sozialen Kleinsysteme, in
denen die Arbeitsteilung in einem singulären kulturellen Rahmenwerk
erfolgte; etwa im sibirischen Dorf, in das Fremde nur als Gäste, aber
nicht als Händler ? oder zumindest nicht als Händler, von denen man in
irgendeiner Form abhängig war ? kamen. Im Verhältnis zu diesen
Kleinsystemen ist ein Welt-System das genaue Gegenteil: Es existiert in
ihm eine internationale Arbeitsteilung, die über einzelne Kulturen und
Staaten hinweg erfolgt und die es unter anderem mit sich bringt, dass man
als Produzent eines bestimmten Gutes eine Profit-Orientierung entwickelt,
da man sich nicht mehr in reinen Tauschbeziehungen bewegt. 

Ein Welt-System ist folglich primär dadurch gekennzeichnet, dass es größer
als die juridisch definierten politischen Verwaltungseinheiten ist, die es
tangiert, und durch ein komplexes Netzwerk wirtschaftlicher,
arbeitsteiliger Beziehungen, die sich buchstäbliche über alle Grenzen
hinwegsetzen, zusammengehalten wird.

Für Welt-Systeme war es aber immer auch typisch, dass irgendjemand
versuchte, sie in Welt-Reiche, in Imperien, umzuwandeln; man denke nur an
die transkulturellen mediterranen Welt-Systeme der Antike, die etwa
Griechen wie Römer unter ihre Kontrolle zu bringen versuchten (was
phasenweise ja gelang). Laut Wallerstein ist das verständlich, erlaubt das
doch das bequeme Abschöpfen einer gewaltigen Wirtschaftsmaschinerie: Die
herrschaftliche Gewalt, die mit der errungenen Macht über ein Welt-System
einhergeht, ermöglicht den Regierenden das Einheben von Steuern und
Tributen wie auch die Errichtung von Handelsmonopolen; eine effiziente
Strategie, die manch Herrscherhaus für Jahrhunderte groß und einflussreich
machte. Allerdings ist diese Strategie auch wieder keine hocheffiziente,
da in riesigen Reichen immense Verwaltungskosten anfallen, die die Profite
fressen. 

Für Wallerstein besteht der Clou des kapitalistischen Welt-Systems deshalb
darin, dass es nie imperial vereinnahmt werden konnte. Die Habsburger
hatten das war im 16. Jahrhundert versucht, waren aber am Widerstand
potenzieller Konkurrenten gescheitert. Stattdessen entstand ? durch eine
Reihe von historischen Zufällen ? innerhalb des Welt-Systems ein
Staatengefüge, in dem zwar gelegentlich einer der Staaten zur
Hegemonialmacht wurde (wie etwa die USA nach dem II. Weltkrieg),
prinzipiell aber ein Gleichgewicht herrschte, das es unmöglich machte,
dass eines der Länder das Welt-System zu einem Welt-Reich transformierte. 

Das kapitalistische Welt-System, das im 19. Jahrhundert in Folge seiner
wissenschaftlich-industriell bedingten Kraft zum alleinigen Welt-System,
zum internationalen wirtschaftlichen Bezugspunkt und Rahmenwerk, aufstieg,
unterscheidet sich von anderen Welt-Systemen also dadurch, dass es nicht
der Politik folgt. 

Im Gegenteil,  es stellt die Politik in seine Dienste:

