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Re: [ox] Beduerfnisse, Interessen, usw. (was: Re: Interesse als Abstraktion)



Hi El, dero von Casiuns und zu RV Purzelwald und alle anderen mit
weniger komplizierten Namen!

6 days ago Casimir Purzelbaum wrote:
Leider kann ich mit wichtigen Aspekten Deiner Begriffsbestimmungen zu
Bedürfnis und Interesse nicht soviel anfangen, wie ich gerne wöllte.

Immerhin hast du's versucht :-) .

Ich hoffe, der etwas wortreich geratene Versuch, meine Vorstellungen
darzustellen, wirkt nicht als Diskukiller oder so ;-)

Auf mich jedenfalls nicht :-) .

Um das ganze
nicht allzusehr ausufern zu lassen, habe ich viele direkte Bezüge
weglassen müssen in der Hoffnung, daß sie trotzdem mitgedacht werden
können...

* Bedürfnis

  Bedürfnis ist für mich etwas sehr Basales, durchaus auch
  Vorbewusstes. Ein Bedürfnis können z.B. auch Säuglinge haben - ob
  sie es *bewusst* haben, würde ich aber heftig bezweifeln.

  ...  Was ich meine: Es gibt m.E. kein Bedürfnis ein dickes
  Autos zu fahren oder wohl auch keins zu reisen. Es gibt wohl aber
  ein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und nach anregenden
  Erlebnissen.

  Wichtig auch der Bezug zur Welt: Der ist beim Bedürfnis für mich
  erst mal nicht gegeben. Ein entscheidender Unterschied zum
  Interesse. Dennoch ist das Bedürfnis für mich der Urgrund für
  jegliche Handlung. Gibt es kein Bedürfnis, so gibt es keine
  Handlung. Allerdings ist vom Bedürfnis bis zur Handlung des
  öfteren ein weiter Weg über verschiedene Vermittlungsschritte.
  Das dicke Auto z.B. kann über mehrere Vermittlungsschritte zu
  einer Befriedigung des Bedürfnisses nach sozialer Anerkennung
  führen.

Hier muss ich mich nochmal kurz in mich selbst einklinken. Wenn ich
StefanMz richtig verstehe, dann bezeichnet er das hier als
Handlungsgründe. Jedenfalls so ungefähr.

  Ein Bedürfnis ist für mich auch rein subjektiv - auch wenn viele
  das gleiche Bedürfnis haben können - und von daher
  unhinterfragbar.  Es *ist* einfach und seine Leugnung wäre für
  mich ein fundamental anti-emanzipatorischer Schritt. ...

Erstens verstehe ich nicht, warum Du "hinterfragbar" mit "Leugnen"
gleichsetzt: wenn ich etwas hinterfrage, dann leugne ich es doch
(noch) nicht, oder?

Hmm... Also ich meinte keine Gleichsetzung. Aber was ich meine ist
wohl, dass *andere* tendenziell nicht hinterfragen dürfen. Der ersten
Person steht es natürlich frei.

Zweitens ergibt sich doch daraus, daß etwas *ist*, nicht, daß es nicht
hinterfragbar wäre? Gerade wenn ich davon ausgehe, daß das, was ich
meine, was ich fühle, was mir scheint usw., -- daß das alles wirklich
*ist*, entsteht doch in mir das Bedürfnis nachzufragen, *was* es denn
nun wirklich ist, das da *ist*.

Aber es gibt m.E. eine unhintergehbare Grenze, wo es auch mit noch so
viel Hinterfragen nicht mehr wirklicher wird. Wahrscheinlich sind da
für mich die Bedürfnisse angesiedelt. Diese Grenze ist natürlich
individuell unterschiedlich.

Selbst Deine Beispiele -- Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und
Bedürfnis nach anregenden Erlebnissen -- bringen zum Ausdruck, daß
Bedürfnisse sehr verschieden sein können.  Die abstrakte Formulierung
verwischt nur das, von dem Du meinst, daß es wirklich *sei*: die
soziale Anerkennung, die des einen Traum ist, ist dem andern ein
Gräuel;

Nein. Menschen brauchen als solche soziale Anerkennung zur
Menschwerdung. Ohne ein mich anerkennendes Du kann sich aus einem
Neugeborenen kein Mensch entwickeln.

wenn jemand das Bedürfnis hat, dem Zwang zu "anregenden
Erlebnissen" zu entfliehen, dann nennst Du es wahrscheinlich nicht
"Bedürfnis nach abregenden Erlebnissen", sondern begreifst es als
"Anregung der anderen Art" oder so.

