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Re: [ox] Re: Entwicklung des Projekts als Keimformphaenomen



Thomas Uwe Grütmüller on 12. März 2005 at 4:48 Uhr [PHONE NUMBER REMOVED] wrote:

Von dem, was ich mir von Oekonux seit langem erhoffe, ist es noch weit
entfernt: erstens ein Projekt in welchem Delegierte aller erdenklichen
Projekte (angefangen von GNU über Debian, Wikipedia, OSCar, dem globalen
Dorf auf dem Meeresgrund und dem Computerclub in Havanna) sich ihre
Erfahrungen austauschen; zweitens ein virtuelles Theorieprojekt, welches
innerhalb einer großen, selbstorganisierten, freien Internet-Universität
nur eine Fachrichtung unter vielen darstellt. Wenn es hier aber so
weitergeht wie bisher, dann sehe ich schwarz.

Hallo Thomas,

Vorab was formales: Grundsätzliche Diskussionen wie die "was soll Oekonux"
gehören m.E. natürlich auf die Hauptliste. Es ist das Forum des Konsenses
über Ziele des Projektes und Wahrnehmungen.

Deinen beiden Zielen kann ich nur vollinhaltlich zustimmen. Sie werden
selten so klar ausgedrückt und hingeschrieben, aber tatsächlich wäre das
die Leistung, die Oekonux auch in einer Welt, die sich der "xy
Gesellschaft" (der andere Thread zu dieser Zeit ist übrigens auch nicht
schlecht) annähert, vollbringen könnte. irgendwie wird sowas benötigt, ob
das jetzt oekonux ist oder nicht.

Derzeit zirkuliert bei vielen Menschen die Anekdote, daß der ganze
neoliberale Wahnsinn der uns umgibt, seinen Ausgangspunkt in einem kleinen
Theoriezirkel namens Montpellerin - Gesellschaft hatte. Und viele fragen
sich: was wird die Montpellerin Gesellschaft des 21. Jahrhunderts? Wo wird
eine komplexe, konsistente Antwort auf die vielen verschiedenen Fragen der
gegenwart gefunden, die in der Lage ist uns wegzubringen vom
Neoliberalismus? Der Neoliberalismus war ja nicht einfach falsch; er hat
in gewisser Weise, auf eine seltsam verquere Weise, den
Sachnotwendigkeiten eines entfesselten Kapitals und der gestiegegen
Selbstorganisationsfähigkeit gesellschaftlicher Akteure Rechnung getragen. 

Die Montpellerin - Gesellschaft von heute kann nicht einfach zurück zum
alten Staatsglauben, obwohl das viele versuchen; aber etwas grundsätzlich
anderes fällt eben nur wenigen ein. Auch die Social Fora haben im Grunde
keine andere Antwort, und deswegen ist trotz viel Energie dort von Anfang
an der Wurm drinnen.

Der Gedanke, ganz konsequent die Kunturen einer gesamtgesellschaftlichen
Alternative vom Erfahrungshintergrund der Freien Software zu erschließen,
ist weltweit einzigartig - und macht das Unternehmen Oekonux derzeit
konkurrenzlos - auch wenn ich Karls Warnung zustimme, es nicht mit
uneinlösbaren Anforderungen zu überfrachten. Ich stimme Dir auch zu, daß
Stefans Bild - wir wandern munter, aber zielstrebig in die Ebene - ein
wenig zu rosig gemalt ist. Oekonux hat im Moment nicht wirklich  die
kommunikative Kompetenz, um zum Begegnungsort für die vielen Kräfte zu
werden, die nur darauf warten sich in eine solche Alternative einbringen
zu können. Daß es diese Kräfte gibt, glaub ich aber schon.

Ich finde es falsch, diese Dinge an Stefan zu personalisieren und
festzumachen. Deswegen hab ich mich in Euren Chor nicht eingemischt. Unser
Vorhaben ernst genommen, ist es eigentlich ziemlich scheißegal ob wir
MediaWiki oder MoinMoin wählen, das kann nicht wirklich die Grundsatzfrage
sein. Stefan ist für mich unter anderem auch ein technisch kompetenter
Mensch, der das, was er anpackt auch zu Ende führt. Wiederum wie Karl
gesagt hat: den Laden zusammenhält. Davon konnte ich mich mehrmals
überzeugen, auch wenn etwa der von Stefan für ausreichend befundene
Abstimmungsmechanismus zur Auswahl der Beiträge bei der letzten
Oekonux-Konferenz für meine Begriffe nicht gerade ein aktives Votum der
Community darstellten.

