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Re: [ox] Re: Interesse als Abstraktion



Hi Matthias, StefanMz und alle!

Ich bin eine Ewigkeit hinten dran mit der Liste :-( . Sorry, ich habe
einfach zu viel um die Ohren - vor allem mit Oekonux und Umfeld.

Zunächst kurz zu Stefans Mail.

Last month (34 days ago) Stefan Meretz wrote:
On Sunday 08 June 2003 18:33, Stefan Merten wrote:
StefanMz: Tue mir doch mal einen Gefallen: Seit Monaten schreibe ich
mir hier die Finger wund um zu sagen, dass du - zumindest wenn es um
eine emanzipatorisch Vision geht - *inhaltlich* mehr oder weniger das
Gleiche sagst wie ich. Du benutzt nur ein ganz anderes Set von Worten,
ein anderes Sprachspiel. Das, was du (je vorläufiges) Ergebnis einer
Verständigung über den Möglichkeitsraum nennst, das nenne ich
Gruppeninteresse. Die Liste der Analogons ließe sich verlängern.
Könntest du mal anerkennen, dass es es zwischen uns im Wesentlichen
einen Streit um Worte gibt? Wenn ja, dann wäre "nur" noch die Frage,
wie damit umgegangen werden kann.

Da bin ich mir noch nicht so sicher. Ich unterstelle, dass unser Wollen
das Gleiche ist. Unser Herangehen jedoch IMHO nicht - was ich auch nicht
schlimm finde. Das zeigt sich u.a. daran, dass bestimmte von uns benutzte
Worte IMHO nicht analog sind.

Ok.

Warum z.B. Möglichkeitsraum und Gruppeninteresse nicht zusammenpassen, hat
Matti in seiner super guten Erläuterung beschrieben - ich hätte es nur
schlechter ausdrücken können. Da habe ich nichts hinzuzufügen, vielleicht
ist es mal ganz gut, wenn ich schweige, und vielleicht sagen dir Mattis
Erläuterungen mehr als meine Versuche.

Das können wir auf jeden Fall mal versuchen. Ich werde es gleich tun.
Spannend finde ich es immer noch - weswegen ich auch nochmal drauf
antworte.

Ich versuche mal nur das Wichtige zu zitieren.

Last month (41 days ago) Matthias Schulz wrote:
Am Sonntag, 8. Juni 2003 18:33 schrieb Stefan Merten:
Ich picke mal diese Mail aus dem Thread raus, weil hier noch alle
Zitate vorkommen.

Im übrigen sind die Fragen auch in dieser Mail nicht rhetorisch
gemeint, sondern ich wünsche mir wirklich eine Antwort darauf. Ich
habe mittlerweile in diesen Threads zahllose Fragen gestellt - und in
aller Regel keine Antworten bekommen. Ich würde es für *unglaublich
hilfreich* halten, wenn sich das ändern würde.

Ja, das ist aber manchmal nicht so einfach.

Vielleicht eine Bemerkung hierzu: Bei mir entwickeln sich auch und
gerade in dieser Debatte auch viele Gedankengänge erst oder besser
gesagt: verdichten sich. An vielen Stellen habe ich den Eindruck, dass
mein libertärer Hintergrund mich hier *ganz* anders geprägt hat als
StefanMz oder dich.

8 days ago Stefan Meretz wrote:
On Friday 23 May 2003 23:04, Matthias Schulz wrote:
Stefan Meretz wrote:
Wenn du abstrahierst, siehst du von etwas ab. Oder noch deutlicher:
du ziehst etwas ab, nämlich das je individuell für den Handlungsgrund
relevante.

Warum wird denn das je individuell für den Handlungsgrund Relevante
abgezogen? Verstehe ich nicht. Was bleibt denn dann noch übrig gerade
wenn das je individuell für den Handlungsgrund Relevante abgezogen
wird? Ich kann mir nicht vorstellen, was da noch sein kann.

Aber es ist natürlich logisch, dass dieses Nichts nur mit
Transzendentem gefüllt werden kann. Aber ich sagte schon, dass diese
Begriffsbildung *in sich* schon ihre Logik hat. Nur warum mensch sie
verfolgen sollte ist mir nach wie vor absolut schleierhaft :-( .

