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Re: Re: [ox] Beduerfnisse, Interessen, usw. (was: Re: Interesse als Abstraktion)



Ref.: 	«Re: [ox] Beduerfnisse, Interessen, usw. (was: Re: Interesse als Abstraktion)»
 		Stefan Merten 	(2003-06-08, 18:43:56 [PHONE NUMBER REMOVED], KW 23/2003)

Hallo Stefan!

* Bedürfnis

  Bedürfnis ist für mich etwas sehr Basales, durchaus auch
  Vorbewusstes. Ein Bedürfnis können z.B. auch Säuglinge haben -
  ob sie es *bewusst* haben, würde ich aber heftig bezweifeln.

  ...  Was ich meine: Es gibt m.E. kein Bedürfnis ein dickes
  Autos zu fahren oder wohl auch keins zu reisen. Es gibt wohl
  aber ein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und nach
  anregenden Erlebnissen.

  Wichtig auch der Bezug zur Welt: Der ist beim Bedürfnis für
  mich erst mal nicht gegeben. Ein entscheidender Unterschied zum
  Interesse. Dennoch ist das Bedürfnis für mich der Urgrund für
  jegliche Handlung. Gibt es kein Bedürfnis, so gibt es keine
  Handlung. Allerdings ist vom Bedürfnis bis zur Handlung des
  öfteren ein weiter Weg über verschiedene Vermittlungsschritte.
  Das dicke Auto z.B. kann über mehrere Vermittlungsschritte zu
  einer Befriedigung des Bedürfnisses nach sozialer Anerkennung
  führen.

Hier muss ich mich nochmal kurz in mich selbst einklinken. Wenn ich
StefanMz richtig verstehe, dann bezeichnet er das hier als
Handlungsgründe. Jedenfalls so ungefähr.

Mir scheint, daß "Handlungsgründe" besser das beschreibt, was Du mit
Bedürfnis bezeichnest. 

Ich würde bei Bedürfnis unterscheiden zwischen 1) organischen
Bedürfnissen und 2) gesellschaftlichen oder sozialen Bedürfnissen. Nur
erstere können im gesellschaftlichen Zusammenhang als basal betrachtet
werden. Alle anderen entstehen durch a) Gewohnheit und/oder b)
unbewußte bzw. c) bewußte psychische Verarbeitung, sind also alles
andere als basal.

Das Problem, daß ich mit Deiner Basalitätsbestimmung habe, ist, daß
hier die Gründe der Bedürfnisse, ihre Entstehung und Veränderung
(inkl. Entwicklung) ausgeblendet werden sollen. Du kannst Dir
vorstellen, warum mir das eher als eine Behinderung des Denkens und
daher des bewußten Umgangs mit meinen Mitmenschen (und mir selbst ;-),
also als "anti-emanzipatorisch" erscheinen muß.

[...]

Selbst Deine Beispiele -- Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und
Bedürfnis nach anregenden Erlebnissen -- bringen zum Ausdruck, daß
Bedürfnisse sehr verschieden sein können.  Die abstrakte
Formulierung verwischt nur das, von dem Du meinst, daß es wirklich
*sei*: die soziale Anerkennung, die des einen Traum ist, ist dem
andern ein Gräuel;

Nein. Menschen brauchen als solche soziale Anerkennung zur
Menschwerdung. Ohne ein mich anerkennendes Du kann sich aus einem
Neugeborenen kein Mensch entwickeln.

Das wäre aber eine teleologische Bestimmung von Bedürfnis: der
Säugling entwickelt sich nur unter bestimmten Bedingungen zu einem
"gesellschaftlichen Menschen", das sagt aber nichts darüber, ob der
Säugling an sich überhaupt das Bedürfnis hat, sich zu einem solchen zu
entwickeln oder ob es nicht einfach nur die Voraussetzung dafür ist,
daß er sich überhaupt entwickelt. Ich halte das für ein
untergeschobenes (oder im besten Falle: aus Deinem Wissen
abgeleitetes) 'Bedürfnis'.

wenn jemand das Bedürfnis hat, dem Zwang zu "anregenden
Erlebnissen" zu entfliehen, dann nennst Du es wahrscheinlich nicht
"Bedürfnis nach abregenden Erlebnissen", sondern begreifst es als
"Anregung der anderen Art" oder so.

