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Identitaet (was: Re: Re: [ox] Gibs Gruppen?)



Hi StefanMn et al.,

On Monday 21 April 2003 14:03, Stefan Merten wrote:
Ich würde heute nicht mehr eine Gruppe wie ein Subjekt
behandeln, wenn ich über Emanzipation nachdenke.

Warum sollte mensch das auch tun? Aber vielleicht verstehe ich jetzt
nur zu wenig, was du mit "Subjekt" genau meinst.

Ganz klassisch: kollektives Subjekt als kollektive handelnde Entität. Z.B. 
die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt war sowas.

Warum ich solche kollektiven Entitätsbildungen nicht (mehr) für 
emanzipatorisch halte, habe ich in der vorhergehenden Mail beschrieben.

Tut man das, setzt dies einen
identitären Bezug voraus.

Kannst du diesen Satz näher erläutern? Was ist ein identitärer Bezug
und was ist im emanzipatorischen Interesse daran problematisch? Das
ist keine rhetorische Frage, sondern ich habe wirklich nicht die
leiseste Ahnung, von was du da sprichst. Da das häufiger bei dir
auftaucht, würde ich gerne wissen, von was du da eigentlich sprichst.

Um eine kollektive Entität zu erzeugen, muss es eine gemeinsamen 
Bezugspunkt geben, eines, womit sich alle identifizieren (können, wollen, 
sollen oder müssen). Dieses Gemeinsame macht die Identität des Kollektivs 
aus. Früher (auch noch heute) waren das z.B. vermutete oder postulierte 
"gemeinsame Interessen", die entweder objektiv bestimmt oder subjektiv 
gegeben waren. Es ist offensichtlich, dass Identitäten stets 
transzendentaler Bezüge bedürfen, dass sie ohne solche gar nicht 
funktionieren. Solche Identitäten waren und sind auch zentral wichtig für 
den emotionalen Bezug: die eigene Identität schafft gleichzeitig das 
Nicht-Identische, das Ab(zu)stoßende, den Feind. Das historisch brutalst 
wirkwächtige Identität-Nichtidentität-Konstrukt war (und ist) der 
Antisemitismus.

Nun kann man sagen, dass ja nicht alle identitären Konstrukte und Bezüge 
"so schlimm" in der Auswirkung sein müssten, sie könnten doch durchaus 
positiv sinnstiftend sein. Man könnte sich doch so eine positivem 
Identitätspluralismus vorstellen. - Ja, könnte man, und das wird ja auch 
getan. Interessanterweise können die krassesten Identitätskonstrukte (der 
Rassisten und Antisemiten weltweit) durchaus "plural" nebeneinander 
existieren. Der Kern der Ausschluss- und im Extremfall der 
Vernichtungslogik des Nicht-Identitären wird dadurch jedoch nicht 
angetastet.

Das ist schon problematisch genug. Warum ich es jedoch in unserem Kontext 
problematisch finde, ist die Überlegung, dass sich IMHO Selbstentfaltung 
und kollektive Identitätsbildung ausschliessen. Dort, wo identitäre 
Bezüge forciert werden, treten auch transzendente Bezüge hervor und 
untergraben die je eigene Individualität. Das geschieht in der Freien 
Software jedoch nach meiner Beobachtung relativ selten.

Bislang wurde noch nicht versucht, die Gruppendiskussion (positiv) mit 
Identitätsbildung zu verbinden. Aber der "Gruppenstandpunkt" ist nicht 
mehr weit weg davon.

Ciao,
Stefan

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