Genau, und das Interesse sieht doch vom je individuellen Handlungsgrund
ab.

Was ist denn dann der Inhalt des Interesses? Wenn es von den je
individuellen Handlungsgründen absieht bleibt doch gar nichts mehr
übrig! Ich kapiere überhaupt nicht wovon ihr sprecht. Ich habe für
diese Dinge nicht mal Worte. Matthias: Vielleicht kannst du mir ja
erklären, was da noch übrig bleiben soll?

Ich versuchs mal.

Danke.

Das Interesse ist sozusagen der Durchschnitt der je individuellen
Handlungsgründe.

Vielleicht können wir mal davon absehen zu sagen "Das Interesse
*ist*". Mein Eindruck ist gerade, dass es für dich etwas anderes ist
als für mich. Solange wir keine differenzierenden Worte dafür haben,
sollten wir hier qualifizieren.

Davon abgesehen hier mal ein Zitat aus meinem kleinen Brockhaus:

  Interesse [lateinisch "dabeisein"], Anteilnahme, Aufmerksamkeit; nur
  Mehrzahl: Neigung, Absicht, Vorteil, Nutzen.

Diese Definition scheint mir näher an meiner als an eurer. So gesehen
scheint mir mein Verständnis des Wortes jedenfalls mal volkstümlicher.

In einer Menge von Menschen hat jedeR eigene individuelle
Gründe etwas zu tun. Überlappen sich nun diese Handlungsgründe zwischen
mehreren Menschen, kann ich diese Abstraktion, den Durchschnitt als Interesse
bezeichnen.

Hier scheint mir schon das Kardinalproblem zu liegen: Warum tust du
das denn? Hier trittst du ganz konkret als 3. Person auf und pfropfst
eine Abstraktion auf. Wozu?

Oder anders herum gefragt: Wie bezeichnest du einen Vorgang, bei dem
sich Leute (1. Person) über diese Dinge verständigen und sich einigen?
Das ist für mich die Verständigung über ein gemeinsames Interesse. Das
unterscheidet sich auch im Prinzip nicht von dem, was in der 1. Person
Singular abläuft: Auch dort muss ich mich in Anbetracht der (von mir
wahr genommenen) Realitäten mit mir einigen. Hast du dafür einen
Begriff?

Wichtig ist dabei, dass dieses Interesse kein konkreter Mensch wirklich hat.
Es ist nur gedacht, abstrahiert und existiert nicht wirklich.

So wie du es konstruierst: Ja. Für mich ist die Bezeichnung dafür aber
nicht Interesse sondern Ideologie.

Was ist mit den Ergebnissen einer interindividuellen Einigung?
Existieren die auch nicht wirklich?

Wenn ich nun von Außen auf eine Gruppe Menschen schaue, und nur das Interesse
sehe, kann ich schnell der Meinung sein, dass diese Menschen das Interesse
tatsächlich besitzen. Das ist aber nur eine Statistik.

Ja. Irren ist menschlich.

Hat eine Übereinkunft zwischen Menschen den gleichen Stellenwert wie
Statistik?

Möchte ich nun die Entwicklung Freier Software begreifen, deren wesentliches
Moment die Selbstentfaltung konkreter Menschen ist, kann ich doch nicht von
den je konkreten Gründen absehen. Dann sehe ich nur Erscheinungen und
begreife gar nichts.

Mit anderen Worten: Ich darf nicht in eurem Sinne Interessen
definieren. Ja.

Mit meinen Worten: Ideologien sind Mist.

Im Abstrakt-Allgemeinen betrachte ich die Elemente eines Ganzen nur insofern,
wie sie eben dieses Ganze erschaffen. Die Elemente sind dann nur gleiche
Teile des Ganzen. Also die konkreten je individuellen Handlungsgründe werden
nur soweit betrachtet, wie sie zum Interesse führen. Der Rest wird
ausgeblendet.

Ja, hierzu hatte ich ja schon geschrieben, dass dieses
Abstrakt-Allgemeine ein mir reichlich fremdes Ding ist. Leider scheint
es euch mehr umzutreiben als mir lieb ist :-( .

Und ganz offen gestanden: Ich wüsste auch nicht, warum ich für meinen
Teil mich für das Abstrakt-Allgemeine interessieren sollte. Ist
sowieso Teufelswerk und es ist auch leicht zu vermeiden. Was soll's
also?