Basaler: Das Gehirn im Tank ohne Verbindung zur Außenwelt kann nur
verrückt werden. Es ist schlicht nicht dafür gebaut, ohne Anregung von
Außen zu existieren.

Damit scheint mir aber Deine Bestimmung sich darauf zu reduzieren, daß
es *Bedürfnisse schlechthin* einfach gibt.  Aber welche es denn sind
und wie ich sie als solche bestimme ist doch alles andere als
unhinterfragbar, oder?

Zur Bestimmung hatte ich gesagt, dass mir als beste Methode das
In-sich-hinein-horchen erscheint. Sorry, ich kann das nicht mit
besseren Begriffen erläutern. Das scheint mir auch ein bisschen
jenseits von Begriffen.

Außerdem kann man auch an Deinen Beispielen gut erkennen, daß
Bedürfnisse nicht basal sind im Sinne von gott-gegeben, sondern daß
es sich um produzierte Empfindungen handelt: das Bedürfnis nach
anregenden Erlebnissen wird durch einseitige psychische Belastung
geschaffen, das entgegensetzte Bedürfnis nach Ruhe oder Besinnung
durch Reizüberflutung usw.

Das ist schon stark in der Ebene der Vermittlung mit der Welt. Ich
meinte es viel basaler. S.o.

Das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung
entsteht erst durch systematische soziale Nichtanerkennung
bzw. Androhung dieser.

???

Na, wenn es kein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung gäbe, dann wäre
eine Androhung ihres Entzugs ja reichlich hohl...

(Von dem "Bedürfnis zu rauchen" usw. mal ganz
zu schweigen ;-)

Als Ex-Raucher weiß ich wovon du sprichst ;-) . Ich würde das durchaus
als Bedürfnis bezeichnen. Warum setzt du Anführungszeichen?

Also: Woher weißt Du, ob ein Bedürfnis ein Bedürfnis ist oder nicht?

Mal abgesehen davon, dass ich nicht weiß warum die Frage überhaupt
von Interesse (sic!) ist, würde ich antworten: Durch subjektive
Setzung. Ich würde mich sogar dazu versteigen, dass genau diese
subjektive Setzung der Kern individueller Freiheit ist.

Womit begründest Du die Basalität eines Kandidaten für ein Bedürfnis?
Erklärst Du nicht einfach das zum Bedürfnis, was Du nicht weiter
erklären willst?  Mit der Begründung, es sei eben subjektiv?

Ein wenig verkürzt: Ja. Aber warum auch nicht?

Das Subjekt ist aber in meinen Augen keine Erkenntnismauer.  Das
Subjekt ist ja nicht von sich aus das Subjekt seiner Erfahrungen: es
ist sein Leben lang Objekt von objektiven Einflüssen
bzw. Einwirkungen, welche es sich als Erfahrung zu eigen macht, und
konstituiert sich als erfahrendes Subjekt nur unter selbigen
Einwirkungen bzw. Einflüssen.

Ich bestreite nicht, dass das Einflüsse auf Bedürfnisse hat.

Diese objektive Einflüsse und
Einwirkungen muß ich doch analysieren können?  (Natürlich geht das
hinwiederum nur im Zusammenhang mit ihrer Auswirkung auf das Objekt,
also in unserem Falle auf das gebeutelte Subjekt.)

Du kannst sie analysieren - klar. Aber was ändert das?

Deine Analyse und die Bedürfnisse können nebeneinander existieren. Es
sind zwei unterschiedliche Wahrheiten.

Bedürfnisse sind vielleicht nur subjektiv wahrnehmbar.  Aber erstens
ist nicht alles, was ich wahrnehme, wahr
                           ^^^^       ^^^^

Ach, manchmal ist die Sprache auch schön entlarvend ;-) . *Nur* das
Wahrgenommene ist wahr. Ansonsten brauchst du eine (transzendente)
Wahrheit. Bitte nicht...

und zweitens ist das, was an
meiner Wahrnehmung wahr ist, objektiv.

Genau: Für eine Bestimmung des Begriffes "objektiv" kommst du nicht
ohne Transzendenz aus.