Es hat jedenfalls gereicht, und Stefan hat die Resultate ganz konsequent
umsgesetzt. Er hat siebzehn mögliche Katastrophen schon im Keim verhindert
und sich einer sichtbaren "volonté generale" niemals entgegengestellt -
ich sehe auch da in Zukunft keine Gefahr. Natürlich ist er auch nicht vor
der Anfechtung gefeit, für seine Präferenzen auch einzutreten.

Ich meine, daß es jede Menge Gelegenheit gibt, in Oekonux verschiedene
Projekte durchzuziehen. Wenn ständig an Maintainer und Technik rumgemäkelt
wird, dann ist das vielleicht auch ein wenig ein Zeichen dafür, daß man es
mit der eigenen Handlungsverantwortung doch nicht so ernst meint. Das ist
mir halt bei Dir und anderen in der Vergangenheit auch aufgefallen. Ich
glaub was jetzt benötigt wird sind Leute die sagen: ich mach das Thema
"freie Hardware" zu meinem Thema.

Was das Wiki und seine Funktion angeht, da gebe ich Dir tausendprozentig
recht. Ohne ein gescheites Wiki ist der Reichtum der Oekonux-Liste nur zu
einem Prozent wirklich nutzbar. Da hilft auch google nicht wirklich. Und
mit dem Aufarbeiten der Schätze der Vergangenheit und mit der Redaktion
der Themen sind wir eigentlich schon 2 Jahre zu spät dran - was in Zeiten
wie diesen schon eine Ewigkeit ist.

In gewisser Weise liegt die Verantwortung hiefür viel weniger bei Stefan
als bei mir; ich bin derjenige, der das Tempo gedrückt hat weil ich auf
einer gescheiten Strukturierung und auf transparenten Arbeitsregeln für
das Wiki bestanden habe. Und ohne jetzt auf die Details meiner
Vorstellungen einzugehen (die gehören in die Projektliste) kann ich doch
sagen, daß mich umgekehrt der response auf meine sporadischen Vorschläge
enttäuscht hat. Das Wiki 4 ist ja nicht leer, es gibt dort so etwas wie
eine Seite "Garden Plan", um die herum die Diskussion um die inhaltlichen
Ziele des Wiki und seine Aufgaben geführt hätte werden sollen. Auch wenn
es nicht um "Namensräume" etc. geht, so gehts doch um Inhalte und
Aufgaben. Ein Wiki einfach wachsen zu lassen führt m.E. zu noch mehr
Rauschen.

Erschwerend ist noch dazu gekommen, daß die Erfolge die mir in und mit
Oekonux versagt geblieben sind, anderswo umso dicker gekommen sind. Im
Oktober des letzten Jahres hatte ich nicht nur die Eröffnung von Teil eins
unseres OpenSource-Dorfes, sondern auch meine erste Begegnung mit Frithjof
Bergmann bei einem Uni-Seminar; bemerkenswert ist, daß Frithjof extrem
positiv auf meine kompromißlos oekonuxige Forderung einging, in New Work
müßte es um freie Hardware im Sinn freier Designs gehen. Ich sah dann
plötzlich daß er in den letzten 20 Jahren ein enormes Netzwerk an
Kontakten aufgehäuft hat, die allesamt sehr stark um die Brötchenfrage im
Sinn nicht primär marktförmiger materieller Produktion kreisen. Ich sah
gleichzeitig, daß von mir sehr geschätzte Leute von hier wie Annette in
dieselbe Richtung "abgedriftet" sind. Die online-community und Kompetenz
von New Work ist zwar immer nochh ziemlich kläglich -
http://www.newwork-newculture.net/forum.html
aber hier wäre gerade deswegen echte Entwicklungsarbeit gefordert, denn
das Buch von Frithjof ist mittlerweile ein ganz guter Seller, und in
vielen Städten gründen sich New Work Gruppen.