Basaler: Das Gehirn im Tank ohne Verbindung zur Außenwelt kann nur
verrückt werden. Es ist schlicht nicht dafür gebaut, ohne Anregung
von Außen zu existieren.

Gleiches wie oben: wenn Bedingung a, dann Entwicklung A; wenn
Bedingung b, dann Entwicklung B: Du leitest aus Deiner Bewertung der
Entwicklungen A und B ab, ob beim Subjekt Bedürfnis a oder Bedürfnis b
vorliegt.  Das ist alles andere als ein "subjekt-immanentes"
Herangehen ;-)

Damit scheint mir aber Deine Bestimmung sich darauf zu reduzieren,
daß es *Bedürfnisse schlechthin* einfach gibt.  Aber welche es
denn sind und wie ich sie als solche bestimme ist doch alles
andere als unhinterfragbar, oder?

Zur Bestimmung hatte ich gesagt, dass mir als beste Methode das
In-sich-hinein-horchen erscheint. Sorry, ich kann das nicht mit
besseren Begriffen erläutern. Das scheint mir auch ein bisschen
jenseits von Begriffen.

Damit werden aber die Bedürfnisse zu so was wie einem unergründlichen
Axiom, welches nur durch die unhinterfragbare innere Brille betrachtet
werden und, da nicht in Begriffe faßbar, nicht kommuniziert werden
kann.  In-sich-Hineinhorchen finde ich als Anregung nicht schlecht,
aber als Grundlage bzw. Methode für Begreifen, Verstehen, Erkennen
und Wissen-Schaffen unzureichend.

Das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung entsteht erst durch
systematische soziale Nichtanerkennung bzw. Androhung dieser.

???

Na, wenn es kein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung gäbe, dann
wäre eine Androhung ihres Entzugs ja reichlich hohl...

Bedürfnisse sind m.E. nicht permanent, sondern entstehen sozusagen
momentan (Bedürfnis nach Wasser-Trinken bei Durst), also bei
Unterschreitung irgendeiner Grenze bzgl. eines erstmal nebulösen aber
erforschbaren Wohlfühlempfindens.  Die Bedürfnisse können bei
Nicht-Befriedigung vor sich hinschwelen, sich verstärken oder sich
zurückbilden.  Im Falle der Befriedigung hingegen wird mit dem Durst
auch das Bedürfnis gelöscht.

(Das trifft m.E. auf Bedürfnisse im Allgemeinen zu, egal ob sie
organisch-biologischer oder sozialer Natur sind.  Interessen,
inkl. individueller Interessen hingegen sind eher langfristige,
sozusagen prinzipielle, Angelegenheiten.)

(Von dem "Bedürfnis zu rauchen" usw. mal ganz
zu schweigen ;-)

Als Ex-Raucher weiß ich wovon du sprichst ;-) . Ich würde das durchaus
als Bedürfnis bezeichnen. Warum setzt du Anführungszeichen?

Diesmal nur, weil es ein Zitat aus dem thread zwischen Stefan Mz. und
Holger Weiß war, aber auch, weil ich es irgendwie nicht in mein Abbild
Deines Begriffes von Bedürfnis als basal und unhinterfragbar einordnen
kann, aus oben genannten Gründen.
 
Also: Woher weißt Du, ob ein Bedürfnis ein Bedürfnis ist oder
nicht?

Mal abgesehen davon, dass ich nicht weiß warum die Frage überhaupt
von Interesse (sic!) ist, würde ich antworten: Durch subjektive
Setzung. Ich würde mich sogar dazu versteigen, dass genau diese
subjektive Setzung der Kern individueller Freiheit ist.

Gerade die subjektive Setzung hast Du aber oben selber nicht
durchgehalten, oder?

