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DDR und GPL-Gesellschaft (was: [ox] Fwd: Die GPL-Gesellschaft)



Hi Max und alle!

2 weeks (20 days) ago max wrote:
Vielleicht hat der eine oder andere hier ja eine Meinung dazu.

Na, wenigstens habe ich ein paar Kommentare :-) .

----- Forwarded message from max stop1984.com -----

From: max stop1984.com
To: smerten oekonux.de
Date: Sun, 24 Aug 2003 12:36:57 +0200
Subject: Die GPL-Gesellschaft

Hallo Stefan,

entschuldige bitte, dass ich dich direkt anschreibe und nicht auf
die Ökonux-Liste. Ich fürchte, dort käme es zu einem Flame-Thread.

Kam es nicht :-) .

Ich beschäftige mich schon eine ganze Weile mit Politik, Wirtschaft
und auch Linux. Die Idee der GPL-Gesellschaft halte ich persönlich
für sehr gut, jedoch geht mir das Denken auf der Liste teilweise zu
sehr ins Abstrakte und teilweise ist es meiner Meinung nach zu
einseitig.

Na, die Liste bietet halt für jedeN Etwas ;-) .

Das Hauptproblem bei der Übertragung der GPL-Ideen auf die ganze
Gesellschaft liegt meiner Ansicht nach darin, dass zwar Bits und
Bytes (fast) beliebig vervielfältigt werden können, nicht jedoch
natürliche Resourcen. Andrea hat ja schon auf das Problem
hingewiesen. Es spielt keine Rolle, ob ich die neue KDE-Version
heute, morgen, in drei Wochen oder erst in drei Monaten bekomme.
Beim Brot sieht das allerdings anders aus. Drei Monate ohne Brot
dürfte zu ernsthaften Problemen führen.

Wie das konkret mit der materiellen Produktion gehen kann, ist sicher
eine der schwierigsten Fragen. Von einer relativ abstrakten Warte der
Produktivkraftentwicklung - die ich dennoch für relevant halte - ist
das nicht so schwierig.

Die Lösung liegt IMO in einer auf Computer und Internet gestützten
Planwirtschaft.
Dummerweise kommt diese Idee aus dem ehemals real existierenden
Sozialismus und ist deshalb grundsätzlich
schlecht/falsch/eine_Katastrophe/was_auch_immer.

Was meinst du denn mit einer Planwirtschaft genau? In der DDR und
ansonsten im Sowjetblock gab es eine staatliche Zentralplanung. Nehme
ich mal Freie Software als Beispiel, so kann ich da keine Zentrale
oder gar einen Staat ausmachen - und auch kein Geld, das die
Beziehungen entfremdet regelt. Was kannst du dir in diesem
Spannungsfeld vorstellen?

Ich bin in der DDR geboren und ich habe etliche Jahre dort gelebt.
Das in den Medien verbreitete Bild dieser DDR passte allerdings
nicht zu meinen persönlichen Erfahrungen und so habe ich mal
angefangen, mich etwas intensiver mit diesem Land zu beschäftigen.

Gut.

Es gibt in jeder Gesellschaft Abhängigkeiten, äußere Einflüsse,
Bedürfnisse, Vorbedingungen usw. die erfüllt sein/werden müssen.
Diese sind für die DDR recht gut beschrieben in dem Buch "Was war
die DDR wert?" von Siegfried Wenzel, ISBN 3-360-00940-1, Verlag: Das
Neue Berlin. Die Kapitel 1 bis 3 entsprechen meiner Meinung und
meinem derzeitigen Wissensstand. Wenn man das vierte Kapitel ersetzt
durch die Ökonux-Ideen und die Krisis-Thesen (speziell die aus dem
Manifest gegen die Arbeit) käme man einer freien Gesellschaft
erheblich näher.
Das erste Problem welches ich sehe ist: Eine Armee läßt sich nicht
dezentral und demokratisch führen.