Eine weitere Besonderheit des kapitalistischen Welt-Systems ist ja, das in
ihm ? anders als im Feudal-System des Mittelalters ? ein reger,
internationaler Handel mit Massenwaren (und nicht bloß mit Einzelgütern)
existiert. Eine ganze Reihe von Faktoren ? klimatische ebenso wie
regionalgeschichtliche oder ökologische ? führten dazu, dass im 16.
Jahrhundert ein gesamteuropäischer Markt für Agrarprodukte entstand, der
primär nicht mehr auf Tausch ausgerichtet war, sondern eine klare
Verkaufs- und Profit-Orientierung hatte (und sich später zu dem
internationalen, vielgestaltigen Markt auswuchs, den wir heute kennen).
Den jeweiligen regionalen Entwicklungen entsprechend, erfolgte dabei eine
klare Arbeitsteilung, wobei dem hoch entwickelten Nordwesten Europas die
Rolle eines Kerngebiets zukam: Hier wurden die landwirtschaftlichen
Spezialprodukte erzeugt, wie es zusätzlich eine Konzentration auf die
Textil-Herstellung und den Schiffsbau gab. Die mediterrane Welt hingegen
spezialisierte sich auf die Produktion kostenintensiver industrieller
Güter und wurde zum Zentrum der Finanztransaktionen, während Ost- und
West-Europa die herkömmliche Agrarproduktion (mit eher rückständigen
Mitteln) abwickelte, mithin den Markt mit Getreide, Holz, Baumwolle oder
Zucker versorgte. 

Damit war jedoch eine Struktur, ein Gefälle geschaffen ? hoch entwickelte
Kernstaaten, gut entwickelte semiperiphere Staaten (jene am Mittelmeer)
und schlecht entwickelte Peripheriestaaten (die Ost- und West-Europäer) ?,
das bis heute, wenn auch in veränderter Form, das kapitalistische
Welt-System kennzeichnet und der Politik ihre ganz spezifische Funktion
gibt (ganz konkret spricht Wallerstein von ?Peripherie-Gebieten?, da diese
eigentlich zu schwach sind, um als Staaten bezeichnet werden zu können;
der Einfachheit halber will ich aber von Staaten sprechen). 

Denn natürlich lässt sich der größte Profit beispielsweise dann erzielen,
wenn ein Unternehmen aus einem Kernstaat möglichst einfach auf die
billigeren Ressourcen und Arbeitskräfte eines (?unterentwickelten?)
Peripheriestaates zugreifen kann; ein Prozess, den Wallerstein als
?ungleichen Tausch? bezeichnet und der ein weiteres Merkmal des
kapitalistischen Welt-Systems ist. Speziell der Peripheriestaat wird
deshalb möglichst offene Märkte und Grenzen haben müssen, während es für
den Kernstaat in dieser Situation von Vorteil sein kann, den Markt
abzuschotten, um nur die Vorteile aus diesem Gefälle zu akquirieren. 

Politik, so Wallersteins Analyse, ist im kapitalistischen Welt-System
deshalb nicht mehr als ein Regulationsmechanismus, der dafür sorgt, dass
in diesem Gefälle für die Unternehmen die optimalen Bedingungen herrschen:
Beispielsweise ist die polnische Monarchie des 16. und 17. Jahrhundert
laut Wallerstein nicht deshalb verfallen, weil irgendein Nationalstaaten
bildender, ideologiebasierender oder gesellschaftlich-kultureller
Mechanismus versagt hätte, sondern weil ein Peripheriestaat wie das
damalige Polen möglichst offene Märkte brauchte, in denen sich
ausländische Händler so bewegen konnten, als ob sie zu Hause wären.
Jegliche Betonung des Nationalen und irgendwelcher interner Kräfte wäre
dabei hinderlich gewesen. 

Starke Nationalstaaten waren lediglich in den ?Kern-Gebieten?, wie
Wallerstein sie auch nennt, wichtig, weil es dort starke
Produktionsbetriebe gab, die mit Hilfe der Staatsmaschinerie noch stärker
werden konnten (und diese Maschinerie deshalb auch zuließen, ja sogar
förderten). Denn durch gezielte Staatseingriffe konnten sich diese
Produktionsbetriebe vom Markt und seinen Mechanismen befreien; etwa dann,
wenn sie den Staat erfolgreich dazu brachten, Schutzzölle einzuheben. 

