[ox-de-raw] Re: [ox-de] Request for Comments: Die Peer-Ökonomie
- From: Hans-Gert Gräbe <hgg hg-graebe.de>
- Date: Sat, 20 Oct 2007 19:08:35 +0200
Hallo Christian,
Christian Siefkes schrieb:
einen Kommentar zu deiner absurden Kapitalismus-Schönrechnerei, auch in
deinem "Arbeitswertpaper", wonach der Profit anscheinend nur eine
Entschädigung für den Arbeitsaufwand des Kapitaleigners ist ...
Ich blicke neidvoll auf Menschen, für die so klar ist, was
"Schönrechnerei" und was "Bullshit" ist.
Da wage ich gar nicht dagegen zu halten, dass in jenem Paper ja zunächst
eine Rechnung ganz ohne Kapitalisten gemacht wird und diese erst in der
zweiten Runde "dazugerechnet" werden (mir geht es ja um die Analyse des
Existierenden). Und dass genau in dieser *ersten* Runde, wo es
ausschließlich um die "grünen Punkte" geht, die gesellschaftliche
Bedeutung der Arbeitswertfaktoren deutlich wird als Konflikt zwischen
verschiedenen Lohnarbeiterfraktionen um die Größe des Stücks Kuchen, das
sie abbekommen. Warum sich also der Streik der Lokführer nur in zweiter
Linie gegen das Bahn-Management richtet, in erster Linie aber gegen
andere Lohnarbeiterfraktionen, die vom "Bahnkuchen" abbekommen. Deshalb
ist der Streit *zwischen* den Bahngewerkschaften ja auch so erbittert.
Insofern ist es auch egal, ob du GS als "Gewichtete Stunden" oder
"Goldstücke" dechiffrierst, weil es bei der Verteilung des Kuchens, in
meinem Paper genauer ausgeführt, allein auf die Proportionen *zwischen*
den Faktoren ankommt. Deshalb kannst du auch eine Auktion machen über
Klo putzen ohne das Zeitmaß überhaupt zu tangieren: Wer macht Klo putzen
für 16, 17, 18 Punkte (Batzen, Gschicke, GS oder wie die
Regionalwährungen alle heißen - die ja nicht umsonst *alle* sehr schnell
darauf kommen, dass sie so was wie Geld sind) ... Zuschlag erteilt! Im
bürgerlichen Leben heißt diese Art Vertrag übrigens Werkvertrag, ist
also - wenigstens von der Form her - nicht mal was Neues. Nun ja,
"Kapitalismus als pubertäre Form" eben - aber bis zu dieser meiner
Schlussfolgerung musst du ja nicht mitgehen.
Entschädigung für den Arbeitsaufwand des Kapitaleigners ist (weil es ja so
_ungemein_ aufwendig ist, sein Geld zur Bank bzw. zum Vermögensverwalter zu
tragen und dort verwalten zu lassen!), spar ich mir mal...
Das, was du hier "Kapitaleigner" und ich oben sehr verkürzt "Kapitalist"
genannt habe, heißt bei mir im Text übrigens präziser "Produzent auf
eigene Rechnung" - eine vielleicht doch kleine Differenz. Zumal jener
das Geld erst auf die Bank tragen kann, *nachdem* es "verdient" wurde,
also *nach* dem Tauschakt am Markt, wo sich der Wert realisiert hat.
Im Übrigen findest du bei den Krisisleuten, vor allem dem Meister
selbst, genügend Argumente, warum und inwiefern eine so verkürzte Sicht
auf "Kapitaleigner" antisemitische Elemente eines "raffenden Kapitals"
in sich trägt, und warum das in einer linken Theorie fundamental zu
kritisieren ist. Das zu wiederholen kann ich mir also hier sparen. Nur
mal drauf hinweisen wollte ich.
HGG: Dass es sich allerdings bei dem Wertverhältnis um ein
ganzheitliches gesellschaftliches Verhältnis handelt, von dem man
nicht einzelne Komponenten abspalten kann, davon gehe ich aus.