Da Bedürfnisse keine nur subjektive Basis haben, ist ihre subjektive
Setzung ohnehin eingeschränkt.  So wie ich das von Dir bisher
verstanden habe, kann aber Setzung hier eigentlich nur Kenntnisnahme,
Formulierung, Ausdruck, Feststellung heißen... -- Oder meinst Du
wirklich Setzung des Bedürfnisses selbst?

Womit begründest Du die Basalität eines Kandidaten für ein
Bedürfnis?  Erklärst Du nicht einfach das zum Bedürfnis, was Du
nicht weiter erklären willst?  Mit der Begründung, es sei eben
subjektiv?

Ein wenig verkürzt: Ja. Aber warum auch nicht?

Weil ich abstreiten möchte, daß Bedürfnisse NUR subjektiv sind.

Das Subjekt ist aber in meinen Augen keine Erkenntnismauer.  Das
Subjekt ist ja nicht von sich aus das Subjekt seiner Erfahrungen:
es ist sein Leben lang Objekt von objektiven Einflüssen
bzw. Einwirkungen, welche es sich als Erfahrung zu eigen macht,
und konstituiert sich als erfahrendes Subjekt nur unter selbigen
Einwirkungen bzw. Einflüssen.

Ich bestreite nicht, dass das Einflüsse auf Bedürfnisse hat.

Diese objektive Einflüsse und Einwirkungen muß ich doch
analysieren können?  (Natürlich geht das hinwiederum nur im
Zusammenhang mit ihrer Auswirkung auf das Objekt, also in unserem
Falle auf das gebeutelte Subjekt.)

Du kannst sie analysieren - klar. Aber was ändert das?

Das ändert zum Beispiel meinen Erkenntnis- und damit meinen
Handlungsrahmen: es kann mich zum Beispiel davon abhalten, einen
Schläger hinter Gitter zu bringen und zu glauben, damit sei ein
Problem gelöst.

Deine Analyse und die Bedürfnisse können nebeneinander existieren. Es
sind zwei unterschiedliche Wahrheiten.

Bedürfnisse sind vielleicht nur subjektiv wahrnehmbar.  Aber erstens
ist nicht alles, was ich wahrnehme, wahr
                           ^^^^       ^^^^

Ach, manchmal ist die Sprache auch schön entlarvend ;-) . 

(Jetzt bin ich aber enttäuscht: Du glaubst doch nicht etwa, daß ich
das aus Versehen so formuliert hätte?! ;-)

*Nur* das
Wahrgenommene ist wahr. ...

Schon der Unterschied zwischen den Wortverbindungen Wahr-NEHMEN und
Wahr-SEIN deutet darauf hin, daß es zwischen diesen nicht nur
Gemeinsamkeiten, sondern möglicherweise auch Unterschiede geben
könnte, sofern es zwischen SEIN und NEHMEN Deiner Anschauung nach noch
wenigstens einen Unterschied gibt.

Außerdem bringt es m.E. nichts, die Widersprüchlichkeit von Sprache
einebnen zu wollen, denn sie ist nur der Widerhall der
Widersprüchlichkeit der von uns wahrgenommenen Erscheinungen. Daß,
gelinde gesagt, nicht "*nur* das Wahrgenommene wahr" sei, das klingt
vielleicht paradox, aber: «Es ist ebenso paradox, daß die Erde um die
Sonne kreist und daß Wasser aus zwei äußerst leicht entflammenden
Gasen besteht. Wissenschaftliche Wahrheit ist immer paradox vom
Standpunkt der alltäglichen Erfahrung, die nur den täuschenden Schein
der Dinge wahrnimmt.» (Marx, Lohn, Preis, Profit, MEW Bd. 16, S. 129)

... Ansonsten brauchst du eine (transzendente)
Wahrheit. Bitte nicht...

und zweitens ist das, was an
meiner Wahrnehmung wahr ist, objektiv.

Genau: Für eine Bestimmung des Begriffes "objektiv" kommst du nicht
ohne Transzendenz aus.