Es ist sicher ein Fehler zu glauben, daß die von Dir beschriebenen Leute
von selber zu oekonux kommen weil wir so lieb und gescheit sind; daß die
Konferenz so ein Erfolg war liegt nicht primär an oekonux sondern weil wir
tatsächlich ein Forum angeboten haben daß es sonst so nicht gibt. Daß die
Leut jetzt wieder weg sind, da hast Du recht (ich will nicht
generalisieren, einige sind ja hängengeblieben) liegt daran, daß unsere
sonstigen Strukturen ziemlich hinter der Konferenz zurückgeblieben sind.
Eine Mailingliste, da hat auch Stefan recht, ist eine Einstiegsstruktur,
daber kann der ständig steigenden thematischen Vielzahl von interessen und
der Konkretisierung von Fragen nicht wirklich gerecht werden.

Dein Bild von der "online-Universität" gefällt mir sehr gut. Das ist auch
der zweite Brocken, der mich momentan beschäftigt und paradoxerweise
(neben allen anderen Dingen) extrem von der Arbeit an oekonux abhält. Denn
praktisch bauen wir mit Minciu Sodas (Gedankengarten) so eine
online-universität neuen Typs auf - ohne professoren, scheine und
curricula, dafür mit Mailinglisten, Wikis, transparentem Engagement und
einer Vielzahl von Themen, die in "pattern languages" münden sollen. Die
Idee gründet radikal auf dem Gedanken der Selbstentfaltung, nach dem
Motto: Gründe Dein eigenes Institut, sei Dir aber auch bewußt daß Du Teil
einer Uni, einer größeren Community, bist. Es ist zum Beispiel ganz klar,
daß ein normaler mensch heutzutage nicht mehr als 5 mails von einer
mailingliste verkraften kann (wiol er deren viele hat); der Gedanke einer
"Hauptliste" stellt sich dort ganz anders. Wir haben in Minciu ein
zentrales Forum der aktiven Leute, das sich openleaders/back to the roots
nennt, anonsten gibt es eben ein Konglomerat aus verschiedenen
mailinglisten und Wikis zu themen.

nur einige kleine Beispiele
ethicalpublicdomain: wie läßt sich freier content organisieren
globalvillages: Theorie und Praxis der Globalen Dörfer
cyfranogi: wie in Gemeinschaften Resourcen gehandhabt werden ("community
currencies")

Andrius ist vielleicht das genaue Gegenteil von Stefan, weil er pausenlos
neue Leute in die Geschichte einbaut und dabei sehr erfolgreich ist. Er
sieht sich als "social hacker", dem gerade das Abgrenzen von Gruppen
untereinander das Grundärgernis unserer Zeit ist. Deswegen geht er auf
Leute als Individuen zu und organisiert den Laden auch nach diesem Muster:
nur Individuen können sich selbstentfalten, aber sie brauchen Gemeinschaft
und Struktur dafür, daß es für alle stimmt und daß die Leute als einzelne
("leaders") mit "ihrem Ding" auch ihre "öffentliche Funktion" erfüllen.

Es ist auch dort ein ziemlicher Aufwand, Ordnung und Richtung
reinzubringen, aber im Grunde stehen wir vor demselben Dilemma wie hier.

"In the world of tomorrow (in the possible world many feel is emerging),
we will all be much more in charge of affairs than in the past. And we
will much more rely on the leadership of individuals than on the
leadership of bureaucracies. We will need to evaluate and test our own
abilities and the abilities of others to unfold their interest for the
common good. The OpenSource movement has shown how much communities can
benefit from dedicated individuals. This pattern will be more general in
the future and this is a place to develop it - for all walks of life. Be
an Open Leader in Arts, Science, Gardening, Thinking, Producing - and work
openly so others can support you!"

http://www.openleader.com/
http://www.openleader.com/index.php/OpenLeader/Manifesto

Ich bin der Meinung daß wir (und damit meine ich hier die community at
large, nicht nur oekonux) immer noch unser eigenes Muster entwickeln. Es
ist nirgends fertig abzuholen, Debian, Linux, Wikipedia und wie sie alle
heißen sind auch noch voller Muttermale, und die offenen Fragen sind
mittlerweile überall ähnlich, vor allem dann, wenn so ein Laden auch noch
Erfolg hat.

Aus all den beschriebenen Gründen stelle ich auch sehr stark meine
Fähigkeit infrage, weiterhin sowas wie Maintainer des Oekonux-Wiki sein zu
können. Ich würde es am liebsten sehen, wenn  sich ein paar Leute
zusammentun und beginnen diese Arbeit gemeinsam weiterzuführen. Ja und
diesen Aufruf richte ich gerade auch an die relativ Neuen, die hier eine
faszinierende Herausforderung finden....

soweit mal....

Franz

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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