Na, da gibt es aber andere Konzepte sozialer Verteidigung, die das
anders sehen. Als es noch eine Friedensbewegung gab, wurde so etwas
mal erforscht. Und die Irakis führen uns ja gerade exemplarisch vor,
was auch ohne eine solche zentral organisierte Armee alles geht -
gegen eine massiv zentral organisierte Armee. Und auch die
militärischen Erfahrungen der AnarchistInnen im Spanischen Bürgerkrieg
sprechen da m.E. keine so eindeutige Sprache.

Auch ist diese Armee in die
Gesellschaft und die Wirtschaft eingebunden. Ohne Armee allerdings
hätte der real existierende Sozialismus nie so lange existiert.

Was wohl stimmt - zumindest in dieser Form.

Die Führung der DDR und der UdSSR standen also vor Problemen, für
die sie scheinbar keine geeignete Lösung gefunden haben. Die selben
Probleme werden aber auch in jeder zukünftigen Gesellschaft
zumindest für eine Übergangszeit auftauchen.

Den Punkt finde ich wirklich wichtig! Könnte es sein, dass wir in
einer Übergangsphase uns wirklich mit solchem Müll befassen müssen?
Wenn ich das mal auf die Weltsituation umlege: Was könnte das
Interesse eines (dann kapitalistischen) 3.-Welt-Landes sein, die
Springquellen auch ihres Reichtums mit Krieg zu überziehen? Immerhin
hätten ja auch diese Länder viel von den Informationsgütern, die den
Ländern erzeugt würden, die zu der ersten Welle in einer
GPL-gesellschaftlichen (R)Evolution zählen. Oh, jetzt habe ich mich
aber weit aus dem prognostischen Fenster gelehnt ;-) .

Das nächste Problem ist Handel und Wissenstausch. Viele Produkte
(z.B. Computertechnik) durften nicht in den Ostblock geliefert
werden und mussten deshalb dort selbst entwickelt werden. In anderen
Bereichen gab es zwar Handel, dieser erfolgte allerdings zu
kapitalistischen Bedingungen. Nehmen wir mal ein Beispiel: In der
SBZ/DDR gab es außer der Braunkohle kaum/keine Energiequellen. Was
hätte die Führung dieses Landes denn machen sollen um die
Bevölkerung mit Strom zu versorgen? Strom bzw. Energieträger
einkaufen? Und womit bezahlen? Ökonux geht bei solchen Fragen IMO
von idealistischen und unrealistischen Voraussetzungen aus.

Na ja. Eine der zentralen Thesen ist ja, dass die Selbstentfaltung
aller die Vorbedingung der eigenen Selbstentfaltung ist. Auf das
Energieproblem gewendet bedeutet das, dass diejenigen, die auf den
Lagerstätten sitzen, ein Interesse daran haben, dass diese ausgebeutet
/ genutzt werden. *Dieses Denken* zu einem Common Sense zu machen,
scheint mir eine der wichtigsten Aufgaben.

Für die DDR ging das natürlich nicht, weil "der Kapitalismus" der
(irrigen?) Annahme war, dass eine Vernichtung des realsozialistischen
Experiments das Beste für ihn wäre. Als in der industriellen
Entwicklung relativ spät gekommene Staaten hatte Osteuropa und gar die
Sowjetunion da halt schlechte Karten. Manchmal denke ich, mensch hätte
nach dem Ausbleiben der Revolution in Deutschland bis sagen wir 1925
den Versuch stoppen sollen...

Der nächste Punkt ist die Umweltzerstörung durch den Menschen. Die
hat inzwischen eine Geschwindigkeit erreicht, wo mir nichts mehr
einfällt um sie zu stoppen, geschweige denn umzukehren. Auch diesen
Bereich vermisse ich derzeit noch bei Ökonux.

Die Umweltzerstörung ist halt wesentlich auch ein Phänomen, das durch
den Kapitalismus - oder allgemeiner: durch Entfremdung - erzeugt wird.
Eine bedürfnisorientierte Gesellschaftsformation würde wohl kaum in
dem Maße die Umwelt zerstören, wie es Kapitalismus und seine Abteilung
realexistierender Sozialismus hingekriegt haben.

Aber ich vermute, dass dir das als Antwort nicht reichen wird...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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