Message 00078 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT00059 Message: 9/13 L7 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: Ehrenamt und Tauschwert (was: Re: [ox] Zu allem etwas (-D))



Hi Sabine,

wir kommen der Sache langsam näher, ist mein Eindruck. Ich nehme Deine Fäden auf, denn an ihnen entlang kann ich Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich machen - hoffe ich.

> > Der Kern der Kette war die Aussage, daß der Kapitalismus das nicht auf
> > die Reihe kriegt, was der Linux-Basar schafft: eine neue Qualität der
> > Produktivkraftentwicklung zu entfalten, deren Kern die Selbstentfaltung
> > des Menschen ist.
>
> "Selbstentfaltung des Menschen" ist, wenn ich es recht verstehe, der
> Umstand, daß die Leute in der Arbeit sich nach dem Spaß und nicht
> nach dem Markt richten können und bei Linux ist dies der Fall, richtig?

Spaß ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung. Flipper spielen kann Spaß machen, aber mit Selbstentfaltung hat das nicht viel zu tun. Selbstentfaltung ist Spaß haben UND die der eigenen Individualität gemäßen Entwicklungsmöglichkeiten voll ausschöpfen.

> Ich denke, der Spaß erfolgt erst aus der Sache, nämlich daß ein Produkt
> uneingeschränkt für sich selbst, für seine Nützlichkeit, ohne Rücksicht
> auf all die Schranken (ja, Schranken!), die man unter Marktbedingungen
> üblicherweise hat (Kostendruck, Personal- und Ressourcenknappheit,
> Konkurrenzdruck, Erfolgsdruck (Gewinnzweck)....blabla...) wegfallen.
> Daß also frei von diesen Schranken produziert werden kann, mit dem
> Hauptzweck, daß das Ding nachher gut ist, statt mit dem Zweck, daß das
> Ding nachher Gewinn machen muß....Insofern find ich schon den bereits
> erwähnten "Wert" des "Gebrauchs" als primärer Produktionszweck das
> charakteristische und wichtige an Linux & Co. Das ist sehr pragmatisch:
> Ich mach was, weil ichs gut finde und weil es mir nutzt. Wenn die Folge
> daraus meine Selbstentfaltung ist, beziehungsweise die damit einhergeht,
> ist das wunderbar. Wahrscheinlich wird es wohl auch so sein. Demnach
> ist der eigentliche Zweck und Antrieb der Leute, die da arbeiten, jener
> Gebrauchswert, nicht jener der Selbstentfaltung, den kriegen sie quasi
> als gratis-Erfahrung mit, vielleicht deckt sich das auch,

Ja, das hast Du ganz gut beschrieben so. Die Ansätze der Selbstentfaltung über den Spaß sind sozusagen sekundäre Effekte. Aber sie sind da, werden gespürt, und es entsteht eine Ahnung von Power, wie auch Stefan Mn. meinte. Keiner der Entwickler spricht von Selbstentfaltung, sondern von Spaß, gutes Produkt, tolle Art zu Lernen etc. Das ist meine Art der Versprachlichung dessen, was ich meine, was da abgeht.

> ich will jetzt gar nicht auf dem Zweck rumreiten, worum es mir nur geht,
> ist, daß Du diese Selbstentfaltung als ein Potential interpretierst, eines,
> woran das Kapital in seiner grenzenlosen Verwertungssucht scheitern
> würde

Ja, in der Tat, und Du hast gut beschrieben, warum (die Schranken).