Ja! Schon mein Erkenntnisinteresse deutet meinen Glauben an, daß meine
jeweilig momentane subjektive Wahrheit nicht alles widerspiegelt, was
es zu erkennen gibt, und meine subjektive Wahrnehmung -- nicht alles,
was wahr ist.  Daß Du die Existenz des Objektiven jetzt als
transzendent bezeichnest, das verstehe ich zwar nicht, aber es ist in
meinen Augen nicht ganz falsch: man kann ja Erkennen, Erfahren,
Wahrnehmen durchaus als _Übersteigen_ meiner bisherigen Erkenntnisse,
Erfahrungen und Wahrnehmungen sehen, welche ich mit bzw. von der
objektiven Realität durch meine objektiv und subjektiv gefärbte
subjektive Brille gemacht habe. Da ist mir aber ein bischen zu wenig
Eigenanteil drin, die Brille ist ja 1. ein aktiver Filter, welcher
2. von außen und 3. von innen beeinflußt werden kann. (Ich erinnere an
einen Zauberer oder Kartentrickser: ist das was Du von seinem Trick
"wahrnimmst" wahr?  Oder spielt er nicht vielmehr nur mit Deiner
"Brille" und versetzt Dich genau dadurch in Erstaunen, daß er
bestimmte Vorgänge Deiner Wahrnehmung entweder schlicht vorenthält
oder sie ihr durch einfache psychologische Mittel entzieht. Selbst ein
simpler Stein kann ein beeindruckendes Mittel zur Manipulation der
Wahrnehmungsfähigkeit sein.)

(Übrigens bin ich mir durchaus bewußt, daß sich mit einem
radikal-subjektivistischen Standpunkt nicht philosophisch streiten
läßt: radikaler Subjektivismus ist als Theorie wasserdicht. Da bleibt
einem nur die eigene Entscheidung -- vielleicht anhand der Frage, wem
ein solches Herangehen an die Welt mit ihren je gegenwärtigen
Widersprüchlichkeiten letztendlich nützt.)

... (Egal, ob ich es nun weiter erklären kann/möchte oder nicht.)
Somit läßt sich die Wahrnehmung -- wenn auch nicht unmittelbar --
reproduzieren: was anderes tue ich denn, wenn ich Karl-Heinz zu
seinen Handlungsgründen befrage? Ich versuche sie durch Abbildung
zu reproduzieren (1. muß er sie in Worte und Gedanken fassen,
2. in Sprache vergegenständlichen, und 3. muß ich das in Sprache
vergegenständlichte möglichst adäquat in meine Gedanken- und
Gefühlswelt hinein entgegenständlichen, um ihn verstehen zu
können).

Ich würde sagen, du machst Karl-Heinz' Wahrnehmung tendenziell und in
vermittelter Form zu deiner eigenen.

"Tendenziell". Hmmm. Es ist also nicht mehr _seine_ Wahrnehmung. Ich
mache mir also von seiner objektiv stattfindenden Wahrnehmung ein
subjektives Bild. Hmmm. Wo widersprechen wir uns hier?

  ... Wie die Vermittlung bis hin zur Handlung läuft und das
  Ergebnis der Handlung ist dagegen für mich durchaus
  hinterfragbar. Also: nicht das Bedürfnis nach sozialer
  Anerkennung leugnen sondern nur seine Vermittlungsform in Form
  eines dicken Autos.

Gerade heute darf man m.E. nicht vernachlässigen, daß es eine
Industrie gibt, deren Zweck das *Schaffen von Bedürfnissen* ist.
Wahrscheinlich würdest Du das, was da geschaffen wird, nicht Bedürfnis
sondern Vermittlung nennen, aber wie würdest Du es abgrenzen?

Ich würde es gar nicht allgemein abgrenzen wollen. Warum sollte ich?
Warum willst du es?

Weil Du Bedürfnisse als basal betrachtest. Und wenn Du Bedürfnisse
nicht von Vermittlungen abgrenzen kannst/willst, dann werden auch die
Vermittlungen basal, in Deinem Bild. Letztlich ist dann also der
Mensch so wie er ist und basta.

* Interesse

[...]

