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Re: [ox] Re: vom abstrakten zum konkreten



Hallo StefanMz und Liste,

Stefan Meretz schrieb:
Hi Matti und andere, ich bin begeistert, dass ich mal nicht in so einer Rechtfertigungsecke stehe ("wie kann man so nur denken..." - so empfinde ich das oft), sondern von dir mitgenommen und zum Weiterdenken aufgefordert werde:-)

Das freut mich, obwohl ich nicht verstehen kann, wieso so viele Probleme damit haben.


On Monday 02 June 2003 15:32, Matthias Schulz wrote:

Mehr wollte ich eigentlich gar nicht sagen, nämlich dass das
Interesse nur eine Abstraktion ist, und man weiter gehen muss zum
Konkreten.

Wozu brauchst du das abstrakt-allgemeine, das Interesse?

Das brauche ich nicht.


:-)


Geht der Weg für dich so "Handlungsgründe --> Interesse -->
Möglichkeitsraum"?

Darüber habe ich mir schon länger Gedanken gemacht, das der Weg übers
Abstrakte oft ein Umweg ist, oder vielleicht sogar ein ganz anderer?


Oder es ist die Vorstellung, der ich vielleicht auch noch anhänge (weiss ich nicht...), dass ich der (Real-)Abstraktion des Werts nur durch eine andere (Real-)Abstraktion begegnen kann. So habe ich Franz verstanden, wenn er nach einem "objektiven Substrat" sucht, das erst die kollektiven Handlungen möglich macht. In meinen eigenen Texten gibt es auch so einen Hang dazu...

Nur mal so laut gegrübelt...

Du meinst damit, das der Möglichkeitsraum auch nur eine Abstraktion ist? Dazu schreibe ich unten noch was.



IMHO sind es zwei verschiedene Erkenntnisbereiche: Abstrakt-allgemein
kann man nur etwas über ein abstrakt-allgemeines Individuum sagen
(meinetwegen über die angesprochene Notwendigkeit der
Nahrungsaufnahme), nichts aber über die Handlungen eines konkreten
Menschen. Das geht im Modus der dritten Person.

Konkret-allgemein können sich Menschen über ihre Handlungsgründe
verständigen und konkret-allgemein den Raum der Möglichkeiten
bestimmen. Das geht nur im Modus der ersten Person, interindividuell.

Ja vielleicht, aber ist nicht der Raum selbst durch eine Abstraktion
bestimmt? Nur das es kein homogener Raum ist, sondern einer voller
Möglichkeiten, zeigt erst der Bezug aufs Konkrete.


Der Begriff vom Möglichkeitsraum ist eine Abstraktion, nicht aber das konkrete Überlegen der Handlungsmöglichkeiten.

Du hast schon öfters gesagt, das Begriffe immer Abstraktionen sind. Das ist eigentlich auch logisch. Aber wenn sich die "gesellschaftliche Denkform" zum Konkreten ändert, ist mit den Begriffen dann nicht auch das Konkrete gemeint? Für mich ist der Begriff vom Möglichkeitsraum doch keine leere Abstraktion, sondern ich denke doch die konkreten Handlungsmöglichkeiten gleich mit. Anders ergibt es doch auch keinen Sinn.


Der Weg vom abstrakten zum konkreten bedeutet nicht, das ich ihn
jedesmal im Denken gehen muss, sondern es ist eher eine
gesellschaftliche Entwicklung, welche es denkmöglich macht.


Ja, weswegen sich auch jetzt viele mit sowas wie "Selbstentfaltung" schwertun - es erscheint ihnen zu abstrakt!

Aber es ist doch konkret ;-)


Entwickelt sich die gesellschaftliche Praxis zum Konkreten, falls man
das so sagen kann, ändert sich auch das Denken. Eine konkrete
Verallgemeinerung wird dann sozusagen zum "natürlichen" Denken.


... wird zur gesellschaftlichen Denkform, hätte Marx gesagt - ja.

Hm, klingt besser.
Aber bevor es zur allgemeinen gesellschaftlichen Denkform wird, können sich auch schon einige Individuen darauf beziehen. Entsteht nämlich das neue schon im alten, können einige vielleicht diesen Teil der gesellschaftlichen Praxis in ihrer Subjektivität reflektieren. Damit ist ihr Denken und Sein schon vom neuen geformt.



Btw. meine
ich auch, das sich die Gesellschaft gerade vom abstrakten zum
konkreten entwickelt.

Was meinst du damit?

Naja, ich meine wohl so etwas wie eine Realabstraktion. Dadurch das die
Menschen hauptsächlich abstrahieren (warum tun sie das?) schaffen sie
die Welt auch so. Das abstrakt-allgemeine wird so der Wirklichkeit
aufgezwungen, obwohl die Wirklichkeit eigentlich immer konkret ist. Das
Kapital ist doch sowas, oder?


