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Re: [ox] Geistiges Eigentum. aus Streifzuege 31



Hi Liste!

2 weeks (19 days) ago Karl Dietz wrote:
Stefan Meretz:
Geistiges Eigentum

http://www.streifzuege.org/
str_04-31_meretz_imwo_geistiges-eigentum.html

Schöner Text :-) . Siehe unten.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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HOME <http://www.streifzuege.org>




      KOLUMNE Immaterial

von Stefan Meretz


    Geistiges Eigentum


      Rechtsfetisch sui generis

Willkommen zum Streifzug durch die Welt der immaterialen Produktion! In
den nächsten Ausgaben dieses Magazins werde ich meine Sicht auf
Entwicklungen und Theorien im weiten Feld der immaterialen Produktion
vorstellen. Alle Kolumnen erscheinen parallel online bei
www.opentheory.org/immaterial_world und können dort diskutiert werden.

Thema der ersten Kolumne ist ein "Unding" im doppelten Sinn: das
geistige Eigentum (engl. Intellectual Property).

Der Begriff "Geistiges Eigentum" bezeichnet staatlich verliehene
Monopolrechte zur Verwertung nichtstofflicher Güter. JuristInnen
sprechen vom Immaterialgüterrecht bzw. im englischen Sprachraum auch vom
Exklusionsrecht - was der Sache am nächsten kommt.

Unter dem Begriff "Geistiges Eigentum" werden sehr unterschiedliche
Rechtsgüter gefasst: So beziehen sich Patente - ursprünglich
ausschließlich - auf Erfindungen im Sinne stofflich-technischer
Realisationen, während Urheberrecht, Markenrecht etc. den
nicht-stofflichen Bereich der Ideen, Literatur, Software etc. abdecken.
Auf Seiten des Patents kommt es jedoch zunehmend zu "Übergriffen" auf
den Bereich der "Ideen" und bloßen "Entdeckungen": So sollen aktuell
Algorithmen, euphemistisch als "computer-implementierte Erfindungen"
bezeichnet, oder Gen-Sequenzen, die man analog wohl
"natur-implementierte Erfindungen" nennen müsste, auch in der EU
patentierbar gemacht werden.

Mit dem Begriff "Geistiges Eigentums" wird das körperliche Sachenrecht
auf "Nicht-Körper" übertragen. "Geistiges Eigentum" und abgeleitete
Begriffe wie "Softwarepiraterie", "Raubkopie" etc. sind Kampfbegriffe
zur Durchsetzung der Verwertungslogik. Sie werden daher von
KritikerInnen auch als "immaterielle Monopolrechte" bezeichnet.


      Besitz und Eigentum

Das körperliche Eigentum moderner Fassung ist ohne die bürgerliche
Rechtsform nicht vorstellbar, doch es entspringt ihr nicht. Das
nichtstoffliche Eigentum hingegen ist einzig rechtsförmig konstituiert.
Zum Verständnis ist es sinnvoll, sich den Unterschied von Eigentum und
Besitz klar zu machen. Besitz ist die rechtsförmige Abstraktion des
realen Gebrauchs einer Sache. Eigentum hingegen ist die rechtsförmige
Abstraktion im Verhältnis zum Besitz und sozusagen eine Abstraktion
zweiter Ordnung im Verhältnis zur Sache. Während Besitz also begrifflich
eine soziale Praxis fasst - der Mieter ist Besitzer des Mietobjekts, der
Dieb ist Besitzer des geklauten Guts - meint Eigentum die rechtliche
Verfügung über die praktische Verfügung über die Sache: Vermieter des
Objekts, Eigentümer des Diebesguts. In Praxi wird zwischen Eigentum und
Besitz jedoch kaum unterschieden, weil Eigentum und Besitz im Umgang mit
stofflichen Gütern oft zusammenfällt. Dort ist klar: Beim Warentausch
findet ein Eigentums- und Besitzwechsel statt.

