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Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi Stefan et al.,

die lange fällige Debatte zu Daten, Information, Wissen ist 
eröffnet:-) Danke, Stefan!

Wir müssen uns darüber klar sein, dass es sich um ein vermintes Feld 
handelt, denn - das ist meine These - hier stoßen im Feld der 
wissenschaftlichen Grundbegriffe "alte" und "neue" Welt zusammen. Wir 
sollten geduldig sein und uns Zeit nehmen!

Ich habe mir vier Testfragen überlegt, die ich bei jedem Begriff 
stellen will:
- [Sind|Ist] XY etwas genuin menschliches?
- Kennen Tiere XY?
- Komm[en|t] XY in der (unbelebten) Natur vor?
- Existier[en|t] XY unabhängig davon, ob wir [sie|es] feststellen?

On Wednesday 02 February 2005 19:52, Stefan Merten wrote:
Daten
- -----

Daten sind für mich die basalste Einheit. Daten sind das, was bei
irgendeiner Messung anfallen kann. Z.B. ist die exakte Höhe von
Wellen auf dem Ozean in einem bestimmten Gebiet Daten. Daten müssen
erst mal niemensch interessieren.

Fragen:
Sind Daten etwas genuin menschliches?
Kennen Tiere Daten?
Kommen Daten in der unbelebten Natur vor?
Existieren Daten unabhängig davon, ob wir sie feststellen?

Daten, die bei einer Messung anfallen, müssen offensichtlich erstmal 
festgestellt, eben gemessen werden. Ihre Existenz ist also Resultat 
menschlicher Tätigkeit. Für Tiere gibt's demzufolge keine Daten, in 
der unbelebten Natur (ungemessen von uns) auch nicht. Widerspricht 
das der Annahme des basalen Charakters?

Meine Definition: Daten sind Messwerte.

Information
- -----------

Information sind für mich Daten, die einen Unterschied machen. Z.B.
wäre die Höhe der Wellen eine Information, die ich brauche, wenn
ich etwas über die Durchschnittshöhe sagen will. D.h. Informationen
sind eine spezielle Sorte von Daten.

Fragen:
Sind Informationen etwas genuin menschliches?
Kennen Tiere Informationen?
Kommen Informationen in der unbelebten Natur vor?
Existieren Informationen unabhängig davon, ob wir sie feststellen?

Da es IMHO für Tiere genauso Informationen gibt wie für Menschen - 
nämlich Informationen, die sie für ihre Orientierung in der Umwelt 
brauchen -, scheint mir die Definition von Informationen als 
speziellen Daten nicht haltbar (Tiere kennen keine Daten). In der 
unbelebten Natur hingegen kommen IMHO keine Informationen vor, da 
auch Informationen davon abhängen, ob sie festgestellt werden. 
Informationen existieren damit auch nicht unabhängig vom "Aufnehmer", 
wobei in der menschlichen Gesellschaft Informationen überindividuell, 
eben gesellschaftlich, sind.

Meine Definition: Informationen sind Bedeutungen.

Dabei ist weder Träger interessant noch für welche Entität die
Information einen Unterschied macht. Die Information, die durch die
DNS gegeben ist, macht z.B. einen erheblichen Unterschied zwischen
belebter und unbelebter Natur. Genau so macht eine Software, die ja
pure Information ist, einen Unterschied auf einem Computer. Die
Software auf einer CD macht dagegen keinen Unterschied wenn kein
Computer verfügbar ist. Die Pits und Lands auf der CD mutieren dann
wieder zu Daten.

D.h.: Bei dem Begriff Informationen muss genau genommen angegeben
werden, in welchem Zusammenhang die Daten einen Unterschied machen.

Ja genau, hier liegt auch das Problem mit dem "Unterschied": der 
Unterschied ist keine objektive Größe, sondern muss angegeben werden. 
Damit besitzt aber z.B. DNS objektiv keine Information, denn wir 
geben (sozusagen von außen) an, was der Unterschied sei.

Wissen
- ------

Wissen ist für mich *vor allem* immer an ein Subjekt, i.A. also an
einen Menschen gebunden. Dem üblichen Sprachgebrauch folgend kann
nur ein Mensch etwas wissen - eine Maschine weiß nichts. Dieses
Wissen kann unglaublich viele Formen annehmen und die wenigsten
davon dürften explizit beigebracht werden - insbesondere
Handlungswissen.

Fragen:
Ist Wissen etwas genuin menschliches?
Kennen Tiere Wissen?
Kommt Wissen in der unbelebten Natur vor?
Existiert Wissen unabhängig davon, ob wir es feststellen?

