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[ox] Re: Liberale Theorie



Hi =?windows-1252?Q?Hans-Gert!

Ich muss zu deinen verschiedenen Anwürfen einfach Stellung nehmen und
auch noch ein paar inhaltliche Takte sagen.

3 weeks (24 days) ago Hans-Gert Gräbe wrote:
Stefan Merten wrote:
Karsten Weber war der nette junge Mann, ...

Nett, nun ja. Sicher recht brilliant - aber der Mann ist schließlich
Philosoph. Was ich super-ärgerlich fand, dass er als erklärter
Liberaler seine eigenen geistigen Grundlagen nicht kritisch
reflektieren kann, ...

Schade, dass du dich einem Input, der nicht genau auf deiner Art zu
denken liegt - ja, aus deiner Perspektive sogar fragwürdig sein mag -
derart verschließt.

Warst du in der Diskussion nach meinem Vortrag dabei? Da hat er sehr
gute Einwände gebracht. Ich sehe nicht, dass ich mich dem verschlossen
hätte und an vielen Stellen habe ich auch eingeräumt, dass es
Schwächen und Leerstellen gibt. Täte ich das nicht, wäre ich ein
Scharlatan.

Es gibt aber verschiedene Aspekte von Denken, die jenseits von
inhaltlichen Positionen sind, für eine fruchtbare Debatte m.E. aber
unabdingbar sind. Dazu gehört z.B. eine geistige Offenheit und eine
grundsätzliche Anerkennung anderer Positionen als denkbar. Da fand ich
Herrn Weber leider nur beschränkt interessant. Und nochmal: Das hat
nichts mit dem Label "liberal" oder nicht zu tun, sondern einzig mit
diesen anderen Aspekten des Denkens.

Vielleicht sind die Grenzen, an die Karsten Webers
Argumentation stößt, und die er aus seiner Sicht vielleicht wirklich
Schwierigkeiten hat zu transzendieren, was für unseren Diskurs extrem
Relevantes?

Sogar ganz zweifellos. Der Universalismus ist eine Denkschule, der
z.B. du sehr nahe zu sein scheinst. Für mich ist das die Fortsetzung
von Religion und ähnlichen Glaubensbekenntnissen mit nicht-religiösen
Mitteln. Letzlich ein Ausfluss von Eurozentrismus. Das ist insofern
relevant als es ein Schlag gegen die Aufklärung ist und auf vormalige
Gesellschaftsformen verweist, also nichts in einer einer modernen
emanzipatorischen Debatte zu suchen hat.

Für mich gehören solche kontroversen Diskussionen, die die
Rahmen des eigenen Ansatzes sprengen, zu den Ergiebigsten.

Dann würde ich dich bitten, deinen Worten auch Taten folgen zu lassen.
Wie du immer wieder versuchst Stephan wegzubeißen finde ich einen
Skandal.

Ich setze mich immer wieder dafür ein, auch Leute hier zu wünschen(!),
die nicht aus der Ecke wie die meisten hier kommen. Dazu gehört m.E.
Leute in die Schranken zu weisen, die andersartige Meinungen nicht
aushalten und in der Folge andere wegbeißen wollen.

2 weeks (20 days) ago =?windows-1252?Q?Hans-Gert Gr=E4be?= wrote:
danke für deine Ausführungen zu liberaler Theorie. Dass du als
"Liberaler" so argumentierst ist mir klar; und eigentlich erwarte ich es
ja auch so. Schublade auf, Schublade zu - und fertig -- das liegt mir
allerdings fern; und du hast hoffentlich die Quotes um das Wort
Liberaler wohlwollend registriert. Dass du als Kenner der Materie hier
viel Input geben kannst, steht außer Zweifel.

Sag mal, geht's noch? Ich finde den Tonfall eine Frechheit erster
Güte. Was aber noch fataler ist, ist wie dein Vorwurf sich letztlich
gegen dich richtet. `Dass du als "Liberaler" so argumentierst ist mir
klar'. Wenn das kein Satz ist, der nichts anderes als `Schublade auf,
Schublade zu - und fertig' bedeutet, dann weiß ich nicht. Insofern
auch hier: Mach endlich mal eine praktische Realität aus dem `das
liegt mir allerdings fern'!! Die Kommunikationsformen sind nicht nur
bei der Debatte um Wissen/Information wichtig sondern *immer*.

