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Re: [ox] Re: Reichtum



Stefan Meretz writes:
Konkreter Reichtum geht von den konkreten individuellen Bedürfnissen aus, 
wie sie Franz sehr schön formuliert hat. Es geht also nicht um "einen 
objektiven Reichtum für alle", sondern um "viele konkrete Reichtümer für 
alle". Was für andere Reichtum bedeutet, muss es nicht für mich bedeuten. 
Paradigmatisch in der Freien Software: Was für irgendwen ein nützliches 
Programm ist, muss es nicht für mich sein. Trotzdem steigt mit der 
allgemeinen vielfältigen Verfügungbarkeit vieler nützlicher Programme der 
allgemeine gesellschaftliche Reichtum. Dieser Reichtum ist dann in der 
Tat ein anderer als der "objektivierte Reichtum", der an die Wertform 
gebunden ist. Er ist allgemeiner, konkreter Reichtum.

Ja, genau. Aber....

Das Problem, das damit aufgeworfen ist, ist freilich ob diese
Reichtumsstruktur objektiv beschrieben werden kann. Mir reicht es nicht,
die je subjektive Rückbindung zum letzten Kriterium zu machen und ich
versteh Dich auch nicht so. Aber dieser objektive Begriff ist schwer zu
gewinnen. Ich hab ja auch mal nur subjektiv festgestellt, was Reichtum
sei, in einer ersten Annäherung. Damuß aber drüber hinausgedacht werden.

Jetzt, wo die Katze aus dem Sack ist schleicht sie um den heißen Brei ;-)

ich versuch mal einige Bestimmungsstücke eines solchen objektiven
konkret-sinnlichen Begriffs von Reichtum:

1. stoffliche Nachhaltigkeit: Die Befriedigung eines Bedürfnisses ist so
gestaltet, daß sie die Verfolgung anderer Zwecke nicht nur nicht schädigt,
sondern vielleicht sogar befördert.

Erläuterung: Dazu steht alles Wissenswerte in Michael Braungart/ William
Mc Donough: "Einfach intelligent produzieren", Berliner Taschenbuch
Verlag, 2003, ISBN: 3442761832, 9,90 ?. Dieses Buch gehört einfach zur
Pflichtlektüre erklärt. Es räumt mit den theoretischen und praktischen
Schwächen der Ökologie grundlegend auf und macht die Konturen einer
reichen nachhaltigen Lebensweise sichtbar.

2. konzeptionelle Modularität: Jeder Produktionsakt ist auch
Produktionsakt von Dokumentation. Dokumentation bewirkt
Reproduzierbarkeit; um Reproduzierbarkeit zu gewährleisten, sind
Produktionsschritte in einer bestimmten Form zu gestalten, die Variablität
ermöglicht.

Ulrich Sigor hat Ansätze einer "qualitativen Ökonomik" vorgelegt, die
leider unpubliziert geblieben sind. Er zeigt m.E. sehr schön auf, daß
*jede* Entscheidung über die Gestaltung eines Produktes eine Entscheidung
hinsichtlich der Lebenszeit und Autonomie des Benutzers bedeutet. Herbert
Hrachovec hat vor 2 Jahren mit einem Aufsatz über die "Verläßlichkeit"
freier Software in dieselbe Richtung gezielt. Und wahrscheinlich gibt es
viele gute Literatur und Untersuchungen die ich nicht kenne.

Es erscheint mir unabdingbar, daß im Fortschritt von Oekonux solche
Ansätze weiterverfolgt werden. Hier liegt m.E. einer der
verhängnisvollsten "blinden Flecken" marxistischer Theoriebildung à la
"eine Kreissäge ist eine Kreissäge, egal ob kapitalistisch oder
sozialistisch".

3. lebensweltliche Pluralität: Es ist zu gewährleisten, daß Bedingungen
der Selbstbestimmung in dem Sinn vorhanden sind, daß heterogene kulturelle
Kontexte errichtet und gelebt (und von Individuen jederzeit zu fairen
Bedingungen verlassen) werden können. Freiheit ist zuallererst eine der
Art des Wirtschaftens. In diesem Sinn verstehe ich es auch als eine
objektive Forderung, daß z.B. "Inseln der Freiwirtschaft" existieren
können. Wers mag, soll sich mit Gleichgesinnten auch mit Geld herumspielen
dürfen, und in der GPL-Gesellschaft wird m.E. da niemand bevormundet. Es
ist strikt zu trennen zwischen den wirklich notwendig
allgemeinverbindlichen Axiomen wie 1 und 2, die aber auch nicht als Recht
und Gesetz, sondern als globale Kooperationsgrundlage existieren, und den
lebensweltlichen Kontexten, die in ihrer Verschiedenartigkeit den Reichtum
einer globalen Gesellschaft ausmachen.

so schleicht die Katze dahin, und wähnt sich auf einer richtigen
Fährte....vielleicht sind auch noch andere Kriterien wichtig, aber für
mich sind diese drei mal essentials eines objektiven Reichtumsbegriffes.

Franz

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Organisation: projekt oekonux.de



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