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Re: [ox] Re: Forken und Demokratie



On Wednesday 16 March 2005 02:06, Holger Weiss wrote:
war strittig, ob wir Kupfer spritzen sollten. Einereits stellt
dies eine Belastung des Ökosystems dar, andererseits erhöht es
die zu erntende Kartoffelmenge (wir hätten zwar im Rahmen
Tauschwert-Ökonomie zukaufen können, aber auf gesellschatliche
Ebene verallgemeinert, wird das schwierig, zumal das
Krautfäule- Problem viele Äcker betraf). Hochtechnologie ist
(...)
Ich halte es für eine Verabsolutierung davon auszugehen, dass
alle Streitigkeiten unter den Menschen vom Wertgesetz
verursacht werden.

Also, den letzten Satz (dessen Aussage zutrifft) musstest du
nachschieben, weil doch auch dir klar ist, dass du hier ein
klassisches Beispiel von Entfremdung hast: "Zahlen wir drauf oder
haben wir weniger Kartoffeln". In einer wertförmigen Umgebung
spürst du faktisch auch innerhalb der abgeschirmten Inseln die
Wirkung der Wertlogik:

Prinzipiell hast Du aus meiner Sicht voellig recht, aber das
konkrete Beispiel hat mit Wertlogik nichts zu tun. Dass die eine
Seite des Trade-Offs "Draufzahlen" laute, hast Du ihm
untergeschoben.

Ich bezog mich auf das "Dazukaufen" und habe das "Draufzahlen" 
genannt.

Es ging um "zu erntende Kartoffelmenge" versus 
"Belastung des Oekosystems". Hier steht ein Gebrauchswert gegen den
anderen, daher waere das auch jenseits des Werts ein Trade-Off.

Du hast recht, dass solche Regen-oder-Traufe-Situationen (Tradeoff) 
immer vorkommen können. Mit einem gesellschaftlichen Netz, in dem 
reichlich Kartoffeln vorhanden wären, würde sich das allerdings 
durchschnittlich ausgleichen.
Btw: Jenseits des Wert gibt's auch keinen Gebrauchswert;-)

Auch ohne Wertgesetz kann es Streitigkeiten geben, mit denen
ein Umgang gefunden werden muss. Und wenn sich nun doch, trotz
großer Freiräume, kein Konsens finden lässt? Vielleicht weil
eine kleine Midnerheit einfach andere Vorstellungen hat, z.B.
Gentechnik ausprobieren will, die Mehrheit dies aber für zu
gefährlich hält? Was passiert dann?

Dazu fallen mir verschiedene Nachfragen ein: Wie kann es denn zu
einer potenziell selbstschädigenden Vorstellung kommen? Anders
als in einer abstrakten Vermittlung über Markt und Geld ist die
Vermittlung in einer Freien Gesellschaft direkt und kommunikativ.
Folgen sind erkennbar und sinnlich erfahrbar - und nicht weit
weg.

Naja, auch hier: Prinzipiell hast Du recht. Rechtstaat und
demokratische Implementierung desselben sind notwendig zur
Organisation kapitalistisch verfasster Gesellschaften, sie sind
ihre adaequate Herrschaftsform. Wer die Interessen[*] der Buerger
innerhalb des Marktes gegensaetzlich organisiert, muss ihre
Gleichberechtigung vermittels der Gewalt des demokratischen
Rechtstaats sicherstellen. Das funktioniert wunderbar, daher geht
die Vorstellung, dass Demokratie irgendwie nie ganz richtig
funktioniert habe, ihr "moralischer Wert" aber "axiomatisch" sei
und daher in einer anderen Gesellschaftsform ploetzlich
wirkmaechtig wuerde, an der Sache vorbei.

[*] Ich weiss, Du magst "Interesse" nicht, habe aber vergessen
warum ;-)

Interesse ist die (kollektiv oder individuell) objektivierte Form von 
Bedürfnis, die wir im einer Freien Gesellschaft IMHO nicht mehr 
haben. Eine Freie Gesellschaft ist bedürfnisgetrieben, nicht 
interessengetrieben. IMHO & btw.

Nur: Aus meiner Sicht gibt es Konflikte, die ausserhalb der
Wertform liegen, und insbesondere auch Trade-Offs, ueber die
ueberhaupt erst verhandelt werden koennte, wenn die Entscheidung
nicht qua Markt (mehr oder weniger) vorgegeben ist. Beispiele: Will
ich weniger arbeiten oder mehr Gebrauchswert? Bei gegebener
Arbeitszeit: Was will ich produzieren? Will ich Auto fahren und in
den Urlaub fliegen oder Ozonloch stopfen? Will ich das Risiko von
AKWs in Kauf nehmen oder Ressourcen weghauen? Will ich
Gentechnik-Features oder habe ich Schiss vor den Folgen?

Zumindest einige dieser Trade-Offs lassen sich sicher durch
technischen Fortschritt verringern oder gar loesen, aber es sind
keine Widersprueche, die in der Wertform begruendet liegen.
Letztere verhindert nur, dass (frei) darueber _entschieden_ werden
kann, welche Seite des jeweiligen Trade-Offs man waehlt.