Anders bei nichtstofflichen Gütern, die Waren sind. Hier kommen wichtige
Unterschiede zu stofflichen Gütern zum Tragen. Nichtstoffliche Güter
verbrauchen sich durch Nutzung oder Weitergabe ("Kopie") nicht.
Ökonomisch kommt es zu keinem technischen, sondern nur zu einem
"moralischen" Verschleiß ("Veralten des Guts"). Die Natur
nichtstofflicher Güter ist von vornherein gesellschaftlich.
Nichtstoffliche Güter existieren nur durch Weitergabe, Kommunikation,
Nutzung. Jeder kann sie besitzen und da es keine physischen Schranken
gibt, kann niemand vom Besitz ausgeschlossen werden, sie sind genuin
unknapp. Eigentum als Rechtsform hat also im Unterschied zum
körperlichen Ding hier keine "naturale Grundlage", sondern muss erst
juridisch konstruiert werden - ein Rechtsfetisch sui generis.

Das Eigentumsregime nichtstofflicher Güter existiert ausschließlich
rechtsförmig. Es dient dazu, künstlich Knappheit zu erzeugen. So fußt
die Warenform nichtstofflicher Güter auf der strikten Trennung von
Eigentum und Besitz. Damit findet beim Kauf und Verkauf kein Eigentums-,
sondern nur ein Besitzwechsel statt, wobei Besitz hier nur die Form
einer "Erlaubnis" (Lizenz) hat, das nichtstoffliche Gut zu nutzen.


      Fiktion des isolierten Einzelnen

Der Fetischcharakter des "Geistigen Eigentums" ist besonders
wirkmächtig. Er beruht auf der Vorstellung eines genialen individuellen
Erfinders, der gleichsam aus dem isolierten Privathirn etwas Neues
schafft. Diese Vorstellung entspricht der bürgerlichen Denkform des
isolierten Individuums, das erst auf dem Markt mit anderen in Austausch
tritt. Diese Denkform ist dabei keine bloße Fiktion, sondern
realabstraktive Verallgemeinerung des isolierten Einzelnen in der
warenproduzierenden Gesellschaft. In der immaterialen Produktion ist
diese Vorstellung jedoch praktisch hinfällig geworden. Kreative
Leistungen sind immer Resultat eines sozialen Prozesses, auch wenn es
Einzelne geben wird und muss, die den Prozess kondensieren und in ein
"Resultat" transformieren.

Zusammen mit der Denkfigur des genialen Einzelnen wird auch die
Wirkmächtigkeit des "Geistigen Eigentums" brüchig. Genial ist nicht
mehr, wer ein gutes Ergebnis produziert, sondern wer Prozesse schafft
und befördert, die gute Ergebnisse produzieren. Herausragende Beispiele
sind die freie Enzyklopädie Wikipedia und die Freie Software-Bewegung.
Individuelle Personen spielen hier eine herausragende Rolle, jedoch
nicht als Untergeordnete unter einem abstrakten Sachzwangprozess, als
Subjekte im Wortsinne, sondern als Menschen, die genau "ihr Ding"
machen. Ihre Entfaltung ist Voraussetzung für die Entfaltung der anderen
und umgekehrt. Der Begriff des "Geistigen Eigentums" wirkt hier nur
lachhaft, aber auch als ernst zu nehmender Angriff zur Einfriedung der
freien Produktion.

Weil die nichtstoffliche Ware nur rechtsförmig existiert, ist sie leicht
angreifbar - besonders, wenn sie digitaler Form ist. Mit der Loslösung
des Inhalts von seinem Träger und in ihrer Existenzweise als Kopie, die
identisch mit dem Original ist, kann sie überall "abgegriffen" werden.
Folglich müssen die Verwerter an drei Fronten aufrüsten: der Ideologie,
die Grundlage des Begriffs "Geistiges Eigentum" ist und eine Kopie
"Raub" nennt, der Rechtsform durch globale Vereinheitlichung des
Copyright-Regimes im Rahmen des TRIPS-Abkommens und der Technik durch
Rückbindung der Inhaltskontrolle an eine stoffliche Form, nämlich der
Hardware, dem sog. Digital Rights Management.

Ziel muss es sein, den Begriff "Geistiges Eigentum" zu destruieren und
entwertete Freiräume zu verteidigen.



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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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