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Re: [ox] Weltliche Religion



Jac wrote:
Zu behaupten, daß Erwachsene in jeglicher Situation die Gefahren
besser einzuschätzen wissen als Kinder oder Kleinkinder, ist falsch. ...

Du argumentierst viel mit Erfahrungen, und das halte ich für richtig.
Dass also ein Erwachsener ohne Erfahrungen mit bestimmten Umständen
(etwa Verhalten am Meeresstrand) die Gefahren nicht besser einzuschätzen
weiß als ein Kind.

Aber man kann doch aus eigenen, aber auch aus Fehlern anderer lernen,
oder? Und Kinder lernen bis zu einem gewissen Alter sehr viel allein
durch Nachahmen und leichtes Variieren des Nachgeahmten. Selbst das, was
du über dich selbst schreibst über die "Abwege" - es war doch auch von
Erwachsenen gesetzt, so der Art - mach mal das da und jenes da. Du hast
es als freies Erkunden wahrgenommen, aber in Wirklichkeit war es doch
durch diese Vorgaben auch schon vorstrukturiert. Da ist nix mit "eigene
Lebendigkeit ausleben" im Sinne des Nachgehens eigenen GEFÜHLEN. Im
Gegenteil, es wird intensiv BEOBACHTET und NACHGEAHMT.

Braucht nicht jeder Mensch (nicht nur als Kind) sowohl ein Gefühl der
Geborgenheit als auch das Gefühl von Freiräumen, um sich zu entwickeln?
Und zwar in einer wohl ausgewogenen, vielleicht auch altersabhängig sich
verändernden Proportion?

Aufgabe des Anspruches, überall dem Kind und Kleinkind überle-
gen zu sein, der unserer Tradition der Erziehungssituation zu-
grundeliegt, habe ich als Weg hinaus schon einmal versucht,
deutlich zu machen. 

Wo kommt dieser Anspruch her? Ist er nicht ein Reflex des
gesellschaftlichen Credos, das in einem der Lieder von Udo Lindenberg
heißt "schnell sein und gut"? Ist es nicht Reflex der Erfahrung, dass
jede Schwäche, die du zeigst, gnadenlos von anderen ausgenutzt wird?
Dass allein aus "unserer Tradition der Erziehungssituation" zu erklären
 halte ich für deutlich zu kurz gesprungen. Es ist eine tiefe Erfahrung
aus dieser Gesellschaft, die zunächst überhaupt nichts mit Erziehung zu
tun hat, eine Selbsterfahrung, die dann auf den Erziehungsbereich
übertragen wird. Und zwar weitgehend nur von denen, die diese Erfahrung
"verinnerlicht" haben. Das zeigt die Vielfalt der Erziehungsstile, über
die hier von Leuten aus eigener Praxis schon reportiert wurde.

Die generalisierte Form, in der du diese These vorträgst, halte ich
nicht unbedingt für falsch, aber für wenig hilfreich, weil sie die
dahinter stehenden Mechanismen eher verdeckt als offenbart.

Viele Grüße, HGG

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
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