Die politische Energie wird im kapitalistischen Welt-System also nicht
mehr dazu genutzt, Welt-Reiche zu bauen, sondern zur Sicherung der
Monopolrechte der im Land ansässigen Unternehmen verwendet; ein Befund,
der im ersten Moment wohl jeden Aufklärer schockiert, bei genauerem
Hinsehen aber seine Plausibilität hat. Denn bei aller Eigendynamik, die
das politische System hat; bei allen Machtkämpfen, die es kennzeichnen;
bei allen sozialen Maßnahmen, die es für die Bevölkerung setzt ? sein
letzter Bezugspunkt scheinen doch immer wieder die Unternehmen zu sein. 
Gerade die letzten zehn Jahre haben das in Europa nur allzu deutlich
gezeigt. Überall wurden systematisch die Märkte geöffnet; egal ob rechte
oder linke Regierungen an der Spitze des Staates standen. Als ?neoliberale
Wende? wurde das heftigst und kontrovers diskutiert ? und damit
vorausgesetzt, dass es sich allein um ein ideologisches Problem handelt.
Allerdings konnte die Neoliberalismus-Diskussion zwei Dinge nie plausibel
erklären: 

-	Erstens, weshalb die Politik diese Wende vollzogen hat und weiter
vollzieht (wobei es natürlich Erklärungen gibt, die jedoch stets in
Richtung Geschmack ? Reagan und Thatcher sympathisierten einfach mit
konservativen Haltungen ? oder Manipulation ? mächtige Konzerne gewinnen
in der Politik an Einfluss und beginnen diese zu steuern ? gingen, was
aber erschreckend unstrukturelle und damit unbrauchbare Erklärungen sind),
und 

-	zweitens, weshalb viele Menschen doch den Eindruck haben, dass sich
jenseits aller ideologischen Geplänkel eine tief greifende Wandlung
vollzieht, die sich gleichsam hinter unserem Rücken abspielt ? und auch
hinter dem Rücken der Politik.  

Tatsächlich vollzieht die Politik die Öffnung der Märkte vor allem auf
Druck der Unternehmen, die jedoch nicht aus bösartiger Machtgier die
Demokratie ausschalten wollen (auch dieses pseudo-mythologische Argument
wird von der Neoliberalismus-Diskussion gerne bemüht), sondern mit dem
Faktum konfrontiert sind, dass sich das ?Kernstaat ? Semiperipheriestaat ?
Peripheriestaat Gefälle? verändert hat. Nicht nur sind mit dem geöffneten
Ostblock neue semipheriphere Staaten hinzu gekommen; auch begann der
rasante Aufstieg der asiatischen Staaten am ?Kern-Gebiet?-Status Europas
zu nagen, weshalb eine Stärkung der europäischen  Märkte dringlich
notwendig erschien und auf dem Wege der weit gehenden Öffnung versucht
wurde. 

Das macht nicht nur plausibel, weshalb linke wie rechte Regierungen heute
mehr oder minder identische Positionen beziehen (und warum all die
Diskussionen darüber, was links oder rechts noch bedeuten kann, den
Eindruck hinterlassen, dass man eigentlich nicht wirklich zum Kern des
Problems durchgedrungen ist); es erklärt auch, weshalb viele Menschen das
Gefühl haben, tief greifenden Veränderungen ausgesetzt zu sein, die mit
Weltbildern und politischen Strategien nichts mehr zu tun haben. 

Nicht Ideologien, so Wallerstein, erzeugen mithin die uns so vertraute
politische Dynamik, sondern allein die Position, die ein Staat im
?Kernstaat ? Semiperipheriestaat ? Peripheriestaat Gefälle? innehat. Stets
geht es um die Ausschaltung negativer Markt-Effekte oder von Märkten
überhaupt, was die Unternehmen selbst freilich nicht leisten können; dazu
ist eine übergeordnete Instanz wie der Staat notwendig. Nur zu diesem
Zweck investieren die Unternehmen in die Staatsmaschinerie ? jedoch
lediglich so lange und in dem Ausmaß, wie es sich für sie rechnet.
Allerdings können auch zu geringe Investitionen fatale Konsequenzen haben,
wie die australische Wirtschaft im Zuge ihrer umfassenden Liberalisierung
in den frühen Neunzigerjahren erfahren musste: Das Zurückdrängen des
Staates brachte ? nach Wallerstein verständlicherweise ? speziell den
Außenhandel in eine dermaßen prekäre Situation, das sich die Außenpolitik,
wie die Medien damals nicht ohne Schadenfreude berichteten, sehr bald
wieder ? und gegen das liberale Credo ? in den Dienst der Wirtschaft
stellte.  

