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Re: [ox] Das Programmieren



Hi Steffen, Sabine und alle!

Das hier finde ich einen hochinteressanten Thread!

Yesterday Steffen Schwigon wrote:
Sabine Nuss <nussini zedat.fu-berlin.de> writes:
Steffen Schwigon schrieb:
Daß also das Programmieren als solches eine ganz eigene Motivation mit
sich bringt, die anderen Tätigkeiten fremd ist?
[...]
Was denkst Du denn, was genau es ist, was das Programmieren so
eigen-anders-besonders macht? Wie und wodurch grenzt es sich vom
stupiden Daten-erfassen ab? Kann es damit zusammen hängen, dass der
Programmierer-Mensch unmittelbaren Einfluss auf die Entstehung des
"Produktes" hat, permanent ändern, verbessern, blabla...kann und dass er
vom Nutzen seines Produktes unmittelbar profitiert? Was macht diese
Begeisterung aus?

Hm. Vielleicht ist es einfach die Komplexität der Tätigkeit. Jeder
kann sich ein Gebiet raussuchen, welches ihm besonders liegt:
Low-level-Byte-Schieberei, High-Level-Problemabstraktionen,
Anwendersoftware, Entwicklersoftware, Games, Utilitities, Hacken,
Cracken, usw. Und jedes Teilgebiet ist in sich wieder sehr komplex.

Man kann darin seinen eigenen Stil ausleben und entwickeln, ohne daß
es einem Außenstehenden (Chef, breite Software-Konsumentenmasse, ...)
wirklich möglich möglich wäre, einem Vorschriften über die Art und
Weise der Realisierung machen zu können (also vielleicht wahre
Freiheit bei der Arbeit? Puh, die Wahrheit muß ganz nah sein :-).

Würde ich mal zusammenfassen zu: Programmieren birgt ein hohes
Potential an Kreativtät und i.d.R. sind auch die Freiräume dafür
gegeben, diese Kreativität auch auszuleben. Könntest du das
unterschreiben?

Jedenfalls würde ich sagen, daß sich Programmieren sicher (u.a.) in
diesen Punkten von ganz vielen anderen (Lohn)arbeiten unterscheidet.
Am ähnlichsten ist diese Tätigkeit vielleicht wissenschaftlichen oder
künstlerischen welchen - oder?

Dies finde ich auch ganz wichtig. Wenn ich Marx mal erwähnen darf, so
hat er prognostiziert, daß sich die Arbeitswelt durch die
Produktivkraftentwicklung immer weiter verwissenschaftlichen würde.
Gemeint war u.a. - soweit ich es verstanden habe -, daß die materielle
Arbeit immer mehr auf Maschinen übergeht, während die Menschen diese
zunehmend nur noch steuern. Eine Entwicklung, die ja deutlich zu sehen
ist.

Bisher habe ich "verwissenschaftlichen" immer für einen historischen,
für heutige Begriffswelt schlecht gewählten Begriff gehalten.
Vielleicht hat der olle KM doch wieder mal viel mehr Recht gehabt als
ich dachte...

Und genau deswegen finde ich euren Thread auch so spannend: Weil er an
einem konkreten Beispiel - nämlich Programmieren - darauf eingeht, wie
Bedingungen für eine produktive Tätigkeit aussehen müssen, die zu
einer freiwilligen Herstellung nützlicher Produkte - Gnu/Linux -
führen.

Jetzt müssen wir nur noch rauskriegen, wie die kapitalistische
Arbeitswelt in eine nachkapitalistische Welt der freiwilligen
Tätigkeit umgewandelt werden kann und wie sich das ins Werk setzen
läßt. Dann können wir die Liste eigentlich auflösen ;-) ;-) .


Aber ich will auch noch auf einen anderen Punkt eingehen.
Programmieren ist auch Machtausübung. Die ProgrammiererIn übt durch
ihre Tätigkeit Macht auf eine Maschine aus. Und auf eine hochkomplexe
Maschine noch dazu. Nicht umsonst ist es auch heute noch relativ
angesehen, wenn jemensch mit Computern virtuos umgehen kann, sie im
wahresten Sinne des Wortes beherrscht.

In einer Welt, in der sich der einzelne Mensch in praktisch allen
Bereichen, jedenfalls aber allen gesellschaftlich als machtlos erlebt
- und das ist ja nicht eingebildet -, finde ich das einen sehr
wichtigen Aspekt. Hier wird m.E. den vereinzelten, in die Welt
geworfenen Menschen ein Erlebnisraum geöffnet, in dem sie sich als
machtvoll erleben, in dem sie ihre Kompetenz sich und anderen unter
Beweis stellen können.

Auch hier sehe ich einen deutlichen Hinweis auf eine künftige
Gesellschaft, in der die Menschen eben mehr Einfluß auf ihr eigenes
Leben haben müßten als sich heute dem stummen Zwang der Verhältnisse
(vulgo: Geld) ausliefern zu müssen.

Außerdem gibt es die klassische Form der Meisterschaft nicht mehr, die
darauf beruht, daß man eine bestimmte Tätigkeit durch extreme Routine
aus jahrelanger Wiederholung beherrscht (wie z.B. Holzoberflächen
polieren, ein Produkt verkaufen, Schweißen, Löten, Bilanzen
erstellen).

Kaum ein Programmierer wird also jahrelang Textprogramme schreiben,
die funktional immer gleich sind, aber jedes Jahr "darin besser"
werden. - Die Meisterschaft besteht eher darin, einen immer höheren
Grad der Komplexität zu beherrschen.

Einspruch Euer Ehren! Auch beim Programmieren gibt es AnfängerInnen
und Fortgeschrittenere - und auch Meister würde ich meinen. Das
definiert sich sicher anders als du oben beschrieben hast. Mein
Diplomarbiets-Betreuer meinte mal, was einen guten Ingenieur (auch
InformatikerIn) auszeichne, sei, daß sie schnell die richtige Idee
hätte. Und da hilft Erfahrung ganz heftig weiter - einfach weil die
Datenbasis für's Pattern-Matching größer wird.

Denke *ich* zumindest.

Mein Tütchen Senf ;-) .

Naja, ich hatte ursprünglich auch keine Lust, hier zu schreiben,
weil's mir relativ Wurst war, was hinter Linux steht. Aber dann
hattet ihr doch eine ganze Menge netter Gedanken zusammengetragen. :-)

:-)

Fasse ich mal als Beitrag zur Aufmerksamkeitsökonomie auf ;-) .


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan





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