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Re: [ox] Zur Aufhebung und zu "jenseitiger" Produktion



Hallo allerseits,

Ja, ich stimme Sabine zu: eine Marx-Interpretation ist hier sicher nicht
angebracht, sondern eine Diskussion dessen, was hier und heute passiert.
Da ist mir Marxens Darstellungsweise der "Großen Industrie" im Kapital
aber oft ein gedanklicher Hintergrund. Vor allem gefällt mir immer
wieder, wie er es geschafft hat, die Janusköpfigkeit, Zwiespältigkeit
der Entwicklung darzustellen. Er kritisiert diese kapitalistische
Entwicklung ja nicht nur, sondern arbeitet heraus, daß das
Fortschrittliche daran gerade die Entwicklung der Fähigkeiten und
Bedürfnisse der (konkreten) Menschen ist. Das macht er mit großer
Kenntnis der konkreten technischen Abläufe. Für mich war das nach 1990
so etwas wie ein Denkmodell, als ich versuchte, zu durchschauen, was im
Kapitalismus denn gerade los ist beim Wechsel vom "Fordismus" zum
"Toyotismus" oder ähnlich...
 
Was waere die Grundlage einer neuen Gesellschaft? Welche Elemente der
alten nehmen wir mit, die spaeter absterben werden, wenn sie nicht
mehr gebraucht werden - also eine Uebergangsloesung darstellen? Und
was waere das Wesen des Neuen?

Wenn wir das mit dem Wesen einfach mal weglassen - ein Wesen des
Menschen zu konstruieren hat stark etwas von einem Glauben an eine
"Natur des Menschen", die aber immer zu Ideologie verführt und es auch
nicht gibt m.A.n. Man kommt auch ohne den Wesensbegriff aus.

Hier hat er ja nicht das (überhistorische) Wesen des Menschen gemeint,
sondern das konkrete Wesen der konkreten neuen Gesellschaft. Wenn das
Wesen der alten in der Kapitalakkumulation (oder der
Wert-Vergesellschaftung oder wie immer man das nennen will) besteht (was
natürlich auch zu hinterfragen wäre), so steht durchaus die Frage nach
dem Wesen einer eventuellen neuen Gesellschaft. Wesen im Sinne von
"typischen Merkmalen", von "die Grundqualität bestimmenden Prozessen".
(Die "höhere" Philosophie unterscheidet wohlweislich zwischen
abstrakt-Allgemeinem (überhistorischen Seins-Aussagen) und
konkret-Allgemeinem (zur Kennzeichnung des Allgemeinen und des Wesens
historisch konkreter Zustände).)
Aber damit nun wirklich genug... ;-)
 
Alles andere klingt sehr nach Gestaltbarkeit: "Welche Elemente der
alten nehmen wir mit, die spaeter absterben werden, wenn sie nicht mehr
gebraucht werden?" - Wer ist es nun, der hier frei entscheiden kann, was
mitgenommen wird und was nicht und vor allem, woraus speist sich sein
Wissen, darüber, was das "richtige" und das "falsche" ist?

Was hast Du denn gegen Gestaltbarkeit??? 
Es gibt davon verschiedene Vorstellungen.
Du hast Recht mit Deiner Kritik, wenn Du Dich auf jene beziehst, die
sich einbilden das "Richtige" zu kennen und das dann durchziehen wollen.
Das hatten wir in der DDR zur Genüge. 
Ich selber gehe von einer Variantenvielfalt möglicher Handlungen aus.
Real wählt jede/r mit jedem Handeln oder Nicht-Handeln (!) nur wenige
dieser Möglichkeiten aus, schneidet andere ab. "Falsch" wäre für mich
eigentlich nur der Versuch, etwas durchzusetzen, was unmöglich ist und
nicht möglich werden kann (was z.B. die Naturgesetze nicht zulassen).
Rein logisch "richtig" ist jede Wahl innerhalb des Möglichen (auch jedes
Nichthandeln oder nicht-bewußte-Handeln wirkt durchaus real als Wahl).
Wir Menschen allerdings haben noch mehr Ansprüche an unser Handeln. Wir
bewerten es nach anderen Maßstäben als nur "richtig" oder "falsch". Es
gibt Bewertungen und wir wählen aus der Vielfalt von Möglichkeiten die
für uns wünschbaren bzw. nicht wünschbaren aus. Jetzt wird die Frage
spannend, die Du ja auch stellst: "Wer ist es denn nun, der frei
entscheiden kann?" Vielleicht legt genau die Beantwortung dieser Frage
fest, welches Wesen die jeweilige Gesellschaft hat? 
Wenn wir nicht wollen, daß andere über unser Köpfe hinweg bestimmen und
gestalten, müssen wir uns wirklich fragen, welche gesellschaftlichen
Strukturen gestatten uns jene Form Gesellschaftsgestaltung, die für
mich/uns die wünschbare ist... Ohne zu behaupten, daß unsere
Überlegungen die "einzig wahren" sind, haben wir ja durchaus das Recht,
uns darüber auszutauschen, was für mehrere von uns wünschbar ist.
Vielleicht geht dann wenigstens dies zu gestalten und vielleicht kommt
dabei auch mehr heraus...
Ich hoffe, mit der Kenntnis der LINUX-Entwicklungsstrukturen etwas zu
erfahren über die Koordinationsmöglichkeiten möglichst freier
Entscheidungen an der Basis der Gesellschaft. 
Einen allgemeinen Text zur Gestaltbarkeit der Zukünfte (ohne Linux) hab
ich im Internet unter: http://www.thur.de/philo/aszu1.htm - falls es
jemanden näher interessiert. Da drin steht z.B. "Aber wer ist "wir"? Wer
kann entscheiden und gestalten? Die Verfügungsmittel über die Zukünfte
sind ungleich verteilt...." Vielleicht kann sich das ja durch LINUX und
Co. ändern? 

Ahoi Annette



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*   Annette Schlemm			*
*   URL: http://www.thur.de/philo	*
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