Doch nun zu Inhalten:

Stephan Eissler wrote:
Vor allem zu Beginn bis Mitte des 20. Jahrhunderts stießen viele Aspekte
sowohl des politischen wie auch des ökonomischen Liberalismus gerade deshalb
auf breite Ablehnung oder doch zumindest auf Skepsis, weil es für den
unbedarften  Alltagsverstand recht offensichtlich schien, dass das Ergebnis
des egoistischen Handelns einer Menge autonomer Individuen in der Summe
weniger sein müsse, als beim gemeinschaftlichen Vorgehen der gleichen Menge an
Menschen. Diesen Charme des vermeintlich offensichtlichen machte immer wieder
einen großen Teil der Attraktivität von Begriffen wie Gemeinschaft, Kollektiv
und Nation aus...

Ich habe hierzu inzwischen verschiedene Diskussionen mit Leuten erlebt,
deren Positionen ich als "liberal" bezeichnen würde.

M.a.W.: Du bastelst dir deinen Begriff von "liberal" selbst zusammen.
Na toll...

Immer sehr
interessant, da die Schnittmenge mit meinem sonstigen Kontext relativ
hoch ist.

Was wenig Aussagekraft hat, wenn du mit so unscharfen Bezeichnungen
operierst...

Nicht zuletzt Stallman bezeichnet sich ja, etwa im Film "OS
Revolution", als Liberaler. Natürlich ist die Frage, inwieweit das
"wirklich liberale Theorie" war, was da auf den Tisch kam, offen.

Stallman ist Linksliberaler mit starker US-Prägung. Ich behaupte mal,
das was US-Kultur und damit auch die von ihr hervorgebrachten
Varianten von Liberalismus dir, Hans-Gert, derzeit nicht zugänglich
sind. Dafür bist du in deiner Sozialisation viel zu sehr gefangen.

Ein zentrales wiederkehrendes Argument war die Gegenüberstellung von
"Gemeinschaft" und "Gesellschaft", für mich dezidiert zuerst in einer
Diskussion mit Uli Niemitz am 17.5., Abstract siehe
http://coforum.de/?WAK-Leipzig, wobei für ihn als Liberalen(?)
Gesellschaft die höhere Form war. Und die verstand er als Summe
autonomer Individuen, die ihre Verhältnisse vertraglich regeln. Bei
Weber in Chemnitz ging das über positive und negative Rechte, also
Gestaltungs- und Abwehrrechte. Diese "Kultur der Rechtsförmigkeit" wurde
aber in all den Debatten als abgeleitetes, sekundäres Merkmal behandelt,
das schlicht eine Bewegungsform des ""egoistischen, aber
vernunftgeleiteten Handelns einer Menge autonomer Individuen" ist, die
sich ja nicht dauernd bis aufs Messer streiten können, wenn Interessen
kollodieren, und das rein instrumentellen Charakter hat. Bei Niemitz
besonders stark, wenn er Übernahme von Verantwortung (meine
Terminologie) in Schuldrechtsverträgen kodiert. Mit den Folgen eines "in
den Sand gesetzten" Versprechens ist das Individuum schlicht allein
gelassen und muss die gesellschaftlichen Auswirkungen weitgehend auf
seinen Schultern tragen. Das in etwa ist auch Webers "Preis der
Informationsfreiheit".

Ich gebe zu bedenken, dass "ein großer Teil der Attraktivität von
Begriffen wie Gemeinschaft, Kollektiv" gerade auch hier seine Wurzeln
hat, und es für mich schion eine Frage ist, ob das alles rein
psychologische Barrieren sind, oder hier auch Substanz vorhanden ist.

Ich denke: Der Liberalismus geht von atomisierten Individuen aus, die
erst a posteriori mittels Verträgen zu etwas Überindividuellem
zusammen gesetzt werden können. Ich denke, dass es diese Atomisierung
ist, die die Kritik auslöst. In Oekonux-Terminologie würde ich diese
Atomisierung als eine Entfremdung des gesellschaftlichen Wesens Mensch
von der Gesellschaft bezeichnen. Das spüren die Menschen. Wie eine
Oekonux-Überwindung dieser Atomisierung aussehen kann, ist - ich
wiederhole mich - Thema der OHA-Debatte.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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