Re: [ox] Re: Gegen die eigenen Beduerfnisse handeln?
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Tue, 13 May 2003 08:48:34 +0200
On Monday 05 May 2003 05:22, Holger Weiss wrote:
* Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org> [2003-04-22 09:11]:
Zugespitzt: Menschen können sich nicht bewußt selbst schaden, wobei
"Schaden" nicht an äußerlichen Maßstäben bestimmbar ist, sondern sich
nach der konkreten Situation, wie es das Individuum erfährt, bemisst.
Somit entspricht _jede_ Handlung schlicht dem Massstab des Individuums
zur Zeit seiner Handlung, right? Das hat was tautologisches, sagt aber
immerhin aus, dass man weitergehende Aussagen offensichtlich nicht
machen kann ;-)
Wenn "Logik" ein Vorgang dritter Person ist, dann kann man IMHO auch nicht
von "tautologisch" sprechen. Aber es stimmt: Jede Handlung eines
Individuums ist begründet - das ist meine Übersetzung von "entspricht dem
Massstab des Individuums". Wobei "Grund" -- wie ich anderenmails deutlich
machte -- stets nur erster Person gedacht werden kann. Der Kurzschluss
besteht meist darin, diesen Standpunkt der ersten Person für nicht
verallgemeinerungsfähig (als je mein Standpunkt) und damit auch für nicht
wissenschaftsfähig zu halten.
Vielleicht wird langsam deutlich wie sehr sich "Grund" (erster Person) von
"Interesse" (das ich inzwischen vollends dem Modus dritter Person
zuordnen würde) unterscheidet.
Wenn Individuen gegen ihre individuellen Interessen/Bedürfnisse
handeln,
Den Absatz vorher hatte ich so verstanden, dass sie das nie tun. Wenn
sich jemand bewusst in den Arm schneidet, lag das gemaess seines
individuellen Massstabes in der konkreten Situation in seinem
Interesse.
Dieser jemand hatte einen _Grund_ dafür. Das ist eine radikale Aussage,
weil sie -- ernst genommen -- ein Ausweichen auf ein Spekulieren (dritter
Person) nicht zulässt. Du musst diesen Menschen fragen und einen
interindividuellen Prozess beginnen, in dem er sich dir verständlich
macht (wenn er das will).
Erinnert mich stark an `rational choice' (jede Handlung ist
rational, man muss nur am Massstab drehen), aber darum geht's mir hier
nicht.
Mir gerade auch nicht. Rationalität bemisst sich an dritten Vorgängen.
dann können sie das feststellen und auch erklären. Nur sie.
Mir ging's ja um objektive Interessen, nicht darum, ob Subjekte
entgegen ihren individuellen Beduerfnissen handeln (und das
feststellen) koennen. In einer Antwort auf StefanMn hast Du Deinen
Punkt hierzu m.E. klarer gemacht: Es gibt objektive Interessen,
Menschen koennen entgegen diesen Interessen handeln, aber das ist (fuer
den Beobachter oder auch den Menschen?) nicht feststellbar.
Ja, so ungefähr.
Der prinzipielle Grund, warum das nicht gehen soll, leuchtet mir nicht
ein. Du fuehrst Dein Bus-Beispiel an. Hier kann ich aus der Tatsache,
dass jemand an der Haltestelle steht, nicht ableiten, dass sein
Interesse "Bus fahren" lautet. Das Beispiel verwirrt mich in dem
Zusammenhang. Na klar, ich schau mir Handlung A an, nehme an, dass sie
auf Handlung B zielt, kann mich aber irren. Da der `objektive'
Interessenbegriff aber erstmal gar nicht ueber konkrete Handlungen
spricht, leuchtet mir der Zusammenhang zum Thema nicht ein. Wenn der
Typ in den Bus steigt, kann ich aus dieser zweiten Handlung doch auch
nicht ableiten, ob die Busfahrerei in seinem objektiven Interesse liegt
oder nicht. Ich kann im Nachhinein hoechstens feststellen, dass er
offensichtlich an der Haltestelle stand, weil er Bus fahren wollte. Da
sind wir aber vollstaendig auf der subjektiven Seite.
Wenn ich's recht sehe, ist Dein Punkt schlicht, dass ich
wissenschaftlich nichts weiter tun kann, als Handlungen zu beobachten.
Somit kann ich `objektives Interesse', auch wenn es sowas "ontologisch"
geben mag, nicht bestimmen. Ich kann keine Aussagen darueber treffen,
ob Menschen gemaess oder entgegen ihrem objektiven Interesse handeln.
Auch nicht ex post, nachdem der Mensch in den Bus gestiegen ist.
Richtig?
Hm. Ich glaube, es kommt auch hier wieder darauf an, welchen Standpunkt
der Erkenntnis ich einnehme, der die Kriterien bestimmt für unseren
Maßstab von Objektivität. Diese Kriterien können ergeben, dass es
"objektiv" -- aus von diesem entsprechend konstituierten Drittstandpunkt
aus -- im Interesse des Menschen war, in den Bus einzusteigen (z.B. weil
er nur so Unglück überleben konnte etc. -- Maßstab: Überleben).
Der Versuch, so etwas wie ein "objektives Interesse" ontologisch zu
bestimmen, bekommt schnell etwas teleologisches: Sprich, es sieht so aus
als ob es ein Ziel sei, die dem Sein eine Bestimmung gibt. Da fängt halt
Religion an.
Ich ziehe da eine teleonome Sicht vor, die das Gewordene als Faktum nimmt
und seinen Werdensprozess als objektiven rekonstruiert - ohne ein Ziel zu
unterstellen. Auf diese Weise -- IMHO nur so -- kann man dann auch
Seinsbestimmungen vornehmen. Ein kleiner Abschweif.
Ciao,
Stefan
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