Ich habe das Bedürfnis nach materieller/finanzieller
Unabhängigkeit bzw.  Sicherheit (was auch immer das sein mag und
wo auch immer dieses Bedürfnis herkommen mag).

Ja.

Daher habe ich ein Interesse daran, mich bei meinem Chef
einzuschleimen.

Unter den gegebenen Bedingungen: Ja.

Das Einschleimen ist aber nicht mein Bedürfnis -- ebensowenig wie
sein Effekt, daß ich jemand anders dadurch (potentiell) verdränge
--

Ja.

es kann allerdings dazu führen, daß ich das immer weiter tun muß,
um dem in Gang bleibenden Mechanismus standzuhalten. Es liegt also
in meinem Interesse: subjektives Interesse.

Ja.

Wenn ich jetzt aber mal von der konkreten individuellen
Realisierungsmöglichkeit für mein Bedürfnis absehe, dann wäre mein
Interesse eigentlich: materielle/finanzielle Unabhängigkeit ohne
Einschleimen --

Oben hast du das noch - m.E. richtiger - die Sicherheit als
Bedürfnis bezeichnet. Dieses Bedürfnis existiert vor der
Vermittlung mit der Welt quasi als Voraussetzung menschlicher
Existenz. Das Nicht-Einschleimen-Müssen würde ich ebenfalls als
Bedürfnis verstehen können - so etwa als Bedürfnis danach, ein
Leben in Würde führen zu können. Was du suchst ist eine
Vermittlungsform mit der Realität - vielleicht einer veränderten -,
die beide Bedürfnisse deckt.

Richtig.
 
dazu müßte ich aber die eingefahrenen
wirtschaftshierarischen Verhältnisse verlassen bzw. ganz allgemein:
ändern. -- Objektives Interesse.

Wo wird daran was objektiver? Dadurch, dass du die Möglichkeit (ganz)
anderer Vermittlungsformen in den Blick nimmst, werden die Interessen
doch nicht weniger subjektiv.
 
Nein, da hast Du recht. Meine Interessen werden nicht weniger
subjektiv.  Aber die Veränderung meines gegenwärtigen subjektiven
Horizontes kann diesen in Richtung des objektiv möglichen
Handlungsrahmens erweitern.  Ist Dir schonmal der Satz zu Ohren
gekommen "Das hätte ich nicht für möglich gehalten!" ?
 
Dieses hinwiederum widerspricht meinem subjektiven Interesse
insofern, als daß ich mich bei meinem Chef nicht gerade beliebt
mache, wenn ich mich für die Veränderung der Verhältnisse
interessiere oder gar engagiere.

Du betrachtest verschiedene Vermittlungsformen und aus diesen
ergeben sich unterschiedliche Interessen, die teilweise miteinander
im Widerspruch stehen. Und?

Nix 'Und' -- Essig mit der Emanzipation, wenn ich diese Widersprüche
nicht aufzulösen trachte.
 
Obwohl auch er ein
objektives Interesse an der Veränderung hätte, da seine subjektiven
Interessen ebenso einem wichtigen Teil seiner Bedürfnisse
widersprechen.

Und hier wird's transzendent: Das kannst du erst sagen, wenn du ihn
gefragt hast bzw. anderweitig eine Äußerung von ihm hast -

Hat er mir gesagt. Und nu?

z.B. weil er mit dir in einer Interessengruppe ist, die solche
Ziele verfolgt. 

Wird er nicht sein, weil das seinem subjektiven Interesse genauso
widerspricht, so wie es meinem widerspricht, mich sozusagen öffentlich
für die Veränderung der Verhältnisse zu engagieren.

Du beschreibst m.E. den Anfang der Arroganz der
"Avantgarde".

?! 

Warum? Wir kennen uns doch. Ich kann auch selber so ein Chef sein,
oder?  Oder ich kann, wie Du oben formuliert hast, "seine Wahrnehmung
tendenziell und in vermittelter Form zu meiner eigenen" machen.

Warum macht mich das Arrogant? Weil _er_ das nicht kann oder nicht
will, und weil er, falls dem so sein sollte, Angst vor Verringerung
seiner sozialen Anerkennung haben muß, oder sich bevormundet fühlen
muß?