Wissen ist an Menschen gebunden, Tiere kennen also offensichtlich kein 
Wissen. Aber warum? IMHO deswegen, weil Wissen im Unterschied zu 
Informationen historisch kumulierbar ist. (Höhere) Tiere können zwar 
in ihrer Lebensspanne Informationen ansammeln und memorieren, diese 
aber bestenfalls sozial tradieren, nicht aber historisch kumulieren. 
Dies deswegen, weil Tiere über keine Form der gegenständlichen 
Fixierung von Wissen haben. Erst die Vergegenständlichkeit - zunächst 
im unmittelbar stofflichen Sinne, dann auch mit Hilfe von 
"unstofflichen" Zeichen (Sprache, Schrift) - ermöglicht historische 
Kumulation. Das können nur Menschen, und zwar auch nur deswegen, weil 
Menschen gesellschaftlich sind. Wissen ist also nicht an das 
Individuum gebunden, sondern an die menschliche Gesellschaft.

Meine Definition: Wissen ist gesellschaftlich kumulierte Erfahrung.

Da Wissen immer an ein Subjekt gebunden ist, kann es auch nicht
entäußert werden. Wissen, das ich nieder schreibe oder sonst wie
formalisiere wird zur Information, die andere Menschen nutzen
können, um ihr eigenes Wissen zu verändern. Wissenstransfer ist im
engeren Sinne also nicht möglich.

Nun, das sehe ich ganz anders: Wissen existiert nur gesellschaftlich 
und damit auch für mich als gesellschaftlichem Menschen.

In diesem Sinne ist Wissen also etwas, was dem Menschen eigen und
damit auch jeder Gesellschaft eigen ist.

Damit weichst du deine eigene Definition wieder auf - gut;-)

Gehe ich weiter davon aus, 
dass die Menge des Wissens, die einem Menschen zur Verfügung steht
überhistorisch unveränderlich ist, dann ändert sich am Wissen von
Gesellschaftsform zu Gesellschaftsform gar nichts.

Huch - wie kommst du darauf? Offensichtlich wissen wir doch heute 
etwas, was Menschen "früher" nicht wußten, was aber auf einem (Vor-) 
Wissen basiert, dass diese wußten.

Andernfalls 
wären alle anderen Gesellschaftsformen mit Dummengesellschaften
richtig bezeichnet, was ich inakzeptabel finde. Die Inhalte mögen
sich ändern, nicht aber der Fakt des Wissens an sich. M.a.W.: Jede
Gesellschaft ist eine Wissensgesellschaft, der Begriff
diskriminiert nichts und ist deswegen überflüssig.

Ja, jede Gesellschaft kennt Wissen - aber welches Wissen, ist doch 
historisch sehr unterschiedlich.

Der Begriff Informationsgesellschaft transportiert dagegen, dass
Information zu einer wichtigen Größe geworden ist. Zwar ist
Information natürlich ebenfalls unveräußerlich Bestandteil dieser
Welt und also auch Bestandteil menschlicher Gesellschaft. Aber
heute erleben wir, dass Information in ihrer nicht-materiellen
Gestalt, also als reine Idee, zunehmend existiert und - das ist mir
eben entscheidend wichtig - die Information auch mittels Computern
zunehmend operationalisierbar wird. Neben biologischen
Informationsverarbeitungssystemen wie der DNS haben wir mit
Computern Informationsverarbeitungssysteme auf der Ebene
menschlicher Gesellschaft. Das ist historisch neu und deswegen
halte ich Informationsgesellschaft für die richtige Bezeichnung.

Ich denke, dass ich eine Reihe von Widersprüchen in deinen 
Definitionen sichtbar machen konnte. Ob nun meine Definitionen 
funktionieren, ist damit nicht gesagt (dazu sind sie auch viel zu 
kurz). Dazu ist etwa mehr dazu zu sagen:-)

Die Ausgangsfrage, ob die anstehende Gesellschaft Informations- oder 
Wissensgesellschaft heißen solle, halte ich nicht für so 
entscheidend. Dein Hauptpunkt, die Bezeichnung "Wissengesellschaft" 
würde andere Gesellschaften zu "Dummengesellschaften" machen, finde 
ich nicht stichhaltig, geht es doch mit einer Bezeichnung darum, den 
bestimmenden Aspekt einer Epoche zu erfassen. Die Frage müsste also 
lauten: Ist heute (oder morgen) "Wissen" der bestimmende Aspekt der 
gesellschaftlichen Entwicklung - und war dies früher nicht?

Nach meiner "Epochen-Klassifikation" müßte die neue, freie 
Gesellschaft ohnehin "Menschen-Gesellschaft" heißten, aber das ist 
ein Pleonasmus, klingt bescheuert und drückt das Wesentliche eben 
doch nicht aus: dass sich der Mensch nicht für einen dritten Zweck, 
sondern nur um seiner selbst willen vergesellschaftet.

Ciao,
Stefan

-- 
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