Aus dieser Grundfunktion des Staates ergibt sich alles Weitere, was man
aus der Politik kennt: Das Erbringen von Sozialleistungen, beispielsweise
(was stabilisierend wirkt und Revolten verhindert) ? aber auch die direkte
wie indirekte Förderung genau jener Betriebe und Konzerne, die es auf den
ersten Blick nicht nötig haben; etwa von ?Kirch Media? in Deutschland oder
von ?Magna? (einem Auto-Zulieferer internationalen Formats) in Österreich.
Für diese wird der Staat mit seinen Steuervergünstigungen, billigen
Krediten, Kreditgarantien oder Subventionen zu jenem Hebel, den sie
brauchen, um jene Wettbewerbsvorteile oder Kapitalmengen lukrieren zu
können, die allein durch Wirtschaftlichkeit und Effizienz auf den
internationalen Märkten ansonsten nicht mehr lukrierbar sind. Erst diese
partiellen Staatseingriffe machen es möglich, dass sich ein gut
etabliertes Unternehmen sukzessive zum Monopolisten entwickeln kann; eine
Ansicht, die mit Wallerstein sogar liberale Theoretiker wie Friedrich
August von Hayek teilen, wenngleich bei letzteren der Staatseingriff stets
eine Art illegitime Anomalie bleibt ? ein Standpunkt, der angesichts der
politisch-wirtschaftlichen Alltagsrealität allerdings mehr als nur seltsam
anmutet. 

Womit wir wieder bei ?CocaCola? und ?Microsoft? angekommen sind. 

Und auch bei der Frage, weshalb Konzerne dieser Art mit der
?Raum-Ignoranz? kein Problem haben: 

Nimmt man Wallerstein ernst ? und man kann sich nicht des Eindrucks
erwehren, dass seine Welt-System Analyse die zurzeit wohl zutreffendste 
Beschreibung der ökonomischen wie politischen Wirklichkeit liefert ?, muss
es sogar zur Aufgabe professioneller Außenpolitik gehören, Firmen dieser
Größenordnung auf unterschiedlichste Weisen zu unterstützen (was die
Amerikaner viel besser zu tun wissen als etwa die Deutschen, wie die
?WirtschaftsWoche? bereits vor Jahren in einem großen Beitrag zu diesem
Thema klagend feststellte). Erst der Staat hebt sie in jene Sphäre des
kapitalistischen Welt-Systems, die den Märkten mit ihrem permanenten
Wettbewerb eigentlich schon entrückt ist und in der es vielmehr darum
geht, Monopolansprüche auszubauen oder zu verteidigen. 

Dazu ist es aber vor allem nötig, an möglichst vielen Orten der Welt
präsent zu sein.  Nicht das Kennenlernen von ?Lebensraum? ist für einen
Konzern, der sich in dieser Sphäre bewegt, notwendig; nicht das
?Einnisten? in Lebenswelten und nicht das Ausloten von Untiefen und
Strömungen: Wer um Monopole kämpft, hat vor allem Flächen zu besetzen und
Standorte zu beziehen, von denen aus rasch eine wahre Überschwemmung der
umliegenden Platzabschnitte mit Gütern vorgenommen werden kann. Wenn das
Unternehmen klug ist, wird es dabei einige Produktanpassungen an die
lokalen Gegebenheiten vornehmen und darauf achten, welche Alltagspraxis
vor Ort gelebt wird; aber es muss nicht wirklich am ?Raum-Leben?
teilnehmen und den ?Lebensraum? mitentfalten, wie das das kleine
Software-Unternehmen oder der Autohändler tun muss. Denn wer sich einmal
in dieser Sphäre bewegt, ist nicht nur wenigstens ansatzweise den Märkten
entrückt, sondern auch dem Raum. 