Das ist aus meiner Sicht zu statisch und auch zu individualistisch 
gedacht. Der Zusammenhang zwischen Handlung und Folgen ist in der 
Warengesellschaft zerrissen. Das führt zu dem Schein, dass solche 
Trade-offs als unhintergehbares Faktum vorliegen. Dem ist aber nicht 
so, sondern sie werden (ungeplant und unbewußt) hergestellt. In einer 
Freien Gesellschaft jedoch ist der Zusammenhang zwischen Handlung und 
Folgen grundsätzlich transparent und verfügbar. Was bislang nur 
hinterrücks und unbewußt geschah, kann jenseits des Werts erstmals im 
globalen Maßstab planvoll geschehen. Planvoll heißt jetzt nicht 
"Zentralplanung", sondern vernetzte dezentrale Planung von den 
Menschen, die eben genau den Zusammenhang von Handlung (Produktion) 
und Folgen auch wirklich herstellen (etwa, weil sie die Ahnung haben, 
weil sie betroffen sind etc. - nicht jede/r muss alles machen). 
Planung heißt vorausschauendes Herstellen der Bedingungen, unter 
denen wir leben. Das schließt ein, die grundsätzlich immer wieder 
möglichen Trade-offs zu minimieren, also solche extrem beschissenen 
Situationen wie "Kartoffeln oder Vergiftung" gar nicht erst entstehen 
zu lassen bzw. wenn sie entstehen ausgleichen zu können.

Es geht also keineswegs darum, dass wir einer Freien Gesellschaft bloß 
wählen könnten, welche Scheisse wir hinzunehmen haben, sondern dafür 
zu sorgen, dass es gar nicht erst dazu kommt, vor einer Wahl über die 
Scheisse zu stehen - global und für alle.

Was ich sagen will: Wir sollten vermeiden, abstrakte Szenarien zu
bauen, sondern konkreter werden und vor allem auf Prozesse
gucken. Und wir sollten uns hüten, Situationen von heute in eine
Freie Gesellschaft zu beamen mit der Aushebelfrage: "Na, und was
ist denn die Alternative zur Demokratie?" Demokratie beantwortet
(immer schlechter aber immerhin) Fragen, die diese Gesellschaft
stellt. Es kömmt für eine Freie Gesellschaft darauf an, solche
Fragen gar erst entstehen zu lassen.

Wie gesagt denke ich, dass bestimmte Fragen ueberhaupt erst
verhandelt werden koennten, wenn die Einschraenkungen der
Entscheidungsfreiheit durch die Wertform wegfallen. Wir sind uns
wohl einig, dass der Modus der Entscheidungen nicht "Demokratie"
lauten kann.

Jepp.

Aber den "wie denn sonst?" Einwaenden wuerde ich nicht 
damit ausweichen, dass es "solche Fragen" (wie der nach der
Gentechnik) in einer "Freien Gesellschaft" ja nicht mehr geben
koenne -- natuerlich wuerde es sie geben.

Das habe ich nicht getan, das wäre ja ein bißchen simpel. Ich will nur 
die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass wir Gesellschaft nicht als 
naturalen Zusammenhang behandeln sollten (nochmal: das ist der Schein 
in der Warengesellschaft), sondern dass wir eine Freie Gesellschaft 
nach anderen Maßstäben herstellen. Das schließt Konflikte nicht aus, 
sondern macht sie überhaupt erst verhandelbar wie du sagst. Aber es 
ist noch mehr. Das oben Beschriebene für die Tradeoffs gilt genauso 
für Entscheidungen: Auch Entscheidungen werden hergestellt. Dieses 
Herstellen von Entscheidungen ist in der Warengesellschaft 
unverfügbar, weil sie sich grundsätzlich im (Partial-)Interessenmodus 
bewegen: Die einen Interessen werden auf Kosten anderer durchgesetzt 
(siehe Standortlogik, Arbeitszeitverlängerung vs. Arbeitslosigkeit 
etc.). In einer Freien Gesellschaft geht es zuerst darum, _solche_ 
Entscheidungssituationen so weit es geht abzuschaffen. Es geht 
stattdessen darum, solche Entscheidungssituationen herzustellen, um 
die sich dann auch wirklich der Konflikt führen lässt, weil der 
Charakter des Konflikts nichtentfremdet ist, weil er nicht durch 
Interessen (=objektivierte Bedürfnisse) getrieben wird, sondern durch 
die Menschen selbst. Ich stelle mir also vor, dass Entscheidungen 
vielmehr in den Prozess gelegt werden, als dass sie am Ende des 
Prozesses über links- oder rechtsrum bestimmen. In einer Freien 
Gesellschaft wäre eine solche "Rechts-oder-Linksrum"- 
Entscheidungssituation eine Niederlage des Prozesses. Vielleicht wird 
man darüber dann noch "demokratisch" abstimmen - sozusagen als 
Rückfall in die Geschichte - und dann hoffentlich daraus lernen.

Ciao,
Stefan

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