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[ox-de-raw] Re: [ox-de] Request for Comments: Die Peer-Ökonomie



Hallo HGG,

Hans-Gert Gräbe wrote:
Ich scheine mich nicht deutlich genug ausgedrückt zu haben. Also mal ein
Beispiel - Klo putzen als unangenehme und deshalb über Auktion
versteigerte Arbeitsaufgabe. Ob das Wort "Auktion", das Christian
explizit verwendet, wie von dir ausgeführt, nicht angemessen ist, mag
dabei zunächst dahingestellt sein.

Also Klodienst für Oktober (4 Termine) ist zu ersteigern. Zu den
angegebenen "weighted hours" will's keiner machen. Also wird [Durch wen?
Mit welchen Konsequenzen?] der Faktor L_k (Formel A.1, t=k für "Klo
putzen") hochgesetzt, sagen wir wie auf einem Schieberegler. Alle
schauen gebannt auf den Regler und ich (Person A) habe mir vorgenommen,
dass ich bei L_k=1.47 zuschlage und das Kloputzen übernehme.  Leider hat
B bereits bei 1.45 zugeschlagen und den ersten Termin übernommen, obwohl
alle wissen, wie der das Klo putzt mit seinen zwei linken Pfoten. Ich
schlage bei 1.47 für den zweiten Termin zu.

Und es kam, wie es kommen musste. B hat wieder nur das allernötigste
gemacht

Du denkst wieder in der Geldlogik statt in der Logik des Beitragens, deshalb
macht dein Beispiel so nicht viel Sinn. Um es mal zu konkretisieren: es geht
um Beiträge -- ich muss also z.B. 9 Gewichtete Stunden (GS) pro Woche zu dem
Projekt bzw. Verteilungspool beitragen, um die Dinge zu kriegen, die ich
haben will.

9 GS entspricht bei Gewichtungsfaktor 1.45: 6h 12min Kloputzen, bei Faktor
1.47 sind's 6h 7min. Ob diese 5min pro Woche für mich den Unterschied
machen? Wohl kaum.

Realistischer dürfte etwa folgendes Szenario sind: momentan trage ich meine
9 GS als Softwareentwickler bei. Programmieren ist ziemlich beliebt und
steht bei Faktor 0,5. Ich muss also wöchentlich 18h beitragen und bin damit
etwa die halbe Woche beschäftigt. Da ich ein fauler Mensch bin und nichts
dagegen hätte, mehr Zeit mit Am-Strand-Liegen und Im-Park-Spezierengehen zu
verbringen, behalte ich immer mal die hochgewichteten Aufgaben im Auge.
Bislang hat mich aber noch nichts so recht überzeugt und auch Kloputzen* zum
Faktor 1.45 kann mich nicht begeistern -- 6:12h für "so ne Scheiße" sind mir
immer noch zu viel.

(* Realistischerweise vermutlich eher Klos+Bäder putzen, oder Putzen
überhaupt. Aber egal... )

Ich melde mich also nicht und Bernd kriegt zunächst den Job. (Wenn es so
ist, wie du schreibst, würde sich das Projekt zwar vielleicht gleich
entscheiden, ihm die Aufgabe lieber nicht anzuvertrauen und sie weiter
ausgeschrieben zu lassen, bis sich jemand geeigneteres findet. Aber nehmen
wir an, die Hygiene-Beauftragte (Bereichsmaintainerin) entscheidet sich, ihm
eine Chance zu geben.)

Schnell stellt sich raus, dass das so keinen Sinn hat, und Bernd kehrt zu
einer anderen Aufgabe zurück. (Zu dieser Entscheidung kann es auf
verschiedene Weise kommen: entweder Bernd ist selbst unglücklich über seine
schlechte Arbeit; oder die andere piesacken ihn wegen der dreckigen Klos,
bis er die Nase voll hat; oder die Hygiene-Beauftragte teilt ihm freundlich,
aber entschieden mit, dass er sich eine geeignetere Tätigkeit suchen möge.)

Die Aufgabe ist also wieder frei und beginnt, da sich niemand meldet, weiter
zu steigen. Da mich Faktor 1,45 noch nicht überzeugen konnte, dürfte es bei
1,47 oder 1,5 nicht viel anders aussehen, aber da sich niemand findet und
das Gewicht noch weiter steigt, werde ich nachdenklich. Bei 1,8 stelle ich
fest, dass ich damit meine wöchentlichen Beiträge in 5 Std. erledigen kann
-- das kann ich an einem langen Nachmittag hinkriegen und habe den ganzen
Rest der Woche für mich. Das überzeugt mich: ich bewerbe mich erfolgreich um
die Aufgabe und erfülle sie ab sofort zur allgemeinen Zufriedenheit ->
Happy End :-) (bis es mir irgendwann langweilig wird und ich mich wieder
nach was anderem umschaue).