.....

Der Gedanke, dass Märkte nicht nur Träger des kapitalistischen
Welt-Systems sind, sondern immer auch eine im System wirkende Gegenkraft
darstellen, ist jedoch ein zentraler Baustein des gesamten
Wallerstein?schen Denkens. Er übernimmt diese Ansicht vom französischen
Historiker Fernand Braudel, dessen ?dritte fundamentale Idee war, dass
Kapitalismus nicht mit Marktwirtschaft gleichzusetzen ist, sondern in der
Sphäre des ..... contre-marché (?Gegen-Markt?. Ch.E.) beheimatet ist?, wie
Wallerstein es einmal in einem Interview formuliert hat. Tatsächlich ist
diese Trennung plausibel ? und auch ausgesprochen erhellend; speziell für
das Problem der ?Raum-Ignoranz?, um das es hier geht. 

Wenn nämlich Märkte und eine Sphäre des contre-marché ? die Sphäre, in die
erst der Staat die Unternehmen entrückt ? unterschieden werden müssen, ist
es in weiterer Folge nahe liegend, auch zwischen zwei Arten von
Unternehmen zu differenzieren: Einerseits gibt es dann jene Firmen, die
sich schon erfolgreich vom Markt befreit haben oder zumindest in ihrem
Bestreben, das zu tun, sehr weit gekommen sind. Und andererseits
existieren dann jene Betriebe, die diesbezüglich noch nicht sonderlich
erfolgreich waren, mithin dem vollen Marktdruck ausgesetzt sind oder, wie
man sagen könnte, in den Märkten stehen. 

Diese Unterscheidung ist auch insofern einsichtig, als nicht alle Firmen
automatisch der Sphäre des contre-marché angehören können. Den Zugang zu
dieser eröffnet ja die Politik, und nicht jedes Unternehmen hat von Anfang
an politische Beziehungen; schon gar nicht kleine, junge Firmen. Denn die
Politik unterstützt Unternehmen ja nicht nur auf allgemeine Weise, indem
sie etwa Druck auf einen Peripheriestaat ausübt, um diesen zur Öffnung
seines Marktes zu bewegen (wovon prinzipiell alle Firmen des von der
Politik vertretenen Staates profitieren, auch die kleinen). In der Regel
gibt es darüber hinaus sehr konkrete Unterstützungsmaßnahmen, die nur
einzelne Betriebe betreffen und etwa darin bestehen, dass spezielle
Fördermittel für ein Unternehmen bereitgestellt werden. Oder es wird das
Management des Betriebes dazu eingeladen, Regierungsvertreter auf
Handelsdelegationen zu begleiten ? wenn die Delegation nicht überhaupt auf
Drängen dieses Unternehmens unterwegs ist. 

Doch der Weg zu dieser Art von politischer Protektion ist bekanntlich
weit; viele Jahre des Abrackerns in Märkten gehen ihr meist voraus. Und
müssen ihr auch vorausgehen. Denn es ist zwar die Politik, die es den
Unternehmen ermöglicht, sich vom Markt zu befreien. Aber freilich kann die
Politik das nur für jene leisten, die sich in irgendeiner Form am Markt
bewährt haben. Sie ist lediglich ein Hebel, aber nicht mehr. Es wäre
dementsprechend ein Missverständnis, zu glauben, dass die Politik das
erfolgreiche Wirtschaften eines Betriebs ersetzen kann: Die Grundlage für
den Sprung in die Sphäre des contre-marché  müssen die Betriebe schon
selbst schaffen. 

Wobei einem Großteil der Unternehmen dieser Sprung freilich nie gelingt ?
einfach deshalb nicht, weil es ihnen aus vielen Gründen an der notwendigen
Substanz fehlt. Sie stehen deshalb oft während ihrer gesamten Lebensdauer
im Markt; ein Faktum, das den meisten Klein- und Mittelbetrieben (KMU) nur
allzu vertraut sein dürfte. "

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