CS: Wie sieht's also bei Beiträgen (gewichteten Stunden) mit den
drei von Stefan erwähnten Funktionen des Geld hat? ...
HGG: Eine solche selektive Auswahl des "best of" kann es m.E. in
einem praktischen Kontext nicht geben, allein möglicherweise eine
andere Dynamik.
CS: Was ist denn das für ein Bullshit? Weil ein Ei drei Funktionen
haben kann (man kann es essen; man kann ein Huhn draus ausbrüten; man
kann es jemand an den Kopf werfen) sind also keine Dinge vorstellbar,
die nur eine oder zwei dieser Funktionen haben?
Dein "Ei" hier ist das Geld, nicht das gesellschaftliche Verhältnis.
Ist das nicht genau der Geldfetisch, dem du hier aufsitzt?
Deine Brötchen musst du also mitbringen. Wird Benni aber traurig sein.
Häh? Einige backen die Brötchen, andere tragen auf andere Weise bei.
Bzw. im Rahmen eines Verteilungspools gibt es einige Projekte, die
Bäckereien organisieren; wenn du Brötchen willst, kriegst du welche
und trägst im Gegenzug zu einem Projekt deiner Wahl etwas bei, so
dass die Arbeitsbelastung für die anderen dadurch nicht größer wird.
Hast du mein Buch überhaupt gelesen??
Hast du Zweifel daran? Nun, den Anhang scheine ich doch zumindest
gelesen zu haben, bin ja der Einzige hier, der bisher über die L_k
raisonniert hat.
Ich verstehe allerdings überhaupt gar nicht, auf welcher Skale du dein
Modell ansiedelst, ob Peerökonomie ein einziges (dann sicher nicht
allzu) großes Projekt nur mit Innenverhältnissen erfasst oder aber ein
Netzwerk von Projekten, wo dann auch was über Außenperspektiven,
Außenverhältnisse zwischen Projekten etc. gesagt werden müsste.
*Vor* den Brötchen hast du von "Kooperationseinheit" als
"Arbeits-Aufteilungs-System" gesprochen, also eine reine
Innenperspektive aufgemacht (und auch im Text habe ich nichts anderes
gefunden). Und da "Brötchen" hier Synonym für den Zugriff auf externe
Ressourcen (z.B. zur Erhaltung der vitalen Funktionen als Voraussetzung
fürs Programmieren) steht, hab ich halt die Metapher verwendet, um auf
die Autarkie
Deshalb wirst du in einer _anderen_ "Kooperationseinheit"
geleistete Arbeit normalerweise nicht importieren können.
hinzuweisen, die du in deiner Antwort explizit postuliert hast. Nun
sprichst du auf einmal von einem "Projektpool", also möglicherweise eher
von einem selbstähnlichen Prinzip. Was aber dann andere Fragen aufwirft,
denn dein Innenverhältnis einer "Kooperationseinheit" setzt
entscheidungs- und verantwortungsfähige Subjekte voraus, die ab Stufe
Zwei erst zu konstituieren wären. Wer spricht für die
"Kooperationseinheit" der Brötchenbäcker, wenn es mit anderen Projekten
aus dem Pool was auszuhandeln gilt? Wie verbindlich kann er oder sie
überhaupt agieren mit "tausend Primadonnen" im Rücken?
Und nun noch zu deiner Mail vom 18.10.:
Realistischer dürfte etwa folgendes Szenario sind: momentan trage ich meine
9 GS als Softwareentwickler bei.
Ah ja. Das war mir zum Beispiel nicht klar, dass es auch GS gibt für die
Sachen, die Spaß machen. Um auf 9 GS zu kommen, müsstest du allerdings
realiter 90 Stunden die Woche arbeiten, denn der Faktor bei dieser
beliebten Tätigkeit steht leider gerade bei 0.1. Ist eigentlich auch
Faktor 0 - zero - möglich? Oder gar negative Faktoren?.
Wenn es so ist, wie du schreibst, würde sich das Projekt zwar
vielleicht gleich entscheiden, ihm die Aufgabe lieber nicht
anzuvertrauen und sie weiter ausgeschrieben zu lassen, bis sich
jemand geeigneteres findet.