> ....und ich sagen will, es ist ein Nebenprodukt/Mitprodukt von
> Linux, daß es a) auch woanders so gibt (in der Freizeit/Hobby)

Meine Argumente für eine Nicht-Vergleichbarkeit:
1. Linux steht für die Spitze der PK-Entwicklung im toyotistischen Kapitalismus (sagte auch Stefan Mn. mal) während ein Bastelhobby oder Billiard eher die Handwerker-Periode des Kapitalismus repräsentiert. Das meine ich nicht wertend, es gibt auch Leute, die sich manuell-handwerklich selbst entfalten können. Mich interessiert aber die Spitze.
2. Linux wird für alle gemacht, ein persönliches Hobby mache ich nur für mich und vielleicht ein paar andere. Linux vereint also das Element der verallgemeinerten gesellschaftlichen Produktion (hat Linux mit der kapitalistischen Produktionsweise gemein, was auch Marx als historische Leistung würdigte) mit dem Element der Gebrauchswertorientierung (hat Linux mit dem Nachkapitalismus gemein, was immer das ist).

> und b) sich der Kapitalverwertung nicht entzieht, sondern von ihr
> vernichtet/geschluckt werden kann oder sogar - und das ist oft der Fall
> - von ihr positiv genutzt (!) werden kann...also, genau das Gegenteil
> ist meiner geringfügigen Ansicht nach der Fall

Du sprichst eine Knackfrage an: Kann der Kapitalismus ?Linux? integrieren oder nicht. Hier muß Produkt und Prozeß unterschieden werden, sonst gibt?s Konfusion. Ja, auf jeden Fall wird das Produkt Linux geschluckt oder besser integriert, das sieht man bei der Welle der Linux-Bekundungen der Big-Player (fehlt nur noch M$). Was verwertbar ist, wird auch verwertet. Daher das schöne Bild des Stricks, den der Kapitalist verkauft und dann daran aufgehangen wird. Anders beim Prozeß: Die Basar-Produktionsweise kann nicht integriert werden, da die immanenten Grenzen das nicht zulassen. Natürlich werden sie?s versuchen, sogar M$ empfiehlt (siehe Halloween-Papiere), intern ?linuxmäßig? vorzugehen und zwischen den Abteilungen den Sourcecode offenzulegen (echt: M$ arbeitet auch intern teilweise mit closed Sources!). Aber erstens haben sie?s nicht geschnallt, denn open Source ist nicht das wesentliche, und zweitens könnten sie, selbst wenn sie?s mal kapieren, nicht vollständig umsetzen - Deine Grenzen oben!

> und paradoxerweise zitierst Du genau das *gegen* meine Ansicht, was
> ich als Beleg *für* meine Ansicht anführen würde:
>
> > guck' die Management-Literatur an. Die dreht sich im Prinzip um
> > nix anderes als um die Frage, wie man an den Menschen
> > rankommt: Motivition, Arbeitsorganisation, Managementtricks
>
> Diese Literatur liegt auf den Bestsellerlisten ganz oben, ich kann nicht
> sehen, wo das keinen Erfolg haben soll.

Der Bedarf ist da, das Kapital ahnt wo?s lang gehen muß, aber tausende Bücher zum selben Thema sprechen für sich: KEINER hat bisher den Stein der Weisen gefunden, und zwar wie der Widerspruch zwischen Selbstentfaltung und Verwertung aufgehoben werden kann. In ihrer Denke geht das auch nicht.

> Im Gegenteil: Die ständige "Wir"-Terminologie in den Fluren des
> oberen Managments und auch auf der untersten Stufe der Leiter, sagen
> wir, beispielsweise bei den Vertretern von Staubsaugern, welche das
> Gotteshaus mit dem Betriebsgebäude von Vorwerk ausgewechselt
> haben, beispielweise...und all diese Menschen
> dazwischen, dieses Kaufhauslächeln an jeder Dienstleistungsecke....

Das meinst Du jetzt nicht ernst, oder? Ich lese das von Dir als Karikatur. Die Simulation von Selbstentfaltung ist keine.

> da hat die kleine Verwertungsmaschine wirklich ganze Arbeit geleistet,
> von "Selbstbestimmung" seh ich da nix mehr....und die dem äquivalente
> Literatur übrigens, die das ganze Seelenplastik zusammenhält ist dann
> natürlich entsprechend erfolgreich: "Think positiv", "Sorge dich nicht,
> lebe", usw. Alles eher Belege dafür, daß die Fremdbestimmung auf
> Hochtouren läuft, geradezu durchgesetzt ist und keinerlei Grenzen
> findet...

