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Re: [ox] Weltliche Religion



Hallo Holger,

Am Dienstag, 9. Mai 2006 05:09 schrieb Holger Weiss:
Es stimmt zwar, dass sich ein paar andere Stellen bei Marx finden
lassen, die sich geschichtsphilosophisch lesen. Weniger bezueglich einer
vermeintlichen Notwendigkeit des Kapitalismus, als, Kapitalismus
gegeben, bezueglich seiner notwendigen Ueberwindung. Aus meiner Sicht
sind diese Stellen jedoch nicht nur spaerlich gesaeht, sondern vor allem
in keiner Weise konstitutiv fuer die Marxschen Kategorien: Laesst man
sie weg, aendert sich ansonsten nix. Insbesondere im Manifest dienen sie
vermutlich in erster Linie der Agitation.

Nun, obige Bemerkungen sind Deine Interpretation. Welche Bedeutung
die geschichtsphilosophischen Stellen im Denken von Marx wirklich 
einnahmen, werden wir wahrscheinlich nie erfahren.

Es bleibt jedoch eine historische Tatsache, daß die Parteien und An-
hänger von Karl Marx sich (möglicherweise auch in einer Fehlinter-
pretation von Karl Marx) verschiedentlich auf die geschichtsphilo-
sophisch zwingende Abfolge von Zeitaltern bezogen haben. So u.a.
auch, um zu begründen, weshalb der Realsozialismus im "Vaterland
aller Werktätigen" nicht funktionieren könne. Historisch läßt sich ferner
anhand der nachgelassenen Briefe rekonstruieren, daß Karl Marx
das Umschlagen des Kapitalismus in den Kommunismus durch
eine Zuspitzung der Verhältnisse noch zu seinen und F. Engels Lebzeiten 
erwartete.

Es ist ferner eine historisch belegbare Tatsache, daß verschiedentlich
Marxisten sich gegen Pausenregelungen, langsamere Taktfolgen am
Fließband u.a. Arbeitserleichterungen wendeten, weil dies eine Re-
duktion der Produktivkräfte bedeuten würde und damit der Zuspitzung
der Verhältnisse, dem Umschlagen des Kapitalismus in den Kommunis-
mus und der Revolution im Wege stände - und damit einer Verlängerung
der Unfreiheit Vorschub leisten würde. Aus dem Theorem der Zuspitzung
der Verhältnisse, dem der Kapitalismus durch die Kapitalkonzentration
der konkurrierenden Produzenten laut Marx unweigerlich zutriebe, ergab
sich für etliche Marxisten eine Notwendigkeit des Kapitalismus.

Lassen wir die geschichtsphilosophischen Elemente  in den Kategorien
von Marx fort, bleiben die Kategorien von C. Pecqueur 1836 in seinem
Werk "Das soziale Gleichgewicht der Interessen im Handel, in der
Landwirtschaft, in der Industrie und in der Kultur allgemein, unter dem
Einfluß der Dampfmaschine" bestehen, die nicht nur als Grundlage der
modernen Sozialdemokratie interpretiert werden können (Eroberung der
Macht und eine soziale Revolution durch Arbeiterparteien an der Wahl-
urne!), sondern auch die Marx zugeschriebene Analyse der kapitalistischen 
Konkurrenz vorwegnehmen.

Insofern scheint mir Deine Kritik zwar nicht voellig an den Haaren
herbeigezogen, im Kern aber unberechtigt.

Mir erscheint sie nach dem etwa 20 jahrigem Studium der Geschichte
des Kommunismus, Realsozialismus, Marxismus-Leninismus und 
Marxismus bzw. Engelsismus durchaus berechtigt. Zumal es historisch
auch die Irrtümer und Fehlinterpretationen sind, die Geschichte machen
- so z.B. die Tatsache, daß die Genese des Marxismus bis ca. 1930 anhand
"Das Kapital" Band 1 erfolgte, bevor in der Sovjetunion die anderen, bis
dato nur als Manuskript vorliegenden Bände publiziert wurden. 

Gruss,
Jacob
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