(Egal, ob ich es nun weiter
erklären kann/möchte oder nicht.)  Somit läßt sich die Wahrnehmung --
wenn auch nicht unmittelbar -- reproduzieren: was anderes tue ich
denn, wenn ich Karl-Heinz zu seinen Handlungsgründen befrage? Ich
versuche sie durch Abbildung zu reproduzieren (1. muß er sie in Worte
und Gedanken fassen, 2. in Sprache vergegenständlichen, und 3. muß ich
das in Sprache vergegenständlichte möglichst adäquat in meine
Gedanken- und Gefühlswelt hinein entgegenständlichen, um ihn verstehen
zu können).

Ich würde sagen, du machst Karl-Heinz' Wahrnehmung tendenziell und in
vermittelter Form zu deiner eigenen.

  ... Wie die Vermittlung bis hin zur Handlung läuft und das
  Ergebnis der Handlung ist dagegen für mich durchaus
  hinterfragbar. Also: nicht das Bedürfnis nach sozialer
  Anerkennung leugnen sondern nur seine Vermittlungsform in Form
  eines dicken Autos.

Gerade heute darf man m.E. nicht vernachlässigen, daß es eine
Industrie gibt, deren Zweck das *Schaffen von Bedürfnissen* ist.
Wahrscheinlich würdest Du das, was da geschaffen wird, nicht Bedürfnis
sondern Vermittlung nennen, aber wie würdest Du es abgrenzen?

Ich würde es gar nicht allgemein abgrenzen wollen. Warum sollte ich?
Warum willst du es?

* Interesse

Zum Begriff des "Interesses" möchte ich mal versuchen, meine
Vorstellung vom Zusammenhang zwischen Bedürfnis, subjektivem und
objektivem Interesse zu umreißen.

Danke.

Ich habe das Bedürfnis nach materieller/finanzieller Unabhängigkeit
bzw.  Sicherheit (was auch immer das sein mag und wo auch immer dieses
Bedürfnis herkommen mag).

Ja.

Daher habe ich ein Interesse daran, mich
bei meinem Chef einzuschleimen.

Unter den gegebenen Bedingungen: Ja.

Das Einschleimen ist aber nicht mein
Bedürfnis -- ebensowenig wie sein Effekt, daß ich jemand anders
dadurch (potentiell) verdränge --

Ja.

es kann allerdings dazu führen, daß
ich das immer weiter tun muß, um dem in Gang bleibenden Mechanismus
standzuhalten. Es liegt also in meinem Interesse: subjektives
Interesse.

Ja.

Wenn ich jetzt aber mal von der konkreten individuellen
Realisierungsmöglichkeit für mein Bedürfnis absehe, dann wäre mein
Interesse eigentlich: materielle/finanzielle Unabhängigkeit ohne
Einschleimen --

Oben hast du das noch - m.E. richtiger - die Sicherheit als Bedürfnis
bezeichnet. Dieses Bedürfnis existiert vor der Vermittlung mit der
Welt quasi als Voraussetzung menschlicher Existenz. Das
Nicht-Einschleimen-Müssen würde ich ebenfalls als Bedürfnis verstehen
können - so etwa als Bedürfnis danach, ein Leben in Würde führen zu
können. Was du suchst ist eine Vermittlungsform mit der Realität -
vielleicht einer veränderten -, die beide Bedürfnisse deckt.

dazu müßte ich aber die eingefahrenen
wirtschaftshierarischen Verhältnisse verlassen bzw. ganz allgemein:
ändern. -- Objektives Interesse.

Wo wird daran was objektiver? Dadurch, dass du die Möglichkeit (ganz)
anderer Vermittlungsformen in den Blick nimmst, werden die Interessen
doch nicht weniger subjektiv.

Dieses hinwiederum widerspricht
meinem subjektiven Interesse insofern, als daß ich mich bei meinem
Chef nicht gerade beliebt mache, wenn ich mich für die Veränderung der
Verhältnisse interessiere oder gar engagiere.

Du betrachtest verschiedene Vermittlungsformen und aus diesen ergeben
sich unterschiedliche Interessen, die teilweise miteinander im
Widerspruch stehen. Und?

Obwohl auch er ein
objektives Interesse an der Veränderung hätte, da seine subjektiven
Interessen ebenso einem wichtigen Teil seiner Bedürfnisse
widersprechen.

Und hier wird's transzendent: Das kannst du erst sagen, wenn du ihn
gefragt hast bzw. anderweitig eine Äußerung von ihm hast - z.B. weil
er mit dir in einer Interessengruppe ist, die solche Ziele verfolgt.
Du beschreibst m.E. den Anfang der Arroganz der "Avantgarde".