Nochmal abstrakt das, was ich meine: Bedürfnis ist die nicht-bewußte
Reflexion dessen, was ich unmittelbar erfahre/verspüre; mein
subjektives Interesse ist das, was im Sinne der Befriedigung eines
Bedürfnisses im Rahmen meiner subjektgebundenen Möglichkeiten liegt
und meist partiell ein Bedürfnis gegen andere ausspielt. Objektives
Interesse hat man(!) an Lösungen, die sowohl die inner- als auch die
zwischenmenschliche antagonistisch-widersprüchliche Partialität der
Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten überwindet, also an der
Veränderung der Bedürfnisstruktur und des Handlungsrahmens selbst über
die subjektiven Möglichkeiten hinaus.

Ich kann die Unterscheidung nicht sehen. Warum ist eine Veränderung
der Gesellschaft nicht eine subjektgebundene Möglichkeit? 

Das wollte ich nicht sagen.  Hab ich das gesagt?

Aber dennoch: allgemein laufen gesellschaftliche Veränderungen
unabhängig vom subjektiven Erkenntnisrahmen ab.  Das müssen sie aber
nicht.  Damit sie das aber nicht mehr tun, ist eine Annäherung
zwischen subjektiv vorstellbaren und objektiven Möglichkeiten
erforderlich, oder?

Ich würde sogar sagen, dass eine Veränderung der Gesellschaft *nur
genau dann* im emanzipatorischen Sinne gelingen kann, wenn sie eine
subjektgebundene Möglichkeit ist.

Von Marcuse habe ich mal aufgeschnappt, dass die Veränderung zu einer
Gesellschaft in der Bedürfnisstruktur verankert sein muss, damit es
klappt. Das teile ich. Freie Software und die dort entstehende und
sich von dort verbreitende Kultur sind m.E. ein ganz wichtiger Beitrag
zur Veränderung von Bedürfnisstruktur. Da gibt es was, was ich immer
stärker als Unterschied zwischen net-based Leuten und anderen sehe.

Völlig einverstanden.  

Aber: Gibt es diese Kultur objektiv? Auch wenn diverse Leute, die wir
kennen oder nicht kennen, diese nicht sehen oder nicht geneigt sind, sie
wahrzunehmen?

Subjektive Interessen sind an den individuellen Erkenntnishorizont
geknüpft, da dieser ein wesentlicher Bestandteil der Schranken für
bewußtes Handeln ist.

Und wenn du über gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen nachdenkst,
dann verlässt du deinen individuellen Erkenntnishorizont? Wie soll das
gehen?

Nein, aber vielleicht kann ich ihn ja erweitern?

Objektive Interessen sind nicht an meinen aktuellen Erkenntnisstand
geknüpft.  Daß heißt, es gibt objektive Interessen, wenn es Lösungen
von subjektiven Problemen gibt, die jenseits des momentanen
subjektiven Erkenntnis- und Handlungsrahmens liegen.

Wenn sie jenseits *aller* subjektiven Erkenntnisrahmen liegen, dann
hat sie schlicht und ergreifend keineR. Dann sehe ich keinen Grund
darüber zu spekulieren. Transzendenz pur.

Also Auspropieren, Suchen, Nachdenken, Forschung, Wissenschaft --
alles sinnlos?!

Wenn sie aber in einem subjektiven Erkenntnisrahmen liegen, dann sind
sie eben zumindest für eine Person subjektiv. Vielleicht liegt es ja
im Interesse der Person, ihren Erkenntnis- und Handlungsrahmen mit
anderen zu teilen. Vielleicht muss sie es tun um ihr Interesse
erreichen zu können. Aber dadurch wird's nicht objektiver.

Richtig. Objektiv ist objektiv, das ist nicht steigerbar, genausowenig
wie existent oder real steigerbar sind. Existenter? Am realsten?

