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Re: [ox] 3.3.2. Lustprinzip statt sinnentleertem Schuften ; Erkenntnis-Motivation



Hi,

wenn ich das richtig verstanden habe dann geht es um den Ausbau des Lustempfindem am wir (wir machen, wir sind ...)

also könnte man punkt 3.3.2. umbenennen zu z.B. Lustempfinden am wir statt sinnentleertem Schuften zum für sich selber.

MFG BuRnEr


Hans-Gert Gräbe wrote:

Hallo BuRnEr,

Robert "BuRnEr" Schadek wrote:
ok ich kann das ja etwas ändern dann geht es zumindest um eine große
gruppe!

Ein bauarbeiter eines wasserstaumauer muss noch drahtgitter in die wand
des der staumauer einbetonieren. Es würde auch erst mal ein paar jahre
halten ohne die mauer dann wäre er 1h eher bei seiner neuen Frau. Oder
er hollt die matte von der anderen seite der baustelle! Jetzt finde ich
kann man sagen das es zumindest um eine größe Gruppe geht die der
Bauarbeiter nicht persönlich kennen kann. (Die Staumauer ist 10000meter
lang !)

Ich wollte mit dem beispiel auch nur zeigen das es ganz ohne
pflichtgefühl nicht geht oder zumindest nicht geht solange wir nicht
über utopie reden wollen.

Ja, das Beispiel gefällt auch mir besser (wenn auch: wo gibt es
soooo lange Staumauern?). Auch wenn es außerordentlich komplex ist,
und dein Verweis auf das "Pflichtgefühl" hier bestimmt auf die
üblichen Argumente "unfreier Lohnarbeiter", "Entfremdung", "in der
GPL-Gesellschaft gibt es so was nicht mehr" etc. treffen wird.  Und
die haben ja auch alle recht. Aber deine Frage war ja auch: Ist das
alles ... ?

Wir sind damit unvermittelt mitten in einer weiteren Debatte, die
seit der Chenmitzer Konferenz "auf Halde" liegt, der Frage, ob
bzw. was genau die "Macht der vereinten Individuen" mehr ist als die
"vereinte Macht der Individuen". Auch wenn SMn (25.6.)

dieser formelartigen Formulierung nichts entnehmen

kann. Ich hatte dann am 27.6. ergänzend ausgeführt

Es ist ein Dauerbrenner zwischen uns: Gibt es jenseits von "Selbstentfaltung(en)", also der Summe der lokalen Effekte sich selbst entfaltender, sich selbst ermächtigender Individuen, ein Mehr - globale Effekte - einer gemeinschaftlichen Entfaltung. Wenn ja - meine These -, wie sind diese zu fassen?

und am 22.7. in Replik auf SMn vom 20.7. das als Kern der
Kontroverse mit Karsten Weber und dem liberalen Ansatz generell
bezeichnet.  Es ging dann auch noch weiter (etwa SE's Antwort darauf
am 22.7.), aber du findest das im Archiv.  Ich führe das hier auch
nur mal prophylaktisch aus um anzudeuten, für *wie* zentral ich deine
Bemerkung für Oekonux halte und wie oft wir dort schon
vorbeigekommen sind (mE. ist das auch der Kern von OHA).

Aber nun zur Substanz, wie ich sie heute verstehe: "Pflichtgefühl"
enthält wesentlich zwei Aspekte: "Pflicht" und "Gefühl".  Während
sich die oben aufgeführten Schlagworte alle am ersten Teil reiben,
will ich es zunächst am zweiten tun. Denn - ich schließe hier von
mir auf andere - es ist auch was sinnlich Wahrnehmbares dabei, an
einem solchen großen Projekt mitzuwirken, was unmittelbaren Einfluss
auf das eigene Verantwortungsbewusstsein hat. Etwas Großes zu
schaffen, das du allein nie auf die Beine bekommst, aber alle
zusammen schon und zum Nutzen aller (so wenigstens das Gefühl).  Das
hat nichts mit unseren 5 unmittelbaren Sinnen zu tun und auch nichts
mit dem 6. Sinn (ich beziehe mich hier auf meine Chemnitzer Thesen),
der Kraft des eigenen Verstandes, die man auch sinnlich wahrnehmen
kann (wenn du z.B. ein Modellflugzeug bastelst und es dann auch
wirklich fliegt - da schwillt die Brust, oder?). Über der Natur
dieses siebten Sinns habe ich lange gebrütet, und du findest die
Genese in den Kommentaren der OT-Version der Chemnitzer Thesen
dokumentiert. Erst war es "Verstand" vs. "kritischer Verstand" oder
"Vernunft".  Aber ich hatte immer das ungute Gefühl, das ist noch
nicht der Punkt. Bis ich begriff: Es geht um das Gefühl des WIR, um
den Gemeinschaftssinn. Mehr dazu in meinen Chemnitzer Thesen.