Nochmal abstrakt das, was ich meine: Bedürfnis ist die nicht-bewußte
Reflexion dessen, was ich unmittelbar erfahre/verspüre; mein
subjektives Interesse ist das, was im Sinne der Befriedigung eines
Bedürfnisses im Rahmen meiner subjektgebundenen Möglichkeiten liegt
und meist partiell ein Bedürfnis gegen andere ausspielt. Objektives
Interesse hat man(!) an Lösungen, die sowohl die inner- als auch die
zwischenmenschliche antagonistisch-widersprüchliche Partialität der
Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten überwindet, also an der
Veränderung der Bedürfnisstruktur und des Handlungsrahmens selbst über
die subjektiven Möglichkeiten hinaus.

Ich kann die Unterscheidung nicht sehen. Warum ist eine Veränderung
der Gesellschaft nicht eine subjektgebundene Möglichkeit? Ich würde
sogar sagen, dass eine Veränderung der Gesellschaft *nur genau dann*
im emanzipatorischen Sinne gelingen kann, wenn sie eine
subjektgebundene Möglichkeit ist.

Von Marcuse habe ich mal aufgeschnappt, dass die Veränderung zu einer
Gesellschaft in der Bedürfnisstruktur verankert sein muss, damit es
klappt. Das teile ich. Freie Software und die dort entstehende und
sich von dort verbreitende Kultur sind m.E. ein ganz wichtiger Beitrag
zur Veränderung von Bedürfnisstruktur. Das gibt es was, was ich immer
stärker als Unterschied zwischen net-based Leuten und anderen sehe.

Subjektive Interessen sind an den individuellen Erkenntnishorizont
geknüpft, da dieser ein wesentlicher Bestandteil der Schranken für
bewußtes Handeln ist.

Und wenn du über gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen nachdenkst,
dann verlässt du deinen individuellen Erkenntnishorizont? Wie soll das
gehen?

Objektive Interessen sind nicht an meinen aktuellen Erkenntnisstand
geknüpft.  Daß heißt, es gibt objektive Interessen, wenn es Lösungen
von subjektiven Problemen gibt, die jenseits des momentanen
subjektiven Erkenntnis- und Handlungsrahmens liegen.

Wenn sie jenseits *aller* subjektiven Erkenntnisrahmen liegen, dann
hat sie schlicht und ergreifend keineR. Dann sehe ich keinen Grund
darüber zu spekulieren. Transzendenz pur.

Wenn sie aber in einem subjektiven Erkenntnisrahmen liegen, dann sind
sie eben zumindest für eine Person subjektiv. Vielleicht liegt es ja
im Interesse der Person, ihren Erkenntnis- und Handlungsrahmen mit
anderen zu teilen. Vielleicht muss sie es tun um ihr Interesse
erreichen zu können. Aber dadurch wird's nicht objektiver.

Und daß es
solche Lösungen gibt, drückt sich zum Beispiel sehr abstrakt aus in
Sprüchen wie "die Hälfte aller Probleme löst die Zeit" ;-) Man kann
zwar die Entwicklung des eigenen Erkenntnisrahmens und
Handlungsspielraums schlecht antizipieren, aber das sollte einen nicht
davon abhalten, darüber nachzudenken.

Solange ich also nicht im Vollbesitz der absoluten Wahrheit bin, kann
sich mein subjektives Interesse von meinem objektiven Interesse
unterscheiden.  Solange kein anderer den Stein der Weisen verschluckt
und verdaut hat, kann auch kein anderer mein objektives Interesse
endgültig feststellen.  Dennoch gibt es das und wir können daran
arbeiten, es zu erkennen.

M.E. kann es keineR feststellen. Deswegen ist es für mich reichlich
müßig darüber zu spekulieren. Ich wüsste auch nicht, wie eine
Orientierung auf etwas aussehen kann, das niemensch weiß. Wenn ich
handeln will, reicht es völlig im Rahmen des Subjektiven zu bleiben.

<disclaimer> Der Autor distanziert sich ausdrücklich vom Einsatz des
"objektiven Interesses" als demagogisches Werkzeug zur politischen
Mobilisierung und zur Rechtfertigung der Ignoranz von realen
Bedürfnissen und subjektiven Interessen der Menschen.</disclaimer>

Das glaube ich dir wohl. Dennoch denke ich, dass das Transzendente an
deinem Begriff des objektiven Interesses nur zu diesem Zweck dienen
kann.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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