*Bemühung um "Objektivität"* bei der Betrachtung bzw. Einschätzung von
Realität ist allerdings steigerbar -- nämlich vermittels der
Erweiterung des subjektiven Horizontes, am besten mit anderen zusammen
;-)

(Dadurch wird aber weder die objektive Realität realer oder objektiver
noch wird die Subjektivität der Subjekts weniger subjektiv, aber
vielleicht wird ja das Subjekt reicher an Erfahrung, Erkenntnis,
Einsicht usw. -- also handlungsfähiger, freier?)

Und daß es solche Lösungen gibt, drückt sich zum Beispiel sehr
abstrakt aus in Sprüchen wie "die Hälfte aller Probleme löst die
Zeit" ;-) Man kann zwar die Entwicklung des eigenen
Erkenntnisrahmens und Handlungsspielraums schlecht antizipieren,
aber das sollte einen nicht davon abhalten, darüber nachzudenken.

Solange ich also nicht im Vollbesitz der absoluten Wahrheit bin,
kann sich mein subjektives Interesse von meinem objektiven
Interesse unterscheiden.  Solange kein anderer den Stein der
Weisen verschluckt und verdaut hat, kann auch kein anderer mein
objektives Interesse endgültig feststellen.  Dennoch gibt es das
und wir können daran arbeiten, es zu erkennen.

M.E. kann es keineR feststellen. Deswegen ist es für mich reichlich
müßig darüber zu spekulieren.

Die Kirchenväter glaubten auch, es könne niemand feststellen, ob die
Erde nun das Zentrum des Universums sei oder nicht, und legten auf
genau dieser Basis fest, daß sie es sei.  Und sie hatten auch kein
Interesse an Spekulationen über diesen Punkt.  Wie wir wissen, ist das
Gegenteil festgestellt worden, sehr zum Bedauern dieser Herren.

Ich wüsste auch nicht, wie eine Orientierung auf etwas aussehen
kann, das niemensch weiß. Wenn ich handeln will, reicht es völlig
im Rahmen des Subjektiven zu bleiben.

Das fanden die nämlich auch!  (Es reicht doch, im Rahmen des aktuellen
Weltbilds zu bleiben, oder?!)

  «GALILEI: Ich dachte mir, Sie schauen einfach durch das Rohr und
     überzeugen sich? ...

   DER MATHEMATIKER: Gewiß, gewiß. -- Es ist Ihnen natürlich bekannt,
     daß nach der Ansicht der Alten Sterne nicht möglich sind, die um
     einen anderen Mittelpunkt als die Erde kreisen, noch solche
     Sterne, die im Himmel keine Stütze haben?

   GALILEI: Ja.

   DER PHILISOPH: Und, ganz absehend von der Möglichkeit solcher
     Sterne, die der Mathematiker -- /er verbeugt sich gegen den
     Mathematiker/ -- zu bezweifeln scheint, möchte ich in aller
     Bescheidenheit als Philosoph die Frage aufwerfen: Sind solche
     Sterne nötig? Aristotelis divini universum...» 

  (Brecht, Galilei, 4)

Jeder vertritt seinen subjektiven Kenntnisstand: Warum sollten sie
daran interessiert sein, diesen Stand zu verlassen?!

<disclaimer> Der Autor distanziert sich ausdrücklich vom Einsatz
des "objektiven Interesses" als demagogisches Werkzeug zur
politischen Mobilisierung und zur Rechtfertigung der Ignoranz von
realen Bedürfnissen und subjektiven Interessen der
Menschen.</disclaimer>

Das glaube ich dir wohl. Dennoch denke ich, dass das Transzendente
an deinem Begriff des objektiven Interesses nur zu diesem Zweck
dienen kann.

Das Transzendente an meinem Begriff ist das, was den je subjektiven
Vorstellungsrahmen _übersteigt_. Und solange wir uns nicht um genau
das kümmern (können), die objektive Realität mit ihren Möglichkeiten
also ignorieren zu können (oder zu müssen) glauben, ist Wissen Macht
und "dient" der Unterwerfung, Unterdrückung, Ausbeutung, Entfremdung
und deren Reproduktion.

Gruß,
El Casi aus dem Purzelwald :-)
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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