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Computer im Kapitalismus (was: Re: [ox] Neuer ProduzentInnentyp)



Hi Benni!

Today Benni Baermann wrote:
On Thu, Nov 25, 1999 at 12:08:46AM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Oder verstehe ich dich nicht richtig?

Ja und Nein. Mich interessierte neben Beispielen fuer universale
Maschinen, die kein Computer sind vor allem die Frage, was Du mit
"kapitalistischer Produktionsweise" in obigem Zusammenhang meintest.
Computer werden noch immer zu 99,99% innerhalb der kapitalistischen
Produktionsweise eingesetzt und das sollte man vielleicht nicht
ausser acht lassen und nicht mit dem Computer schon eine neue
Gesellschaft identifizieren. Diesen Anklang meinte ich bei Dir
gelesen zu haben. Korrigiere mich, wenn es falsch ist.

Nee, das denke ich nun wirklich nicht. Ich versuche es mal ein wenig
zu präzisieren:

* Computer stehen an der Spitze der kapitalistischen
  Produktionsmittelentwicklung

  Das dürfte klar sein - wobei Computer hier im weiten Sinne also
  incl. der erwähnten Werkzeugmaschine verstanden werden sollen. Ohne
  die durch die Informatisierung, ohne die Mikroelektronik wären die
  Produktivitätsschübe der letzten Jahre undenkbar.

  Klarerweise ist die Entwicklung des Computers vom
  Militärisch-Industriellen Komplex (um mal eine alte, aber sehr
  treffende Vokabel zweckzuentfremden ;-) ) massiv forciert worden -
  letztlich also auf verschiedenen Ebenen Sieger im Konkurrenzkampf zu
  bleiben.

* Computer markieren einen Epochenbruch innerhalb des Kapitalismus

  Ich denke, seit der industriellen Revolution hat es nichts gegeben,
  was die Produktion und die gesamte (kapitalistische) Arbeitsweilt
  durchgreifender verändert hat. Selbst der fordistische Schub (vulgo:
  Fließband, aber siehe Stefan Mz.s Ausführungen dazu) dürfte in
  historischer Perspektive gegen die heute mögliche Steigerung der
  Produktivität verblassen.

  Ich denke auch, daß wir hier erst am Anfang einer Entwicklung
  stehen. Bedenkt einfach mal, was in dem ganzen hochgepriesenen
  Dienstleistungsbereich durch Computer übernommen werden kann. Wenn
  sich das Internet noch flächendeckender durchsetzt, wird es z.B. für
  Banken immer weniger Gründe geben, Filialen zu unterhalten oder dort
  gar teure MitarbeiterInnen zu beschäftigen. Die flächendeckende
  Einführung von Geldautomaten und Kontoauszugsdruckern gibt da ja
  einen ersten milden Vorgeschmack. Und die Entlassungspläne bei
  Banken und Versicherungen sprechen da ja eine deutliche Sprache.

* Im Ergebnis schafft der Computer die Lohnarbeit tendenziell ab

  Na, das ist dann eigentlich eine klare Konsequenz. Natürlich kann
  ich hier irren, aber momentan ist schlicht nichts in Sicht, was die
  Arbeitsplatzverluste durch Rationalisierung auch nur annähernd
  auffangen könnte. Na, vielleicht noch ein großer Krieg zwischen den
  hochproduktiven Zentren (Europa, Japan, USA) :-( ...

  Für die Arbeitsgesellschaft heißt das, daß ihr Ende in Sicht ist.

Bis hierher sehe ich vor allem die destruktiven Folgen der Computer im
Bestehenden. Nun zum Neuen / Hoffnungsvollen - was ja eigentlich Thema
der Liste ist und daher nur eine grobe und hoffentlich nicht allzu
falsche Zusammenstellung sein kann.

* Der Computer ermöglicht lustbetonte produktive Tätigkeit

  Nun, nichts grundsätzlich Neues. Klar gibt es im Bereich der Hobbies
  auch eine Menge lustbetonter produktiver Tätigkeiten. Aber dennoch
  ist es wichtig, weil es ohne diesen Effekt vieles nicht gäbe.

  Mir fällt auch keine andere (komplexe) Maschine ein, die so
  unterschiedslos wie z.B. ein PC im privaten und im kapitalistischen
  Bereich eingesetzt wird. Na, Autos vielleicht noch. Sonst noch was?

* Computer ermöglichen das Internet

  Mehr und mehr halte ich das Internet für einen ganz entscheidenden
  Faktor. Nicht nur, weil ohne das Internet Gnu/Linux nie diese
  Dimension hätte erreichen können, sondern weil es mir - wie in
  einigen vergangenen Mails schon angedeutet - so scheint, als wäre
  das Internet zumindest nicht massiv in die kapitalistische
  Verwertungsmaschine zu integrieren. Diesen Gedanken würde ich gerne
  noch mehr diskutieren.

* Beides zusammen ermöglicht interessante unbezahlte Produktion

  Interessant ist daran, daß das Produkt einen hohen Gebrauchswert hat
  und ebenfalls an der Spitze der kapitalistischen
  Produktionsmittelentwicklung steht.

  Weiterhin ist es interessant, daß hier (historisch erstmals auf
  diesem Vergesellschaftungsniveau) eine Produktionsweise aufscheint,
  die eine Vergesellschaftung ohne Tausch real und an einem
  praktischen Beispiel vorstellbar macht.

Soweit erstmal. Vieles habe ich sicher vergessen.

Um auf deine Bedenken zu antworten: Nein, der Computer ist nicht die
neue Gesellschaft. Aber er enthält Potentiale, die in eine neue
Gesellschaft weisen.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan





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