Ah ja. Bernd darf nicht mitbieten. Findet Bernd natürlich extrem
ungerecht, vor allem, weil es ja beim letzten Mal gar nicht seine Schuld
war ... Sagt er. Brauchen wir also noch ein Gericht - na gut, vielleicht
reicht eine Schiedskommission wie in der DDR für solche Fälle üblich war?
Aber nehmen wir an, die Hygiene-Beauftragte (Bereichsmaintainerin)
entscheidet sich, ihm eine Chance zu geben.
Oh, noch ein Posten. Was maintaint die Dame? Legt sie ans Kloputzen ihre
eigenen Maßstäbe an oder allgemeine oder sind die eigenen die
allgemeinen, weil sie die jede Woche anlegt? Wird gesichert, dass das
immer mit rechten Dingen zugeht? Wer kontrolliert die Kontrolleure -
oder muss das nicht sein?
Schnell stellt sich raus, dass das so keinen Sinn hat, und Bernd kehrt zu
einer anderen Aufgabe zurück. (Zu dieser Entscheidung kann es auf
verschiedene Weise kommen: entweder Bernd ist selbst unglücklich über seine
schlechte Arbeit; oder die andere piesacken ihn wegen der dreckigen Klos,
bis er die Nase voll hat; oder die Hygiene-Beauftragte teilt ihm freundlich,
aber entschieden mit, dass er sich eine geeignetere Tätigkeit suchen möge.)
Das hat natürlich nur im Innenverhältnis einer "Kooperationseinheit"
Sinn. Wenn Bernd die Brötchen backen soll und nach einiger Zeit
festgestellt wird, dass er das nicht packt, müsst ihr alle erst mal auf
den Hungerast. Hier sind übrigens noch mehrere subtile Momente drin über
Arbeiten, Termine, Material usw., die ich erst mal ausspare.
[Gibt es für die einzelnen Tätigkeiten Qualitätsstandards und
Service Level Agreements? Wer legt die ggf. fest und kontrolliert
sie?]
Anforderungen werden logischerweise von dem Projekt festgelegt das die
Aufgabe definiert. Und wenn du eine Aufgabe nicht zur Zufriedenheit des
Projekts bzw. der jeweils Zuständigen erledigst, wirst du sie kaum dauerhaft
übernehmen können,
"Dauerhaft" setzt die Wiederholbarkeit der Tätigkeit voraus. Service
Level Agreements sind natürlich nicht innerhalb eines Projekts
interessant, sondern zwischen Projekten in einem Pool. Und wenn die
Aufgabe nicht zur Zufriedenheit gelöst ist, dann fehlt ja aktuell
trotzdem was, auch wenn ich hoch und heilig verspreche, dass ich beim
nächsten Mal ... oder ihr mich beim nächsten Mal nicht lasst.
Das generelle Problem, dass sich Anforderungen über die Zeit auch ändern
können und am Ende was anderes benötigt wird als am Anfang vereinbart,
ist da noch gar nicht adressiert.
Ob man dann, wenn man, wie Bernd, eine Sache gemacht und verpfuscht hat, sie
trotzdem anerkannt bekommt oder nicht, wird vermutlich von verschiedenen
Faktoren abhängen (v.a. davon, wie sehr man gepfuscht hat ;-) ). Zunächst
dürfte das Projekt entscheiden, aber Bernd kann sich ja beschweren,
Ah ja. Bei wem? Mit welchen (möglichen) Konsequenzen?
wenn er sich ungerecht behandelt fühlt -- da werden sich also
gesellschaftliche Normen dessen, was üblich ist, entwickeln.
Normen müssen in konkreten Fällen *angewendet* werden. Wie gesagt, das
alles geht - nach der Theorie der "small worlds" - relativ einfach auf
Zuruf in einer überschaubaren Kooperationseinheit mit bis zu 150 Leuten.
Skaliert aber eben nicht, weil alle diese Prozesse institutionalisiert
werden müssen, wenn diese Dimension überschritten wird.
Viele Grüße, hgg