Eine Komplikation, die sich in der Praxis noch ergibt, ist dass der Umfang
einer Aufgabe nicht unbedingt meinen Bedürfnissen entspricht. Wenn ich im
Team arbeiten, kann ich mir die Arbeit vielleicht so aufteilen, dass ich
genau auf meine benötigten x Std komme, aber bei kleinen Aufgaben, die
eine/r alleine übernimmt, dürfte es selten genau hinkommen. Im geschilderten
Beispiel nimmt das Kloputzen vielleicht nur 4 Std. pro Woche in Anspruch --
4h zum Faktor 1,8 entspricht 7,2 GS, damit allein habe ich meine Beiträge
also noch nicht ganz abgedeckt (1,8 GS/Woche fehlen noch). Um das zu lösen,
könnte ich mich z.B. umgucken, ob ab und zu noch anderswo Klos zu putzen
sind. Aber nehmen wir, es ist mir ganz recht, wenn ich den Kontakt zu meiner
vorigen Programmiererpraxis nicht ganz verliere. Ich mache also erstmal in 4
intensiven 10-Stunden-Tagen das Programm fertig, an dem ich gerade sitze --
40h zum Faktor 0,5 zählen als 20 GS, somit habe ich dann also erstmal für 11
Wochen meine Ruhe. Wenn die rum sind, kann ich dann alle paar Monate mal
wieder eine Programmieraufgabe von ähnlichem Umfang übernehmen, um so die
benötigten 1,8 GS/Woche für einige Monate wieder abzudecken.


 [Gibt es für die einzelnen Tätigkeiten Qualitätsstandards und
Service Level Agreements? Wer legt die ggf. fest und kontrolliert sie?]

Anforderungen werden logischerweise von dem Projekt festgelegt das die
Aufgabe definiert. Und wenn du eine Aufgabe nicht zur Zufriedenheit des
Projekts bzw. der jeweils Zuständigen erledigst, wirst du sie kaum dauerhaft
übernehmen können, sondern wirst dich dann eben nach etwas anderem umgucken
müssen, das deinen Fähigkeiten besser entspricht. (Da die Arbeit nur
aufgeteilt wird, musst du keine Angst haben, dass nichts für dich übrig
bleibt und du "arbeitslos" wirst -- die anderen haben ja gar kein Interesse
daran, "dir die Arbeit wegzunehmen", weil sie dann nur mehr tun müssten als
notwendig.)

Ob man dann, wenn man, wie Bernd, eine Sache gemacht und verpfuscht hat, sie
trotzdem anerkannt bekommt oder nicht, wird vermutlich von verschiedenen
Faktoren abhängen (v.a. davon, wie sehr man gepfuscht hat ;-) ). Zunächst
dürfte das Projekt entscheiden, aber Bernd kann sich ja beschweren, wenn er
sich ungerecht behandelt fühlt -- da werden sich also gesellschaftliche
Normen dessen, was üblich ist, entwickeln.


Kurz, ich musste das Klo zwei Stunden schrubben statt der veranschlagten
einen Stunde  [Was wird mit L_k multipliziert? Die wirkliche Zeit? Die
durchschnittliche Zeit? Wenn letzteres, wie kann ich geltend machen,
dass Kloputzen nach B mehr Zeit braucht als normal? Wem gegenüber?]

Beides geht, wie ich im Mathe-Anhang erwähne ("actual or estimated time").
Ich würde davon ausgehe, dass die Abrechnung nach real benötigten Stunden
üblicher sein wird, unter anderem weil sie für besonderen Situationen wie du
sie nennst besser geeignet ist ("heute ist mal mehr zu tun, weil...") und
weil sie es mir einfacher macht, verschiedene Aufgaben zu vergleichen, auch
wenn ich "Newbie" bin.

Alternativ kann das ausschreibende Projekt aber auch einen erwarteten
Stundenumfang schätzen und mir dann nur genau diese Zeit anrechnen, egal ob
ich tatsächlich länger oder kürzer gebraucht habe. Dann muss ich allerdings,
wenn ich mich um Aufgaben bewerbe, meine _eigene_ Schätzung zugrunde legen
-- wenn eine Aufgabe offiziell als 1 Std. anerkannt wird, ich aber davon
ausgehen muss, dass ich tatsächlich 2 Std. brauchen werden, ist sie für mich
erst mit Gewichtungsfaktor 3,0 so attraktiv wie sie andernfalls (wenn die
reale Zeit gemessen würde) schon mit Faktor 1,5 wäre (in beiden Fällen
kriege ich 3 GS anerkannt).


Soweit zu deinem Beispiel -- auf den Rest der Mail ist Stefan ja schon
eingegangen.

Herzliche Grüße
	Christian

-- 
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Anarchism, in my view, is an expression of the idea that the burden of
proof is always on those who argue that authority and domination are
necessary. They have to demonstrate, with powerful argument, that that
conclusion is correct. If they cannot, then the institutions they defend
should be considered illegitimate. How one should react to illegitimate
authority depends on circumstances and conditions: there are no formulas.
	-- Noam Chomsky



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