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[ox] Re: vom abstrakten zum konkreten



Hi Matti und andere, 

ich bin begeistert, dass ich mal nicht in so einer Rechtfertigungsecke 
stehe ("wie kann man so nur denken..." - so empfinde ich das oft), 
sondern von dir mitgenommen und zum Weiterdenken aufgefordert werde:-)

On Monday 02 June 2003 15:32, Matthias Schulz wrote:
Mehr wollte ich eigentlich gar nicht sagen, nämlich dass das
Interesse nur eine Abstraktion ist, und man weiter gehen muss zum
Konkreten.

Wozu brauchst du das abstrakt-allgemeine, das Interesse?

Das brauche ich nicht.

:-)

Geht der Weg für dich so "Handlungsgründe --> Interesse -->
Möglichkeitsraum"?

Darüber habe ich mir schon länger Gedanken gemacht, das der Weg übers
Abstrakte oft ein Umweg ist, oder vielleicht sogar ein ganz anderer?

Oder es ist die Vorstellung, der ich vielleicht auch noch anhänge (weiss 
ich nicht...), dass ich der (Real-)Abstraktion des Werts nur durch eine 
andere (Real-)Abstraktion begegnen kann. So habe ich Franz verstanden, 
wenn er nach einem "objektiven Substrat" sucht, das erst die kollektiven 
Handlungen möglich macht. In meinen eigenen Texten gibt es auch so einen 
Hang dazu...

Nur mal so laut gegrübelt...

IMHO sind es zwei verschiedene Erkenntnisbereiche: Abstrakt-allgemein
kann man nur etwas über ein abstrakt-allgemeines Individuum sagen
(meinetwegen über die angesprochene Notwendigkeit der
Nahrungsaufnahme), nichts aber über die Handlungen eines konkreten
Menschen. Das geht im Modus der dritten Person.

Konkret-allgemein können sich Menschen über ihre Handlungsgründe
verständigen und konkret-allgemein den Raum der Möglichkeiten
bestimmen. Das geht nur im Modus der ersten Person, interindividuell.

Ja vielleicht, aber ist nicht der Raum selbst durch eine Abstraktion
bestimmt? Nur das es kein homogener Raum ist, sondern einer voller
Möglichkeiten, zeigt erst der Bezug aufs Konkrete.

Der Begriff vom Möglichkeitsraum ist eine Abstraktion, nicht aber das 
konkrete Überlegen der Handlungsmöglichkeiten.

Der Weg vom abstrakten zum konkreten bedeutet nicht, das ich ihn
jedesmal im Denken gehen muss, sondern es ist eher eine
gesellschaftliche Entwicklung, welche es denkmöglich macht.

Ja, weswegen sich auch jetzt viele mit sowas wie "Selbstentfaltung" 
schwertun - es erscheint ihnen zu abstrakt!

Entwickelt sich die gesellschaftliche Praxis zum Konkreten, falls man
das so sagen kann, ändert sich auch das Denken. Eine konkrete
Verallgemeinerung wird dann sozusagen zum "natürlichen" Denken.

... wird zur gesellschaftlichen Denkform, hätte Marx gesagt - ja.

Btw. meine
ich auch, das sich die Gesellschaft gerade vom abstrakten zum
konkreten entwickelt.

Was meinst du damit?

Naja, ich meine wohl so etwas wie eine Realabstraktion. Dadurch das die
Menschen hauptsächlich abstrahieren (warum tun sie das?) schaffen sie
die Welt auch so. Das abstrakt-allgemeine wird so der Wirklichkeit
aufgezwungen, obwohl die Wirklichkeit eigentlich immer konkret ist. Das
Kapital ist doch sowas, oder?

Ja, das Kapital oder allgemeiner der Wert ist sowas. Bist du aber der 
Meinung, die Menschen brauchen immer so was wie eine Realabstraktion? 

Warum die Menschen realabstrahieren, ist doch relativ einsichtig: Weil sie 
so ihr Leben reproduzieren. In jedem Tauschakt wird diese Realabstraktion 
vollzogen.

Wegen der Kopplung an die Reproduktion würde ich immer sagen: Die Menschen 
schaffen die Welt so, weil sie sie nur so schaffen können. Das ist der 
Kern des Fetischgedankens von Marx. Das ist allerdings kein hermetischer 
Zirkel, sondern bricht an den realen Widersprüchen auf.

Nun gibt es von diesen Realabstraktionen eine ganze Menge, IMHO. Zum
Beispiel auch die Politik. Sicherlich ist Politik ein Teil des
gesellschaftlichen Seins des Menschen, jedoch wenn ich mich darauf
beschränke und es quasi vom konkreten Sein abspalte, setze ich eine
Abstraktion in die Wirklichkeit.

Politik ist eine Bewegungsform der übergreifenden, durch den Wert 
gesetzten Realabstraktion. Sie kann deswegen nichts anderes als 
Abstraktion vom konkreten Sein sein. Das würde ich also noch viel 
drastischer formulieren als du.

In der FS-Community ist es immer das konkrete Sein der Menschen welches
produziert. Ich kann davon keine einzelnen Teile abstalten.

Tendenziell. In Praxi gibt es wahrscheinlich alle Varianten.

Im Kapitalismus ist das gesellschaftliche Sein aufgespalten in z.B.
Politik, Kultur, Ökonomie... aber auch Wissenschaft, Theorie ;-) ...
Das sind alles Realabstraktionen, IMHO.

Ja!

Und da sich solche Realabstraktionen nicht von "selbst", also durch die
konkreten Lebensäusserungen der Menschen, reproduzieren, müssen sie
quasi "künstlich" reproduziert werden. Und dazu braucht es Herrschaft.

Nein, ich glaube es ist noch schlimmer: Die Menschen re/produzieren durch 
ihre konkreten Lebensäußerungen die Real-Abstraktion, die ihnen dann als 
Fremdes entgegentreten (das ist der gesellschaftliche Begriff der 
Entfremdung). Herrschaft ist IMHO auch nur eine Bewegungsform innerhalb 
des gesamten Zusammenhangs, die mit dem Zusammenhang alltäglich 
reproduziert wird. So gesehen reproduziert sich der Zusammenhang von 
"selbst".

Deshalb braucht auch z.B. eine Organisation, die sich auf Politik
beschränkt, notwendig Herrschaft um zu funktionieren.

Herrschaft ist notwendig, aber nicht in dem Sinne, das es hier das 
Natürliche des konkreten Lebens gibt, und dort die Herrschaft, die 
künstlich die Abstraktion aufpfropft. Dann müsste man ja wirklich nur die 
Herrschaft stürzen, aber so "einfach" ist es eben nicht.

Ciao,
Stefan

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