Ja, das Kapital oder allgemeiner der Wert ist sowas. Bist du aber der Meinung, die Menschen brauchen immer so was wie eine Realabstraktion?

Nein, wozu soll das auch gut sein?


Warum die Menschen realabstrahieren, ist doch relativ einsichtig: Weil sie so ihr Leben reproduzieren. In jedem Tauschakt wird diese Realabstraktion vollzogen.

Stimmt, ist eigentlich logisch. Trotzdem fällt es mit schwer, das zu verstehen.

Wegen der Kopplung an die Reproduktion würde ich immer sagen: Die Menschen schaffen die Welt so, weil sie sie nur so schaffen können. Das ist der Kern des Fetischgedankens von Marx. Das ist allerdings kein hermetischer Zirkel, sondern bricht an den realen Widersprüchen auf.

Genau, eine Realabstraktion kann niemals vollständig Wirklichkeit werden.



Nun gibt es von diesen Realabstraktionen eine ganze Menge, IMHO. Zum
Beispiel auch die Politik. Sicherlich ist Politik ein Teil des
gesellschaftlichen Seins des Menschen, jedoch wenn ich mich darauf
beschränke und es quasi vom konkreten Sein abspalte, setze ich eine
Abstraktion in die Wirklichkeit.


Politik ist eine Bewegungsform der übergreifenden, durch den Wert gesetzten Realabstraktion. Sie kann deswegen nichts anderes als Abstraktion vom konkreten Sein sein. Das würde ich also noch viel drastischer formulieren als du.

Ok, was ich meinte war nur, das ich mich nicht auf eine Realabstraktion beziehen kann, wenn ich den Kapitalismus überwinden will. Ausserdem ist eine Abstraktion auch immer eine Beschränkung und das verträgt sich nicht mit Selbstentfaltung. Eine Realabstraktion ist doch auch immer losgelöst von einem konkreten Zweck, oder? Da ist Entfremdung schon vorprogrammiert.


In der FS-Community ist es immer das konkrete Sein der Menschen welches
produziert. Ich kann davon keine einzelnen Teile abstalten.


Tendenziell. In Praxi gibt es wahrscheinlich alle Varianten.

Genau, ich meinte nur das wesentlich neue in der FS.


Im Kapitalismus ist das gesellschaftliche Sein aufgespalten in z.B.
Politik, Kultur, Ökonomie... aber auch Wissenschaft, Theorie ;-) ...
Das sind alles Realabstraktionen, IMHO.


Ja!

Schön das du das auch so siehst. Dann kann ich ja die Realabstraktion nennen, die mich wirklich um treibt:

die Diskussion

Ich empfinde es als Beschränkung disskutieren zu müssen, und mich nicht einfach unterhalten zu können. Selbstverständlich kann aus einer Unterhaltung auch eine Disskussion werden. Aber wo soll ich die Grenze ziehen und wer legt das fest?


Und da sich solche Realabstraktionen nicht von "selbst", also durch die
konkreten Lebensäusserungen der Menschen, reproduzieren, müssen sie
quasi "künstlich" reproduziert werden. Und dazu braucht es Herrschaft.


Nein, ich glaube es ist noch schlimmer: Die Menschen re/produzieren durch ihre konkreten Lebensäußerungen die Real-Abstraktion, die ihnen dann als Fremdes entgegentreten (das ist der gesellschaftliche Begriff der Entfremdung). Herrschaft ist IMHO auch nur eine Bewegungsform innerhalb des gesamten Zusammenhangs, die mit dem Zusammenhang alltäglich reproduziert wird. So gesehen reproduziert sich der Zusammenhang von "selbst".

Ja das ist besser oder schlimmer ;-)
Ich habe mit "konkreten Lebensäusserungen" nur die unentfremdeten gemeint aber die entfremdeten sind ja auch welche. Aber sind das die konkreten Menschen, die den Zusammenhang reproduzieren oder die Rollen, welche sie einnehmen.


Deshalb braucht auch z.B. eine Organisation, die sich auf Politik
beschränkt, notwendig Herrschaft um zu funktionieren.


Herrschaft ist notwendig, aber nicht in dem Sinne, das es hier das Natürliche des konkreten Lebens gibt, und dort die Herrschaft, die künstlich die Abstraktion aufpfropft. Dann müsste man ja wirklich nur die Herrschaft stürzen, aber so "einfach" ist es eben nicht.

Das stimmt. Ich meinte es eher umgekehrt. Es wundern sich viele, weshalb in politischen Organisationen notwendiger Weise herrschaftsstrukturen Entstehen. Das geht gar nicht anders.

Ciao,
Stefan


Bis dann, Matti.

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Organisation: projekt oekonux.de



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