Und nun passt auf einmal alles zusammen. Was dich umtreibt ist ein
"Gefühl", das in seiner unreflektierten Form als "Pflicht", "Ethik",
"Moral" etc. daherkommt. Wenn du der Natur dieses eigenen Gefühls
auf den Grund gehst, dann siehst du, dass du dich dafür nicht
schämen musst, sondern dich diesem Gefühl "mit Lust" hingeben
kannst, *wenn* es um eine "gute Sache" geht.  Pflichtgefühl ist also
nicht per se immanenter Teil nur unfreier Gesellschaften.
Gleichwohl wird in einer unfreien Gesellschaft dieses Gefühl, dein
innerer Lustantrieb, gern instrumentalisiert. Und du siehst auch die
Sollbruchstelle: Man muss dir nur *einreden*, dass es um eine "gute
Sache" geht.

Die "gute Sache" ist aber nichts dir Äußerliches (auch im *nicht*
entfremdeten Fall), sondern passiert in deinem Kopf als Wertung
deiner Wahrnahme des "Unternehmens Menschsein", die immer auch
geprägt ist durch einen substanziellen Bestandteil und nicht *nur*
aus Einrede besteht (eben "Information als *Verhältnis* zwischen
Materiellem und Ideellem" - Fuchs-Kittowski).  Der Spagat zwischen
dem innerlich als wahr Gefühlten und dem dir als wahr Eingeredeten
zerreißt dich innerlich, bringt deine Psyche aus dem Gleichgewicht -
kurz "diese Gesellschaft macht krank".  Dass das "verstümmelte
Individuum" (Hoevels) für sich aus diesem Kranksein auch noch einen
"primären und sekundären Krankheitsgewinn" zieht sei hier nur in
Parenthese vermerkt. Mehr dazu bei (Hoevels) S. 49ff.

Ich behaupte nun (und führe das in den Chemnitzer Thesen (CC) sowie
meinem Mawi-Paper genauer aus, siehe
http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/infopapers), dass
dieses rudimentär noch immer vorhandene WIR-Gefühl durch die zunehmende
Virtualisierung der Gesellschaft zwar stark verschüttet ist, aber sich
gerade als *Gefühl* immer wieder Bahn bricht.  Und dass es hohe Zeit
ist, dieses Gefühl bewusster wahrzunehmen und so "die gemeinsame
bewusste politische Gestaltung von Gesellschaft, die 'Produktion der
Verkehrsformen selbst', die 'alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum
ersten Mal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen
behandelt, ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der
vereinigten Individuen unterwirft' - mit einem Wort: Kommunismus im
Verständnis des jungen Marx (MEW 3, S. 70)" [CC-These 22]
voranzubringen.

Und dass das WIR-Gefühl in vorkapitalistischen und
real-sozialistischen Zeiten stärker war als heute, die
Nichtgleichzeitigkeit der Produktivkraftentwicklung also an Orten
scheinbarer Rückständigkeit Elemente bewahrt hat - und da stimme ich
SMn voll zu - deren Bedeutung für unser eigenes Seelenheil "wir, die
weißen Männer," nicht hoch genug einschätzen können, "während der
Trümmerhaufen ... zum Himmel wächst" [CC-These 3].

NB: "Virtualisierung der Gesellschaft" (wie in meinem beiden Aufsätzen
semantisch untersetzt, also wieder zur Not "iSv HGG") ist für mich eine
deutlich plausiblere Charakterisierung der "historisch neuen Qualität"
als die von SMn am 21.7. gegebene, siehe auch mein Glob-Paper "Virtuelle
Macht und reale Gegenmächte".

Viele Grüße, HGG


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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