Ich skippe hier mal einige Teile. Ich stimme euch sehr weitgehend zu -
z.B. was die Begriffsbildung der Realabstraktion betrifft. Nur dass
*ich* über diese Dinge bisher nie gesprochen habe und sie mich aus den
genannten Gründen auch hinsichtlich einer emanzipatorischen Vision
nicht sonderlich interessieren.

Wie würdet ihr das nennen, was *ich* meine? Habt ihr dafür einen
Begriff?

Z.B. sieht das Gruppeninteresse von den konkreten Gründen ab,
weshalb sich die Individuen überhaupt zur Gruppe zusammengeschlossen
haben.

Das ist dann in eurer Logik immanent logisch. Deswegen kapiere ich es
überhaupt nicht :-( .

Vielleicht ist es jetzt klarer?

Nur in eurer Logik.

Kannst du mit meiner Logik auf die Welt gucken?

Für mich bezeichnet Gruppeninteresse eher das genaue Gegenteil: Eine
fokussierte Konkretisierung der je konkreten Gründe im Rahmen eines
Kollektivs (jetzt mal ohne das transzendente Brimborium, das diesem
Wort anhaftet). Jedenfalls ein Gruppeninteresse, das ich mir
emanzipatorisch vorstelle. Alles andere würde ich aber ohnehin als
Ideologie bezeichnen und nicht als Gruppeninteresse.

Wie willst du denn konkrete Gründe konkretisieren?

In der 1. Person Singular: Ich gehe in mich, denke darüber nach, was
für Gründe ich habe, reflektiere die mit der Realität, denke
(vieldimensional) über Mühe und Nutzen bestimmter Handlungen nach und
finde mich irgendwann (hoffentlich) bei einem für den jeweiligen
Augenblick angemessenen individuellen Interesse [euer-Begriff-hier]
wieder. Dieses Interesse [euer-Begriff-hier] wird dann für's Erste für
mich handlungsleitend.

In der 1. Person Plural: Ich kommuniziere mit anderen, denke mit ihnen
darüber nach, was für Gründe wir haben, reflektieren diese mit der
Realität, denken (vieldimensional) über Mühe und Nutzen bestimmter
Handlungen nach und finden uns irgendwann (hoffentlich) bei einem für
den jeweiligen Augenblick angemessenen gemeinsamen Interesse
[euer-Begriff-hier] wieder. Dieses Interesse [euer-Begriff-hier] wird
dann für's Erste für uns handlungsleitend.

Und mit Fokussieren meinst du, den Blick aufs wesentliche richten? Das sind
doch aber gerade die konkreten Gründe.

Mit Fokussieren meine ich, für den Moment, für eine bestimmte
Situation von der Totalität meiner / unserer konkreter Gründe
abzusehen. Konkret-allgemeines abstrahieren sozusagen. Dazu hatte ich
schon einiges geschrieben.

Natürlich sieht ein solches Interesse von der *je Gesamtheit* der je
individuellen Gründe ab. D.h. die Gesamtheit der Gründe einer Person
ist darin nicht reflektiert. Aber das geschieht sowieso niemals in der
Praxis sondern ist bestenfalls ein Ideal.

Mir schwand, du meinst hier was anderes.

Mir schwant das seit Monaten...

Unten mehr dazu.


So gesehen kann mensch das dann aber auch eine Abstraktion nennen. Der
Sinn der Abstraktion / Fokussierung liegt aber mitnichten in
irgendeinem Nichts, sondern - um es in euren Worten zu formulieren -
einen bestimmten Bereich der Handlungsmöglichkeiten herauszugreifen um
ihn - durch Handeln - in Realität zu verwandeln. Das ist m.E. immer
notwendig, da ich nicht und wir nicht die *Totalität* unserer
Bedürfnisse immer zur konkreten Handlungsgrundlage machen können. Ich
würde vielmehr denken, dass es einer solchen Fokussierung einfach aus
sachlichen Gründen bedarf. Wie diese Fokussierung aussieht entscheiden
aber wir bzw. ich - kein Bedarf für eine dritte Person.