Ja, eben. Mehr als Simulation is? nicht drin. Geht auch nicht. Jetzt argumentierst Du für mich.

> ...insofern finde ich Linux zwar bezüglich der "Selbstentfaltung"
> wirklich eine Ausnahme, aber ich denke, nur solange bis es vom
> Kapital entdeckt wird...

Schon passiert, keine Bange. Aber s.o. Produkt und Prozeß.

> Im übrigen scheint das Schlagwort der Anerkennungsökonomie auf
> eine eher althergebrachte Art und Weise einer Art Prämierung für
> besondere Leistungen im Linux-Bereich Vorschub zu leisten. Auch
> innerhalb von stinknormalen Betrieben wird mit solchen Anreizen
> zu Mit- und Mehrarbeit angespornt....das nur zur Ausnutzung der
> Selbstentfaltung von der Verwertung...und das noch: ... gerade das
> individualistische Verwirklichungsmoment wird doch hierzulande gerne
> gepriesen, jede zweite Hausfrau will sich nach dem ersten Kind selbst
> verwirklichen...wohl weil nach rentablen Verwertungsbedingungen ein
> Kind keine Selbstverwirklichung ist?

Yeah, give me more...! You got it!

Aber noch zum Stichwortwort Anerkennungsökonomie: Das ist ein Wort von Leuten (wie Raymond), die nicht jenseits von Handel, Tausch und Verkaufen denken können. Wenn Anerkennung, dann bitte auch Ökonomie. Das Denken jenseits der Verwertung von Kapital ist auch schwer (Aristoteles konnte Freiheit nicht denken, Sklaverei erschien ihm naturgegeben).

> Nun ist mir glatt der rote Faden abhanden gekommen...habe mich
> etwas an dem Selbstentfaltungsding aufgerieben...na, egal....hoffe, Du
> verstehst....

Ich habe Dich, glaube ich, ganz gut verstanden. Verstehst Du DichMich?

> Natürlich gibt es einen stofflichen Unterschied zwischen Linux und
> Modellbau, ob es auch einen sachlichen gibt im Rahmen einer
> kapitalistischen Ökonomie...davon mußt Du/müßt ihr mich nun weiter
> überzeugen. Nicht weil ich es schon (besser) wüßte, vielmehr, weil ich
> es eben noch nicht weiß.

Der stoffliche Unterschied ist nicht maßgebend. Und ob ich?s besser weiß, weiß ich nicht, was ist der Maßstab für besser (nur Praxis, und die muß sich erst noch zeigen...). Ich habe aber eine vorläufige Meinung, die ich mir entlang bestimmter Kriterien erarbeitet habe. Das lege ich alles auf den Tisch (wenn nötig), denn je expliziter, desto besser läßt sich?s reiben, und desto produktiver ist am Ende der Lerneffekt (und darum geht?s mir - für mich jedenfalls).

> So, siehst Du, nun habe ich widersprochen. Hm...Stephan Merten merkte
> schon an, daß mein Geschriebenes immer etwas "hart" klinge...aber ich
> meine das gar nicht so, weiß gar nicht woran das liegt.....soll ich mehr
> Smileys machen???

Ich finde es nicht hart, für jede Deutlichkeit bin ich dankbar.

> Naja. Ihr werdet mich schon zurecht weisen.

Nee, nee, und wer ist Ihr? Stefan Mn. liegt, so wie ich ihn bisher kennenlernte, auch nicht daran.

Ciao,
Stefan


--------------------------------------------------------- Stefan Meretz, Duesseldorf Web: http://www.kritische-informatik.de stefan.meretz kritische-informatik.de ---------------------------------------------------------



[English translation]
Thread: oxdeT00059 Message: 9/13 L7 [In index]
Message 00078 [Homepage] [Navigation]