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Re: [ox] Re: Liberale Theorie



Lieber Stefan,

Stefan Merten wrote:
Warst du in der Diskussion nach meinem Vortrag dabei? Da hat er sehr
gute Einwände gebracht. Ich sehe nicht, dass ich mich dem verschlossen
hätte und an vielen Stellen habe ich auch eingeräumt, dass es
Schwächen und Leerstellen gibt. Täte ich das nicht, wäre ich ein
Scharlatan.

Es gibt aber verschiedene Aspekte von Denken, die jenseits von
inhaltlichen Positionen sind, für eine fruchtbare Debatte m.E. aber
unabdingbar sind. Dazu gehört z.B. eine geistige Offenheit und eine
grundsätzliche Anerkennung anderer Positionen als denkbar. Da fand ich
Herrn Weber leider nur beschränkt interessant. Und nochmal: Das hat
nichts mit dem Label "liberal" oder nicht zu tun, sondern einzig mit
diesen anderen Aspekten des Denkens.

Vielleicht geht es - auch hier - nicht so sehr um das *dass* als
das *wie*? Vielleicht "tickt" Weber einfach anders als du es
erwartest? Vielleicht findet er dich genauso beschränkt wie du ihn?
Vielleicht war ihm in die Nase gefahren, in deinem Vortrag mit etwas
aus seiner Sicht Dilettantischem, aber mit der Autorität "die
Oekonux-Positionen" untersetzt, konfrontiert worden zu sein?
Jedenfalls hat er erst nach meinem expliziten Hinweis auch Stefan
Meretz und mich als "Oekonux" wahrgenommen und war dann (mir
gegenüber) deutlich entspannter.

Ich habe mit mehreren Leuten gesprochen und mein Urteil, dass Weber
eine extreme Bereicherung der Chemnitzer Tagung war, bestätigt
gefunden (was ich, da er von Capurro empfohlen worden war, auch
nicht anders erwartet hatte).

Im Übrigen verstehe ich deine immer wieder massiv (und aggressiv)
vorgebrachte Projektion eigener Erwartungshaltungen als in Diskursen
"gesetzt" im Lichte deines eigenen "Wissens"-Begriffs nicht: *Wenn*
Wissen, Wertvorstellungen etc. schon sehr individuelle Kategorien
sind, wo ist da der Platz für diskursive Standards jenseits solcher,
die in jedem neuen Kontext neu erstritten werden müssen?

Ich gebe zu bedenken, dass "ein großer Teil der Attraktivität von 
Begriffen wie Gemeinschaft, Kollektiv" gerade auch hier seine Wurzeln 
hat, und es für mich schion eine Frage ist, ob das alles rein 
psychologische Barrieren sind, oder hier auch Substanz vorhanden ist.

Ich denke: Der Liberalismus geht von atomisierten Individuen aus, die
erst a posteriori mittels Verträgen zu etwas Überindividuellem
zusammen gesetzt werden können. Ich denke, dass es diese Atomisierung
ist, die die Kritik auslöst. In Oekonux-Terminologie würde ich diese
Atomisierung als eine Entfremdung des gesellschaftlichen Wesens Mensch
von der Gesellschaft bezeichnen. Das spüren die Menschen. Wie eine
Oekonux-Überwindung dieser Atomisierung aussehen kann, ist - ich
wiederhole mich - Thema der OHA-Debatte.

Vielleicht spüren die Menschen ja auch, dass es eine solche
Atomisierung auch heute gar nicht gibt, sondern sie ihnen nur
eingeredet wird? Worin der (praktisch-politische) Neoliberalismus ja
Meister ist. Aber der hat wenig mit liberaler *Theorie* zu tun.
Verweis auf die Abschnitte "Wissen und Psychoanalyse" sowie
"Information, Wissen und Ideologie" im Wiki.

*Wenn* es eine solche "kommunistische Vernetzung der Sachen" (Kurz)
aber bereits gibt, dann ist hier auch keine Atomisierung zu
überwinden, sondern nur deren Schein. Das macht für die OHA-Debatte
viel aus.

Inwiefern ein solches "liberales Zeitalter" (und damit Kapitalismus)
vielleicht eine pubertäre Form einer freien Gesellschaft und damit
ein notwendiges Durchgangsstadium zu derselben sein könnte habe ich
in meinem Mawi-Paper dargestellt (Stichwort: Korngrößendilemma).
Deshalb interessieren mich Argumente von Kennern liberaler Theorie
dazu ungemein.

HGG

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
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