Oh ja, ich glaube ich weiß was du meinst. ;-)
Du bist hier bei einem konkreten Menschen, der eine Vielzahl von Bedürfnissen
hat und Einflüssen von Außen ausgesetzt ist. Der konkrete Mensch fokussiert
sich dann aufs wesentliche und entscheidet sich. Wieso er sich so
entscheidet, weiß nur er. Damit ist der individuelle Handlungsgrund gemeint,
IMHO.
Ich meine mit dem Abstraktem und Konkretem und dem Interesse aber nicht die
Verhältnisse innerhalb eines Menschen, sondern die Beziehungen und
Wechselwirkungen zwischen konkreten Menschen.

Für mich ist da hinsichtlich des Interesses nur ein gradueller
Unterschied. Siehe oben.

Das
Kapital ist doch sowas, oder?

Ja. Eine, die ich für den Menschen eher abträglich halte. Aber dass
ich das denke, liegt daran, dass ich meine Fokussierung anders gesetzt
habe. Ich "zwinge" mir quasi eine andere Realabstraktion auf.

Ja, ja, du meinst hier etwas anderes.

Hurra!

Du bist, glaube ich, bei den
Entscheidungen konkreter Menschen.

"Entscheidungen" ist schon mal ein Begriff aus dem richtigen Feld.
Aber das umfasst bei weitem nicht alles.

Da kann ich auch Abstrahieren und muss zum
Konkreten gehen. Das ist aber nochmal was anderes, IMHO.

Über dieses Etwas rede ich wohl.

Nun gibt es von diesen Realabstraktionen eine ganze Menge, IMHO. Zum
Beispiel auch die Politik. Sicherlich ist Politik ein Teil des
gesellschaftlichen Seins des Menschen, jedoch wenn ich mich darauf
beschränke und es quasi vom konkreten Sein abspalte, setze ich eine
Abstraktion in die Wirklichkeit.
In der FS-Community ist es immer das konkrete Sein der Menschen welches
produziert. Ich kann davon keine einzelnen Teile abstalten.

Freie Software ist auch nichts anderes als das Ergebnis der
Fokussierung der Totalität der Bedürfnisse auf bestimmte Inhalte von
relevant vielen Personen. Diese Personen "zwingen" sich auf, dass
Freie Software etwas Wichtiges sei, für das sie sich Mühe geben
möchten.

Hm, Freie Software ist IMHO das Ergebnis einer Vielzahl unterschiedlicher je
individueller Handlungsgründe, die sich nicht auf ein Abstraktum, auf den
Durchschnitt beschränken müssen.

Für mich liegt der Fehler im Schritt von einer Fokussierung zur
Realabstraktion.

Eine Fokussierung ist leicht änderbar und schon das Wort beschreibt
die Tatsache, dass ein Ausschnitt aus einer Vielheit hervorgehoben
wird. Wie bei einer Lupe ist der Rest dadurch aber nicht weg sondern
eben nur gerade nicht im Fokus. Politik, etc. *kann* ich jetzt als
eine solche Fokussierung auf einen bestimmten Ausschnitt aus Themen
der menschlichen Existenz ansehen. So würde *ich* *alle* Begriffe
bilden wollen.

Wenn du den Schritt zur Realabstraktion machst, dann wirfst du die
Lupe weg und stanzt aus dem Gesamtbild ein Fragment heraus. Das ist
wie Ideologien funktionieren und immer bescheuert. Aber es ist doch
eigentlich ziemlich leicht, dass einfach zu lassen - oder?

Im Kapitalismus ist das gesellschaftliche Sein aufgespalten in z.B.
Politik, Kultur, Ökonomie... aber auch Wissenschaft, Theorie ;-) ... Das
sind alles Realabstraktionen, IMHO.

Das sind alles Fokussierungen - ja. Kein wesensmässiger Unterschied zu
Freier Software an dieser Stelle.

Bis du jetzt anderer Ansicht?

Nein. Es kommt darauf an, was mensch mit der Fokussierung macht.
Mensch kann fokussieren und sich für einen Moment auf etwas
konzentrieren. Da wird nichts weg geworfen. Und mensch kann die Stanze
nehmen und den Rest weg werfen - erst dann ist es eine
Realabstraktion. Aus meiner Sicht kommt es lediglich darauf an, nicht
das falsche Werkzeug zu nehmen - um im Bild zu bleiben.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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